Überblick über Stimmen zum Solinger Anschlag, Debatte zur Einschränkung von Migration und Asylrecht

Ein unvollständiger Überblick, begonnen am 26.08.2024

aktualisiert 17.09.2024

Tagesschau Debatte nach Solingen "Es wird nach Schuldigen gesucht"

Der tödliche Anschlag in Solingen hat eine heftige Debatte über Zuwanderung und Asylpolitik ausgelöst. Was macht das mit Menschen mit Migrationshintergrund, die schon länger in Deutschland leben?

Turgay Tahtabas ist in der Türkei geboren, vor 35 Jahren kam er nach Deutschland und lebt jetzt in Essen. Mittlerweile lebt er länger hier als in seinem Heimatland und hat einen deutschen Pass. Dennoch fühle er sich immer noch "wie ein Gast, der sich ständig beweisen muss".

Er kann die Maßnahmen der Bundesregierung wie die Verschärfung der Grenzkontrollen nachvollziehen und hält sie für legitim: "Unser privates Eigentum wollen wir doch auch beschützen. Ich sehe das aber nur als Symptombehandlung. Die Stimmung im Land ist gar nicht gut und es wird nach Schuldigen gesucht."

Stimmung ist geteilt

Kerim aus Köln ist überzeugt, dass Deutschland weniger Migranten aufnehmen soll. Der 25-Jährige ist hier geboren und hat familiäre Wurzeln in Äthiopien. "Das Land hat sich sehr verändert. Deutsche Kultur und Tradition gehen dabei verloren. Meine Eltern und ich sind in Köln aufgewachsen und wir merken eine große Veränderung", sagt Kerim. Auch er spürt, dass der Anteil an Migranten zugenommen hat. Gleichzeitig fühlt er sich von den Erfolgen rechter Parteien bedroht und will das Land verlassen.

Anders als Kerim sieht die Situation von Adil aus: Der 33-jährige Ingenieur fühlt sich wohl in Deutschland. "Man hat hier alle Möglichkeiten, ob man jetzt arabischer oder afrikanischer Herkunft ist. Solange man etwas tut, kann man seine Ziele erreichen", sagt Adil und betont, dass hier jeder negative Erfahrung unabhängig von der Herkunft machen könnte.

Zu viel Unwissenheit

Der 58-jährige Turgay Tahtabas hat, wie er selbst sagt, "alles in Deutschland erreicht": vom Straßenreiniger bis zum Bundesverdienstkreuzträger. Vor neun Jahren hat er das "Zukunft Bildungswerk" zur Förderung von Menschen mit Migrationshintergrund gegründet, um eigene Erfahrung mit den anderen Zuwanderern zu teilen.

Der Bildungsmanager ist überzeugt davon, dass oft durch Unwissenheit ein falsches Bild von Menschen mit Migrationshintergrund vermittelt werde. Wohnungsmangel und Armut würden Migranten in eine Ecke drängen und so blieben sie vom Rest der Gesellschaft isoliert. Und das würden rechte Parteien und Populisten ausnutzen, sodass die Intoleranz zunehme, betont der 58-Jährige.

Kritik an Integrationspolitik

Tahtabas ist der Meinung, dass der Staat mehr unternehmen müsse, um Bevölkerungsgruppen in Deutschland stärker zu integrieren. "Die Mittel für die Integration werden zu sehr verpulvert, anstatt sie gezielt anzuwenden." Jetzt versuche jeder, sich "auf eigene Faust aus der Situation zu retten", zum Beispiel, indem er für das eigene Kind einen Platz in einer Schule sucht, die etwa weniger Schüler mit Migrationshintergrund besuchen.

"Es gibt Klassen, wo von 30 Schülern 29 muslimisch geprägt sind. Das wird der Integration nicht helfen", so Tahtabas. Daher findet er die aktuelle Debatte, wie sie geführt wird, gut. Zu viele Migranten können zu einer Belastungsprobe werden.

Dennoch hat sich auch Turgay Tahtabas entschieden, zusammen mit seiner Frau Deutschland zu verlassen. Es habe viel Kraft gekostet, immer nur als Gast und "guter Migrant" wahrgenommen zu werden und nicht einfach nur als Mitbürger aus Essen. "Wir kommen dann nur zu Besuch nach Deutschland", sagt er - um ihre Kinder wiederzusehen.

 

 

aktualisiert 12.09.2024

ARD Morgenmagazin Können schärfere Asylregeln schnell und wirksam umgesetzt werden? Kerstin Dausend, ARD Berlin, Morgenmagazin, 12.09.2024 07:00 Uhr

 

Tagesschau: faq Streit über Zurückweisungen Was will die Ampel? Was will die Union?

11.09.2024 18:12 Uhr Die irreguläre Migration soll stärker begrenzt werden - zumindest darin sind sich Regierung und Opposition weitgehend einig. Wie ist derzeit die Lage an den Grenzen? Was hat die Ampel vor, was die Union? Ein Überblick.

Viele Kommunen fühlen sich bei der Integration von Geflüchteten alleingelassen und überlastet. Es geht um das Bereitstellen von Wohnraum, von Schul- und Kitaplätzen. Zudem hat sich die Debatte über irreguläre Migration nach Gewalttaten wie dem terroristischen Messerangriff in Solingen zuletzt verschärft.

Angesichts dieser Gemengelage will die Ampelkoalition auf noch mehr Grenzkontrollen setzen. Außerdem hat Bundesinnenministerin Faeser einen Vorschlag für beschleunigte Rücküberstellungen von Asylsuchenden in andere EU-Länder vorgestellt. Am Donnerstag soll über ein sogenanntes Sicherheitspaket im Bundestag erstmalig beraten werden.

Wie ist die Lage an den deutschen Grenzen aktuell?

Im Schengen-Raum der Europäischen Union (EU) sind feste Grenzkontrollen eigentlich nicht vorgesehen. Dennoch hat Faeser 2015 begonnene Kontrollen an der Grenze zu Österreich mehrfach verlängert. Temporäre Kontrollen wurden Mitte Oktober 2023 auch für die Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz angeordnet.

Von Montag an soll es nun auch an den restlichen Grenzabschnitten feste Kontrollen geben. Das betrifft die Landgrenzen zu Frankreich, Dänemark, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg.

Was haben diese Kontrollen bislang gebracht?

Die Zahl der Asylbewerber in Deutschland ist zuletzt zurückgegangen. In den ersten acht Monaten dieses Jahres stellten 160.140 Menschen erstmalig einen Asylantrag. Das sind 21,7 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Manche Experten führen diesen Rückgang unter anderem auf die zusätzlichen Grenzkontrollen zurück - auch, weil für Schleuser mit den Kontrollen das Risiko steigt, entdeckt und strafrechtlich verfolgt zu werden.

Dazu besteht bei Kontrollen an den Grenzen die Möglichkeit, Menschen direkt zurückzuweisen. Das passiert derzeit aber nur, wenn gegen eine Person eine Einreisesperre verhängt wurde oder wenn jemand kein Asylgesuch vorbringt. Im ersten Halbjahr wies die Bundespolizei 21.661 Menschen an den Grenzen zurück - im Vergleich zum Vorjahreszeitraum war dies ein Anstieg um 72 Prozent.

