01.12.2020 Eine von PRO ASYL mitherausgegebene Studie der Universität Tübingen zeigt auf, wie Rassismus auf dem Arbeitsmarkt Geflüchteten das Leben schwer macht und ihre Integration behindert.
»Ganz unten in der Hierarchie«: Rassismus als Arbeitsmarkthindernis für Geflüchtete
Um den institutionellen Rassismus seriös anzugehen, bedarf es konkreter, zielgerichteter Studien, die das ganze Ausmaß erfassen und eine Politik, die in der Lage und willens ist, festgefahrene Strukturen der Diskriminierung und Ausgrenzung Geflüchteter und anderer marginalisierter Gruppen systematisch aufzubrechen.
89 Punkte umfasst der Maßnahmenkatalog des »Kabinettsausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus«, ein Gremium, das nach den Morden von Hanau von der Bundesregierung eingerichtet wurde. Die Bekämpfung von systemischen Rassismus und allen Ausgrenzungsformen ist zumindest formell auf der Regierungsebene angelangt. Doch der Maßnahmenkatalog des Kabinettsausschusses lässt nicht erkennen, dass das Problem Rassismus als Arbeitsmarkthindernis für Geflüchtete benannt und angegangen wird.
Rassismus und seine Folgen für die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen ist in öffentlichen Debatten nur selten Thema. In der Regel stehen Sprachkenntnisse, die Anerkennung von Qualifikationen, bürokratische Hürden oder Probleme, die sich aus dem Aufenthaltsstatus (z.B. einer Duldung) ergeben, im Mittelpunkt.
Eine aktuelle Untersuchung der Eberhard Karls Universität Tübingen mit dem Titel »Ganz unten in der Hierarchie« nimmt die Situation von Geflüchteten auf dem Arbeitsmarkt in den Fokus. Herausgegeben wurde sie von PRO ASYL und der IG Metall. Insgesamt wurden dafür 64 qualitative Experteninterviews mit Behörden, Beratungsstellen, Ehrenamtlichen, Gewerkschaften und Geflüchteten in sechs Regionen in Deutschland geführt.
Rassismus erleiden im Alltag
Dokumentiert werden zum einen Rassismuserfahrungen, die Geflüchtete alltäglich machen müssen: abfällige Bemerkungen, Vorurteile, Diskriminierungen in Betrieben, in Berufsschulen und Institutionen, die sie – allen positiven Entwicklungen, die es auch gibt, zum Trotz – in ihrem schulischen und beruflichen Fortkommen behindern.
Arbeitssuche erschwert
Das zentrale Ergebnis: Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen im Alltag, in Behörden, in Berufsschulen und in Betrieben stellen für Flüchtlinge ein zentrales Arbeitsmarkthindernis dar. »Die Arbeitssuche von Flüchtlingen wird dadurch teilweise massiv erschwert«, schlussfolgert Dr. Nicolai Huke von der Universität Tübingen, der die Studie durchgeführt hat.
Probleme in Betrieben
Um eine erfolgreiche Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen zu ermöglichen, muss Rassismus auch im Alltag, am Arbeitsplatz oder im Bewerbungsverfahren sichtbar gemacht, kritisiert und sanktioniert werden. Wo es keinen gleichberechtigten Zugang gibt, stehen die Türen für ausgrenzende und rassistische Handlungen in den Betrieben weit offen. Wer um seine Arbeitserlaubnis oder gar sein Aufenthaltsrecht fürchten muss, kann sich zudem gegen diskriminierende Vorfälle und Alltagsrassismus kaum zur Wehr setzen.
Systemische Ausgrenzung aus dem Arbeitsmarkt
Die Forschungsergebnisse bestätigen zudem eine zunehmende Entwicklung, die PRO ASYL seit Jahren kritisiert, wonach problematische gesetzliche Rahmenbedingungen den Arbeitsmarktzugang für Geflüchtete erschweren.
Augenscheinliche gesetzliche Verbesserungen für Geflüchtete, für die sich die Bundesregierung gerne feiern lässt, werden durch zu hohe Anforderungen für Betroffene praktisch unerreichbar gemacht. Konterkariert werden positive Maßnahmen zudem durch die Einführung von restriktiven Maßnahmen, die für andere Geflüchtetengruppen eine Schlechterstellung bedeuten.
