Reaktionen europäischer Staaten auf Deutschlands Abwehr- und Abschiebepläne

25.09.2024 Die österreichische Tageszeitung Standard trug die Reaktionen von Politiker*innen anderer europäischer Staaten zusammen, die durch die neuen Maßnahmen der ausgedehneten Grenzkontrollen und die verstärkte Dublin-Abschiebung betroffen sind. Anders als Scholz nach Konsultationen mit den Nachbarstaaten erklärte, haben nicht alle Verständnis für den neuen Asylkurs seiner Regierung. Zustimmung gibt es  vor allem dort, wo ebenfalls die Rufe nach einer härteren Asyl- und Migrationspolitik sehr laut sind. Griechenlands Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis dagegen lehnt sowohl die Grenzkontrollen als auch die Rückführungspläne kategorisch ab.

Wir zitieren:

Der Standard Deutschlands Asylpläne erzürnen vor allem Griechenland

Während die ausgeweiteten Grenzkontrollen teilweise auf Verständnis stoßen, empört sich Athen über Berlins Ankündigung, verstärkt nach Griechenland abschieben zu wollen

24.09.2024 Etwas mehr als eine Woche alt sind die Kontrollen, die Deutschland nun an all seinen Grenzen durchführt. Es war eine Reaktion auf die Messerattacken in Mannheim sowie Solingen und den daraus resultierenden Druck von Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU), in Sachen Asyl härter vorzugehen. Neu sind die Kontrollen für die Nachbarländer Frankreich, Luxemburg, die Niederlande, Belgien und Dänemark, sie sind zunächst einmal für sechs Monate vorgesehen. Für Österreich, Polen, Tschechien und die Schweiz gab es schon davor – während der Fußballeuropameisterschaft 2024 besonders genaue – stationäre Grenzkontrollen. Für diese Maßnahme erntete Berlin Kritik, aber auch einiges an Verständnis. Ein anderer Schritt sorgt aber weiter südöstlich für Empörung.

In Österreich erklärte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) in einer ersten Reaktion, man werde keine von Deutschland Zurückgewiesenen übernehmen. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigte sich "überrascht" über die "etwas improvisierte Art", wie Deutschland die Grenzkontrollen der Öffentlichkeit erklärt habe. In der Schweiz sieht man das relativ gelassen, man gehe aber davon aus, dass die Grenzkontrollen nichts bringen werden, um Sekundärmigration zu verhindern. Diese Meinung teilt sie übrigens mit zahlreichen Experten und Expertinnen.

Polens Ministerpräsident Donald Tusk kritisierte die Zunahme der Kontrollen an europäischen Binnengrenzen. "Das einzige Mittel, um nicht ordnungsgemäße Einwanderung zu stoppen, ist es, die Außengrenzen der EU effizient zu kontrollieren. Nicht die Binnengrenzen", erklärte Tusk auf X.

Verständnis für Deutschland

Nach Konsultationen mit den Nachbarländern erklärte Deutschlands Kanzler Olaf Scholz (SPD) zum Start der Kontrollen, alle EU-Partner hätten Verständnis für den neuen Asylkurs seiner Regierung. Auch wolle man den Reise- und Pendlerverkehr sowie Wirtschaft und Handel so wenig wie möglich beeinträchtigen – eine Befürchtung, die in vielen Nachbarländern laut wurde. Tatsächlich gibt es in einigen Staaten Verständnis für die Maßnahme – vor allem dort, wo ebenfalls die Rufe nach einer härteren Asyl- und Migrationspolitik sehr laut sind.

Frankreichs neuer Premier Michel Barnier etwa erklärte erst dieser Tage, dass er die deutschen Grenzkontrollen "sehr interessant" finde, vor allem, da dies unter einem sozialdemokratischen Kanzler geschehe. "Wir werden, wie unsere Nachbarn, Schritte unternehmen, um die Einwanderung zu begrenzen, die oft unerträglich wird", so Barnier, der eine rechtskonservative Regierung anführt.

