12.11.2024 Mit einem Offenen Brief appellieren die Träger von Beratungsangeboten für Geflüchtete an die Bonner Landtagsabgeordneten, den Ministerpräsidenten, die Ministerin und weitere Abgeordnete:
Angesichts der geplanten Kürzungen im Landesprogramm „Soziale Beratung für Geflüchtete“ in Nordrhein-Westfalen wenden wir uns mit einem eindringlichen Appell an Sie, um die schwerwiegenden Folgen für die soziale Infrastruktur, die Integrationsarbeit und das gesellschaftliche Zusammenleben in Bonn aufzuzeigen.
... Bitte berücksichtigen Sie die gravierenden Auswirkungen, die diese Kürzungen für Bonn hätten, und sensibilisieren Sie die sozial- und haushaltspolitischen Sprecher*innen Ihrer Partei, sich für eine langfristige Lösung einzusetzen!
Die geplante Kürzung der Mittel ist ein fatales Signal mit desaströsen Konsequenzen, auch für Bonn. Wir benötigen daher dringend Ihre politische Unterstützung, um die wertvolle Arbeit mit Geflüchteten in Bonn fortsetzen zu können. Bitte sensibilisieren Sie die sozial- und haushaltspolitischen Sprecher*innen Ihrer Partei für die gravierenden Folgen, die die geplanten Kürzungen der Landesregierung mit sich bringen würden.
Hier der Wortlaut des Offenen Briefes:
Bonn, den 08.11.2024
Drohende Zerschlagung der Sozialen Beratung für Geflüchtete in Bonn
Sehr geehrte Bonner Landtagsabgeordnete,
wir wenden uns mit einem dringenden Appell an Sie!
Die nordrhein-westfälische Landesregierung plant drastische Kürzungen in ihrem Programm „Soziale Beratung von Geflüchteten“. Der geplante Kahlschlag gefährdet zentrale und dringend benötigte Unterstützungsangebote für Geflüchtete. Die Kürzungen werden auch Stellen in Bonn betreffen und somit die jetzt schon angespannte Lage der Beratung in der Stadt weiter verschärfen.
Verteiler dieses Briefes per E-Mail an:
• Dr. Christos Katzidis (CDU), MdL Nordrhein-Westfalen
• Guido Déus (CDU), MdL Nordrhein-Westfalen
• Dr. Julia Höller (Grüne), Mitglied des Landtags (MdL) Nordrhein-Westfalen
• Tim Achtermeyer (Grüne), MdL Nordrhein-Westfalen
• Franziska Müller-Rech (FDP), MdL Nordrhein-Westfalen
Im CC:
• Hendrik Wüst, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen
• Josefine Paul, Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes
Nordrhein-Westfalen
• Gönül Eğlence (Grüne), MdL Nordrhein-Westfalen & Sprecherin für Migration und Teilhabe
• Benjamin Rauer (Grüne), MdL Nordrhein-Westfalen & Sprecher für Arbeit, Flucht und Religionspolitik
• Dietmar Panske (CDU), MdL des Landes Nordrhein-Westfalen & Sprecher für Integration
• Marc Lübke (FDP), MdL Nordrhein-Westfalen & Sprecher für Integration
• Volkan Baran (SPD), MdL Nordrhein-Westfalen & Sprecher für Integration
• Katja Dörner, Oberbürgermeisterin der Bundesstadt Bonn
Worum geht es?
Mit dem Programm fördert das Land verschiedene Beratungsangebote in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes und in den Kommunen, um Geflüchteten Orientierung und Unterstützung im Asylverfahren zu geben, ihre Integration in den Kommunen zu fördern, psychosoziale Stabilisierung zu ermöglichen und Hilfe bei der freiwilligen Rückkehr anzubieten.
Innerhalb von Aufnahmeeinrichtungen werden bisher folgende Angebote bereitgestellt: Verfahrensberatung; dezentrale Beschwerdestellen; psychosoziale Erstberatung; Rückkehrberatung. In den Kommunen werden bisher folgende Stellen gefördert: Asylverfahrensberatungsstellen für unbegleitete minderjährige Geflüchtete, Regionale Beratung, Psychosoziale Zentren, Rückkehrberatung, überregionale Fachbegleitungen
Zusammenfassend soll es zu folgenden Veränderungen kommen:
1. Die Asylverfahrensberatung (AVB) in den Landesunterkünften soll vollständig gestrichen werden, was auch die Erstaufnahmeeinrichtung Bonn sowie die Zentrale Unterkunftseinrichtung in Bonn-Bad Godesberg betrifft. Dies betrifft landesweit 77 Vollzeitstellen (VZS), davon 3,5 VZS in der Erstaufnahmeeinrichtung Bonn und 2,0 VZS der Zentralen Unterbringungseinrichtung Bonn-Bad Godesberg.
