14.06.2021 Mit der Kunstaktion "Von Bonn nach Lipa" des ÜberGrenzenKollektivs startete die Seebrücke Bonn in ihre Aktionswoche "Menschenrechte sind #unverhandelbar". Der Schauplatz am Alten Zoll hatte Bedeutung, wurden hier doch, wo heute Menschen friedlich Aussicht und Freiheit/Freizeit genießen, ehedem Grenzen kontrolliert.
Die schier aussichtlose und absolut rechtlose Lage der PEOPLE ON MOVE, die auf der Balkanroute an der EU-Außengrenze zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina stecken bleiben, wurde eindringlich vor Augen geführt. Fotos, Videos, Augenzeugenbericht und Ansprache und - für mich besonders eindringlich - die Inszenierung des Weges durch Salome und Andreas.
Wir zitieren die Ansprache von Lara und Luisa:
"„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt. Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“ - So steht es in Artikel 1 des Grundgesetzes.
Es war kein blinder Idealismus, der die Verfasser*innen des Grundgesetzes dazu brachte, diese Worte zu schreiben, sondern - ganz im Gegenteil - bitterer Realismus. Die grausamen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Nationalsozialismus und die Erfahrung der Weltkriege, führten dazu, dass Menschenrechte als einklagbare und unantastbare Rechte im Grundgesetz und auch in internationaler Gesetzgebung niedergelegt wurden.
Heute leben wir in einer EU, die ihr Bekenntnis zur Förderung und zum Schutz von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als ihre Grundlage bezeichnet. Alle EU- Mitgliedsstaaten bekennen sich zu der Europäischen Menschenrechtskonvention und zu der Genfer Flüchtlingskonvention. Die Menschenrechte werden leicht und bei jeder sich bietenden Gelegenheit im Mund geführt.
Doch wie ehrlich das Bekenntnis zu Menschenrechten ist, zeigt sich nicht darin, gelegentlich zur Einhaltung der Menschenrechte aufzurufen oder salbungsvolle Reden zu halten, sondern darin, wie mit Menschen umgegangen wird, deren Rechte es zu schützen gilt.
Wer die Situation für Geflüchtete an der bosnisch-kroatische Grenze anschaut, kann nur zu dem Schluss kommen: Die EU versagt in ihrer Verantwortung für die Menschenrechte. Sie lässt Schutzsuchende Menschen im Stich.
Bis zum Winter 2015/16 galt die so genannte Balkan-Route als vergleichsweisesichere Route für Menschen, die über Griechenland nach Nord- und Westeuropa gelangen wollten. Doch im Frühjahr schlossen die Balkan-Länder ihre Grenzen. Weil aber Krieg, Terror und andere Fluchtursachen weiterbestehen, versuchen Menschen weiterhin nach Deutschland zu kommen. Ob über das Mittelmeer oder die Balkanroute - Flucht ist seitdem noch lebensgefährlicher geworden.
Mindestens 170 Menschen zählt das European Center for Consitutional And Human Rights auf der Balkanroute. Die Zahl dürfte wesentlich höher liegen, da die Nachverfolgung der Toten häufig trotz der Verpflichtung jedes Staates jeden Todesfall aufzuklären, nicht gegeben ist. Das bedeutet, dass viele Angehörige für immer in Ungewissenheit bleiben, was mit ihrem geliebten Menschen geschehen ist.
„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“ So steht es in Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Geflüchtete in Bosnien-Herzegowina aber leben in provisorischen Camps oder obdachlos in Wäldern. Ihre medizinische Versorgung ist nicht einmal ansatzweise gesichert. Es gibt kein fließendes Wasser und Im Winter mussten sie bei eisigen Minus-Temperaturen draußen überwintern. Oft gibt es nicht genug zu essen. Viele Menschen sind aufgrund der Lebensbedingungen körperlich und psychisch krank. In den Wäldern liegen zum Teil noch Landminen von dem Bürgerkrieg beim Auseinanderbrechen Jugoslawiens. Im März dieses Jahres verstarb ein Asylsuchender nachdem er auf eine Mine trat. Vier weitere Männer wurden verletzt.
