Überblick über Pläne zum Chancen-Aufenthaltsrecht

01.09.2022 Aus den News von Pro Asyl:

FAQ: Fragen und Antworten zum Chancen-Aufenthaltsrecht

Etwa 135.000 Menschen in Deutschland könnten vom geplanten Chancen-Aufenthaltsrecht profitieren und aus den Kettenduldungen herauskommen. Noch diskutieren die Politiker*innen über dieses Aufenthaltsrecht auf Probe. Einiges ist schon klar, anderes noch nicht. PRO ASYL beantwortet wichtige Fragen.

Ab wann gilt das neue Chancen-Aufenthaltsrecht?

Das ist noch nicht klar. Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf Anfang Juli 2022 beschlossen, nun muss die Angelegenheit nach der Sommerpause, voraussichtlich ab Oktober, vom Bundestag diskutiert und beschlossen werden. Dabei können die Parlamentarier*innen auch noch Änderungen einbringen und beschließen. Gelten wird das Chancen-Aufenthaltsrecht dann voraussichtlich etwa ab Dezember 2022.

Steht der Inhalt des neuen Chancen-Aufenthaltsrechts schon fest?

Zu großen Teilen ja. Aber es ist dennoch nur ein Entwurf, den die Bundesregierung Anfang Juli 2022 beschlossen hat, die Mitglieder des Bundestags können noch Änderungen festlegen.

PRO ASYL setzt sich zum Beispiel dafür ein, dass das Chancen-Aufenthaltsrecht nicht nur ab einem bestimmten Stichtag gilt, sondern langfristig, sodass auch in Zukunft Menschen, die die Bedingungen erfüllen, ein Chancen-Aufenthaltsrecht erhalten können. Zumindest sollte aber der Stichtag vom 1. Januar 2022, wie er im Entwurf genannt wird, auf den Tag verschoben werden, an dem das Gesetz in Kraft tritt.

Zudem fordert PRO ASYL, dass – wie bereits im Koalitionsvertrag vorgesehen – die Betroffenen ihre Identität und Staatsangehörigkeit mit einer eidesstattlichen Versicherung nachweisen können. Denn am Nachweis anhand eines Reisepasses werden voraussichtlich viele, die noch vom Chancen-Aufenthaltsrecht zu profitieren vermögen, im Anschluss bei dem Übergang in ein dauerhaftes Bleiberecht scheitern.

Was ist der Zweck des Chancen-Aufenthaltsrechts?

Laut Koalitionsvertrag soll das Chancen-Aufenthaltsrecht der bisherigen Praxis der Kettenduldungen entgegengesetzt werden. Menschen, die bis zum 1. Januar 2022 nur den unsicheren Status der Duldung hatten (Abschiebungen sind in diesem Status nur ausgesetzt, die Betroffenen bleiben ausreisepflichtig) sollen ein einjähriges Aufenthaltsrecht auf Probe erhalten, das als Brücke in ein längerfristiges Bleiberecht dienen soll.

135.000 Menschen könnten vom Chancen-Aufenthaltsrecht profitieren

Grundsätzlich ist das Chancen-Aufenthaltsrecht aus Sicht von PRO ASYL ein guter Ansatz. Es bedeutet, dass circa 135.000 Menschen, die seit vielen Jahren in Unsicherheit in Deutschland leben, in vielen Bereichen benachteiligt sind und fürchten müssen, abgeschoben zu werden, potentiell die Möglichkeit erhalten, ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland zu bekommen.

Fraglich sind aber zwei Dinge: Können alle diese Menschen tatsächlich die Voraussetzungen für das Chancen-Aufenthaltsrecht erfüllen? Und gelingt es ihnen dann in diesem Jahr tatsächlich, die Anforderungen für eine der dauerhaften Bleiberechtsregelungen vorweisen zu können, insbesondere die Lebensunterhaltssicherung und einen Nachweis über Identität und Staatsangehörigkeit?

Welche Voraussetzungen müssen für das Chancen-Aufenthaltsrecht erfüllt werden?

