09.11.2022 Heute ist die Rettung von hunderten aus Seenot geborgenen Migrant*innen nach langem Ringen endlich abgeschlossen. Von den vier zivilen Seenotrettungsschiffen konnten drei endlich alle Gäste in Italien an Land bringen. Die "Ocean Viking" allerdings erhielt keine Landeerlaubnis und ist mit 234 Geflüchteten unterwegs nach Frankreich. (aktualisiert 10.11.2022: EU-Kommission fordert sofortige Aufnahme von Geflüchteten. Die "Ocean Viking" mit 234 Menschen an Bord ist auf dem Weg nach Frankreich. Laut EU-Kommission muss ihr ein Anlegen am "nächstgelegenen sicheren Ort" ermöglicht werden. Nach der Weigerung Italiens, das Rettungsschiff Ocean Viking mit mehr als 200 Geflüchteten an Bord in einem seiner Häfen anlegen zu lassen, hat sich nun die EU-Kommission eingeschaltet. Sie forderte "die sofortige Aufnahme aller geretteten Menschen, die sich an Bord der Ocean Viking befinden, am nächstgelegenen sicheren Ort". ... Quelle: Zeit )
Im Netz fand ich eine Zusammenfassung der Vorgänge mit zahlreichen Aussagen, die ich hier zitiere:
Seenotrettung im Mittelmeer: Meloni in der Kritik
Von: Eleonora Vasques | EURACTIV.com
Die italienische Regierung argumentiert, dass die Staaten, unter deren Flagge die NGOs Flüchtlinge im Mittelmeer retten, für deren Aufnahme verantwortlich seien. Sowohl Experten als auch andere europäische Staaten halten diese Argumentation allerdings für wenig tragfähig.
Die neue italienische Regierung unter Giorgia Meloni hat Migranten tagelang daran gehindert, von den Schiffen der NGOs an Land zu gehen – eine Wiederholung der Taktik, die der frühere Innenminister Matteo Salvini 2018 angewandt hatte -, während sie gleichzeitig denjenigen, die von den italienischen Behörden als „schutzbedürftig“ eingestuft wurden, die selektive Ausschiffung erlaubte.
Während Frauen, Kinder und gesundheitlich angeschlagene Personen von Bord gehen durften, wurde dies den anderen Personen an Bord verwehrt. Die NGOs, die die Schiffe betrieben, riefen die italienische Regierung dazu auf, auch diese Personen aufzunehmen. Denn einige waren aufgrund der prekären Lage in Hungerstreik gegangen. Andere sprangen in ihrer Verzweiflung von den Booten ins Wasser.
Am Dienstag (8. November) wurden schließlich alle Migranten von Bord gebracht.
In der letzten Woche sind vier Boote mit fast tausend Migranten an Bord an Italiens Küsten angekommen. Der italienische Innenminister Matteo Piantedosi erklärte: „Sie müssen außerhalb der Hoheitsgewässer zurückkehren, und der Flaggenstaat muss sich um sie kümmern.“
Diese Rettungsschiffe sind im Besitz privater NGOs und die auf dem Schiff gezeigte Nationalflagge repräsentiert das Land, in dem sie offiziell registriert sind, obwohl sie im Mittelmeer operieren und nicht das Herkunftsland repräsentieren.
Das Argument von Piantedosi wird jedoch von UN-Agenturen sowie von Migrations- und Menschenrechtsexpert:innen angezweifelt.
Sobald die Schiffe in italienische Gewässer gelangen, käme jede Rückkehr in internationale Gewässer „einer kollektiven Ausweisung gleich“, sagte Judith Sunderland von Human Rights Watch gegenüber EURACTIV.
Piantedosi sagte auf einer Pressekonferenz am Freitag (4. November), dass das Land, dessen Flagge das Migranten-Rettungsschiff ziert, für deren Umsiedlung in dieses Land und die anschließende Weiterreise verantwortlich sei, aber nicht alle stimmen dem zu.
„Trotz der Behauptungen der italienischen Regierung, dass die Flaggenstaaten der NGO-Schiffe für die schiffbrüchigen Migranten verantwortlich sein sollten, unterliegen sie, solange sie sich in den italienischen Gewässern befinden, der italienischen Gerichtsbarkeit“, sagte Völkerrechtler und UN-Experte im italienischen Innenministerium, Francesco Negozio, gegenüber EURACTIV.
„Nach dem Seerecht ist eine Rettungsaktion beendet, wenn alle geretteten Personen an einem sicheren Ort von Bord gegangen sind“, sagte Judith Sunderland und merkte an, dass eine teilweise Ausschiffung nicht als Abschluss der Mission gelten würde.
