Statt Ankerzentren: Aufruf für eine zukunftsorientierte Erstaufnahme

29.07.2021 Drei Jahre AnkER-Zentren bedeuten drei Jahre Isolation und Ausgrenzung von Asylsuchenden, stellt ProAsyl fest. Gemeinsam mit Diakonie Deutschland, Deutschem Caritasverband, Paritätischem Gesamtverband und Arbeiterwohlfahrt Bundesverband startete Pro Asyl dagegen nun den Aufruf

Isolation beenden – das Ankommen fördern – faire Asylverfahren sicherstellen
Aufruf für eine zukunftsorientierte Erstaufnahme von Asylsuchenden in Deutschland

dem sich bereits viele Organisationen angeschlossen haben. Hier der Wortlaut:

Seit August 2018 wurden für die Aufnahme von Flüchtlingen so genannte Ankunfts-, Entscheidungs- und Rückkehr-Zentren (kurz: „AnkER-Zentren“) und vergleichbare
Einrichtungen geschaffen. Die Aufnahme von Flüchtlingen wird damit von Beginn an
mit Blick auf eine mögliche Ausreise oder Abschiebung organisiert. Die Zeit, in der
Asylsuchende in Landeseinrichtungen verbleiben müssen, wurde deutlich verlängert:
Asylsuchende verbringen nunmehr bis zu 18 Monate, teilweise sogar mehrere Jahre,
in häufig abgelegenen Erstaufnahmeeinrichtungen der Bundesländer, Familien bis zu
sechs Monate.
Statt in unseren Kommunen gut anzukommen und sich einzufinden, leben viele der
geflüchteten Menschen gesellschaftlich isoliert und ohne Privatsphäre in
Massenunterkünften. Eigeninitiative und Selbsthilfe sind enge Grenzen gesetzt.
AnkER-Zentren führen vielfach zu Isolation, Entrechtung und Ausgrenzung. Durch die
Zeit in den AnkER-Zentren verlieren geflüchtete Menschen wertvolle Zeit für ihr
Ankommen und ihre Integration. Die Unterbringung erschwert den Kontakt zu
Ehrenamtlichen, Beratungsstellen und Rechtsanwält*innen, wodurch sie ihre Rechte
zum Teil nur eingeschränkt wahrnehmen können. In AnkER-Zentren untergebrachte
Menschen unterliegen neun Monate lang einem Arbeitsverbot und haben nur
eingeschränkten Zugang zu Bildungsangeboten. Die Konfrontation der Asylsuchenden
noch während des laufenden Asylverfahrens mit dem Thema Rückkehr löst
Verunsicherung und Angst aus. Das Aufnahmeverfahren und die Bedingungen in
AnkER-Zentren verletzen damit die Würde und die Rechte der Menschen,
insbesondere von Kindern und Jugendlichen und anderen besonders
Schutzbedürftigen. Zudem besteht die Gefahr, dass große Zentren für geflüchtete
Menschen in der Bevölkerung zu Ablehnung führen und aus rassistischen Motiven
instrumentalisiert werden.
Die mit den AnkER-Zentren verbundenen Ziele der Bundesregierung wie z.B. eine
Beschleunigung der Asylverfahren oder der Aufenthaltsbeendigung wurden laut
Evaluation des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nicht erreicht, das Konzept
ist gescheitert.

Deshalb fordern wir:

  1. Die Abschaffung von AnkER-Zentren und ähnlich konzipierten Einrichtungen sowie die gesetzliche Begrenzung der Zeit in einer Erstaufnahmeeinrichtung auf wenige Wochen, maximal drei Monate.
  2. Wir wollen Erstaufnahmeeinrichtungen, die das Ankommen der Menschen in den Mittelpunkt stellen und sie bestmöglich auf das Asylverfahren und den Aufenthalt in Deutschland vorbereiten.

Dies beinhaltet:

  • Systematische Identifizierung von vulnerablen Personen und ihrer Bedarfe, Umsetzung der daraus folgenden Garantien im Asylverfahren und sozialrechtlichen Ansprüche;
  • Gewährleistung eines fairen Asylverfahrens; Sicherstellung einer erreichbaren,behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung für die gesamte Verfahrensdauer; Zugang von ehrenamtlichen Initiativen und hauptamtlichen Beratenden;
  • Krankenbehandlung im Rahmen der notwendigen medizinischen Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen;
  • Kostenfreie Bereitstellung von Dolmetscherleistungen;
  • Möglichst wohnungsähnliche Unterbringung unter Wahrung der Privatsphäre; effektiven Schutz vor Gewalt; Möglichkeiten zur eigenständigen Organisation des Alltags und Abschaffung des Arbeitsverbotes;
  • Sozialleistungen, die das gesetzlich festgelegte Existenzminimum zur Führung eines menschenwürdigen Lebens nicht unterschreiten, ohne entmündigende Elemente wie die Sachleistungsversorgung;
  • Berücksichtigung der Wünsche der Betroffenen bezüglich des künftigen Wohnorts; Unterstützung bei der Suche nach spezifischen Beratungsstellen und Behandlungseinrichtungen an einem künftigen Wohnort;
  • Integration und soziale Teilhabe von Anfang an.

Isolation beenden – das Ankommen fördern – faire Asylverfahren sicherstellen
Wir stehen für die Rechte von geflüchteten Menschen, für ihren Schutz und ihre
schnelle und umfassende Teilhabe an der Gesellschaft. Eine Unterbringungsform, die
die Menschenwürde verletzt, zur Isolation führt und vor allen Dingen auf Abschiebung
orientiert ist, ist ein Irrweg und schadet uns allen. Gemeinsam können wir eine gute
Erstaufnahme umsetzen! Der neue Bundestag muss hierfür die gesetzlichen
Voraussetzungen und förderliche Rahmenbedingungen schaffen. "