NRW: Kommunale Aufnahme von Flüchtlingen - Berichte über Konflikte. Sechs-Punkte-Plan zur Stabilisierung des Landesaufnahmesystems

01.09.2023 Laut Bericht der WDR beriet der Integrationsausschuss des Landtags jetzt über die Pläne des Landes zur  Entlastung der Kommunen: Ausschuss berät zu Flüchtlingen: Geld, Personal und Unterkünfte fehlen. Stand: 30.08.2023

Im NRW-Landtag berät der Integrationsausschuss am Mittwoch über die Pläne der Landesregierung, Städte mit Flüchtlingsunterkünften zu entlasten. Der Unmut in den Kommunen wächst.

Steigende Flüchtlingszahlen stellen Land und Kommunen auch in Nordrhein-Westfalen vor gewaltige Aufgaben. Geeignete Plätze für eine Unterbringung werden immer knapper, Städten und Gemeinden fehlen Geld sowie Personal und in der Bevölkerung schwindet die Akzeptanz.

Das zeigt auch ein aktuelles Beispiel aus Bocholt. Dort wehren sich Bürger gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft. Eine Bürgerinitiative hat in den vergangenen Wochen rund 3.800 Unterschriften gesammelt. Es könnte zu einem Bürgerentscheid kommen.

Städte und Gemeinden überfordert?

Die Landesregierung will Städte und Kommunen entlasten - wie genau, darüber berät der Integrationsausschuss des NRW-Landtags am Mittwoch. In einer hitzigen Landtagsdebatte in der vergangenen Woche hatten die Oppositionsparteien SPD, FDP und AfD vor einer Überforderung der Städte und Gemeinden gewarnt.

NRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) hatte einen Sechs-Punkte-Plan zur Stärkung des Aufnahmesystems vorgestellt. Unter anderem sollen Anwohner künftig früher in Planungen eingebunden, Kommunikation und Konfliktmanagement verbessert und die Bezirksregierungen stärker bei der Akquise von Flächen und Gebäuden unterstützt werden.

Paul: "Stehen vor großen Herausforderungen"

Die Ministerin räumte gegenüber dem WDR ein, dass die Kommunen bei der Unterbringung von Geflüchteten "vor großen Herausforderungen" stehen. Aber nur über eine Kooperation mit den Kommunen sei es möglich, dafür zu sorgen, dass die Landeskapazitäten weiter ausgebaut werden könnten, sagte Paul.

Darüber hinaus erklärte sie, "dass wir auch noch mehr Zivilgesellschaft und Ehrenamt einbinden wollen", um für die Einrichtungen in den jeweiligen Quartieren eine bessere Akzeptanz erreichen.

Hitzige Debatte über Flüchtlinge in NRW: Empörung, Vorwürfe, Mahnungen | mehr

Kevelaer: Finanziell und personell "am Ende"

In Kevelaer blickt man derweil besorgt auf den kommenden Herbst und Winter. "Wir sind nicht nur personell und finanziell, sondern auch infrastrukturell am Ende. Wenn uns weiter Flüchtlinge zugewiesen werden, müssen wir spätestens in den Herbstferien die zweite Turnhalle belegen - wir haben keine andere Möglichkeit", sagte Bürgermeister Dominik Pichler (SPD) dem WDR.

"Wenn wir auf den Winter zulaufen, müssten wir uns ernsthaft Gedanken über eine Zeltstadt machen." Bürgermeister Dominik Pichler (SPD)

Neben finanzieller und personeller Unterstützung fordert Pichler den "lange versprochenen Ausbau der Landeseinrichtungen".

Nach Zahlen des Flüchtlingsministeriums betreibt das Land für die Unterbringung von Geflüchteten aktuell fünf Erstaufnahmeeinrichtungen, 27 zentrale Unterbringungseinrichtungen und 13 Notunterkünfte - mit insgesamt 30.360 Plätzen.

Flüchtlingsunterbringung: Frust auf allen Seiten | video westpol 27.08.2023

Auch Radevormwald stößt an Grenzen

Auch Radevormwald stößt offenbar an seine Grenzen. "Wir haben in Radevormwald dazu aufgerufen, um auch freie Wohnungen mit nutzen zu können - diese Möglichkeiten gibt es weitestgehend nicht mehr. Also müssen wir über andere Unterbringungsmöglichkeiten nachdenken - das stellt für eine Kleinstadt mit 22.000 Einwohnern eine Besonderheit dar", sagte Bürgermeister Johannes Mans (parteilos) dem WDR.

Langsam gingen den Menschen, die überwiegend ehrenamtlich helfen, die Kräfte aus in der Versorgung. Zudem sei es problematisch für das Sozialgefüge der Stadt, wenn man etwa Sporthallen für eine Unterbringung sperren müsste. "Man muss entsprechende Verteilmodalitäten entwickeln und auch die Bürgermeister vor Ort mit entscheiden lassen, was noch geht und was nicht."

"Nach dem Gießkannenprinzip die Kommunen aufzufüllen, halte ich für unverantwortlich."  Bürgermeister Johannes Mans
 

Über Ergebnisse sind bisher keine Veröffentlichungen zu finden. Der Flüchtlingsrat NRW veröffentlichte am 1. September eine Information des Landesministeriums für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration NRW von August 2023:

Sechs-Punkte-Plan zur Stabilisierung des Landesaufnahmesystems

Momentan stellt die steigende Zahl von Geflüchteten, die nach NRW kommen, Land und Kommunen vor große Herausforderungen.