Was schlägt die Ampelkoalition vor?

Der Plan der Ampelkoalition sieht vor, in grenznahen Einrichtungen ein beschleunigtes Dublin-Verfahren durchzuführen. In diesem Verfahren wird geprüft, ob Deutschland für den Asylantrag eines Geflüchteten überhaupt zuständig ist. Denn in der EU ist der Mitgliedsstaat für einen Asylantrag zuständig, in dem ein Flüchtling zuerst europäischen Boden betreten hat. Die Koalition will mit dem beschleunigten Verfahren die rechtlich gebotene Prüfung ermöglichen und gleichzeitig möglichst schnell Asylsuchende in den zuständigen EU-Staat zurückschicken. 

Dafür sollen die Bundesländer in Grenznähe Abschiebehaft-Plätze zur Verfügung stellen und Verwaltungsrichter ständig erreichbar sein. Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sollen sich um eine rasche Bearbeitung der Verfahren kümmern. Außerdem bietet Innenministerin Faeser an, dass Bundespolizisten die komplette Rückführung übernehmen.

Laut einem Sprecher des Bundesinnenministeriums sind für die Pläne voraussichtlich keine Gesetzesänderungen notwendig. Es gehe vor allem um die Durchsetzung geltenden europäischen Rechts.

hintergrund 10.09.2024 Pläne der Bundesregierung Wie sollen die schnelleren Grenzverfahren ablaufen?

Wie erfolgversprechend sind die Pläne?

Die Maßnahmen der Ampelkoalition könnten dazu führen, dass Fristen seltener versäumt werden. Dadurch würden womöglich mehr Menschen in das EU-Land zurückkehren, das für ihr Asylverfahren zuständig ist.

Für solche Rücküberstellungen bräuchte es allerdings nach wie vor die Kooperation der betroffenen EU-Staaten. Und hier liegt ein großes Problem. Denn an der mangelnden Bereitschaft von Staaten wie Italien würde das neue Verfahren in Deutschland nichts ändern.

Player: audioEU alarmiert über deutsche Grenzkontrollen und Zurückweisungen 10.09.2024 Reaktionen auf deutsche Pläne Klare Worte aus Wien und Warschau 

Wie steht die Union zu den Plänen?

CDU und CSU fordern pauschale Zurückweisungen von Flüchtlingen an den deutschen Grenzen, wenn ein anderer EU-Staat für das Asylverfahren zuständig ist.

Die Unionsfraktion ist der Meinung, dass auch Menschen, die Asyl beantragen wollen, direkt an der Grenze zurückgewiesen werden können. Sie beruft sich dabei vor allem auf Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU. Darin wird den Mitgliedsstaaten die Zuständigkeit "für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit" zugesichert.

Die Bundesregierung verweist hingegen auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Demnach konnte sich bisher noch kein Mitgliedsstaat erfolgreich auf die Notklausel berufen.

Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte an, das entwickelte Modell auch ohne Unterstützung der Union umsetzen zu wollen. Die Regierung habe ein Konzept für effektive Zurückweisungen auf den Tisch gelegt und werde es auch umsetzen, "selbst wenn Sie nicht mitmachen", sagte er an CDU und CSU gerichtet.

Wie reagieren Deutschlands Nachbarländer auf die Debatte?

Polen und Österreich haben scharfe Kritik an den deutschen Plänen geäußert. Ausgeschlossen sei in jedem Fall, dass Österreich Personen zurücknimmt, die in Deutschland abgewiesen wurden, sagte der österreichische Innenminister Gerhard Karner.

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm, erklärte, die Union setze diesbezüglich auf einen "Dominoeffekt". Man rechnet offenbar damit, dass mittelfristig weniger Asylsuchende kommen, wenn mehr EU-Staaten zurückweisen. Es gehe darum, "dass nämlich die anderen EU-Länder ihrerseits ihre Grenzen schützen und Flüchtlinge nicht einfach nach Deutschland weiterreisen lassen", sagte der CDU-Politiker.

Welche Probleme könnte es sonst geben?

Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) für den Bereich Bundespolizei und Zoll, Andreas Roßkopf, hält das Personal und die Ausstattung der Bundespolizei für nicht ausreichend für Kontrollen an allen deutschen Grenzen, die nötig sind, um die Menschen in die Verfahren zu bringen. "Deutschlands Grenze ist angesichts ihrer Länge nicht lückenlos zu überwachen", sagte Roßkopf der Frankfurter Rundschau.

Außerdem sollen sich die Grenzbeamten bei den Verfahren ganz erheblich auf die europäische Fingerabdruckdatei EURODAC stützen. In ihr sollen Flüchtlinge schon an der EU-Außengrenze registriert werden. Das geschieht bislang aber nur in einem geringen Prozentsatz der Fälle.

 

aktualisiert 10.09.2024

Tagesspiegel: Union bricht Gespräche bei Gipfeltreffen ab: Ampelparteien und CDU geben einander die Schuld – Lindner schlägt Spitzentreffen vor

10.09.2024, 22:43 Uhr Schon zu Beginn des Gipfels gaben sich CDU/CSU wenig optimistisch. Am Dienstagabend erklärte die Union das Treffen für gescheitert. Die Ampel bedauert das. Nancy Faeser spricht von „guten Gesprächen“.

Nach dem Scheitern des Migrationsgesprächs der Bundesregierung mit der Union und gegenseitigen Schuldzuweisungen hat FDP-Chef Christian Lindner ein Spitzentreffen der Ampel und ihres Kanzlers Olaf Scholz (SPD) mit CDU-Chef Friedrich Merz vorgeschlagen. „Die Absage der Union an den Asylgipfel darf nicht das letzte Wort sein“, schrieb der Bundesfinanzminister auf der Plattform X. Merz sollte mit dem Kanzler, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und ihm selbst persönlich verhandeln.

„Wir werden gemeinsam das Problem lösen“, fügte Lindner hinzu. Deutschland brauche Kontrolle und Konsequenz bei der Migration.

Die Union brach die Gespräche mit der Bundesregierung über ein gemeinsames Vorgehen in der Asyl- und Migrationspolitik am Dienstag ab. Die Vorschläge der Regierung zu einer Zurückweisung von Asylbewerbern an den deutschen Grenzen seien nicht weitgehend genug, sagte Unions-Verhandlungsführer Thorsten Frei am Dienstag zur Begründung in Berlin.

Frei kritisierte zudem, dass vorgelegte Vorschläge nicht auf zusätzliche Zurückweisungen abzielten, sondern auf beschleunigte Verfahren im Land. Sie würden damit den Herausforderungen nicht gerecht. Die Union werde aber „alles unterstützen, was unserem Land hilft“.

Es seien unterschiedliche Vorschläge dargestellt worden, darunter auch, wie man die Regelungen des gemeinsamen europäischen Asylsystems, das im Jahr 2026 in Kraft treten werde, früher implementieren könne, sagte er. Auch seien schnellere Verfahren an Flughäfen Thema gewesen. Dies bedeute, dass „die Menschen zunächst einmal ins Land kommen und dort dann unter gegebenenfalls beschleunigten Verfahren die Dinge bearbeitet werden“.

