17.06.2024 Mit dieser Schlagzeile berichtet heute die Tagesschau, dass die Pläne für die Auslagerung der Asylverfahren nach Art des Ruanda-Modells von den im Innenministerium angehörten Expert*innen scharf kritisiert werden. Wir zitieren:
Das Bundesinnenministerium hat Sachverständige befragt, inwiefern Asylverfahren in Drittstaaten wie Ruanda ausgelagert werden können. Nach Informationen von WDR, NDR und SZ haben viele der Befragten große Zweifel.
Nach und nach kam in diesem Frühjahr eine Schar von Expertinnen und Experten ins Bundesinnenministerium: Juristen, Verantwortliche aus Think Tanks und Nichtregierungsorganisationen, Vertreter aus Dänemark und Großbritannien.
Sie alle sollten der Bundesregierung dabei helfen, Orientierung in einer ziemlich hitzig geführten Diskussion zu geben. Das simple Schlagwort dafür heißt Ruanda. Das Bundesinnenministerium soll eine Frage beantworten: Kann Deutschland Asylverfahren in andere Staaten auslagern und dadurch die Zahl der Schutzsuchenden und vielleicht auch der Toten entlang der Migrationsrouten reduzieren?
Nach Informationen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung hat die deutliche Mehrheit der durchs Innenministerium befragten Sachverständigen die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten scharf kritisiert. Insgesamt 28 Expertinnen und Experten wurden befragt. Von 21 von ihnen konnten ihre Einschätzungen für diese Recherche in Erfahrung gebracht werden. Zum Teil liegen auch die schriftlichen Stellungnahmen vor.
Ruanda? Laut Experten fast unmöglich
Demnach sind die rechtlichen und vor allem die tatsächlichen Hürden für eine Auslagerung von Asylverfahren ins Ausland sehr hoch. Eine Auslagerung in ein Land wie Ruanda gilt fast allen Angehörten, deren Position vorliegt, als nahezu unmöglich.
Wie es aus Teilnehmerkreisen heißt, soll das Innenministerium bei den Anhörungen immer wieder eindringlich nach möglichen Rechtsgrundlagen einer Auslagerung gefragt haben. Teilnehmer deuten dies so, dass die Regierungsbeamten bereits die rechtliche Machbarkeit nicht für automatisch gegeben halten.
Die Analyse der Vorträge und Ausarbeitungen der Sachverständigen beim Ministerium zeigt, dass fast alle große Zweifel an Auslagerungsmodellen haben, wie sie von Großbritannien mit Ruanda oder von Italien mit Albanien vorangetrieben werden. Der Grund dafür sind weniger juristische Fragen als solche von Kosten und Nutzen: Asylzentren im Ausland, darin stimmt ein Großteil der Fachleute überein, seien teuer und ineffizient.
Denn nur sehr wenige Menschen könnten sehr wahrscheinlich über eine solche Konstruktion tatsächlich ins Ausland gebracht werden - wenn sich überhaupt Staaten finden, die Sicherheit versprechen können und bereit wären, Asylsuchende aus Europa aufzunehmen. Auch das halten viele der Befragten für unwahrscheinlich. Nicht zuletzt warnt der überwiegende Teil der 21 Migrationsexpertinnen und -experten, deren Einschätzung vorliegt, vor ethisch, menschenrechtlich und politisch schwerwiegenden Folgen solcher Auslagerungspläne.
In der Praxis "kaum vorstellbar"
Die Juristin Pauline Endres de Oliveira von der Humboldt-Universität etwa schreibt in ihrer Stellungnahme, dass eine "menschenrechtskonforme Durchführung dieser Art extraterritorialer Verfahren unter Einhaltung wesentlicher Verfahrensgarantien" in der Praxis "kaum vorstellbar" sei. Der Politikwissenschaftler Volker Heins von der Universität Bielefeld schreibt gar von einem "Irrweg".
Folgt man den Ausführungen der Sachverständigen, dann spielt das Modell Italiens hierzulande kaum eine Rolle, da demnach Migranten aus internationalen Gewässern direkt nach Albanien gebracht werden sollen. Genauer betrachtet wurde dagegen das Prinzip Ruanda mit dem möglichen Ausfliegen von Personen in ein Drittland direkt aus Deutschland.
Den Sachverständigen zufolge sind Asylverfahren in Drittstaaten unter ganz bestimmen Voraussetzungen möglich. Dafür müssten die Genfer Flüchtlingskonvention und die EU-Menschenrechtskonvention durch den Drittstaat eingehalten werden. Zum Beispiel darf keine Gefahr bestehen, dass Personen anschließend in Drittstaaten zurückgeschickt werden, in denen ihnen Gefahr droht.