Dabei ist aktuell in erster Linie die angemessene Unterbringung ein Problem: Die Kapazitäten in Land und Kommunen sind zunehmend erschöpft. Die Landesregierung steht innerhalb der Verantwortungsgemeinschaft aus Bund, Ländern und Kommunen zu ihrer Verantwortung, diesen Menschen Schutz zu gewähren und die Kommunen auf dieser Aufgabe zu unterstützen. Land und Kommunen haben keine Einflussmöglichkeit auf die Zahl der Menschen, die durch Zuwanderung und Flucht nach NRW kommen. Der Bund muss endlich ein Gesamtkonzept für Migration vorlegen und endlich seiner  Verantwortung gerecht werden. Neben einem Konzept der Steuerung von Migration und Integration muss der Bund seine dauerhafte  finanzielle Beteiligung zusagen. Das Land nimmt seine eigene Verantwortung ernst und hat folgende Punkte zur Stabilisierung des Landesaufnahmesystems auf den Weg gebracht:

I. EINS-ZU-EINS-ANRECHNUNG ZUR ENTLASTUNG DER KOMMUNEN IM LANDTAG EINGEBRACHT

  • Um die Kommunen aufgrund der hohen Zugänge von Geflüchteten zu entlasten, sollen die Schutzsuchenden, die in Landesunterkünften untergebracht sind, unabhängig vom Einrichtungstyp künftig eins zu eins – also zu 100 Prozent – auf die Aufnahmeverpflichtung der  Kommunen angerechnet werden. Damit kommt das MKJFGFI einem Wunsch der Kommunen dauerhaft nach.

  • Wir setzen mit dieser Regelung eine Forderung aus der kommunalen Familie um. Angesichts der herausfordernden Lage soll dies dabei helfen, Landeseinrichtungen an den Start zu bringen, indem wir stärkere Anreize für die Kommunen setzen und gleichzeitig eine höhere Akzeptanz der Menschen vor Ort erzielen.

II. ERWEITERTES KOMMUNIKATIONSKONZEPT ZUR FRÜHZEITIGEN EINBINDUNG DER KOMMUNEN UND ANWOHNENDEN VOR ORT

  • Die Diskussion mit den Menschen vor Ort ist uns wichtig. Das MKJFGFI bringt deshalb Schulungen für Mitarbeitende der  Bezirksregierungen für den Austausch vor Ort auf den Weg, damit durch klare, transparente und einbindende Kommunikation  Unsicherheiten und Ängste angesprochen und im Optimalfall vor Ort  abgebaut werden können, z.B. indem bei Veranstaltungen die Fragen  der Bürgerinnen und Bürger direkt, offen und verständlich beantwortet werden.

  • Konkret unterstützen wir die Bezirksregierungen dabei, Infomaterial  zu erstellen und Veranstaltungen wie Bürger-Sprechstunden  durchzuführen.

  • Wir werden für die Kommunikation vor Ort auch Mediatorinnen und  Mediatoren einsetzen, um die Debatte versachlicht zu führen und  gleichzeitig Fragen und Sorgen der Anwohnenden zu berücksichtigen.

III. STÄRKERE EINBINDUNG DER EHRENAMTSSTRUKTUR

  • Gemeinsam mit den Bezirksregierungen verstärken wir die  Einsetzung von Beiräten, z.B. von lokalen Sportvereinen,  Flüchtlingsorganisationen, Ehrenamtsagenturen zur Beteiligung der Zivilgesellschaft.

  • Stärkung des Umfeldmanagements, um den persönlichen Kontakt  zwischen Bürgerschaft und Bewohnerinnen und Bewohnern zu  fördern/unterstützen und bei Konflikten zu vermitteln.

  • Förderung von Begegnungsfesten und Handreichungen zur Einbindung des Ehrenamts

IV. UNTERSTÜTZUNG DER BEZIRKSREGIERUNGEN BEI DER AKQUISE VON FLÄCHEN UND GEBÄUDEN STÄRKEN

  • Beim umfangreichen und komplexen Prozess der Schaffung und des Ausbaus von Landeseinrichtungen verstärken wir den direkten Dialog  mit den Kommunen zur Akquise von Flächen und Liegenschaften.  Entsprechend werden ab sofort neue potenzielle Flächen und  Gebäude stärker im Ministerium strategisch bewertet und die Arbeit  der Bezirksregierungen koordiniert.

V. BELEGUNGSMANAGEMENT VERBESSERN

  • Gemeinsam und im engen Austausch mit den Bezirksregierungen  überprüfen und optimieren wir das Belegungsmanagement in den  bestehenden Aufnahmeeinrichtungen. Sperrungen führen immer  wieder zu spürbaren Kapazitätseinschränkungen. Die Gründe dafür  sind vielfältig, ein Wasserschaden ist hier als ein Beispiel zu nennen.  Die Bezirksregierungen werden noch stärker als bislang durch einen  Stab im Ministerium bei der Suche nach individuellen Lösungen  unterstützt.

VI. LAGEBILDERSTELLUNG FÜR DIE KOMMUNEN

  • Wie bereits mit der kommunalen Familie vereinbart, hat das  MKJFGFI verfügbare Zahlen zur Zugangslage in 2023 und 2024 in die  Landeseinrichtungen bearbeitet, aufbereitet und gebündelt und stellt  ab sofort diese Daten inklusive einer monatsscharfen Prognose zur Verfügung. Damit kommt das Ministerium einem Wunsch der  Kommunen nach. Die Daten sollen dabei helfen, auf Basis der  Zugangslage in Landeseinrichtungen, Schlüsse für die zeitlich  nachgelagerte Zugangslage ins kommunale Aufnahmesystem zu  ziehen.