Auch die niederländische Regierung, der die Partei des Rechtspopulisten Geert Wilders angehört, zeigt Verständnis für das deutsche Vorgehen. Man selbst wolle künftig auch härter vorgehen und habe dafür den Ausstieg aus dem EU-Asylsystem beantragt. Die Chancen dafür stehen aber schlecht.

In Tschechien, das Flüchtlingen und Migranten grundsätzlich skeptisch gegenübersteht, wenn sie nicht aus der Ukraine kommen, zeigt man sich gelassen. Nichts werde sich ändern, erklärte die Regierung in Prag, denn es gibt ja die Kontrollen an der deutsch-tschechischen Grenzen schon länger. In tschechischen Medien zeigte man sich großteils auch verständnisvoll, im Sinne von: Auch die Deutschen haben nun ihre Geduld verloren.

Entsetzen in Griechenland

Griechenland ist zwar kein Nachbarland Deutschlands, aber bekanntermaßen auch stark von Migration betroffen. Dort empört man sich an einer anderen Ankündigung Berlins im Rahmen ihrer Asylverschärfungen. Deutschland nämlich will Menschen, die Asyl in Griechenland bekommen oder dort einen Antrag gestellt haben, wieder stärker dorthin abschieben. Griechische Medien nennen hierbei Zahlen, die von 70.000 bis 100.000 reichen. Auch wenn es noch keine offiziellen Zahlen gibt, sorgen diese Berichte für Entsetzen in Athen.

Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis lehnt sowohl die Grenzkontrollen als auch die Rückführungspläne kategorisch ab. "Was wir nicht akzeptieren können, ist, eine überproportional große Bürde auf uns zu nehmen, nur weil wir eine EU-Außengrenze haben", kritisierte er. Die Antwort auf all die Probleme könne nicht sein, "Schengen einseitig abzuschaffen und so den Ball an die Erstankunftsländer weiterzuspielen", legte er nach. Stattdessen schlug er einen fairen Kompromiss vor, um gemeinsam die EU-Außengrenzen zu schützen.

Aus diesem Grund will Athen den Zaun am türkisch-griechischen Grenzfluss Evros noch weiter verlängern und mindestens 150 zusätzliche Grenzschützer einstellen. Dabei forderte Mitsotakis die Unterstützung durch die Europäische Union. Der neue Migrationsminister, Nikolaos Panagiotopoulos, erklärte, Massenabschiebungen von Deutschland nach Griechenland seien kein Thema. Viel wichtiger sei für ihn, dass das vor einigen Monaten beschlossene Migrations- und Asylpaket der EU umgesetzt werde. Das sieht unter anderem Lager und Schnellverfahren an den Außengrenzen vor sowie einen Solidaritätsmechanismus, um besonders betroffene Länder zu entlasten. Allerdings haben die EU-Länder noch bis Mai 2026 Zeit, dies alles umzusetzen.

Mehr Ankünfte in Griechenland

Regierungschef Mitsotakis steht beim Thema Migration ohnehin schon unter Druck – durch rechte Parteien, aber auch parteiintern in seiner Nea Dimokratia. Während die Ankünfte auf der zentralen Mittelmeerroute laut der EU-Grenzschutzagentur Frontex heuer um fast 64 Prozent zurückgegangen sind, stiegen sie in Griechenland um fast 40 Prozent.

Und was Deutschland sowie Griechenland betrifft: Laut einem Bericht der Welt am Sonntag haben im vergangenen Jahr 16.500 Menschen in Deutschland Asyl beantragt, die zuvor bereits Asyl in Griechenland erhielten. Davon erhielten schließlich auch 12.000 Menschen in Deutschland einen positiven Bescheid. Dem Bericht zufolge, der sich auf Statistiken des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge beruft, wollte Deutschland 2023 5523 Menschen im Rahmen des Dublin-Regelwerks nach Griechenland zurückbefördern. Athen gab sein Okay für 65 Fälle, tatsächlich rückgeführt wurden dann drei Personen. (Kim Son Hoang, Kostas Zafeiropoulos | Efsyn, Petr Jedlička | Deník Referendum, 24.9.2024)