Gegenseitige Schuldzuweisungen von Union und Ampelparteien

Unionsfraktionschef Friedrich Merz hat die Bundesregierung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) nach dem gescheiterten Treffen scharf kritisiert. „Die Bundesregierung ist intern offensichtlich heillos zerstritten und kann sich nicht auf wirksame Maßnahmen einigen“, erklärte der CDU-Vorsitzende nach dem Ende der Beratungen der Ampel-Regierung mit Vertretern der Union und von Ländern in Berlin auf der Plattform X.

„Die Ampel kapituliert vor der Herausforderung der irregulären #Migration“, schrieb Merz weiter und fügte hinzu: „Die Bundesregierung ist handlungsunfähig und führungslos.“

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte in Berlin, die Ampel sei nicht zu wirksamen Maßnahmen zur Begrenzung der irregulären Migration in der Lage. „Wir stehen weiterhin für die Vereinbarung schnell wirksamer Maßnahmen zum Stopp der illegalen Migration bereit, aber nicht für Placebo-Maßnahmen ohne echte Wirkung.“

Der hessische Innenminister Roman Poseck sagte, man brauche „eine wirkliche Trendwende in der Migrationspolitik“. Dazu sei die Ampel nicht bereit. „Wir halten dieses Gesprächsformat nicht für zielführend, das hat das heutige Gespräch gezeigt.“ CDU/CSU fordern Zurückweisungen von Asylsuchenden an den Grenzen, um die irreguläre Migration zu reduzieren.

Regierungsmitglieder bedauern Abbruch der Asylgespräche durch Union

Die Bundesregierung hat die Entscheidung der Union zum Abbruch der Gespräche über ein gemeinsames Vorgehen in der Migrationspolitik bedauert. „Wir sind bereit, das Gespräch weiterzuführen“, sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) am Dienstag in Berlin. Bei Maßnahmen zur Eindämmung der irregulären Migration sei die Bundesregierung bereit, alles zu tun, was im Rahmen des nationalen und des europäischen Rechts möglich ist. Die Forderungen der Union nach Zurückweisungen an den deutschen Grenzen gingen aber darüber hinaus. „Man kann von einer Bundesregierung nicht verlangen, dass sie sich in Widerspruch zu Recht begibt“, sagte Buschmann.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte nach den Beratungen mit der Union: „Wir haben wirklich gute Gespräche gehabt, auch wenn das manchmal etwas anders klingt.“ Die Bundesregierung habe einen Vorschlag vorgelegt, wie Geflüchtete grenznah untergebracht und schnell zurückgewiesen werden können.

Bedauerlicherweise hat die Union gesagt, dass sie jetzt nicht mehr weiter reden möchte. Annalena Baerbock, Bundesaußenministerin 

Dieser Vorschlag stehe in Einklang mit europäischem Recht, sagte Faeser. Dies sei bei der CDU-Forderung nach Zurückweisungen nicht der Fall. Es dürfe „keine riskanten Ausnahmen vom geltenden europäischen Recht geben“, sagte sie. Einige Bundesländer hätten bei dem Treffen Interesse signalisiert, den Vorschlag der Regierung weiter zu verfolgen.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) äußerte Bedauern und Unverständnis für den Abbruch der Gespräche durch die Union. „Bedauerlicherweise hat die Union gesagt, dass sie jetzt nicht mehr weiter reden möchte“, sagte Baerbock. Dabei seien bei dem Treffen am Dienstag „viele Themen noch gar nicht besprochen“ worden.

Der Union wurde angeboten, dass ihre Vorschläge zur Zurückweisung von Asylbewerbern eins zu eins umgesetzt werden. Bijan Djir-Sarai, FDP-Generalsekretär

Auch Grünen-Chef Omid Nouripour zeigte sich nach dem Abbruch der Gespräche verärgert. „Was für ein Schmierentheater der Union“, sagte Nouripour dem Nachrichtenportal „t-online“. „Die Union hatte die Chance, sich an gemeinsamen Lösungen zu beteiligen und hat überdeutlich gezeigt, dass sie dazu nicht in der Lage ist“, kritisierte er. Es gehe der Union „offensichtlich nicht um die Sache, nicht um tatsächliche Sorgen, sondern schlicht um Überschriften, Lautstärke und Profilierung“.

Scharfe Kritik äußerte zudem FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. „Es ist vollkommen unverständlich, dass die Union die Verhandlungen verlassen hat. Schließlich wurde ihr angeboten, dass ihre Vorschläge zur Zurückweisung von Asylbewerbern eins zu eins umgesetzt werden“, sagte Djir-Sarai am Dienstag in Berlin. Es gebe „keinen objektiven Grund, die Gespräch zu beenden“, sagte er. Und: „Die FDP ist auch weiterhin bereit, das von der CDU geforderte Modell umzusetzen. Wir sind bereit, diesen Weg mit der Union gemeinsam zu gehen – trotz rechtlicher Bedenken. Das sollte dann aber auch in gemeinsamer Verantwortung erfolgen.“

Union zeigte sich schon im Vorfeld skeptisch

Bereits zum Auftakt der zweiten Runde der Migrationsgespräche von Bund, Ländern und CDU/CSU hatten Unionspolitiker die Erwartungen an das Treffen gedämpft.

„So wirklich sind die Voraussetzungen noch nicht gegeben“, sagte der Unions-Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) kurz vor Gesprächsbeginn am Dienstagnachmittag mit Blick auf Vorbehalte bei den Grünen gegen Zurückweisungen an den deutschen Grenzen. „Es gibt Hinweise, die das Ganze schwierig erscheinen lassen“, sagte Frei.

Seit Dienstagnachmittag liefen im Bundesinnenministerium die Gespräche über den Kurs in der Migrationspolitik. Die erste Runde war am vergangenen Dienstag ebenfalls ohne Ergebnis zu Ende gegangen.

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte am Montag Kontrollen an allen deutschen Landgrenzen angeordnet und mehr Zurückweisungen als bisher in Aussicht gestellt. Dies hatte die Union zur Bedingung für die Teilnahme an dem zweiten Treffen gemacht. Die Kontrollen sollen am 16. September beginnen und zunächst sechs Monate andauern.

Frei betonte, dass es sowohl am Montag als auch am Dienstag ein Telefonat mit Faeser gegeben habe. Darin habe Faeser „auch deutlich gemacht, was für uns notwendig ist, um in ein solches Gespräch zu gehen“, sagte Frei.

Wenn er sich aber Wortmeldungen aus der Koalition anschaue, „bringe ich das noch nicht ganz übereinander“, bremste Frei die Erwartungen an das Treffen. Er sprach insbesondere Äußerungen von Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge an, die sich skeptisch bezüglich Zurückweisungen gab.

Auch das Bundesinnenministerium äußerte sich wenig zuversichtlich. Denn: Dort gibt es gegen den Vorschlag der Unionsfraktion für umfassende Zurückweisungen an den deutschen Grenzen rechtliche Bedenken.

