15.05.2023 In seinem jährlich im Frühjahr veröffentlichten Gutachten befasst sich der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) 2023 mit dem Klimawandel und seinen Folgen und Auswirkungen auf die Migration. Der SVR hat in seinem 14. Jahresgutachten, veröffentlicht im Mai 2023, untersucht, wie der Klimawandel das globale, regionale und lokale Migrationsgeschehen beeinflusst und welche Erfordernisse sich hieraus für migrations- und flüchtlingspolitisches Handeln ergeben.
Im Vorwort wird u. a. festgestellt: "Auch auf Migrationsprozesse wirkt sich der Klimawandel mittelbar und unmittelbar aus. Dies wird in entsprechenden politischen Gesprächsforen zunehmend anerkannt. Gleichwohl wird noch zu wenig darüber nachgedacht, wie auf klimawandelbedingte Migration flüchtlings- und migrationspolitisch betrachtet reagiert werden kann. ..." "Der SVR konzentriert sich – seinem Mandat gemäß – vor allem auf migrationspolitische Handlungsoptionen."
Wir zitieren:
Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen der Gegenwart. Die Folgen der globalen Erderwärmung sind vielschichtig. Klimawandelbedingte Umweltveränderungen und Extremwetterereignisse verschärfen nicht nur bestehende soziale, ökonomische oder politische Problemlagen, sondern erhöhen auch den Migrationsdruck. Klimawandelbedingte Migration nimmt zu. Der SVR hat in seinem 14. Jahresgutachten untersucht, wie der Klimawandel das globale, regionale und lokale Migrationsgeschehen beeinflusst und welche Erfordernisse sich hieraus für migrations- und flüchtlingspolitisches Handeln ergeben.
Klimawandelbedingte Migration nimmt zu
Klimawandelbedingte Migration stellt keine neue und klar abgrenzbare Form der Migration dar. Auch können Extremwetterereignisse wie Starkregen oder Hurrikans oder schleichende Umweltveränderungen wie der Wegfall von Landfläche und Bodenversalzung durch Meeresspiegelanstieg nicht immer eindeutig auf den Klimawandel zurückgeführt werden. Aber: Der Klimawandel ist ein Metafaktor, der bestehende Migrationsmuster beeinflusst. Er verschärft bereits vorhandene soziale, ökonomische oder politische Problemlagen und erhöht damit den Migrationsdruck. Vorhandene Szenarien und Prognosen zeigen, dass klimawandelbedingte Migration in den kommenden Jahren weiter zunehmen wird.
Gesamtes Instrumentarium der Flüchtlings- und Migrationspolitik nutzen
Bei der Bewältigung von klimawandelbedingter Migration sollte nach Ansicht des SVR das gesamte migrationspolitische Instrumentarium genutzt werden. Dazu gehören Maßnahmen aus der Flüchtlingspolitik wie die Vergabe von humanitären Visa, eine temporäre Schutzgewährung oder auch die Aussetzung von Rückführungen in betroffene Länder und Regionen, sowie Ansätze aus der Migrationspolitik wie regionale Abkommen zur Personenfreizügigkeit. Der SVR schlägt zudem drei Instrumente vor – den Klima-Pass, die Klima-Card und das Klima-Arbeitsvisum – kann die Bundesregierung zudem international eine Vorreiterrolle einnehmen.
Umfassende Strategie gegen den Klimawandel erforderlich
Die vom SVR empfohlenen Maßnahmen sind als Bausteine einer größeren Gesamtstrategie zu verstehen, die alle politischen Ebenen, die Wirtschaft und Gesellschaft umfasst und ein koordiniertes Handeln über Ressortgrenzen hinweg erfordert. Das bedeutet:
- Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Politikfeldern müssen auf allen Ebenen stärker in den Blick genommen werden.
- Notwendig ist u. a. eine kohärente Klimaaußenpolitik, die migrationspolitische Aspekte einschließt und von allen Ressorts getragen wird.
- Deutschland sollte auf den Auf- und Ausbau eines globalen Risikomanagements hinwirken und durch entwicklungspolitische Ansätze Anpassungsmaßnahmen vor Ort fördern.