Verbesserungen laufen ins Leere
Ein Beispiel: Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und eines hohen Anteils von Langzeitgeduldeten waren die Zugänge von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt in den letzten zehn Jahren schrittweise vergrößert worden. Ab 2015 gab es weitere Verbesserungen, etwa die Öffnung der Deutschsprachkurse des Bundes für (einige privilegierte) Asylsuchende oder den Wegfall der Vorrangprüfung.
Parallel dazu wurden aber in diversen Gesetzespaketen neue Restriktionen beschlossen, vor allem gegen bestimmte Gruppen von Asylsuchenden, die möglichst schnell wieder aus dem Land gedrängt werden sollen: Schon im Oktober 2015 wurden Arbeitsverbote für Angehörige sogenannter sicherer Herkunftsländer verhängt. 2019 wurde die Verpflichtung, in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu leben, für viele Schutzsuchende verlängert – einher geht damit ein abermals verlängertes Arbeitsverbot, das für einige Gruppen sogar unbefristet gelten soll. Die neu eingeführte Ausbildungsduldung blieb durch hohe Hürden für viele unerreichbar.
Druck auf Geflüchtete, das Land zu verlassen
Sozialer Ausschluss während des laufenden Asylverfahrens, die Verweigerung der Teilhabe am Arbeitsmarkt: Maßnahmen, die dem Rassismus in Deutschland staatlicherseits Vorschub leisten. Bereits in den 1980er und 90er Jahren wurden Geflüchtete in großer Zahl ausgegrenzt und diskriminiert, weil sich die offizielle Politik von der Wunschvorstellung leiten ließ, die Menschen würden schon wieder gehen, wenn man sie nur schäbig genug behandelte. Dies ist, damals wie heute, ein Irrtum. Dennoch bleiben Abschiebung und die Forcierung »freiwilliger« Ausreise auch bei denjenigen, die bereits lange hier leben, politische Ziele.
Gleichzeitig wird von Geflüchteten erwartet und immer wieder moralisch gemahnt, sich um »Integration« zu bemühen. Eine Politik, die den Betroffenen Integrationsbemühungen abverlangt, aber gleichzeitig ihre Integration verhindert, ist zynisch und zementiert die Lage Geflüchteter »ganz unten in der Hierarchie« auf Dauer.
Institutioneller Rassismus: Es gibt viel zu tun
Was hierzulande immer noch fehlt, ist eine tiefergehende Einsicht in die Wirkmächtigkeit von Rassismus auch in den staatlichen Institutionen sowie ein systematischer Blick auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die – gerade im Flüchtlingsbereich – Rassismus mindestens begünstigen. Ein Staat, der einen Teil der Bevölkerung diskriminierenden Regelungen unterwirft, muss wissen, dass das System – etwa in den Betrieben – alltäglich Wirkung entfaltet.
Bezogen auf die Rassismuserfahrungen von Geflüchteten auf dem Arbeitsmarkt fordert PRO ASYL:
- Erhalt, Förderung und Ausbau eines Netzes von unabhängigen betroffenenorientierten Beratungsstellen: Solche für Opfer rassistischer Diskriminierung und Gewalt, außerdem solche, die in Betrieben vermitteln und für Rassismus sensibilisieren sowie eine umfassende Förderung von Arbeitsrechtsberatungsstellen und ‑projekte für Geflüchtete
- Änderung der gesetzlichen Vorgaben, die bestimmte Gruppen von Menschen ausgrenzen: Staatliche angestrebte Wohnungsunterbringung anstelle von isolierenden und etikettierenden Massenunterkünften, Wegfall von Freizügigkeitsbeschränkungen und Arbeitsverboten.
- Umkehr in der Sozialpolitik, die Diskriminierung und rassistischer Etikettierung entgegenwirkt: Alle Asylsuchenden müssen – von Beginn des Aufenthaltes an – das Recht haben, zu lernen und zu arbeiten.
Eine gleichberechtigte Teilhabe aller auf dem Arbeitsmarkt ohne Rassismus liegt überdies nicht nur im Interesse der betroffenen Menschen, sie fördert letztlich das gesellschaftliche Zusammenleben und stärkt die Gesellschaft in Gänze.