Öffnung des Sozialhilfesystems für ukrainische Geflüchtete verdeutlicht: AsylbLG abschaffen!

14.05.2022 Pro Asyl beleuchtete unter diesem Titel in den News vom 12.05.2022 die Bundestagsabstimmung über den Gesetzentwurf für das Sofortzuschlag- und Einmalzahlungsgesetz des selben Tages und fordert gleiche Verbesserungen für ALLE Geflüchteten.

Öffnung des Sozialhilfesystems für ukrainische Geflüchtete verdeutlicht: AsylbLG abschaffen!

Geflüchtete aus der Ukraine sollen ab Juni 2022 anstelle von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz normale Sozialleistungen sowie Kindergeld und BAföG erhalten können. Das ist gut – andere Geflüchtete aber profitieren nicht davon. Verbesserungen, die nicht nur Ukrainer*innen betreffen, etwa bei der Wohnsitzauflage, bleiben halbherzig.

Am 12. Mai 2022 wird im Bundestag über den Gesetzesentwurf für das »Sofortzuschlags- und Einmalzahlungsgesetz« der Bundesregierung abgestimmt. In Zeiten von Pandemie und Inflation gewährt der Entwurf für arme Menschen ein – unzureichendes – Trostpflaster: Für Erwachsene, die staatliche Sozialleistungen, auch solche nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), erhalten, sieht der Entwurf im Juli 2022 eine einmalige Zahlung von 200 Euro als »Sofort-Zuschlag« vor, für Kinder bzw. junge Menschen gibt es – unter bestimmten Bedingungen – 20 Euro mehr im Monat.

Im Rahmen des Gesetzentwurfs werden darüber hinaus verschiedene Regelungen im bestehenden Aufenthalts- und Sozialrecht geändert. Flüchtlinge aus der Ukraine werden damit in das normale Sozialhilfesystem (SGB II und SGB XII) eingegliedert und erhalten Zugang zu weiteren Leistungen wie Kindergeld und BAföG. Die Änderungen betreffen primär Ukraine-Geflüchtete, Änderungen bei der Wohnsitzauflage gelten aber allgemein.

Normale Sozialleistungen statt AsylbLG: Sinnvolle Höherstufung – aber nicht für alle

Geflüchtete mit einem Aufenthaltsrecht nach § 24 AufenthG (dem sogenannten vorübergehenden Schutz) – dies sind aktuell ausschließlich Menschen, die aufgrund des Kriegs in der Ukraine hier sind –, sollen ab dem 1. Juni 2022 im Bedarfsfall Leistungen nach SGB II (sogenannte »Hartz-VI« ‑Leistungen) bzw. SGB XII (Sozialhilfe für Erwerbsunfähige und Grundsicherung im Alter) erhalten. Bislang erhielten sie lediglich die reduzierten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Die SGB- Leistungen sind grundsätzlich höher als die AsylbLG-Beträge, sie enthalten etwa – im Unterschied zum AsylbLG – in bestimmten Konstellationen Zusatzbeträge (»Mehrbedarfe«). Die gibt es etwa für Alleinerziehende, was für viele ukrainische Mütter relevant sein dürfte und eine deutliche Verbesserung darstellt. Bislang hatten die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine lediglich Anspruch auf die reduzierten Sonderleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Mit der Änderung geht auch die Aufnahme der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in die reguläre Krankenversicherung einher.

Die Geflüchteten aus der Ukraine sind die ersten und einzigen, die seit Schaffung der Regelung vor mehr als 20 Jahren unter den §24 AufenthG fallen.

Durch die Gesetzesänderung würden künftig alle Menschen, die auf Grundlage der EU-Massenzustromsrichtlinie seit März 2022 als »vorübergehend Geschützte in Deutschland aufgenommen werden, aus dem AsylbLG-Bezug heraus genommen und in das normale Sozialhilfesystem eingegliedert. Die Geflüchteten aus der Ukraine sind die ersten und einzigen, die seit Schaffung der Regelung vor mehr als 20 Jahren unter diesen Paragrafen fallen.

Sozialhilferechtlich werden sie damit den im Asylverfahren anerkannten Flüchtlingen gleichgestellt. Das ist eine nachvollziehbare und gute Sache – ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass andere Geflüchtete, nämlich solche im laufenden Asylverfahren, Geduldete und einige andere Gruppen weiterhin den diskriminierenden Regelungen des AsylbLG unterworfen bleiben.

Administrative Hürden bei der Umstellung

Allerdings macht es die Bundesregierung für die Ukrainer*innen mit dem Übergang in die Regelleistungen kompliziert: Sie setzt nämlich für den Erhalt der Sozialleistungen voraus, dass die Betroffenen über einen Aufenthaltstitel oder über eine Bescheinigung über ihren rechtmäßigen Aufenthalt verfügen (die sogenannte Fiktionsbescheinigung) und dass ihre Fotos und Fingerabdrücke aufgenommen wurden. Ist noch keine solche »erkennungsdienstliche Behandlung« erfolgt, gilt eine Übergangsregelung: Es müssen zumindest die Personaldaten der Betroffenen im Ausländerzentralregister erfasst sein und die Ausländerbehörden müssen die ED-Behandlung bis zum 1. September 2022 nachholen.

