Protest gegen populistischen Gesetzentwurf, Straftäter abzuschieben und Verdächtige auszuweisen

27.06.2024 Immer das selbe Muster: Nach jedem traurigen Vorfall beeilen sich Politiker*innen, die Abschiebung aller "Straftäter" bzw. "Gefährder" zu fordern. Dazu gehört auch Innenministerin Faeser, obwohl sie es von Amts wegen besser wissen müsste.

Nicht die behördlich angeordnete Abschiebung ohne Ansehen der Person, ihrer Umstände und der Verhältnisse im Herkunftsland ist angebracht, besonders wenn diese Überlegungen auf einen größeren Personenkreis hochgerechnet wird. Auch wenn ein Polizeibeamter in Ausübung seines Dienstes und bei Hilfeleistung zum Opfer wird, ist die Justiz gefordert. Mit ordentlichen Ermittlungen, regulärem Strafverfahren und dem Urteil. Auf diesen Weg kann man vertrauen, wir sind zu Recht stolz darauf, eine unanhängige Justiz zu haben.

Die populistische Antwort auf die schreckliche Tat in Mannheim wird durch einen Gesetzentwurf gegeben, den das Bundeskabinett jetzt billigte. Das vorgeschlagene Gesetz geht weit über das hinaus, was tatsächlich vorgefallen war. Schon ein simpler Like in den sozialen Medien kann dann zur Abschiebung führen.

... Gesetzentwurf, wonach Ausweisungen in Zukunft schon nach der Billigung einer einzelnen terroristischen Straftat möglich sein sollen. Damit könnte ein einzelner Kommentar in einem digitalen Netzwerk, der eine solche Tat verherrlicht oder gutheißt, schwerwiegende Konsequenzen haben. (RND)

Dagegen meldeten sich Gruppen zu Wort, die es besser wissen als das Kabinett, das die möglichen AfD-Forderungen überholen möchte: Der Anwaltsverein und die Polizeigewerkschaft GdP. Wir zitieren aus der Presse.

In Mannheim hat ein Afghane einen deutschen Polizisten getötet. Das Kabinett will nun auch Ausländer ausweisen lassen, die solche Taten in den sozialen Medien billigen. Kritiker warnen hingegen vor unverhältnismäßigen Schritten.

Berlin. Olaf Scholz reagierte nach der Tat von Mannheim rasch. „Solche Straftäter gehören abgeschoben – auch wenn sie aus Syrien und Afghanistan stammen“, sagte der Kanzler. In der baden-württembergischen Stadt hatte ein 25-jähriger Afghane, der bereits 2013 nach Deutschland kam und der Polizei bis dahin nicht aufgefallen war, fünf Teilnehmer einer Kundgebung der islamfeindlichen Bewegung Pax Europa mit einem Messer attackiert. Der erst 29-jährige Polizist Rouven Laur kam dabei ums Leben. Das löste allgemein Entsetzen aus.

Am Mittwoch ließ das Kabinett den Worten des obersten SPD-Politikers Taten folgen. Es billigte einen Gesetzentwurf, wonach Ausweisungen in Zukunft schon nach der Billigung einer einzelnen terroristischen Straftat möglich sein sollen. Damit könnte ein einzelner Kommentar in einem digitalen Netzwerk, der eine solche Tat verherrlicht oder gutheißt, schwerwiegende Konsequenzen haben.

Ein besonders schwerwiegendes Interesse des deutschen Staates an einer Ausweisung soll angenommen werden, wenn jemand bestimmte Straftaten in einer Art und Weise billigt und belohnt, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. In diesem Fall wäre ein vorheriges Gerichtsurteil nicht zwingend. Die geplante Reform soll nach Angaben des Bundesinnenministeriums mit einem bereits laufenden Gesetzgebungsvorhaben verbunden und so schnell wie möglich beschlossen werden.