Zwar sichere Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union den EU-Mitgliedsstaaten die Zuständigkeit „für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit“ zu, heißt es in einer Bewertung der Fachleute zu den rechtlichen Voraussetzungen für einen Rückgriff auf Artikel 72 in diesem Kontext. Bisher habe sich allerdings kein EU-Mitgliedstaat erfolgreich vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) auf diesen Artikel berufen.

Zudem habe der EuGH einen Rückgriff auf diesen Artikel mit Blick auf den Schengener Grenzkodex für unzulässig erachtet und dies damit begründet, dass dieser die legitimen Interessen der Mitgliedstaaten ausreichend berücksichtige und Ausnahmen im Falle einer ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit bereits ermögliche.

Migrationsgipfel drohte schon frühzeitig zu platzen

Frei hatte argumentiert, dass Zurückweisungen von Nicht-EU-Ausländern ohne Visum direkt an der Grenze mit geltendem Recht vereinbar seien. Er verwies dabei unter anderem auf Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.

Die Unionsfraktion im Bundestag hatte ihre Teilnahme am Migrationsgipfel mit der Ampel-Regierung überhaupt erst wenige Stunden vorher am Dienstagmorgen zugesagt.

Das Gespräch findet statt, obwohl die Union nicht die verlangte Konkretisierung der Beschlüsse Faesers erhalten hat. „Die Sache ist wichtiger als der Weg dahin“, sagte Frei. „Wir haben weder Schaum vor dem Mund, noch sitzen in der Schmollecke.“

Nouripour lässt Kritik an Faeser durchklingen

Auch für die Grünen als Koalitionspartner bleiben nach Faesers Vorstoß noch viele Details unklar. „Es gibt in der Tat eine Reihe von Fragen, die jetzt mit dieser Ankündigung einhergehen“, sagte der Parteivorsitzende Omid Nouripour im Deutschlandfunk. Auf die Frage, ob er wisse, was Faeser bei ihren Vorschlägen vorschwebe, antwortete Nouripour: „Nein, ich weiß es nicht.“

„Wir sind sehr gespannt, was das ist und sind gerne bereit, alles zu diskutieren, was rechtens und machbar und wirksam ist“, sagte Nouripour. „Wir stehen natürlich als Koalition zusammen und verhandeln auf der einen Seite des Tisches mit der Union auf der anderen Seite“, betonte Nouripour zugleich.

Der Grünen-Chef sagte, es gelte, die Ideen auch mit den europäischen Partnerstaaten und vor allem mit den Nachbarn zu besprechen. Er verwies dabei auch auf Österreich, das bereits signalisiert hatte, keine von Deutschland abgewiesenen Migranten zurücknehmen zu wollen.

Der Leidtragende wäre DeutschlandIrene Mihalic, Grünen-Innenpolitikerin

Die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic warnte indes erneut vor einer Kettenreaktion, sollte Deutschland umfassend an den Grenzen zurückweisen. „Das hätte natürlich einen Dominoeffekt zur Folge“, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion im ARD-Morgenmagazin. Mihalic warnte vor einer Aussetzung internationalen Rechts und einer Spaltung Europas. „Der Leidtragende wäre Deutschland. Denn wir profitieren gerade von der europäischen Einigung, gerade auch in Migrationsfragen.“

Aus Grünen-Regierungskreisen hieß es unmittelbar vor den Beratungen am Dienstagnachmittag, man wolle, „dass es eine bessere Kontrolle und Steuerung gibt und das Recht durchgesetzt wird“. Dafür brauche es praxistaugliche Maßnahmen, die den europäischen Zusammenhalt nicht gefährdeten. Nach der Prüfung des Bundesinnenministeriums sei klar, dass die Vorschläge von Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) für umfassende Zurückweisungen an den deutschen Landgrenzen „europarechtskonform eindeutig nicht machbar sind“.

Kanzler würde sich über Gemeinsamkeit mit Union „wirklich freuen“

Kanzler Scholz versicherte, der Regierung sei es ernst mit gemeinsamen Lösungen. „Wir würden uns auch freuen, wenn wir da noch was gemeinsam machen können, auch mit der Opposition“, sagte der SPD-Politiker beim Sommerfest der Parteizeitung „Vorwärts“. „Im Rahmen klarer Prinzipien. Aber wir würden uns wirklich freuen.“ Von SPD-Seite sei das Angebot ehrlich gemeint. „An uns wird es nicht liegen, falls es nicht klappt“, sagte der Kanzler weiter.

Scholz verwies zugleich darauf, dass die Bundesregierung bereits Gesetze auf den Weg gebracht habe, sowie auf das unlängst vorgelegte Sicherheitspaket.

Es sieht Maßnahmen für eine härtere Gangart bei der Rückführung abgelehnter Asylbewerber in ihre Herkunftsländer vor, Schritte zur entschiedeneren Bekämpfung des islamistischen Terrors und Verschärfungen beim Waffenrecht. Es soll bereits am Donnerstag im Bundestag beraten werden.

Mit Skepsis reagierte die Gewerkschaft der Polizei (GdP) auf Faesers Ankündigung zu den Grenzkontrollen. Der Vorsitzende für den Bereich Bundespolizei, Andreas Roßkopf, warf angesichts der bereits jetzt starken Auslastung der Kollegen die Frage nach der Umsetzbarkeit auf. „Das wird eine sehr sportliche Herausforderung“, sagte er dem RND. 

Auch in der Wirtschaft löste die Ankündigung Faesers Sorgen aus. Einschränkungen der Personenfreizügigkeit bedeuteten für die Wirtschaft immer Verzögerungen und damit Kostensteigerungen, sagte der Präsident des Groß- und Außenhandelsverbands (BGA), Dirk Jandura, dem „Handelsblatt“. „Sie stören die Logistik und bringen damit Lieferketten durcheinander.“ (Tsp, dpa)

 

Tagesschau Video Asylgipfel:https://www.tagesschau.de/multimedia/video/schnell_informiert/video-1378176.html

10.09.2024 20:14 Uhr

 

 

Zeit: Migrationsdebatte: Nancy Faeser will Asylgesuche schon an der Grenze prüfen

10. September 2024, 16:49 Uhr Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat mit der Unionsfraktion über die Prüfung von Asylgesuchen an der Grenze geredet. Gegen Zurückweisungen gibt es rechtliche Bedenken.

In einem Treffen von Ampelregierung, Union und Ländern zur Eindämmung illegaler Migration hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nach Angaben aus Regierungskreisen vorgeschlagen, Asylgesuche an der Grenze zu prüfen. 

Demnach solle die Bundespolizei künftig bei unerlaubten Einreisen, bei denen jemand ein Asylgesuch äußert, prüfen, ob womöglich ein anderer EU-Mitgliedsstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, und die Person befragen. Um festzustellen, ob die Person schon in einem anderen EU-Mitgliedsstaat Asyl beantragt hat, könne die Bundespolizei auf die Identifizierungsdatenbank Eurodac zurückgreifen.

