Studie zur Bezahlkarte: Schreckt nicht ab

07.03.2024 Mit der Annahme, die Bargeldzahlung von maximal 460 Euro je Monat an alleinstehende Asylbewerber würde einen Pullfaktor darstellen und diesen sogar die Überweisung von Geldern ins Herkunftsland ermöglichen, war die Einführung der Bezahlkarte begründet worden. Es dürfte auch Politiker*innen mittlerweile klar geworden sein, dass dies nicht der Fall ist. Einmal abgesehen davon, dass die massiv gestiegenen Lebensmittelpreise natürlich auch Schutzsuchende betreffen, die immer schlechter mit dem nicht ebenfalls gestiegenen monatlichen Betrag auskommen und oft auf die "Tafeln" angewiesen sind. Das belegen jetzt auch Zahlen einer Studie, die in Senegal, einem wesentlichen Herkunftsland von Migrant*innen, vorgenommen wurde. Dort befragte das Leibnizinstitut für Wirtschaftsforschung (RWI) knapp 1000 Männer zwischen 18 und 40 Jahren, welche der in Deutschland als abschreckend geplante Maßnahmen den abschreckenden Effekt tatsächlich haben.

Ein alleinstehender Asylbewerber hat nach dem Asylbewerberleistungsgesetz einen Anspruch auf maximal 460 Euro pro Monat. Beim Bürgergeld beträgt der Satz für einen alleinstehenden Erwachsenen 563 Euro im Monat.

Auch der Mediendienst Integration stellte dieser Tage fest und klar, dass Geflüchtete nur in sehr geringem Umfang Geld in die Herkunftsländer überweisen, und wenn, dann nicht wie unterstellt an Schleuser, sondern an Familienmitglieder, die in äußerster Armut leben. ... keine Art "Pull-Faktor". Es kann auch genau das Gegenteil passieren: Rücküberweisungen können Migration verhindern.

Auch dazu unten ein Bericht.

Die geplante Bezahlkarte für Asylsuchende in Deutschland wird laut einer Untersuchung des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) keine großen Auswirkungen auf die Migrationsabsicht von Menschen aus dem Senegal haben. Die am Mittwoch veröffentlichte RWI-Studie untersucht die Wirkung einzelner Maßnahmen des Bund-Länder-Beschlusses aus dem November 2023 auf die Pläne potenzieller Migranten aus dem westafrikanischen Land.

Den Ergebnissen zufolge werden Asylleistungen selten als Grund für die Wahl eines Einwanderungslands angegeben. Nur rund ein Zehntel (elf Prozent) der Befragten hätten diese als wichtigen Faktor benannt. Gründe wie Arbeitsmöglichkeiten (41 Prozent) und der Anzahl der Senegalesen (46 Prozent) oder anderer Migranten im Zielland (24 Prozent) spielten eine deutlich größere Rolle. Die RWI-Wissenschaftlerin Maximiliane Sievert erklärte, es habe keine Wirkung der Bezahlkarte auf Migrationsabsichten gemessen werden können.

Von den verschiedenen abgefragten Maßnahmen reduziere nur die Verlagerung des Asylverfahrens in ein außereuropäisches Land wie Ruanda oder Tunesien die Absicht zur irregulären Migration deutlich, hieß es. Laut RWI-Untersuchung senke ein solches Szenario die irreguläre Migrationsabsicht der Befragten im Senegal von 3,8 auf 2,7 auf einer Skala von null („nicht interessiert“) bis zehn („sehr interessiert“). Sievert, die am RWI den Kompetenzbereich „Klimawandel und Entwicklung“ leitet, betonte: „Solche Lösungen werfen allerdings grundlegende politische und normative Fragen auf.“ Darauf müssten dringend Antworten gefunden werden.

Die Ergebnisse basieren auf einer Befragung mit knapp 1.000 Männern im Alter von 18 bis 40 Jahren in vier senegalesischen Städten zwischen dem 26. November und 6. Dezember 2023. Senegal sei eines der afrikanischen Länder, in denen irreguläre Ausreisen mit Ziel Europa im vergangenen Jahr besonders stark angestiegen seien, erklärte das RWI. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nehmen an, dass sie zur Gruppe der potenziellen Migranten zählen, die durch die deutschen Maßnahmen abgeschreckt werden sollen.

 

29.02.2024 Bund und Länder wollen stärker kontrollieren, ob Geflüchtete Teile ihrer Sozialleistungen ins Ausland überweisen. Dafür führen sie Bezahlkarten ein. Das könnte aber auch das Gegenteil bewirken, warnt der „Remittances“-Experte Prof. Matthias Lücke im Interview.

Mediendienst: Herr Lücke, aktuell wird an einer Bezahlkarte für Asylbewerber*innen gearbeitet. So sollen Geflüchtete kein Geld mehr ins Ausland überweisen können. Kann das funktionieren?

Prof. Dr. Matthias Lücke: Das ist eine Symbol-Debatte. Die Bezahlkarte ist ein einfaches Bild für die Politik, um zu sagen: Seht her, wir tun etwas! Aber sie wird niemand davon abhalten, Geld nach Hause zu schicken.

Warum?