Faeser: „Die Verrohung im Netz schürt auch ein Klima der Gewalt“

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte: „Wir gehen hart gegen islamistische und antisemitische Hasskriminalität im Netz vor. Auch in Deutschland wurden die Terrorangriffe der Hamas auf Israel auf widerwärtigste Weise in sozialen Medien gefeiert. Genauso menschenverachtend ist, wie die furchtbare islamistische Messerattacke in Mannheim, bei der der junge Polizeibeamte Rouven Laur getötet wurde, im Netz verherrlicht wurde.“

Dies lasse nicht nur jede Menschlichkeit vermissen, sagte Faeser. „Sondern die Verrohung im Netz schürt auch ein Klima der Gewalt, das Extremisten zu neuen Gewalttaten animieren kann. Deshalb brauchen wir neben konsequenter Strafverfolgung auch schärfere ausländerrechtliche Instrumente. Diese schaffen wir jetzt.“

„Das Gesetz ist populistisch“

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) meldet hingegen Kritik an. Der Vorsitzende des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im DAV, Thomas Oberhäuser, sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Das Gesetz ist populistisch. Die behauptete Lösung wird der Komplexität menschlichen Lebens nicht im Ansatz gerecht. Denn nicht jeder, der irgendetwas liked, muss mit dem gesamten Inhalt einverstanden sein. Die sozialen Medien sind vielmehr prädestiniert dafür, dass man viel zu schnell etwas äußert. Das ist nicht alles reflektiert.“ An solche, vielleicht einmalige Äußerungen das ganze Leben eines Menschen zu knüpfen, gehe zu weit.

„Stellen Sie sich einen Mann vor, dessen Familie im Gazastreifen lebt und dort nicht rauskommt“, so der Rechtsanwalt aus Ulm. „Dass so ein Mann auf die Zerstörungen dort nicht gelassen und abgewogen reagiert, ist doch klar.“ Oberhäuser fuhr fort: „Es ist im Übrigen ein Gebot unserer Verfassung, dass der Gesetzgeber auch bei unliebsamem Verhalten des Einzelnen verhältnismäßig agiert. Und nicht alles, was als Signal an die Bevölkerung gemeint ist, sollte ins Gesetz kommen.“

Die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Lamya Kaddor, erklärte, Regelungen im Aufenthaltsrecht könnten nur ein Teil der Lösung sein. Denn die Mehrheit der Islamisten in Deutschland habe die deutsche Staatsbürgerschaft inne und könne gar nicht ausgewiesen werden. Jetzt werde man den Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren „insbesondere hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit der Meinungsfreiheit prüfen und gegebenenfalls Änderungen vornehmen“. Die grüne Fraktionsgeschäftsführerin Irene Mihalic sagte: „Es wird sehr darauf ankommen, wie das im Detail formuliert ist.“ Klar bleibt: Über Gesetze entscheiden Bundestag und Bundesrat, nicht die Regierung. Die macht lediglich Vorschläge.

Bereits die Abschiebung des Täters von Mannheim wäre derzeit schwierig bis unmöglich. So waren zuletzt zwar allein in Baden-Württemberg 41 Afghanen und vier Syrer als „gefährliche Ausländer“ und vollziehbar ausreisepflichtig eingestuft. Sie könnten jedoch nach Angaben der Landesregierung nicht abgeschoben werden, weil der Bund dafür bislang kein grünes Licht gebe.

Tatsächlich darf niemand in ein Land abgeschoben werden, in dem ihm Verfolgung, Folter oder die Todesstrafe drohen. Somit scheiden Afghanistan, wo die islamistischen Taliban herrschen, und Syrien mit seinem Diktator Bashar Al Assad derzeit aus. Abgeschoben wurde zuletzt bloß in sichere Drittstaaten. Bei Afghanen geschah das laut Rundfunk Berlin-Brandenburg in diesem Jahr 14-mal, bei Syrern seit 2019 35-mal. Gefährder verschiedener Nationalitäten mussten Deutschland laut Bundesinnenministerium in der Zeit vom 1. Januar 2021 bis zum 11. Juni 2024 ebenfalls in 35 Fällen verlassen. An diesen Zahlen dürfte sich mit der geplanten Gesetzesverschärfung wenig ändern.