Abschiebehaft für abgelehnte Asylbewerber

Wenn die Person bereits in einem anderen Staat Asyl beantragt hat, ist Deutschland laut Dublin-Verordnung in der Regel nicht zuständig. Dann könne die Bundespolizei beim zuständigen Gericht Haft wegen Fluchtgefahr beantrage, sofern Haftkapazitäten zur Verfügung stehen. In Deutschland gibt es demnach 800 Plätze in Abschiebehaftanstalten, das sei laut Faeser zu wenig.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) könne dann ein beschleunigtes Verfahren zur Rückübernahme durch das zuständige Land nach den sogenannten Dublin-Regeln einleiten. Sollte Haft nicht in Betracht kommen, solle alternativ eine feste Zuweisung und Wohnsitzauflage vorgesehen werden. Die Bundesregierung will das Gespräch suchen, damit die Länder, die Migranten zurücknehmen sollen, kooperieren.

Eine wirkliche Neuerung ist tatsächlich die geplante Rolle für die Bundespolizei. Bislang liegen Abschiebungen in der Verantwortung der Länder, die Bundespolizei unterstützt nur bei der Durchführung. Künftig soll die Bundespolizei am Ende des geplanten beschleunigten Verfahrens die Menschen dann aus Deutschland bringen. Deutschland will auch bei Polizeistreifen mit den Nachbarländern kooperieren.

Die Union hatte bei einem Treffen zur künftigen Migrationspolitik in Deutschland zusätzlich zu den von Faeser Anfang der Woche angekündigten Grenzkontrollen Zurückweisungen an der deutschen Grenze gefordert. Faeser hatte sich dazu gesprächsbereit gezeigt. Andere Ampelpolitiker, allen voran von den Grünen, hatten sich skeptischer der Maßnahmen gegenüber gezeigt. Mögliche Grenzkontrollen und Zurückweisungen müssten europarechtskonform sein.

Faesers Innenministerium sieht Zurückweisungen kritisch

Auch das Bundesinnenministerium hat offenbar Bedenken. Laut einem aktuellen Rechtsvermerk hält das Ministerium umfassende Zurückweisung von Schutz suchenden Geflüchteten aus Drittstaaten im Rahmen der wiedereingeführten Binnengrenzkontrollen, wie von der Union gefordert, für rechtlich bedenklich. Es sieht demnach kaum Chancen zur Umsetzung der CDU-Forderung, in Deutschland einen nationalen Notstand gemäß EU-Recht auszurufen, um Geflüchtete an den Grenzen zurückweisen zu können.

Es handele sich um "eine Ausnahmevorschrift", auf die sich noch kein EU-Staat erfolgreich vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) berufen habe. Diese Vorschrift setze "das Vorliegen einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung" voraus. Die Bundesregierung müsste demnach konkret darlegen, dass die Ausnahme "erforderlich sowie verhältnismäßig ist". Hierbei komme dem Mitgliedsstaat zwar ein Beurteilungsspielraum zu, die Anforderungen seien aber "eng". Erforderlich wäre eine "substantielle Darlegung der Ausnahmesituation".

 

WDR Zurückweisung an den Grenzen: "schäbig" oder "längst überfällig"?

10.09.2024, 12:47 Uhr Schon vor dem Migrationstreffen zwischen Regierung und Opposition am Nachmittag wird über die Pläne zu bevorstehenden Grenzkontrollen und Abweisungen diskutiert. Kritik kommt von der Linken und von Migrationsforschern, aber auch Polizei und Wirtschaft haben Bedenken.

Das Spitzentreffen zwischen der Ampel-Koalition und der Union sowie den Bundesländern zum Thema Migration findet zwar erst am Nachmittag statt. Doch vieles von dem, was dort besprochen werden soll, steht offenbar schon fest. So hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Kontrollen an allen deutschen Landgrenzen ab dem 16. September angeordnet. Parallel erklärte sie, die Regierung habe ein Modell für Zurückweisungen von Geflüchteten an den Grenzen entwickelt, das über das bisherige Maß hinausgehe. Ziel der Maßnahmen ist laut Faeser die Begrenzung der irregulären Migration sowie der Schutz der inneren Sicherheit vor islamistischem Terrorismus und grenzüberschreitender Kriminalität.

Die Union hatte die Zurückweisungen an den Grenzen zur Voraussetzung der Gespräche mit der Regierung gemacht. Ansonsten würden sich die Unions-Vertreter der Länder und der Bundestagsfraktion nicht beteiligen, sagte CDU-Chef Friedrich Merz.

Sind die Grünen mit an Bord?

Ob Faesers Vorschläge von allen Ampel-Parteien mitgetragen werden, ist derzeit allerdings unklar. So verwies der Grünen-Parteivorsitzende Omid Nouripour im Deutschlandfunk auf "eine Reihe von Fragen, die jetzt mit dieser Ankündigung einhergehen". Er kenne Faesers Vorschläge nicht im Detail. "Wir sind sehr gespannt, was das ist und sind gerne bereit, alles zu diskutieren, was rechtens und machbar und wirksam ist", so Nouripour.

Die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic befürchtet eine Kettenreaktion, sollte Deutschland umfassend an den Grenzen zurückweisen. "Das hätte natürlich einen Dominoeffekt zur Folge", sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion im ARD-Morgenmagazin. Mihalic warnte vor einer Aussetzung internationalen Rechts und einer Spaltung Europas: "Der Leidtragende wäre Deutschland. Denn wir profitieren von der europäischen Einigung, gerade auch in Migrationsfragen."

Linke sehen "Wettbewerb der Schäbigkeit"

Die Linke-Vorsitzende Janine Wissler bezeichnete die Vorschläge als "Wettbewerb der Schäbigkeit". Union, SPD und FDP lieferten sich ein Wettrennen mit der AfD bei Maßnahmen zur Abschottung, sagte sie am Dienstag. Es drohe eine "Kettenreaktion" in Europa, wenn Deutschland seine Grenzen "dicht" mache. Dann würden "weitere Staaten folgen und so werden zehntausende Geflüchtete in Italien oder Griechenland stranden", so Wissler.

Der Rat für Migration hält eine Zurückweisung von schutzsuchenden Personen für rechtswidrig. "Die aktuell diskutierte Politik, schutzsuchende Personen an den Grenzen Deutschlands zurückzuweisen, stellt einen gefährlichen Populismus in der migrationspolitischen Debatte dar", hieß es in einer Stellungnahme am Dienstag.

Polizei skeptisch: "Das wird sportlich"

Mit Skepsis reagierte die Gewerkschaft der Polizei (GdP) auf Faesers Ankündigung zu den Grenzkontrollen. Der Vorsitzende für den Bereich Bundespolizei, Andreas Roßkopf, warf angesichts der bereits jetzt starken Auslastung der Kollegen die Frage nach der Umsetzbarkeit auf. "Das wird eine sehr sportliche Herausforderung", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Die konkurrierende Deutsche Bundespolizeigewerkschaft (DPolG Bundespolizei) sieht die Bundespolizei dagegen personell gut aufgestellt. Man habe "ausreichend Kräfte", um diese Aufgabe zu übernehmen, sagte der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft, Heiko Teggatz, der "Rheinischen Post". „Wir können das aus dem Alltagsgeschäft heraus stemmen. Wir werden dafür also nicht noch zusätzliches Personal brauchen“, betonte er. Zugleich begrüßte der Gewerkschaftsvertreter die Entscheidung der Bundesinnenministerin als "längst überfällig".