Wer Geld schicken möchte, kann die Einschränkungen leicht umgehen: Man kann zum Beispiel für einen Freund einkaufen und sich dann von ihm Bargeld auszahlen lassen. Ich sehe nicht, was eine Bezahlkarte daran ändern könnte.

Solange Geflüchtete von Sozialleistungen leben, haben sie außerdem nur wenig Geld, das sie überweisen können. Von 460 Euro im Monat Sozialhilfe bleibt am Monatsende nicht viel übrig. Wer Geld ins Ausland überweist, sind eher Migrant*innen, die hier arbeiten und Geld verdienen. Sie dürfen natürlich weiter ihr Geld überweisen.

Also schicken Geflüchtete gar kein Geld ins Ausland?

Doch. Aber es ist vermutlich sehr viel weniger als man angesichts der Debatte glauben mag. In Asylherkunftsländer geht nur ein Bruchteil der Rücküberweisungen, nämlich um die 10 Prozent.

Ein Großteil dürfte stattdessen von Arbeits-Migrant*innen stammen, die genug verdienen, um einen Teil ihres Lohns nach Hause zu schicken. Dreiviertel aller Rücküberweisungen, nämlich mehr als 5 Milliarden Euro, gingen letztes Jahr in Länder in Europa – aus denen nicht sehr viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen.

Warum sind Rücküberweisungen eigentlich ein Problem?

Ich sehe sie nicht als Problem. Auch hier finde ich die deutsche Debatte schräg. Es heißt immer, wenn Geflüchtete Geld nach Hause überweisen, könne das dazu führen, dass mehr Geflüchtete kämen – also eine Art "Pull-Faktor". Es kann auch genau das Gegenteil passieren: Rücküberweisungen können Migration verhindern.

Wieso können Überweisungen Migration verhindern?

Aus Sicht der Migrationsforschung haben Rücküberweisungen meist positive Effekte: Die Empfänger-Haushalte in armen Ländern haben eine bessere Ernährung, können sich eher medizinische Behandlungen leisten oder ihre Kinder zur Schule schicken. Rücküberweisungen, oder englisch "remittances" reduzieren die Armut für diese Menschen deutlich. Gerade wer in Deutschland sparsam von Sozialleistungen lebt, schickt vermutlich nur Geld an Familienmitglieder, denen es wirklich schlecht geht....

 

07.03.2024 Die Bezahlkarte für Geflüchtete soll verhindern, dass kein Geld in die Heimatländer oder an Schleuser überwiesen wird. Die Karten sollen überall einsetzbar sein, jedoch nicht im Ausland. Aber sind Überweisungen von Asylbewerbern tatsächlich ein großes Problem?

Bezahlkarte soll Rücküberweisungen unterbinden

Im Jahr 2023 flossen nach Schätzungen der Bundesbank etwa 6,8 Milliarden Euro als Rücküberweisungen ins Ausland. Im Vergleich zum Vorjahr betrug die Summe 7,1 Milliarden und ging dementsprechend leicht zurück. Einen Rückgang gab es im vergangenen Jahr bei den Rücküberweisungen in Asylherkunftsländer. Der Rückgang betrug etwa 10 bis 15 Prozent je nach Land. In diese Länder fließen schätzungsweise rund 12 Prozent aller Rücküberweisungen, schreibt der Mediendienst Integration.

Rücküberweisungen ein Problem? So viel Geld schicken Geflüchtete offenbar in die Heimat

Zusammen mit den Rücküberweisungen machen die Gesamttransfers aus Deutschland laut Bundesbank mehr als 22,4 Milliarden Euro aus. Laut der Weltbank lagen sie im Jahr 2022 bei etwa 25 Milliarden Dollar. Der Großteil des Geldes, 75 Prozent, wird laut der Wirtschaftswoche innerhalb Europas überwiesen. Die höchste Summe mit 834 Millionen Euro geht offenbar in die Türkei, 604 Millionen nach Rumänien und 534 Millionen nach Polen. Im Zuge des Ukraine-Kriegs stiegen die Rücküberweisungen in die Ukraine. Dorthin wurden schätzungsweise 451 Millionen Euro überwiesen.

Dilip Ratha, Chefökonom und Berater bei der Weltbank, schätzt, dass Asylbewerbende 80 bis 90 Prozent ihres Geldes in Deutschland ausgeben. Auch wenn nur ein kleiner Teil in die Heimat geschickt werde, könnten diese Löhne viel bewirken. Außerdem würde diejenigen, die wirklich kommen, um Geld nach Hause zu schicken, trotz Einschränkungen einen Weg finden, das weiter zu tun, sagte Ratha gegenüber der Wirtschaftswoche.

Lindner will Überweisungen in Heimatländer unterbinden

In der Debatte um die Flüchtlingspolitik stehen Rücküberweisungen schon länger im Fokus. So hatte auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) zum Ziel gesetzt, Rücküberweisungen zu stoppen. „Als Finanzminister lasse ich meine Fachleute prüfen, wie wir blockieren können, dass von Sozialleistungen Geld in Herkunftsländer überwiesen wird“, sagte Lindner im Jahr 2023. Deutschland müsse „die Attraktivität unseres Sozialstaats reduzieren“, sagte Lindner in einem Interview mit t-online. Geldüberweisung in Heimatstaaten Geflüchteter könnten auch „eine Finanzierungsquelle der Schlepperkriminalität sein.“