Papst zu Flucht und Migration: "Humanitäre Krise, die alle angeht ... in einer Zeit von Mauern und Stacheldraht"

06.12.2021 Nach den Besuchen von Papst Franziskus auf Zypern und auf Lesbos stellen wir ausführlich Zitate aus seinen Ansprachen und den Berichten darüber zusammen.

Am 3. Dezember 2021 begegnete Franziskus auf Zypern Geflüchteten. Die Tagesschau berichtete unter dem Titel Wenn "Gleichgültigkeit" zur "Krankheit" wird: "... Dann schaute Franziskus auf, hielt die zusammengelegten Blätter vor sich - und rechnete in freier Rede und ungewöhnlicher Schärfe damit ab, wie wohlhabende Länder mit dem Leiden und Sterben von Flüchtlingen umgehen:

"Wir gucken uns an, was passiert. Und das Schlimmste ist, dass wir uns daran gewöhnen. 'Ah', wird gesagt, 'heute ist ein Boot gesunken, viele Vermisste.' Dieses Sich-daran-Gewöhnen ist eine schlimme Krankheit! Es ist eine sehr schlimme Krankheit!"

Die Migranten klatschten Beifall zu Franziskus' spontaner Anklage. Der wiederum bat für seinen Gefühlausbruch um Nachsicht. "Entschuldigt mich, aber ich möchte das sagen, was mir auf dem Herzen liegt", so der Pontifex. Das Mittelmeer bezeichnete Franziskus mit Blick auf die dort ums Leben gekommenen Flüchtlinge als "großen Friedhof". Und er prangerte an, dass Boote mit Migranten auf dem Mittelmeer in die Länder zurückgebracht würden, aus denen sie abgefahren sind. Dort, sagte Franziskus, würden die Flüchtenden häufig unmenschlich behandelt und in "Lager" gebracht:

"Wirkliche Lager. Wo die Frauen verkauft werden. Die Männer werden gefoltert und versklavt. Wir beschweren uns, wenn wir die Geschichten der Lager des vergangenen Jahrhunderts lesen, die der Nazis und die von Stalin. Und wir beklagen, wie das passieren konnte. Brüder und Schwestern, das passiert heute an den nahegelegenen Küsten."

Zuvor hatte Franziskus im vorbereiteten Teil seiner Ansprache unter anderem dafür geworben, dass "die Menschheit ohne trennende Wände" lebt. In seiner spontanen freien Rede attackierte der Papst - ohne Polen beim Namen zu nennen - Länder, die an der Grenze Stacheldraht ausrollten, um Flüchtlinge abzuwehren:

"Denjenigen, der kommt, der um Freiheit bittet, um Brot, Hilfe, Brüderlichkeit, Freude. Der vor dem Hass flüchtet. Und der sich wiederfindet vor Hass, der Stacheldraht heißt."

Mit der Regierung in Nikosia hat der Vatikan am Rande des Papst-Besuches vereinbart, dass 50 Geflüchtete von Zypern nach Rom gebracht werden. Die ersten zwölf Menschen bis Weihnachten, die übrigen im Januar und Februar. Zypern ist das Land in der Europäischen Union mit der derzeit höchsten Zahl an Flüchtlingen - gemessen an der Einwohnerzahl. Quelle: Tagesschau

 

Kara Tepe auf Lesbos besuchte Franziskus am 5. Dezember. Er war bereits 5 Jahre zuvor im Lager Moria gewesen.

Papst kritisiert „Epoche der Mauern“. Wortlaut-Zitate aus der Ansprache:

"Ja, es ist ein Weltproblem, eine humanitäre Krise, die alle angeht.." -

".. sieht alles im Bereich der Migrationen nach einem schrecklichen Stillstand aus. Dabei stehen doch Menschen und Menschenleben auf dem Spiel! Auf dem Spiel steht die Zukunft aller, die nur dann harmonisch sein kann, wenn sie auf Integration beruht. Nur eine mit den Schwächsten versöhnte Zukunft wird ertragreich sein. Wenn nämlich die Armen zurückgewiesen werden, wird der Frieden zurückgewiesen. Die Geschichte lehrt, dass Abkapselungen und Nationalismen katastrophale Folgen haben..."

"..Die Geschichte lehrt uns das, aber wir haben es noch nicht gelernt. Man darf der Wirklichkeit nicht den Rücken kehren, die ständige Abwälzung von Verantwortung muss aufhören, und die Migrationsfrage darf nicht immer an andere delegiert werden, so als beträfe es niemanden und als sei sie nur eine nutzlose Last, die jemand zu übernehmen gezwungen ist!.."

".. in der Migrationsfrage wenig verändert" .. "wie viele menschenunwürdige Situationen bestehen noch immer! Wie viele Hotspots, wo Migranten und Flüchtlinge unter grenzwertigen Umständen leben, ohne dass sich am Horizont eine Lösung abzeichnet! Dabei sollte die Achtung des Menschen und der Menschenrechte immer gewahrt werden, vor allem auf dem Kontinent, der sie weltweit propagiert, und die Würde jedes Menschen sollte allem anderen vorangestellt werden! Es ist traurig, wenn als Lösung vorgeschlagen wird, mit gemeinsamen Ressourcen Mauern zu bauen, Stacheldraht zu bauen. Wir sind in einer Zeit von Mauern und Stacheldraht..."

"..Es ist leicht, die öffentliche Meinung mitzureißen, indem man ihr Angst vor den Anderen einflößt; warum spricht man nicht in demselben Ton von der Ausbeutung der Armen, von den vergessenen und oft großzügig finanzierten Kriegen, von den auf dem Rücken anderer Menschen abgeschlossenen wirtschaftlichen Pakte, von den heimlichen Manövern des Waffenhandels und der Proliferation von Waffen? Warum spricht man nicht davon? Die zugrundeliegenden Ursachen müssen angegangen werden, nicht die armen Menschen, die die Folgen zu tragen haben und sogar für politische Propaganda missbraucht werden!.."

".. Lasst uns nicht eilig Reißaus nehmen vor den brutalen Bildern ihrer kleinen Körper, die regungslos am Strand liegen. Das Mittelmeer hat Jahrtausende lang unterschiedliche Völker und weit voneinander entfernte Länder miteinander verbunden; jetzt wird es gerade zu einem kalten Friedhof ohne Grabsteine. Dieses große Wasserbecken, diese Wiege zahlreicher Zivilisationen erscheint nun als Spiegel des Todes. Lassen wir nicht zu, dass das Mare Nostrum [Unser Meer] sich in ein trostloses Mare Mortuum [Meer der Toten] verwandelt, dass dieser Ort der Begegnung zum Schauplatz von Auseinandersetzungen wird! Lassen wir nicht zu, dass dieses „Meer der Erinnerungen“ zu einem „Meer des Vergessens“ mutiert! Liebe Bründer und Schwestern, ich bitte euch, lasst uns diesen Schiffbruch der Zivilisation stoppen!.."

Quelle für die Zitate: Vatican-News, Wortlaut