Wirtschaft befürchtete Mehrkosten und Aufwand

Auch in der Wirtschaft löste die Ankündigung Faesers Sorgen aus. Einschränkungen der Personenfreizügigkeit bedeuteten für die Wirtschaft immer Verzögerungen und damit Kostensteigerungen, sagte der Präsident des Groß- und Außenhandelsverbands (BGA), Dirk Jandura, dem Handelsblatt. "Sie stören die Logistik und bringen damit Lieferketten durcheinander."

Der Vorstandssprecher des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), Dirk Engelhardt, rechnet mit erheblichen Mehrkosten und Aufwand für betroffene Transportunternehmen. Diese könnten insbesondere für die in den Grenzregionen angesiedelten Betriebe "durchaus existenzbedrohliche Ausmaße annehmen".

 

aktualisiert 09.09.2024

Pressestatement Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR): Umsetzungsdefizite beheben und differenziert diskutieren, statt Ängste zu schüren: SVR warnt vor Eskalationsspirale in der Asyldebatte

Der Anschlag in Solingen am 23. August hat – auch vor dem Hintergrund der Landtagswahlen – eine politische und mediale Debatte ausgelöst, die einerseits auf konkrete Maßnahmen abzielt und andererseits Grundsatzfragen der Flüchtlingspolitik berührt. Die Bundesregierung hat hierzu ein „Sicherheitspaket“ vorgelegt, das Gegenstand von Gesprächen von Vertretern der Bundesregierung, der Länder und der Bundestagsfraktion von CDU/CSU ist, die am kommenden Dienstag fortgesetzt werden sollen. Der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) nimmt die Debatte zum Anlass, vor vermeintlich einfachen Lösungen zu warnen, die sich nicht umsetzen lassen. Er sieht auch die Gefahr, dass die aufgeheizte Debatte das Integrationsklima im Land zu vergiften droht. In der Asylpolitik gilt es, Umsetzungsdefizite zu beheben und europäisch zu agieren.

Berlin, 9. September 2024. „Die Politik sieht sich unter Handlungsdruck gesetzt. Die Eskalationsspirale in der öffentlichen Debatte löst aber kein einziges Problem, sie schürt Ängste und schadet dem gesellschaftlichen Zusammenhalt. Mit Aktionismus werden Erwartungen geweckt, an denen Politik gemessen wird. Hier sollten alle Beteiligten verbal abrüsten“, sagt der Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR), Prof. Dr. Hans Vorländer. „Ohne eine zutreffende, differenzierte Analyse von Problemen lassen sich die richtigen Lösungen nicht finden. Der Ruf nach immer weiteren Gesetzesänderungen und -verschärfungen hilft nicht weiter, wenn die Umsetzung das Problem ist. Auch politisch scheint die Strategie nicht aufzugehen: Die Parteien der demokratischen Mitte können kaum Kapital für sich daraus schlagen, wenn sie immer restriktivere Maßnahmen fordern. Sie müssen vielmehr konkrete Probleme lösen und eine differenzierte Debatte führen, dafür sind auch die Wählerinnen und Wähler offen.“ Eine undifferenzierte Debatte dagegen kann erhebliche Folgen haben, so der SVR-Vorsitzende: „Es droht ein Vertrauensverlust bei den Bürgerinnen und Bürgern, wenn Erwartungen geschürt werden, die nicht erfüllbar sind; ein auf Migrationsabwehr fokussierter Diskurs wertet die Integrationsleistungen der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in Deutschland ab, die hier einen wichtigen Beitrag leisten und sich an Recht und Gesetz halten; er kann zuwanderungsinteressierte und benötigte Arbeits- und Fachkräfte abschrecken und zu gesellschaftlicher Spaltung beitragen.“

Aktuell sieht der SVR vor allem ein Vollzugsdefizit. „Eine Wende in der Flüchtlingspolitik ist ja längst eingeleitet: Mit der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) hat sich Deutschland bereits mit der EU und den übrigen Mitgliedstaaten auf restriktivere Maßnahmen verständigt. Das hat das SVR-Jahresgutachten 2024 im Detail gezeigt. Sie müssen bis 2026 umgesetzt werden. Deutschland kann Teilaspekte aber auch jetzt schon implementieren“, sagt Vorländer. „Klar ist: Es braucht grundsätzlich eine europäische Lösung, wenn man die Fluchtmigration besser steuern und begrenzen will – und mehr Kooperation mit Herkunfts- und Transitstaaten. Wenn die Umsetzung auf europäischer Ebene scheitert, dann droht die Gefahr einer weiteren Renationalisierung des gesamten Asylsystems. Das wäre ein Einschnitt von historischem Ausmaß und mit unabsehbaren Folgen. Auch grundsätzlichen Zurückweisungen an der deutschen Grenze oder einem Aufnahmestopp für bestimmte Gruppen ist vor diesem Hintergrund aus menschen- und asylrechtlichen sowie aus politischen Gründen eine Absage zu erteilen.“

Es ist hingegen richtig, unabhängig von Migrations- und Asylpolitik auf Islamismusprävention zu setzen. Die im Sicherheitspaket enthaltene Absicht, eine Task Force hierzu aus Wissenschaft und Praxis einzurichten, begrüßt der SVR: „Auch hier braucht es eine differenzierte Analyse, um der Radikalisierung von Menschen im islamistischen Kontext auf allen Ebenen wirksam vorzubeugen und entsprechende Propaganda in den sozialen Medien zu bekämpfen“, so Prof. Vorländer.

Zu einzelnen Aspekten in der Debatte nimmt der SVR wie folgt Stellung:

Keine Sozialleistungen für sogenannte Dublin-Fälle: Eine grundsätzliche Leistungsabsenkung für alle Schutzsuchenden lässt die Verfassungsrechtsprechung nicht zu. Eine Leistungsreduktion bei Schutzsuchenden, für die laut Dublin-Regelung ein anderer europäischer Staat zuständig ist, ist aber heute schon möglich. Das physische Existenzminimum muss dabei jedoch gewährleistet bleiben, das hat das Bundesverfassungsgericht 2012 festgestellt. In diesem Kontext ist auch die neue EU-Aufnahmerichtlinie relevant, die als Teil der Reform des gemeinsamen Europäischen Asylsystems bis spätestens Mitte 2026 in nationales Recht umgesetzt werden muss. Demnach besteht bei sogenannten Dublin-Fällen kein Anspruch mehr auf die regulären materiellen Leistungen ab dem Zeitpunkt, zu dem ein Antragsteller erfährt, dass er ausreisepflichtig ist, also in den gemäß der Asyl- und Migrationsmanagement-Verordnung tatsächlich zuständigen EU-Mitgliedstaat überstellt werden muss. Empirisch ist umstritten, ob die Höhe der Sozialleistungen die Zuwanderung beeinflusst, wie das SVR-Jahresgutachten 2024 zeigt. Generell scheinen soziale Faktoren wie die Anwesenheit von Familienangehörigen, Bildungsmöglichkeiten und die Achtung der Menschenrechte sowie Arbeitsmöglichkeiten eher zu der Entscheidung beizutragen, weiterzuwandern. Es gibt aber Hinweise darauf, dass die Leistungen bei einer Migration innerhalb der Europäischen Union unter Umständen mehr Gewicht haben als bei einer außereuropäischen Zuwanderung.