Das alles dürfte zu Schwierigkeiten führen. Denn bislang stellen die Ausländerbehörden häufig gar keine formgerechte Fiktionsbescheinigung aus und bescheinigen auch nicht, dass eine ED-Behandlung erfolgt ist. Auch angesichts der ohnehin bestehenden Schwierigkeiten einiger Behörden, die ukrainischen Geflüchteten zeitnah zu registrieren, sind verzögerte Auszahlungen des Existenzminimums zu befürchten. Dies droht auch, wenn die Ausländerbehörde zum Beispiel bei Drittstaatsangehörigen zunächst gar keine Fiktionsbescheinigung ausstellt.

Hinzu kommen die Schwierigkeiten durch den Zuständigkeitswechsel: SGB-II-Leistungen erbringen die Jobcenter, für Leistungen nach dem AsylbLG sind die Sozialämter zuständig. Solange das Jobcenter die Hilfen nicht oder nicht zeitnah auszahlt, müssen die Betroffenen doch zum Sozialamt gehen, um eine kleine Vorauszahlung bzw. AsylbLG-Leistungen zu erhalten. Sind die Ausländerbehörden zu einer ED-Erfassung bis September nicht in der Lage, droht womöglich nach vorheriger Jobcenter-Zuständigkeit der Rückfall in AsylbLG-Leistungen. Mit der geplanten Verknüpfung von ausländerrechtlicher ED-Behandlung und der Auszahlung von Sozialleistungen ist mancherorts ein Behördenchaos zu befürchten.

Ansprüche auf BAföG und Kindergeld

Künftig erhalten Menschen mit einem Aufenthaltsrecht nach § 24 AufenthG Anspruch auf staatliche Förderung im Studium oder bei einer schulischen Ausbildung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Auch dies ist eine erfreuliche Verbesserung. Allerdings gelten hier die gleichen formalen Voraussetzungen wie beim Sozialhilfebezug: Ein Aufenthaltstitel oder eine Fiktionsbescheinigung muss ausgestellt und die erkennungsdienstliche Datenerfassung durchgeführt worden sein.

Leider sind auch von der Verbesserung der BAföG-Regelung nicht alle Geflüchteten – auch nicht alle aus der Ukraine – erfasst: Menschen, die z.B. als ausländische Studierende in der Ukraine gelebt haben, und hier für die Fortsetzung ihres Studiums eine Aufenthaltsgenehmigung nach § 16a AufenthG bekommen könnten, bleiben vom BAföG-Anspruch ausgeschlossen.

Auch Kindergeld soll den vorübergehend geschützten Geflüchteten künftig zustehen. Darauf müssen die Betroffenen allerdings ggf. länger warten. Denn das Kindergeld erhalten die Betroffenen nicht schon mit der Fiktionsbescheinigung, sondern erst mit vorliegendem Aufenthaltstitel – und das kann, abhängig von der lokalen Behörde, dauern. Haben die Betroffenen im Juli 2022 noch keinen Anspruch auf Kindergeld, weil sie noch immer nur eine Fiktionsbescheinigung haben, entsteht ein zusätzlicher Nachteil: Sie bleiben bei der einmaligen Gewährung eines Kinderbonus von 100 Euro im Juli, den die Bundesregierung aufgrund der Pandemie und der hiesigen Kriegsfolgen beschlossen hat, außen vor.

Lockerung der Wohnsitzauflage – aber keine Streichung 

Die Wohnsitzauflage nach § 12a AufenthG untersagt seit 2016 anerkannten oder aufgenommenen Flüchtlingen den Umzug in den ersten drei Jahren. Die Betroffenen werden verbindlich einem Bundesland zugewiesen. Die Bundesländer weisen ihnen ihrerseits dann einen bestimmten Ort innerhalb des Landes zu oder verbieten die Wohnsitznahme an einem bestimmten Ort (z.B. der Landeshauptstadt). Die Zuweisung erfolgt bei ukrainischen Geflüchteten seit einigen Wochen über das neu eingerichtete Computerverteilungssystem FREE.

Vorübergehend Geschützte (wie die Ukraine-Flüchtlinge) werden nun ausdrücklich auch in die Regelung über die Wohnsitzauflage aufgenommen. Dafür wird die Regelung ein wenig freundlicher: Bislang mussten die Betroffenen bei Umzugswunsch nachweisen, dass sie am gewünschten Zuzugsort ihren Lebensunterhalt vollständig selbst bestreiten können, damit sie von der Wohnsitzauflage befreit wurden. Künftig soll es reichen, den Lebensunterhalt »überwiegend« zu sichern. Die Auflage soll auch dann gestrichen werden, wenn eine Person aus der Familie am gewünschten Zuzugsort einen Integrationskurs, berufsbezogenen Sprachkurs oder Weiterbildungsmaßnahmen nach SGB III zeitnah absolvieren kann.