Diese Entscheidung wird damit begründet, dass zukünftig die Finanzmittel der bundesgeförderten Asylverfahrensberatung genutzt werden sollen. Weder die Förderbedingungen noch der Förderumfang sind jedoch ausreichend, um eine unabhängige Beratung in allen Landesunterkünften sicherzustellen. Da die Bundesförderung derzeit bereits 20 Stellen umfasst, ist die zusätzliche Förderung von 77 VZS auch mathematisch unmöglich. Diese Diskrepanz wird noch verschärft durch die geplante Erhöhung der Zahl der Landesunterkünfte von derzeit 57 auf 75 Einrichtungen.
2. Auch die Asylverfahrensberatung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (AVB umF) soll gestrichen werden (14 VZS landesweit, davon 1 VZS in Bonn).
Diese spezialisierte Fachberatung ist an den Schnittstellen von Asyl- und Aufenthaltsrecht, Kinderschutzgesetz sowie Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) angesiedelt. Sie ist entscheidend, um den Schutz und das Wohl dieser besonders vulnerablen Gruppe zu gewährleisten. Durch die AVB umF wird sichergestellt, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ihre Rechte und Perspektiven im Asylverfahren verstehen und ihre speziellen Bedürfnisse berücksichtigt werden. Sie ist auch eine wichtige Ansprechstelle für das Jugendamt Bonn sowie für Jugendhilfeeinrichtungen, in denen unbegleitete Minderjährige untergebracht sind.
3. Die Ausreise- und Perspektivberatung in den Landesunterkünften durch freie Träger soll gestrichen und stattdessen von den Zentralen Ausländerbehörden (ZAB) übernommen werden (7,25 VZS landesweit, davon 0,25 VZS in der Landesunterkunft Bonn-Bad Godesberg).
Ob eine unabhängige Beratung über die freiwillige Rückkehr durch Behörden realisierbar ist, ist jedoch höchst fragwürdig: Da die ZAB sowohl für Abschiebungen als auch für die freiwillige Rückkehr verantwortlich ist, ist es für die Betroffenen schwer, diese Beratung als neutral und unabhängig wahrzunehmen. Zusätzlich kann der Zugang zu unabhängigen Beratungsangeboten freier Träger in der Kommune kann dadurch erschwert werden.
4. Die regionale Flüchtlingsberatung in den Kommunen soll zwar bestehen bleiben, aber von der Abteilung 5 „Flucht“ in die Abteilung 6 „Integration“ des Ministeriums überführt werden. Es ist jedoch unklar, ob die Beratung im bisherigen Umfang weitergeführt werden kann, da aus dem Haushaltsentwurf nicht hervorgeht, ob die veranschlagten 15,1 Millionen Euro vollständig oder nur teilweise für die regionale Flüchtlingsberatung vorgesehen sind. Zudem ist zu befürchten, dass der Personalkostenzuschuss auf dem Stand von 2021 eingefroren wird, der Sachkostenzuschuss reduziert und die Finanzierung damit nicht auskömmlich sein wird.
Angesichts der o.g. geplanten Stellenstreichungen wird erwartet, dass die verbleibenden
Beratungsstellen in Bonn und Umgebung mit einer erhöhten Zahl von Anfragen seitens
Asylsuchender aus den Landesunterkünften sowie von Jugendämtern und Jugendhilfeeinrichtungen konfrontiert werden. Schon unter den aktuellen Bedingungen arbeiten diese Stellen aufgrund des hohen Anfragevolumens an ihren Kapazitätsgrenzen.
5. Zudem ist der Fortbestand der Förderung von Fachbegleitungen, Schulungs- und
Qualifizierungsstellen sowie des trägerbegleitenden Netzwerks unklar. Dies betrifft
landesweit mindestens 6 Stellen.