Grenzkontrollen: Grenzkontrollen im Schengen-Raum sind durch die Vorgaben des Schengener Grenzkodex enge Grenzen gesetzt, da die Personenfreizügigkeit als eine der wichtigsten Errungenschaften der EU gilt; die im Juli 2024 in Kraft getretene Änderungsverordnung erleichtert allerdings den Mitgliedstaaten, temporäre Grenzkontrollen einzuführen und aufrechtzuerhalten, sofern außergewöhnliche Umstände vorliegen. Dies wäre maximal für die Dauer von zwei Jahren möglich und mit einem hohen Personalaufwand bei der Bundespolizei und der Polizei in Bundesländern verbunden. In schwerwiegenden Ausnahmesituationen können diese Kontrollen bis zu einem Jahr verlängert werden. Aus Sicht des SVR sind permanente stationäre Kontrollen innerhalb des Schengen-Raumes zu vermeiden. Auf diese stellen sich Schleuser schnell ein und sie verursachen hohe ökonomische Kosten bei Grenzstaus; vielmehr sind alternative Lösungen in Abstimmung mit den jeweiligen Nachbarländern zu empfehlen, wie bei der Kooperation mit der Schweiz.

Aberkennung des Flüchtlingsstatus bei Reise in die Herkunftsländer: Grundsätzlich sind Reisen in das Herkunftsland für Schutzberechtigte nur unter spezifischen Voraussetzungen erlaubt bzw. können unter bestimmen Voraussetzungen zum Widerruf des Schutz- und Aufenthaltsstatus führen. Allerdings fehlt es bislang an einer gesetzlichen Grundlage, die es etwa dem BAMF oder den Ausländerbehörden ermöglicht, die entsprechenden Ausreisegründe ex ante zu beurteilen. Der SVR empfiehlt, hier für Rechtsklarheit zu sorgen und ein geregeltes Verfahren zu etablieren. Legitime Reisegründe und Reisedauern könnten zum Beispiel durch die Nennung von Regelbeispielen wie Begräbnisse, Hochzeiten oder die Reise zu schwer kranken Familienangehörigen nachvollziehbar gemacht werden.

 

taz Sicherheitspaket und Grenzkontrollen: Ampel schottet ab

Innenministerin Faeser verkündet Grenzkontrollen und Zurückweisungen. Die Ampel-Fraktionen wollen noch diese Woche Gesetzesverschärfungen beschließen.

Jetzt soll es Schlag auf Schlag gehen. Bereits am Donnerstag sollen die Gesetzesverschärfungen in der Migrations- und Sicherheitspolitik, welche die Ampel nach dem islamistischen Attentat von Solingen ankündigte, in erster Lesung in den Bundestag gehen. Und bereits am Montag verkündete Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), dass sie bei der Europäischen Kommission Kontrollen an allen deutschen Grenzen für die nächsten sechs Monate notifizierte. Diese sollen ab dem 16. September gelten und zu einer „massiven Ausweitung“ von Zurückweisungen von Geflüchteten führen.

Damit verschärft die Ampel-Regierung nochmals deutlich ihre Migrationspolitik. Denn nicht nur die Grünen, auch Faeser hatte lange die Grenzkontrollen zurückgewiesen, mit Verweis auf die europäische Freizügigkeit oder die Belastung für Pendler*innen. Schon zuletzt aber hatte Faeser Grenzkontrollen zu Österreich, zur Schweiz, zu Tschechien und Polen bis zum Jahresende verhängt. Diese werden nun noch weiter verlängert. Dazu kommen nun auch Kontrollen an den Grenzen zu Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, Belgien und Dänemark.

„Wir stärken die innere Sicherheit und setzen unseren harten Kurs gegen die irreguläre Migration fort“, erklärte Faeser am Montagnachmittag. Zugleich kündigte sie an, dass die Zahl der Zurückweisungen von Geflüchteten an der Grenze deutlich steigen solle. Man habe dafür europarechtlich konforme Wege gefunden. Welche, das ließ Faeser offen. Sie wolle darüber zunächst am Dienstag mit der Union reden, erklärte sie.

Faeser verwies darauf, dass bereits seit Oktober 2023 mehr als 30.000 Zurückweisungen an den deutschen Grenzen erfolgten, bei Personen, die keine gültigen Dokumente vorlegten oder kein Asylgesuch vorbrachten. Die Auswirkungen der künftigen Kontrollen auf Pend­le­r*in­nen sollten „so gering wie möglich“ gehalten werden, versprach Faeser.

Österreich will keine Zurückgewiesenen aufnehmen

Das Europarecht schließt direkte Zurückweisungen an der Grenze allerdings aus: Geflüchtete müssen zunächst ins Land gelassen werden, um dort zu prüfen, welcher EU-Staat für das Asylverfahren zuständig ist. Und Österreich erklärte bereits, dass es keine zurückgewiesenen Geflüchteten aus Deutschland aufnehmen werde. Auch die Grünen hatten die Zurückweisungen zuletzt als „rechtswidrig“ kritisiert.

Bereits vergangenen Dienstag aber hatte sich die Ampel mit Ver­tre­te­r*in­nen der Union zu Gesprächen über Verschärfungen in der Migrations- und Sicherheitspolitik getroffen. CDU-Chef Friedrich Merz hatte danach ein Ultimatum gestellt: Man werde die Gespräche nur fortführen, wenn es zu Grenzkontrollen und Zurückweisungen komme. Dem kommt die Ampel nun nach. Die zweite Gesprächsrunde soll diesen Dienstag folgen.

Und die Ampel drückt auch anderweitig aufs Tempo. Im Umlaufverfahren beschoss die Regierung am Montag weitere angekündigte Verschärfungen in der Asyl- und Si­cher­heits­po­li­tik. Das Ziel: ­mehr Abschiebungen, Leistungskürzungen für Geflüchtete, Messerverbote, mehr Befugnisse für die Polizei. Nun sollen die Ampel-Fraktionen im Bundestag zügig nachziehen.

Bereits am Wochenende hatten Faesers Innenministerium und das Bundesjustizministerium von Marco Buschmann (FDP) Formulierungsvorschläge für die entsprechende Gesetzesänderungen an die Ampelfraktionen verschickt. Diese wollten diese am Montagabend in ihren Fraktionssitzungen beschließen.

SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sagte der taz, man wolle „zügig vorankommen und das Sicherheitspaket noch in dieser Woche in erster Lesung beraten“. Das würde man „ein sehr zeitnahes Inkrafttreten ermöglichen“. Auch Justizminister Buschmann erklärte, er werbe „für hohes Tempo“ und eine Beratung des Pakets noch diese Woche. FDP-Innenpolitiker Manuel Höferlin bekräftigte, man werde das Paket im Bundestag „zügig umsetzen“, damit die Maßnahmen „so schnell wie möglich genutzt werden können“. Das Vorhaben dürfe nun „nicht zerredet werden“.