Hier stellt sich die Frage, warum nicht auch die erfolgreiche Wohnungssuche als Grund für den Wegfall der Auflage ins Gesetz aufgenommen wurde. Schließlich hat man im Fall der ukrainischen Geflüchteten die eigenständige Wohnungssuche nach der Ankunft auch erlaubt – ohne dies hätten tausende Menschen wohl auf der Straße gestanden und die Behörden in arge Unterbringungsnot gebracht. Es erscheint unsinnig, Menschen für viel Geld in einer Notunterkunft in Berlin unterzubringen, die längst eine eigene Wohnung in Brandenburg beziehen könnten.

An anderer Stelle werden die Regeln für die Wohnsitzregelung wiederum verschärft: die Möglichkeit zur Verhängung einer Wohnsitzauflage zur »nachhaltigen Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland« kann Betroffene künftig nicht nur bis zur Erlangung hinreichender mündlicher Deutschkenntnisse nach A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens, sondern sogar bis zum Erwerb ausreichender mündlicher Deutschkenntnisse nach B1 auferlegt werden.   Betroffene sehen sich so für eine Dauer von bis zu drei Jahren an einen Wohnort gebunden, bis sie ein – nicht einfaches – Sprachniveau erreichen.

Warum gibt es derartige Verbesserungen nicht für alle Geflüchteten? Wozu braucht es Wohnsitzauflagen, Verteilungen streng und rein nach Quote und vor allem das Asylbewerberleistungsgesetz noch, wenn den politisch Verantwortlichen offenbar sehr klar ist, dass es sich hier um mutwillig gelegte administrative Stolpersteine für die Integration handelt?

PRO ASYL ist grundsätzlich gegen die Wohnsitzauflage und hat gegen die Einführung im Rahmen des sogenannten »Integrationsgesetzes« protestiert. Jede kleine Lockerung ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, man laboriert hier aber an einer Regelung herum, die insgesamt verzichtbar und sogar integrationspolitisch kontraproduktiv ist. Der Paritätische hat dazu kürzlich aktuelle Erkenntnisse veröffentlicht: Die Wohnsitzregelung nach § 12a AufenthG stellt demnach eine erhebliche Barriere für Wohnungssuche, den Zugang zu Arbeit und Ausbildung, die gegenseitige familiäre Unterstützung und Berücksichtigung spezifischer Bedarfe sowie den Schutz vor Gewalt dar. Wesentlich ändern dürfte sich an diesem Befund auch durch die Lockerungen nichts – sinnvoll und konsequent wäre die ersatzlose Abschaffung der Wohnsitzauflage. Bereits 2018 beschloss die Bundesregierung die Evaluation der Wohnsitzauflage, mit deren Ergebnis wohl erst zum Jahresende zu rechnen ist. Trotzdem wurde die Regelung 2019 bereits entfristet.

 

Fazit: Besserstellungen sind richtig – die diskriminierungsfreie Teilhabe für alle steht aus

Mit dem »Sofortzuschlags- und Einmalzahlungsgesetz« 2022 werden die nach §24 AufenthG geschützten Ukrainer*innen den anerkannten Flüchtlingen, in sozialrechtlicher Hinsicht weitgehend gleichgestellt. Das ist nachvollziehbar und richtig. Für die vollständige Gleichstellung mit anerkannten Geflüchteten fehlt allerdings der Anspruch auf Teilnahme an einem Integrationskurs des Bundes und eine langfristige aufenthaltsrechtliche Perspektive – denn noch ist nicht klar, welche dauerhaften aufenthaltsrechtlichen Chancen die Menschen haben, wenn die Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG in zwei oder drei Jahren ablaufen wird. Gleichwohl stehen die politischen Zeichen auf frühzeitige Gleichstellung und Partizipation – das ist erfreulich und liegt letztlich im gesellschaftlichen Interesse aller.

Bei so viel politischer Einsicht bleibt allerdings die Frage: Warum gibt es derartige Verbesserungen nicht für alle Geflüchteten? Wozu braucht es Wohnsitzauflagen, Verteilungen streng und rein nach Quote und vor allem das Asylbewerberleistungsgesetz noch, wenn den politisch Verantwortlichen offenbar sehr klar ist, dass es sich hier um mutwillig gelegte administrative Stolpersteine für die Integration handelt? Insbesondere mit dem Asylbewerberleistungsgesetz werden Geflüchtete über einen langen Zeitraum einem diskriminierenden Sonderregime unterworfen, das – bei seiner Einführung unverhohlen vor allem zur Abschreckung von Flüchtlingen dienen sollte. Es ist gekennzeichnet durch reduzierte Geldbeträge, Sonderregelungen und eine entmündigende Sachleistungsversorgung. Die Leistungen nach AsylbLG liegen deutlich unterhalb der normalen Leistungen, die laut Gesetz ein Leben ermöglichen sollen, »das der Würde des Menschen entspricht«. PRO ASYL fordert die menschenwürdige Teilhabe und einen gleichermaßen humanen Umgang für alle Geflüchteten.

(ak)