Wer versucht, die kroatische Grenze zu überqueren und so in die EU zu gelangen, wird mit Gewalt zurück geprügelt. Geflüchtete berichten von Verbrennungen, Tritten, Einsatz von Tränengas, Demütigungen und sexuellem Missbrauch, davon, dass ihnen Handy, Portemonaie und ihre Habseligkeiten weggenommen wurden, dass Hunde auf sie losgelassen wurden und ihnen die Arme, nicht jedoch die Beine gebrochen wurden, damit sie noch zurücklaufen können.
„Kollektivausweisungen ausländischer Personen sind nicht zulässig.“, so steht es in Art. 4 des Protokolls 4 der europäischen Menschenrechtskonvention. Und laut Art. 13 hat jede Person, deren Menschenrechte verletzt wurden, das Recht eine wirksame Beschwerde bei einer innerstaatlichen Instanz zu erheben, auch wenn die Verletzung von einem Amtsträger ausgeführt wurde.
Doch an der bosnisch-kroatischen Grenze werden geflüchtete Menschen kollektiv zurückgeschoben, mehrfach und ohne eine Chance einen Asylantrag zu stellen. Laut dem «Danish Refugee Council» gab es im vergangenen Jahr mehr als 16.000 illegalen Pushbacks von Kroatien nach Bosnien- Herzegowina. 60% dieser Pushbacks verliefen gewalttätig. z.T. nahmen die Grenzbeamt*innen die Menschen zudem willkürlich fest, was gegen Artikel 9 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verstößt: „Niemand darf willkürlich festgenommen, in Haft gehalten oder des Landes verwiesen werden.“
Wo also ist der Aufschrei der EU, der angeblichen Hüterin der Menschenrechte und Friedensnobelpreisträgerin, wenn an ihren eigenen Grenzen Menschenrechte systematisch verletzt werden? 6.8 Millionen Euro hat die EU Kroatien zur Unterstützung seines Grenzschutzes gezahlt. 300.00 Euro sollen für die Einrichtungen eines Menschenrechts-Monitorings genutzt werden. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und das Croatian Law Centre, mit denen Kroatien dafür zusammenarbeiten will, sagen jedoch, dass sie nichts von dem Geld erhalten haben. Die bosnisch-kroatische Grenze wird mit modernder Militärtechnik überwacht. Deutschland hat Kroatien dafür zehn Wärmebildgeräte im Wert von 350.000 Euro übergeben.
Die EU mag beide Augen verschließen, mehr noch, es dulden und unterstützen, wenn die Werte, die sie ihre Grundpfeiler nennt mit den Füßen getreten werden, aber wir tun es nicht. Wir klagen an. Das Bekenntnis zu den Menschenrechten im Grundgesetz ist nicht umsonst unantastbar - Menschenrechte sind unverhandelbar! Dass wir 2021 in der EU dafür kämpfen müssen, dass der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit umgesetzt und die eigenen Rechtstexte eingehalten werden, ist ein Armutszeugnis für die EU und ihre Mitgliedsstaaten.
In dreieinhalb Monaten ist Bundestagswahl. Die neue Bundesregierung muss sich klar zu den Menschenrechten bekennen und zwar nicht nur auf Papier und in schönen Worten, sondern durch ihren Einsatz für die Aufklärung und Beendigung der Menschenrechtsverletzungen an den europäischen Außengrenzen, sichere Fluchtwege und die Aufnahme schutzsuchender Menschen.
Das fordern wir mit unserer Aktionswoche. Heute abend, am Mittwoch mit unserer Mahnwache auf dem Bonner Marktplatz, um 19:00 und am kommenden Samstag mit einer Demo beginnend um 12:00 am Bonner Hofgarten. Ihr seid herzlich dazu eingeladen, mit uns gemeinsam für ein Europa zu protestieren, in dem Menschenrechte nicht missachtet werden, sondern Menschenrechte wirklich unverhandelbar sind."