Laut Regierungsentwurf gehören zu den Voraussetzungen unter anderem ein fünfjähriger ununterbrochener Aufenthalt im Bundesgebiet mit Duldung, Gestattung oder Aufenthaltserlaubnis und ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Auch Zeiten mit einer Duldung light werden bei diesen fünf Jahren angerechnet. Die genaue Ausgestaltung dieser Voraussetzungen steht noch nicht fest. Sobald die Bedingungen feststehen, wird PRO ASYL Beratungshinweise veröffentlichen.

Laut Regierungsentwurf gehören zu den Voraussetzungen unter anderem ein fünfjähriger ununterbrochener Aufenthalt im Bundesgebiet mit Duldung, Gestattung oder Aufenthaltserlaubnis und ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Nicht nötig sind die Sicherung des Lebensunterhalts, ein Pass sowie eine nachgewiesene Identität oder Staatsangehörigkeit und Sprachkenntnisse. Im Gegenteil soll das Chancen-Aufenthaltsrecht gerade dazu dienen, Menschen, die diese Voraussetzungen bislang nicht erfüllen konnten, die Möglichkeit zu geben, sie während der einjährigen Dauer des Chancen-Aufenthaltsrechts zu erfüllen.

Wer ist ausgeschlossen vom Chancen-Aufenthaltsrecht, auch wenn die Person die Voraussetzungen erfüllt?

Ausgeschlossen sind nach dem aktuellen Vorschlag Menschen, die zu Haftstrafen oder zu Geldstrafen über 50 Tagessätzen verurteilt wurden (90 Tagessätze bei Straftaten, die nach Aufenthaltsgesetz oder Asylgesetz nur von Ausländern begangen werden können, wie Einreise und der Aufenthalt im Bundesgebiet ohne Pass oder Aufenthaltstitel). Das würde auch für junge Menschen gelten, die nach Jugendstrafrecht zu einer Haftstrafe auf Bewährung oder in einer Jugendstrafanstalt verurteilt wurden.

Zu unterscheiden von der Jugendstrafe sind Jugendarrest in seinen verschiedenen Formen und andere Verurteilungen nach dem Jugendstrafrecht. Diese dürfen nicht zur Versagung des Chancen-Aufenthaltsrechts führen.

Das Chancen-Aufenthaltsrecht soll nach dem Gesetzentwurf der Regierung auch verweigert werden, wenn jemand wiederholt vorsätzlich falsche Angaben gemacht oder über Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht hat und dadurch die Abschiebung verhindert wurde.

Gilt das Chancen-Aufenthaltsrecht auch für Familienmitglieder von Anspruchsberechtigten, auch wenn die Familienmitglieder noch nicht fünf Jahre in Deutschland leben?

Ja. Laut Regierungsentwurf sollen Ehegatten oder Lebenspartner*innen sowie Kinder, die mit Anspruchsberechtigten in häuslicher Gemeinschaft leben, ein Chancen-Aufenthaltsrecht erhalten, auch wenn sie selbst noch keine fünf Jahre in Deutschland leben – sofern sie die anderen Voraussetzungen erfüllen.

Was müssen die Menschen tun, die die drei Voraussetzungen (fünf Jahre Aufenthalt, nicht straffällig, Bekenntnis zur Grundordnung) erfüllen?

Sobald das Gesetz in Kraft getreten ist (voraussichtlich frühestens im Dezember 2022), müssen sie bei der für sie zuständigen Ausländerbehörde das Chancen-Aufenthaltsrecht beantragen. Es ist ratsam, den Antrag schriftlich zu stellen.

Welchen Status bekommen Menschen, die das Chancen-Aufenthaltsrecht erhalten?

Wer das Chancen-Aufenthaltsrecht bekommt, erhält eine Aufenthaltserlaubnis mit Gültigkeit für ein Jahr, mit der die Ausübung einer Erwerbstätigkeit – sowohl unselbständige Beschäftigung bei einem Arbeitgeber als auch selbständige Tätigkeit – erlaubt ist.

Welchen Status können die Menschen nach dem Chancen-Aufenthaltsrecht bekommen? 