Sie stellt auch die Gefährdungsbeurteilungen und die Dauer des Aufenthalts der Migranten:innen auf dem Schiff infrage: „Ein Schiff ist kein sicherer Ort, es sei denn für einen sehr kurzen Zeitraum, und es ist nicht der Ort, an dem echte Bewertungen der Gefährdung von Menschen oder deren Asylanträge in Betracht gezogen werden können“, fügte sie hinzu.
Italien fordert Umverteilung von neu angekommenen Geflüchteten
Fast ein Tausend Migrant:innen sitzen auf Schiffen vor der italienischen Küste fest, allerdings hat die Regierung bisher nur Frauen und Kinder an Land gelassen. Derweil fordert Italien Unterstützung und will die Flüchtlinge auf die EU verteilen. ...
Unerhörte Umsiedlung
Während sich die italienische Regierung weiter verschanzt, wächst das internationale Interesse und die Forderung nach einer Umverteilung der Migrant:innen in andere EU-Staaten.
Der französische Innenminister Gérald Darmanin erklärte am Freitag (4. November) gegenüber dem französischen Radiosender RMC-BFMTV: „Wenn dieses Rettungsschiff [Ocean Viking] aufgenommen wird, werden wir einen Teil der Migranten, Frauen und Kinder, aufnehmen, damit Italien nicht die Verantwortung für alle allein übernehmen muss.“
In ähnlicher Manier argumentierte auch der norwegische Botschafter in Rom, Johan Vibe. Gegenüber Reuters erklärte er letzte Woche, dass es „keine Verantwortung im Rahmen der Menschenrechtskonventionen oder des Seerechts für Personen gibt, die an Bord von Schiffen privater oder nichtstaatlicher Organisationen unter norwegischer Flagge im Mittelmeer eingeschifft werden.“
Die Ocean Viking und die Geo Barents gehören zu den in den Fall verwickelten Rettungsschiffen und sind beide in Norwegen registriert.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban gratulierte am Sonntag (6. November) der neuen italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni auf Twitter zum Schutz der „Grenzen Europas.“
Der ungarische Regierungschef hat jedoch nicht auf Melonis Umsiedlungsanfrage geantwortet.
Als Salvini vor vier Jahren die Anlandung von Booten verhinderte, „verhandelte eine kleine Anzahl von EU-Mitgliedsstaaten auf einer Schiff-für-Schiff-Basis über die Umsiedlung der geretteten Migranten“, sagte Lucas Rasche, ein Migrationsexperte am Jacques Delors Centre, gegenüber EURACTIV.
„Dies war jedoch sehr ineffizient, da nur 4 Prozent der Gesamtzahl der Ankommenden tatsächlich von Italien in andere EU-Länder gebracht wurden“, fügte er hinzu.
Nach Untersuchungen des Italienischen Instituts für Internationale Politische Studien (ISPI) wurden weniger als 2 Prozent der Migranten, die zwischen Oktober 2019 und Mai 2021 ankamen, in andere EU-Länder umgesiedelt, während die Ankünfte weiter ansteigen.
EU und internationale Akteure
Die Umsiedelung ist einer der heikelsten Punkte des Migrations- und Asyl-Pakts – einer der größten EU-Rechtsvorschriften im Bereich der Migration – über den derzeit verhandelt wird und der nach Ansicht der EU-Institutionen noch vor den Europawahlen 2024 verabschiedet werden soll.
Die Europäische Kommission hat zwar „die Ausschiffung von schutzbedürftigen Personen“ begrüßt, erklärte jedoch, dass sie „nicht für die Operation verantwortlich“ sei. Sie wies darauf hin, dass „es die Pflicht der Mitgliedsstaaten ist, Leben zu retten und sicherzustellen, dass sie ihrer rechtlichen Verpflichtung nachkommen.“
Die UN-Organisationen UNHCR und OIM haben jedoch eine wesentlich härtere Gangart eingeschlagen und am Dienstag (8. November) die sofortige Ausschiffung gefordert.
Nicht das Erste Mal
Im Jahr 2018 blockierte Salvini die Ausschiffung von Migrant:innen von verschiedenen Rettungsschiffen und im April 2021 stand er vor Gericht, weil er die Landung von Asylbewerber:innen, die 2019 von der spanischen NGO Open Arms gerettet worden waren, in Lampedusa verweigert hatte, wegen Entführung und Fahrlässigkeit.
„Salvini verweigerte regelmäßig NGO-Schiffen mit aus dem Meer geretteten Migranten an Bord die Einfahrt in italienische Häfen und nutzte diese künstlich erzeugten Krisen, um einwanderungsfeindliche Stimmungen in der italienischen Wählerschaft zu schüren“, so Rasche.
Das Verfahren läuft noch, während Salvini derzeit als stellvertretender Premierminister und Infrastrukturminister tätig ist.
[Bearbeitet von Alice Taylor und Benjamin Fox]