An EU-Recht gebunden
Ein EU-Mitgliedsstaat wie Deutschland ist dazu an EU-Recht oder die Asylverfahrensrichtlinie gebunden. In dieser ist bislang das sogenannte Verbindungskriterium festgeschrieben: Das heißt, eine Person könnte gegen ihren Willen nur in ein Drittland zurückgeschickt werden, zu dem es einen Bezug hat. Eine einfache Durchreise mit kurzzeitigem Aufenthalt aber reicht dafür nicht.
Eine Aufweichung dieses Verbindungskriteriums wird derzeit auf europäischer Ebene diskutiert. Diese wäre aber auch dann mit vielen Pflichten verbunden, formuliert etwa die Juristin Nora Markard von der Universität Münster in ihrer Stellungnahme: Es bleibe "bei der Unterwerfung unter EU-Standards".
Die Vertreter des Sachverständigenrats betonen in ihrer Analyse: Ein möglicher Verzicht auf das Verbindungselement sei wohl möglich, aber eine "menschenrechtliche Einzelfallprüfung" bleibe notwendig. Deutlich mehr Argumente würden gegen die Auslagerung sprechen als dafür.
Nicht ohne Einsatz "erheblicher Ressourcen"
Auch wenn man die Frage der Verbindung zu einem Land gesetzlich "beiseiteschieben würde", blieben die Anforderungen hoch, im Ausland ein "faires und effizientes" Verfahren und den Schutz der Menschen zu gewährleisten. Das erklärte der Potsdamer Jurist Andreas Zimmermann. "Diese wären, wenn überhaupt, nur durch die Aufwendung erheblicher Ressourcen sicherzustellen", schreibt er weiter.
Ressourcen, damit meint Zimmermann etwa, dass Deutschland mit eigenem Personal kontinuierlich kontrollieren und unterstützen müsste, damit in dem Land, in das es Asylsuchende abschiebt, Menschenrechte und humanitäre Standards eingehalten werden - und damit sie von dort nicht weiter abgeschoben werden.
Das wiederum würde wohl für das bereits überlastete Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einen hohen Aufwand bedeuten. Darauf soll intern auch BAMF-Präsident Hans-Eckhard Sommer hingewiesen haben. Er war auch als Sachverständiger geladen, wollte sich jetzt aber auf Anfrage nicht zu seinem Vortrag äußern.
Warnung vor erheblichen Kosten
Viele andere Expertinnen und Experten verwiesen in der Anhörung zudem auf die erheblichen Kosten, die durch solche Modelle entstehen würden. Raphael Bossong von der Stiftung Wissenschaft und Politik bezeichnete in seiner Anhörung die Summen als unverhältnismäßig, die in Italien und Großbritannien veranschlagt oder bereits ausgegeben wurden, um Asylbewerber fortzuschicken.
Es sind vor allem zwei der befragten Experten, die der Recherche zufolge die Chancen der Auslagerung betonten. Der Sozialwissenschaftler Gerald Knaus argumentiert schon lange: Die Anstrengungen, alle Regeln einzuhalten, würden sich lohnen.
Denn es müssten nur wenige Asylbewerber in solche Drittstaaten gebracht werden, und schon würden viele abgeschreckt werden und sich erst gar nicht auf den Weg machen. Was für Knaus aber Voraussetzung ist: Die Asylsuchenden müssten an der EU-Außengrenze festgestellt werden. Eine Überstellung, nachdem sie bereits in Deutschland sind, hält er für ausgeschlossen.
Gesetzesänderungen laut Experte Voraussetzung
Die rechtlichen Möglichkeiten betont der Konstanzer Rechtswissenschaftler Daniel Thym. Voraussetzung wären ihm zufolge aber einige Gesetzesänderungen - wie etwa die bereits diskutierte Korrektur des Verbindungskriteriums. Er merkt aber auch an, dass das BAMF in Deutschland zunächst eine Entscheidung treffen müsse.
Derzeitige Verfahren dauerten drei bis vier Monate, in denen sich der Antragssteller "faktisch frei im Bundesgebiet bewegen" dürfe. Einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma sieht Thym bei einer Auslagerung in "eindeutig sichere Nachbarländer" wie die Türkei oder Serbien, aber eben nicht Ruanda - hierbei könnte auf ein Verfahren "eventuell ganz verzichtet werden".