02.10.2021 Mit dem ARCHIV DER FLUCHT ging jetzt ein einzigartiges Oral-History-Projekt ins Netz. Hier kommen in dokumentarischen Filminiterviews Menschen aus 28 Ländern zu Wort, die in den vergangenen Jahrzehnten nach Deutschland geflüchtet waren.
"Welche Formen des Erinnerns braucht es in den heutigen Einwanderungsgesellschaften? Das Oral-History-Projekt betrachtet die Erinnerungen nach Deutschland migrierter Menschen als integralen Bestandteil deutscher Nachkriegsgeschichte und bewahrt sie vor dem Vergessen und Verdrängen. Kuratiert von Carolin Emcke und Manuela Bojadžijev. Unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Das Archiv der Flucht versammelt als groß angelegtes Oral-History-Projekt filmische Interviews von 41 Protagonist*innen, die zwischen 1945 und 2016 nach Deutschland kamen. Sie stammen aus 27 Herkunftsländern in Südamerika, Afrika, Ost- und Südosteuropa, im Nahen und Mittleren Osten sowie Südost- und Ostasien und teilen ihre Fluchtgeschichten in neun Sprachen. Die Geschichten umfassen die unterschiedlichsten sozialen oder kulturellen Hintergründe, Religionen, Sexualitäten und sozialen Schichten", heißt es auf der Webseite des Archivs.
"Mit dem Archiv der Flucht wurde ein digitaler Gedächtnisort geschaffen, der die Geschichte/n von Flucht und Vertreibung nach Deutschland im 20. und 21. Jahrhundert bewahrt und reflektiert. Die Erfahrungen von Menschen, die alles zurückgelassen haben und hier Zuflucht fanden, prägen die beiden deutschen Staaten (und ihre Beziehung zueinander) von Beginn an. Manche sind vor Krieg und Zerstörung geflogen, andere vor politischer Verfolgung oder sozialer, kultureller oder rassistischer Ausgrenzung, wieder andere vor sexueller Diskriminierung oder sexualisierter Gewalt. Diese Menschen erzählen von Flucht und Vertreibung, über Folter, Ausbeutung und Entrechtung, aber auch von Hoffnung und Glück, sie sprechen über Heimat und Exil, Zugehörigkeit und Neuanfang – und am Ende offenbaren sie auch überraschende, vielfältige Perspektiven deutscher Geschichte.
Ihre Geschichten zeigen, dass Flucht und Migration nach Deutschland keine Ausnahmen oder krisenhaften Anomalien sind, sondern historische Normalität. Trotzdem hat es lange gedauert bis die Pluralität der Herkünfte und Erfahrungen der hier lebenden Menschen auch im öffentlichen Selbstverständnis der Gesellschaft angekommen ist. Die Geschichte/n derer, die hierher fliehen mussten, haben immer nur punktuelle Aufmerksamkeit auf sich gezogen, wurden nur zögerlich sichtbar und hörbar. Und auch dies meist nur dann, wenn sie sich Hörbarkeit erstritten oder wenn es um die Erinnerungen einer bestimmten Gruppe von Menschen ging", so wird das Projekt beschrieben."
"Wir haben uns für das Oral History-Projekt entschieden, weil Flucht in unserer Gesellschaft in hohem Maße stigmatisiert ist. Wir halten es für wichtig, den Menschen im Detail zuzuhören, ihre Kontexte zu hören, um zu verstehen, welche unterschiedlichen Motive und Situationen sie dazu bewegt haben, ihr Land zu verlassen", sagt die Migrationswissenschaftlerin Manuela Bojadžijev, die gemeinsam mit der Publizistin Carolin Emcke und dem Haus der Kulturen der Welt in Berlin diesen digitalen Gedächtnisort ins Leben gerufen hat. (Bericht der Deutschen Welle.)