03.03.2016 Flüchtlinge protestieren gegen Unterbringung in Turnhalle
Über eine Protestaktion von Flüchtlingen berichtete der Bonner GeneralAnzeiger am 2. März 2016. 20 von insgesamt 100 Männern weigerten sich, das ihnen zugewiesene Quartier in der Turnhalle in der Ellerstraße anzunehmen und campierten bei Regen, Wind und Kälte auf dem Bürgersteig. Sie alle gehörten zu den 340 Menschen, die aus Haus 6 der Ermekeilkaserne ausziehen mussten, weil das BAMF gerade dort ein Ankunfts- und Entscheidungszentrum einrichten will (Bonner GeneralAnzeiger am 1. März 2016).
Um die Protestierenden anzuhören, fuhr ich mit einem Begleiter noch am Vormittag in die Ellerstraße. Nach unserer Ankunft und der Anmeldung meines Gesprächswunsches an der Pforte kamen einige Männer aus dem Eingangsbereich zu uns heraus auf den Gehweg. Das Gespräch mit ihnen wurde ermöglicht durch einen jungen Mann, der mit seinen guten Deutschkenntnissen Fragen und Antworten übersetzte. Ich erfuhr:
Einer von ihnen, aus Syrien kommend, besitzt seit gestern ein Attest, dem zufolge seine schwere Diabetes die Unterbringung in einem Zimmer mit einigen wenigen Mitbewohnern gebietet. Ein weiterer Mann muss wegen einer Rückgratverletzung ein Stützkorsett tragen, das er uns zeigt. Ein junger Mann aus Somalia berichtet, dass er seit einem Jahr in Deutschland ist und nun schon zum 4. Mal innerhalb von Bonn umziehen musste. Ein Syrer sagte: „Ich komme aus dem Krieg in Syrien hierher in einen psychischen Krieg.“ Einige der Männer berichten, dass sie aus Protest seit Montag nicht mehr gegessen haben. Es sind Männer aus Syrien, Eritrea, Somalia, Ghana, Libanon (eine Gruppe von 20 Iranern wurde bereits wieder anderswohin gebracht).
Was sie sich wünschen, frage ich. Die Antwort der vor Kälte Zitternden, die zum Teil viel zu leicht bekleidet sind: Ein Gespräch mit Verantwortlichen der Stadtverwaltung, um Lösungen zu finden. Konkret: ein Zimmer jeweils für 3 bis 5 Personen, statt weiter in der Turnhalle schlafen zu müssen. Sonst wollen sie nichts, keine Sachspenden, und auch die Annahme eines Geldscheines, den ich ihnen anbiete, lehnen sie ab. Wollen sie Unterstützung in ihrem Protest, zum Beispiel durch eine Solidaritätskundgebung? Nein, es seien schon einige solidarisch Interessierte zu ihnen gekommen und haben mit ihnen gesprochen. Aber eine Kundgebung wollen sie keinesfalls, auch aus Rücksicht auf die Nachbarn in der ruhigen Wohnstraße, die sie nicht verärgern wollen.
Im Anschluss an das Gespräch höre ich mir auch den für die Turnhalle zuständigen DRK-Mitarbeiter an. Er, der für insgesamt 6 Turnhallen-Unterkünfte verantwortlich ist, gibt zu bedenken, dass die Protestierenden das Leid der belastenden Massenunterkunft mit vielen anderen teilen müssen. In den Turnhallen gibt es auch viele Stille, Schwache, 200 Kinder und Mütter, darunter ein Neugeborenes und schwer Traumatisierte. Deren Situation belastet ihn sehr.
Ich sehe nun den Zwiespalt: Vorrang für die 20 Protestierenden? Vorrang für Kinder, Familien, Traumatisierte? Wir alle wissen, dass Turnhallen nicht geeignet sind für die Unterbringung vieler Menschen. Und auch der Zuweisungsstopp bis Ostern ist keine Lösung, sondern nur eine kleine Atempause.
Was es braucht, ist Mut bei Politik und Verwaltung (nicht nur in Bonn!), nachhaltige echte Lösungen schnell (schneller!!) auf den Weg zu bringen. Bauen, bauen, bauen für alle Bedürftigen gleich welcher Herkunft.
Grundsätzlich muss die Stadt Bonn weiterhin ihre Bemühungen für eine menschenwürdige Unterbringung weiter verstärken. Die Wohnsituation ALLER Geflüchteten muss verbessert werden!
Denn wie soll auch die geforderte Integration gelingen, wenn die Menschen immer weiter kurzfristig von einer Bleibe in eine andere geschoben werden (müssen), oder dauerhaft unter prekären Bedingungen leben?
Empörend bei dem ganzen Vorgang, der zur Protestaktion führte, ist nicht das Verhalten der Stadtverwaltung oder der Betreiber der Unterkünfte.
Nein, es ist das rücksichtslose Beharren des BAMF auf Nutzung gerade des für Wohnzwecke hergerichteten Gebäudes. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das bereits wegen überlanger Bearbeitungszeiten die Schutzsuchenden zu monate- oder gar jahrelangem Warten zwingt und deshalb einen denkbar schlechten Ruf genießt, verschlechtert diesen neuerlich. Die Losung des BAMF lautet: „Den Menschen im Blick. Schützen. Integrieren.“ Ich erwarte, dass dies endlich von der Behörde selbst ernst genommen und umgesetzt wird.
Susanne Rohde, 2. 3. 2016