21.03.2024 Das Eingehen auf populistische Forderungen bringt keineswegs den erwarteten Erfolg. Das erweist jetzt eine Studie des DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) bezüglich Einsparungsmöglichkeiten bei der Gesundheitsversorgung Geflüchter. Nach den von Merz provokant angestoßenenen Forderungen ("Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine") wurde die Dauer eingeschränkter Gesundheitsleistungen auf 3 Jahre verdoppelt. Erst danach gelangen Geflüchtete in die reguläre Gesundheitsversorgung.
Eingeschränkte Gesundheitsversorgung belastet die Geflüchteten und langfristig auch die Gesellschaft, stellt die Studie fest.
Hoffnungen, dass durch die Gesetzesänderungen Kosten eingespart werden, findet Studienautorin Louise Biddle kurzsichtig: „Wir wissen aus anderen Studien: Werden Gesundheitsprobleme erst adressiert, wenn dies unerlässlich ist oder es sich um einen Notfall handelt, ist es meist teurer als eine frühzeitige Behandlung. Die Gesundheitsversorgung von Geflüchteten einzuschränken, wird die Kosten für Länder und Kommunen also nicht senken.“
Kosten könnten eher mit der Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte (eGK) für Geflüchtete gespart werden. Die eGK ist bisher nur in sechs Bundesländern eingeführt worden; in den anderen müssen Geflüchtete vor einem Arztbesuch einen Behandlungsschein beim Sozialamt beantragen. „Dies führt zu einem hohen Verwaltungsaufwand, verzögert die Behandlung und wird von Patient*innen und Ärzt*innen als belastend empfunden“, erklärt Louise Biddle. Hamburg kann beispielsweise durch die eGK in der Verwaltung jährlich rund 1,6 Millionen Euro einsparen.
Der Spiegel brachte dazu folgenden Beitrag:
- Spiegel 20.03.2024 Eingeschränkte Gesundheitsleistungen für Asylbewerber sparen keine Gesundheitskosten
CDU-Chef Merz hatte Migranten vorgeworfen, das deutsche Gesundheitssystem auszunutzen. Durch die verlängerte Wartezeit erhoffte sich die Union Einsparungen »im dreistelligen Millionenbereich«. Doch die Maßnahme blieb ohne Erfolg.
Die im vergangenen Jahr vorgenommene Änderung im Asylbewerberleistungsgesetz sollte Kosten für Länder und Kommunen senken – anscheinend ohne Erfolg: Die von 18 auf bis zu 36 Monate verlängerte Wartezeit von Asylbewerbern auf volle Gesundheitsleistungen wird nach Einschätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) nicht zu Einsparungen führen. Die Gesetzesänderung dürfte für Geflüchtete die tatsächliche Wartezeit auf eine reguläre Gesundheitsversorgung zwar von gut einem Jahr auf knapp zwei Jahre fast verdoppeln, heißt es in einer veröffentlichten DIW-Studie.
»Werden Gesundheitsprobleme erst adressiert, wenn dies unerlässlich ist oder es sich um einen Notfall handelt, ist es meist teurer als eine frühzeitige Behandlung«, erklärte Studienautorin Louise Biddle. »Die Gesundheitsversorgung von Geflüchteten einzuschränken, wird die Kosten für Länder und Kommunen also nicht senken.«
Das Asylbewerberleistungsgesetz war Ende Februar geändert worden. Geflüchtete erhalten während des Asylverfahrens bis zu drei Jahre nur eingeschränkte Gesundheitsleistungen. Darauf hatten sich Bund und Länder im November 2023 verständigt. Dies gilt etwa für die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzen oder auch zur Versorgung schwangerer Frauen. Weitere Leistungen liegen im Ermessen der Ärzte und Sozialämter.
Union versprach sich erhebliche Einsparungen
In Berechnungen für einen Gesetzentwurf der oppositionellen Unionsfraktion war laut DIW die Rede von Einsparungen »im dreistelligen Millionenbereich« durch die Verlängerung der Wartezeit. CDU-Parteichef Friedrich Merz hatte voriges Jahr in einer Talkshow Migranten vorgeworfen, das deutsche Gesundheitssystem auszunutzen. Sie kämen nach Deutschland, um sich hier »die Zähne machen« zu lassen.
Merz hatte mit seiner Äußerung zur Asylpolitik Empörung ausgelöst. Auch in der eigenen Partei wurde Unmut laut: »Die Entgleisungen von Merz sind mit dem christlichen Menschenbild nicht vereinbar. Viele CDU-Mitglieder schämen sich für ihren Parteivorsitzenden«, sagte etwa Christian Bäumler, Vizechef des CDU-Sozialflügels. Er warf Merz vor, die Christdemokraten mit seinen kontroversen Aussagen zu spalten. Merz selbst hatte die Kritik als »Schnappatmung« abgetan.
Kosten eingespart werden könnten laut DIW-Studie eher durch die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte, die es für Geflüchtete bisher in sechs Bundesländern gebe. In anderen Ländern müssten Geflüchtete vor einem Arztbesuch einen Behandlungsschein beim Sozialamt beantragen. Dadurch entstehe jedoch ein hoher Verwaltungsaufwand, der nicht nur die Behandlung verzögere, sondern von Patienten und Ärzten als belastend empfunden werde, so Biddle.
Hamburg etwa könne durch die elektronische Karte in der Verwaltung jährlich etwa 1,6 Millionen Euro sparen. Andere Länder sollten nachziehen, auch um den Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erleichtern.