Laut Gesetzesentwurf können die Menschen nach dem Jahr aus dem Chancen-Aufenthaltsrecht in Bleiberechtsregelungen wechseln, wenn sie die jeweiligen Voraussetzungen erfüllen: in die Bleiberechtsregelung für gut integrierte Heranwachsende und Jugendliche (derzeit 14 bis 20 Jahre, Paragraf 25a AufenthG), das auch die Eltern und Geschwister umfasst, oder in die Bleiberechtsregelung für Erwachsene bei nachhaltiger Integration (§ 25b AufenthG). Über diese Bleiberechtsregelungen hätten die Personen dann eine Aufenthaltserlaubnis für einen längeren Aufenthalt.

In erster Linie müssen nach Ablauf des Jahres sämtliche allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthalt erfüllt werden, von deren Erfüllung beim Chancen-Aufenthaltsrecht noch abgesehen wurde, also die (überwiegende) Sicherung des Lebensunterhalts, der Nachweis von Identität und Staatsangehörigkeit und die Passpflicht.

Die genauen Bedingungen für diesen Wechsel sind noch unklar, da der Gesetzgeber für die Paragrafen 25a und 25b Aufenthaltsgesetz einige Änderungen plant. Aktuell sind im Gesetzesentwurf Erleichterungen für die Antragsteller*innen vorgesehen, zum Beispiel könnten die Vorduldungszeiten (Aufenthaltszeit in Deutschland) gesenkt und die Altersgrenze bei den Heranwachsenden erhöht werden. Sobald die Bedingungen feststehen, will PRO ASYL Beratungshinweise veröffentlichen.

Wenn die Menschen die Anforderungen nicht erfüllen, sieht der Gesetzesentwurf derzeit einen Rückfall in die Duldung vor.

 

Was müssen die Menschen in dem einen Jahr tun, für das sie das Chancen-Aufenthaltsrecht haben?

In erster Linie müssen nach Ablauf des Jahres sämtliche allgemeine Erteilungsvoraussetzungen erfüllt werden, die grundsätzlich für alle Aufenthaltserlaubnisse gelten und von deren Erfüllung beim Chancen-Aufenthaltsrecht noch abgesehen wurde, also die (überwiegende) Sicherung des Lebensunterhalts, der Nachweis von Identität und Staatsangehörigkeit und die Passpflicht.

Auch hier gilt derzeit: Die genaue Ausgestaltung steht noch nicht fest. Sobald die Bedingungen feststehen, will PRO ASYL Beratungshinweise veröffentlichen.

Sind Menschen, die vom Chancen-Aufenthaltsrecht profitieren können, aktuell von Abschiebung bedroht?

Das hängt davon ab, in welchem Bundesland sie leben. In einigen Bundesländern wie Rheinland-Pfalz, Thüringen, Hessen, Niedersachsen, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Schleswig-Holstein gibt es so genannte Vorgriffregelungen, die aber unterschiedlich ausgestaltet sind. Das bedeutet zum Beispiel, dass die Menschen, die von dem neuen Gesetz profitieren werden, nicht noch in letzter Minute abgeschoben werden dürfen. In anderen Bundesländern gibt es diese Regelungen leider nicht. Hier hängt es von den einzelnen Ausländerbehörden ab, wie sie entscheiden. Den aktuellen Stand haben wir hier zusammengestellt.

Können Arbeitgeber*innen etwas tun, um ihre Mitarbeiter*innen bei der Erfüllung der Voraussetzungen zu unterstützen?

Der Gesetzesentwurf sieht keine Mitwirkung der Arbeitgeber*innen vor. Grundsätzlich können diese aber ihre Mitarbeiter*innen unterstützen, indem sie sie zum Beispiel auf das neue Chancen-Aufenthaltsrecht hinweisen, Unterstützung anbieten und ihnen die nötigen Behördengänge ermöglichen. Helfen können auch gute Arbeitsbedingungen wie unbefristete Arbeitsverträge und gute Bezahlung.

Stand: Ende August 2022