Diese Strukturen sind jedoch essenziell, um die Vernetzung und Kommunikation mit Behörden, dem BAMF und Ministerien sicherzustellen sowie die rechtliche Qualifizierung von Berater*innen für Geflüchtete gemäß dem Rechtsdienstleistungsgesetz zu gewährleisten.
Eine drastische Verschlechterung der Situation darf nicht Ziel der Landessregierung sein. Die geplanten Kürzungen stehen zudem im Widerspruch zu den Versprechen im Koalitionsvertrag der NRW-Regierung, in dem noch die Stärkung und der Ausbau der Beratungsstrukturen für Geflüchtete angekündigt wurde. Auch die Freie Wohlfahrtspflege NRW und die Kooperationspartner der Flüchtlingsberatung in NRW haben sich bereits in einem gemeinsamen Appell an die Öffentlichkeit gewandt, um für den Erhalt des Programms zu kämpfen (siehe deren Positionspapier hier).
Warum ist die soziale Beratung von Geflüchteten so wichtig?
Unabhängige Asylverfahrensberatungsstellen (AVB und AVB umF) sind entscheidend für einen fairen und informierten Asylprozess, da sie sicherstellen, dass Asylantragsstellende von Beginn an umfassend informiert werden, ihre Rechte gewahrt werden und spezifische Unterstützung erhalten. Dies ist für einen Rechtsstaat von großer Bedeutung, da so ein Rechtsverfahren gewährleistet wird, das Transparenz, Gleichheit und den Schutz der Menschenrechte für alle Beteiligten sicherstellt. Ein Wegfall der kostenlosen AVB bedeutet, dass Schutzsuchende keinen angemessenen Zugang zu rechtlichem Beistand mehr haben. Ebenso wichtig sind unabhängige Ausreise- und Perspektivberatungsangebote, die Personen neutrale und unvoreingenommene Informationsquellen bieten, um eine informierte und selbstbestimmte Entscheidung über ihre Rückkehr treffen zu können.
Die soziale Beratung von Geflüchteten kommt insgesamt nicht nur Geflüchteten selbst zugute. Sie bringt auch große Vorteile für Behörden und Kommunen. Durch die enge Zusammenarbeit zwischen Beratungsstellen und den kommunalen sowie staatlichen Einrichtungen werden Prozesse effizienter gestaltet und Missverständnisse reduziert. Beratungsstellen fungieren als kompetente Vermittler, die Geflüchtete gezielt aufklären und ihnen bei der Navigation durch bürokratische Abläufe helfen. Durch frühzeitige Unterstützung in komplexen rechtlichen und sozialen Fragen werden öffentliche Stellen so entlastet und der Verwaltungsaufwand für Behörden und Kommunen spürbar verringert.
Zum anderen nützt die soziale Beratung für Geflüchtete auch lokalen Unternehmen, die qualifizierte und gut vorbereitete Arbeitskräfte suchen und Geflüchtete einstellen wollen. So helfen die Beratungsstellen bspw. Geflüchteten bei der Vermittlung von Sprachkursen und Qualifizierungen (z.B. EQ-Maßnahmen), der Anerkennung von Auslandsqualifikationen oder der Beantragung/Verlängerung von Arbeitserlaubnissen. Durch die Beratung zu rechtlichen Rahmenbedingungen der Beschäftigung
und Aufenthaltsfragen werden Unsicherheiten bei der Einstellung minimiert und somit letztendlich auch Unternehmen unterstützt.
Die aktuell vorgesehenen Kürzungen gefährden nicht nur die Integration von Geflüchteten, sondern letztendlich auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt im ganzen Land! Kürzungen in der sozialen Beratung von Geflüchteten sind – wie Kürzungen im sozialen Bereich allgemein – sowohl sozialpolitisch als auch wirtschaftlich kurzsichtig, kontraproduktiv und mitunter gefährlich! In Zeiten erheblicher Unsicherheit und gesellschaftlicher Herausforderungen ist es umso wichtiger, in die Förderung von Chancengleichheit, sozialer Teilhabe und den Aufbau einer stabilen sozialen Infrastruktur zu investieren. Nur so können zukünftige soziale Probleme wirksam angegangen und die positiven Effekte der Zuwanderung genutzt werden!
