14.06.2021 ProAsyl zog zum Ratstreffen am Ende der portugiesischen EU-Präsidentschaft am 9. Juni Bilanz, wie es mit dem unter deutscher Präsidentschaft vorgelegten NEW Pact .. weitergegangen ist:
Neues vom »New Pact«? Kaum, aber Fakten werden trotzdem geschaffen
"Im September 2020 stellte die Europäische Kommission den »New Pact on Migration and Asylum« vor. Seitdem wird im Rat und im Parlament diskutiert, gestern erneut beim Ratstreffen – aber Einigungen sind noch nicht in Sicht. Doch in Griechenland werden Fakten geschaffen, die den Zugang zu Schutz für die meisten Asylsuchenden versperren werden.
Am 23. September 2020 stellte Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen nach dem Brand von Moria den »New Pact on Migration and Asylum«, eine Weiterführung des 2016 gestarteten Reformprozesses des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), der Öffentlichkeit vor. Wie PRO ASYL schnell analysierte, zielen die Vorschläge darauf ab, Grenzverfahren unter Haftbedingungen durchzuführen. Die EU will also weiterhin auf die »Grenzlösung« setzen, dabei ist diese seit 2015 auf den griechischen Inseln gescheitert. Zwar wurde ein »Ende von Dublin« versprochen, aber letztlich wird am Dublin-System und dem Prinzip der Ersteinreise festgehalten; dieses wird nur mit einem schwachen Solidaritätsmechanismus flankiert (für einen kritischen Überblick der Vorschläge siehe hier). Ein wirklicher »fresh start« hätte anders ausgesehen.
Während die Verhandlungen sich ziehen, werden aber derzeit auf anderen Wegen Fakten geschaffen – etwa mit dem Bau von geschlossenen Zentren auf den griechischen Inseln und neuen Deals mit Drittstaaten. Kurz vor dem Ratstreffen zu Beginn dieser Woche wurde eine weitere Neuerung bekannt:
Griechenland will nun neben den Anträgen von syrischen Asylsuchenden auch die Asylanträge von Schutzsuchenden aus Afghanistan, Somalia, Pakistan und Bangladesch als »unzulässig« ablehnen, wenn sie sich zuvor in der Türkei aufgehalten haben, da die Türkei für sie ein »sicherer Drittstaat« sei. Außerdem soll dies nicht wie bislang nur für Personen gelten, die auf den griechischen Ägäis-Inseln ankommen, sondern auch für Asylsuchende an Landgrenzen. Damit würden fast alle in Griechenland ankommenden Menschen vom Flüchtlingsschutz ausgeschlossen werden – egal, was ihnen in ihren Herkunftsländern widerfahren ist. Danach wird noch nicht einmal gefragt werden. Dabei ist die Türkei für Geflüchtete alles andere als »sicher«, wie ein von PRO ASYL im März veröffentlichtes Gutachten zur Lage von Afghan*innen in der Türkei zeigt.
Mitgliedstaaten zanken sich mal wieder
Die Vorschläge der Kommission zum »New Pact« sind nach der Veröffentlichung im September an die Co-Gesetzgeber Rat und Parlament gegangen, die nun weiter darüber verhandeln. Im Rat der EU hatte Deutschland zu dem Zeitpunkt noch die Ratspräsidentschaft inne und hatte sich das ambitionierte Ziel gesetzt, noch bis zu deren Ende – also Ende 2020 – eine Einigung über die wichtigsten politischen Streitpunkte zu erzielen.
Dass dies nicht unbedingt realistisch ist, war eigentlich klar, denn das Thema Zuständigkeit für Asylverfahren und Solidarität der Mitgliedstaaten untereinander gilt seit 2016 als größter Zankapfel. Malta, Italien, Griechenland und Spanien taten in einem gemeinsamen Brief im November 2020 ihren Unmut darüber kund, dass sie durch die Beibehaltung des Ersteinreisekriteriums weiterhin primär für die Asylverfahren und Aufnahme von Schutzsuchenden zuständig wären. Sie beklagten: Während die Zuständigkeitsregeln detailliert und streng seien, seien die Regeln zur Solidarität vage und komplex. Anderen Mitgliedstaaten wie der sogenannten Viségrad-Gruppe gehen selbst die schwachen Solidaritätsregeln zu weit, etwa die Umverteilung von Asylsuchenden oder Anerkannten, »Rückführungspatenschaften«, Kapazitätsaufbau bei »Migrationsdruck« oder Ausschiffung nach Seenotrettung.
Selbst das Konzept der »Rückführungspatenschaften« – ein zynischer Begriff und Beispiel dafür, dass der Fokus mal wieder auf Abschiebungen liegt – wird von rechts angegriffen. Da die Pläne der Kommission vorsehen, dass der Mitgliedstaat, der die »Patenschaft« übernommen hat, die Person bei nicht erfolgter Abschiebung nach acht Monate ins eigene Land übernehmen muss, wird dies als »versteckte Umverteilung« kritisiert. Dies zeigt ein geleaktes Dokument zu den Verhandlungen.
Gefährliche Ausweitung der Grenzverfahren
Die Kommissionsvorschläge sehen bereits eine gefährliche Ausweitung der Grenzverfahren vor. Insgesamt sollen Schutzsuchende bis zu sechs Monate an den Außengrenzen festgehalten werden können: Fünf oder zehn Tage in einem Screening, bis zu zwölf Wochen im Asylgrenzverfahren und bis zu zwölf weitere Wochen im Abschiebungsgrenzverfahren –. Ein Kompromissvorschlag der aktuell noch amtierenden portugiesischen Ratspräsidentschaft für den Vorschlag für eine Asylverfahrensverordnung – auf den sich die Mitgliedstaaten im Rat einigen sollen – sieht sogar noch eine weitere Verschärfung dieser Regelungen vor, indem die Asylgrenzverfahren auf bis zu 16 Wochen verlängert werden können, wenn die Mitgliedstaaten oder die Gerichte nicht schnell genug entscheiden.
Eine solche Verlängerung der Zeit im Grenzverfahren macht für die Betroffenen einen großen Unterschied, denn sie gelten während der Verfahren an den Grenzen als »nicht-eingereist« und müssen an den Grenzen oder in Grenznähe untergebracht werden.