- Deutschland sollte international auf eine faire Kostenteilung hinwirken. Benötigt werden finanzwirtschaftliche Einigungen, z. B. globale Fonds.
- Letztlich entscheidend wird sein, in welchem Maße und wie schnell es gelingt, den CO2-Ausstoß weltweit zu begrenzen.
Kernbotschaften 2023
1. Der Klimawandel verstärkt bestehende Treiber von Migration
2. Klimawandelbedingte Migration erfolgt meist innerstaatlich oder in Nachbarländer, selten über Kontinente hinweg
3. Migration infolge des Klimawandels wird zunehmen, auch wenn Prognosen dazu mit Unsicherheiten behaftet sind
4. Die Staaten sollten das Recht zu bleiben schützen und zugleich Migration als Anpassungsstrategie ermöglichen
5. Bei der Gestaltung klimawandelbedingter Migration sind alle politischen Ebenen und das gesamte migrationspolitische Instrumentarium gefragt
6. Statt auf neue Abkommen zu setzen, sollten globale Vereinbarungen national und regional angewendet werden
7. Regionale Lösungsansätze fördern
8. Deutschland als Vorreiter: drei migrationspolitische Instrumente
9. Migrationspolitik als Baustein einer Gesamtstrategie zur Eindämmung des Klimawandels und seiner Folgen nutzen
Gutachten als PDF enthält u. a.
A.3 Prognosen und Szenarien zu klimawandelbedingter Migration ................................................................... 55
A.3.1 Bisherige Prognosen und Szenarien zu künftiger klimawandelbedingter Migration ........................... 56
A.3.2 Herausforderungen und Bedeutung von Prognosen und Szenarien ...................................................... 61
A.3.3 Fazit: Prognosen sind trotz gewisser Unsicherheiten zentral für vorausschauendes
politisches Handeln .................................................................................................................................. 63
B. Rechtliche Rahmenbedingungen und politische Gestaltungsoptionen für
klimawandelbedingte Migration .......................................................................................................... 66
B.1 Problemwahrnehmungen, Klimagerechtigkeit und Handlungsansätze ....................................................... 68
B.1.1 Verschiedene Perspektiven auf klimawandelbedingte Migration ......................................................... 69
B.1.2 Klimawandel, Migration und globale Gerechtigkeit ............................................................................... 76
B.1.3 Fazit: Klimamigration multidimensional begreifen ................................................................................ 80
B.2 Globale Ansätze im Umgang mit Klimamigration ........................................................................................... 82
B.2.1 Klimawandelbedingte Migration im internationalen Flüchtlingsrecht und in den
Menschenrechten ..................................................................................................................................... 84
B.2.2 Klimawandelbedingte Migration in der internationalen Migrationspolitik ........................................... 89
B.2.3 Klimawandelbedingte Migration in den internationalen Klimaverhandlungen .................................... 93
B.2.4 Ein globales Rahmenwerk für Klimamigration: Pro und Kontra ............................................................. 98
B.2.5 Fazit: Globale Impulse national und regional umsetzen ........................................................................ 100
B.3 Regionaler Umgang mit Klimamigration ......................................................................................................... 102
B.3.1 Regionaler Flüchtlingsschutz und klimawandelbedingte Migration ...................................................... 103
B.3.2 Regionale Freizügigkeitsabkommen und klimawandelbedingte Migration .......................................... 108
B.3.3 Debatten und Vorschläge zu klimawandelbedingter Migration in Europa ............................................ 111
B.3.4 Fazit: Regionale Instrumente stärken ...................................................................................................... 114
B.4 Nationalstaatliche Maßnahmen: ein Vorschlag zur Anpassung des Aufenthaltsrechts .............................. 115
B.4.1 Ein Klima-Pass: Niederlassungsrechte als Kompensation für den Verlust der Heimat ......................... 115
B.4.2 Klimaaufnahmeprogramme: eine Klima-Card als Anpassungsmaßnahme ........................................... 117
B.4.3 Ein Klima-Arbeitsvisum für Staatsangehörige bestimmter Länder ........................................................ 118
B.4.4 Fazit: Deutschland als Motor und Mitgestalter europäischer und internationaler Lösungen ............... 120