Die negativen Auswirkungen werden auch in Bonn spürbar sein
In Bonn blicken wir auf eine langjährige und gut funktionierende Zusammenarbeit zwischen städtischen Stellen (z.B. dem Amt für Integration und Vielfalt, dem Kommunalen Integrationsmanagement (KIM), dem Integration Point, dem Jugendamt, dem Ausländeramt), lokalen Unternehmen, der Industrie- und Handelskammer, den Wohlfahrtsverbänden, freien Trägern sowie zahlreichen weiteren Akteur*innen in
der Geflüchtetenarbeit zurück, darunter kirchliche und nicht-kirchliche Initiativen (wie Kontaktcafés) und engagierte Einzelpersonen. Es besteht jedoch eine erhebliche Gefahr, dass dieses bewährte Netzwerk durch den Wegfall mehrerer Beratungsstellen stark belastet wird. Besonders betroffen wären die Landeseinrichtungen sowie die Betreuung der besonders vulnerablen Gruppe unbegleiteter Minderjähriger und ihrer Vormund*innen, was auch das Jugendamt Bonn betrifft.
Ein Abfangen der Anfragen durch die regionalen Beratungsstellen sowie andere Beratungsangebote für Geflüchtete in Bonn ist angesichts der bereits hohen Auslastung und ohne zusätzliche personelle Ressourcen kaum umsetzbar. Diese Stellen arbeiten jetzt schon an ihren Kapazitätsgrenzen, und ohne weitere Mittel ist eine Kompensation nahezu unmöglich. Die steigende Zahl an Anfragen von besonders unterstützungsbedürftigen Personengruppen bei gleichzeitig sinkender Anzahl an Berater*innen wird voraussichtlich auch die Nachfrage an anderen Stellen wie den Bonner Sozialberatungsstellen, den Migrationsberatungsstellen und den Jugendmigrationsdiensten erhöhen. Diese Mehrbelastung könnte den Zugang zu diesen Angeboten auch für andere Bonner Bürger*innen einschränken. Die daraus resultierenden Engpässe würden das soziale Gefüge in Bonn belasten und stellen eine Gefahr für die bislang erfolgreiche Integrationsarbeit dar.
Appell
Die geplante Kürzung der Mittel ist ein fatales Signal mit desaströsen Konsequenzen, auch für Bonn. Wir benötigen daher dringend Ihre politische Unterstützung, um die wertvolle Arbeit mit Geflüchteten in Bonn fortsetzen zu können. Bitte sensibilisieren Sie die sozial- und haushaltspolitischen Sprecher*innen Ihrer Partei für die gravierenden Folgen, die die geplanten Kürzungen der Landesregierung mit sich bringen würden.
Für Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung!
Mit freundlichen Grüßen
- Ausbildung statt Abschiebung AsA e.V. Ulrich Hamacher, Vorsitzender ulrich.hamacher@asa-bonn.org
- Bleibewerk Bonn – Kölner Flüchtlingsrat e.V. bleibewerk@koelner-fluechtlingsrat.de
- BildungsForum Lernwelten info@bf-bonn.de
- Caritasverband für die Stadt Bonn e.V. Jean-Pierre Schneider, Caritasdirektor jeanpierre.schneider@caritas-bonn.de
- Der Paritätische Kreisgruppe Bonn Ismail Gunia, Vorstandsvorsitzender ismail-eric.gunia@paritaet-nrw.org
- Diakonisches Werk Bonn und Region Tobias Köhler, Geschäftsleitung Tobias.Koehler@dw-bonn.de
- DRK-Kreisverband Bonn e. V. Petra Heller, Vorständin petra.heller@drk-bonn.de
Weitere Unterstützer*innen:
Aids-Hilfe Bonn e.V.
Beueler Initiative gegen Fremdenhass
Deutscher Mieterbund Bonn/Rhein-Sieg/Ahr e.V.
Evangelische Migrations- und Flüchtlingsarbeit Bonn (EMFA) / Integrationsagentur
Flüchtlingshilfe der ev. Johannes-Kirchengemeinde Bad Godesberg
Flüchtlingspolitische Webseite weltoffen-bonn.de
GAP in Bonn
Gesundheitskollektiv Bonn e. V.
Heimstatt e.V.
MediNetzBonn e.V.
Runder Tisch Bad Godesberg
Sea-Eye Lokalgruppe Bonn
Seebrücke Bonn
SOLWODI NRW. e.V. - Fachberatungsstelle SOLWODI Bonn
Stopp GEAS Bündnis Bonn