Grüne pochen auf „ordentliches Verfahren“

Das zielt auf die mitregierenden Grünen, die mit einigen der Asylmaßnahmen hadern. Das Paket noch diese Woche in den Bundestag einzubringen, trägt die Fraktion aber mit. Man wolle für eine „sachgemäße parlamentarische Beratung“ sorgen, sagte Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Irene Mihalic der taz. Nach der ersten Lesung aber will die Fraktion nochmal intensiver beraten. „Wir wollen in einem ordentlichen Verfahren mit Sachverständigenanhörungen und Ausschussbefassung am Gesetzespaket arbeiten, damit es hält, was es verspricht, nämlich einen realen Zugewinn an Sicherheit.“

Die Gesetzesvorschläge der Ministerien verteilen sich auf zwei Papiere, zusammen rund 80 Seiten stark. Sie liegen der taz vor. Mehrere Maßnahmen sollen ohne Zustimmung des Bundesrats verabschiedet werden. Darunter ein stärkerer Druck auf Geflüchtete mit Dublin-Status, in das Erstaufnahmeland zurückzukehren: Nur noch zwei Wochen sollen sie künftig Asylbewerberleistungen erhalten, danach nur noch Sachleistungen oder Wertgutscheine.

Auch sollen Geflüchtete ihren Schutzstatus verlieren, wenn sie wegen antisemitischen, rassistischen oder anderweitig menschenverachtenden Straftaten verurteilt werden. Gleiches soll gelten, wenn Straftaten mit Messern begangen werden oder wenn eine Verurteilung für Landfriedensbruch, also Straftaten bei Demonstrationen, von einem Jahr oder mehr erfolgt.

Auch zwischenzeitliche Rückreisen in die Herkunftsländer sollen künftig zur Aberkennung des Schutzstatus führen – es sei denn, dies erfolgt bei Todes- oder schweren Krankheitsfällen von Angehörigen. Jede Rückreise muss der Ausländerbehörde angezeigt werden. Um die Identität von Geflüchteten schneller klären zu können, soll das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge öffentliche Daten aus dem Internet biometrisch abgleichen dürfen.

Zudem sollen künftig Messer bei öffentlichen Veranstaltungen, an „kriminalitätsbelasteten“ Orten, in Zügen, Bussen oder Haltestellen grundsätzlich verboten werden. Ausnahmen gelten für den Transport eines gekauften Messers nach Hause oder etwa für Markthändler*innen. Die Polizei soll hier mehr Befugnisse für Kontrollen erhalten. Springmesser sollen – unabhängig von der Klingenlänge – generell verboten werden. Ausnahmen gelten nur „im beruflichen und jagdlichen Umfeld“.

Harsche Kritik von Pro Asyl

Auch sollen individuelle Waffenverbote leichter erteilt werden, indem Waffenbehörden hierfür auch in öffentlichen Quellen recherchieren und leichter Daten mit anderen Behörden austauschen dürfen. Zudem sollen Finanzermittlungen des Bundesamt für Verfassungsschutz in der extremistischen Szene verbessert werden – dies soll nun auch für nicht gewaltorientierte Gruppen gelten.

Andere Vorhaben werden noch die Zustimmung des Bundesrats brauchen. Etwa neue Befugnisse für das BKA und die Bundespolizei zur automatisierten Analyse von internen Daten. Oder ein Abgleich von Onlinedaten mit Fotos und Stimmen von Tatverdächtigen oder gesuchten Personen, der künftig erlaubt werden soll.

Initiativen wie Pro Asyl warnten, mit den geplanten Maßnahmen würden „Grundwerte der Verfassung“ angegriffen, die Debatte sei „sozialpolitisches Gift“. Auch die Grüne Jugend forderte am Wochenende ein Abbruch der Gespräche mit der Union: Die Strategie, aus Angst vor Rechten ihnen immer weiter hinterherzurennen, gehe am Ende stets nach hinten los – und sporne die Rechten nur immer mehr an.

 

Tagesschau Irreguläre Migration Faeser ordnet Kontrollen an allen Grenzen an

09.09.2024 19:54 Uhr Ab kommender Woche soll es an allen deutschen Grenzen Kontrollen geben - das kündigte Innenministerin Faeser an. Zudem sollen "europarechtskonforme Zurückweisungen" möglich werden. Österreich will zurückgewiesene Migranten allerdings nicht aufnehmen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat vorübergehend die Grenzkontrollen auf alle deutschen Landesgrenzen ausgeweitet. Die Gründe dafür seien neben der Begrenzung der irregulären Migration auch der Schutz der inneren Sicherheit vor den aktuellen Bedrohungen durch den islamistischen Terrorismus und vor grenzüberschreitender Kriminalität, so Faeser.

Die zusätzlichen Kontrollen sollen am 16. September beginnen und zunächst einmal sechs Monate andauern. Damit bestehe an allen Grenzen "das gesamte Bündel an stationären und mobilen grenzpolizeilichen Maßnahmen einschließlich der Möglichkeit von Zurückweisungen nach Maßgabe des europäischen und nationalen Rechts", hieß es in einer Mitteilung des Ministeriums. Für Pendler sollen die Auswirkungen möglichst gering gehalten werden. ...

"Modell für europarechtskonforme Zurückweisungen"

Neben den Grenzkontrollen kündigte Faeser auch eine Ausweitung der Zurückweisungen von Migranten an den deutschen Grenzen an - ohne allerdings Details zu nennen. Nach dem Migrationstreffen mit Unionsfraktion und Ländervertretern in der vergangenen Woche habe die Regierung ein "Modell für europarechtskonforme und effektive Zurückweisungen entwickelt", hieß es vom Ministerium. Dieses Modell gehe über die derzeit erfolgenden Zurückweisungen hinaus. ...

Österreich will Zurückgewiesene nicht aufnehmen

... Österreich teilte bereits mit, keine von Deutschland zurückgewiesenen Migranten aufnehmen zu wollen. "Österreich wird keine Personen entgegennehmen, die aus Deutschland zurückgewiesen werden", sagte Innenminister Gerhard Karne der Bild-Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. "Da gibt es keinen Spielraum. Das ist geltendes Recht. Er habe daher den Chef der österreichischen Bundespolizei angewiesen, "keine Übernahmen durchzuführen". ...

 

nd: Flüchtlingsabwehr mit Rechtsbruch Union verlangt Ausweitung von Zurückweisungen an Grenzen, 27 Verbände halten dagegen 

17:27 Uhr  Es gibt sie noch, die Stimmen, die in der aufgeheizten Debatte um die Begrenzung »irregulärer Migration« zur Einhaltung grundlegender Menschenrechte mahnen. Am Montag veröffentlichten 27 Organisationen einen Appell, in dem sie sich gegen die insbesondere von den Unionsparteien und CDU-Chef Friedrich Merz verlangte Ausweitung von Zurückweisungen Geflüchteter an deutschen Grenzen wenden.

CDU und CSU hatten ihre Teilnahme an einem weiteren Spitzengespräch mit Vertretern der Bundesregierung zum Thema Migrationsbegrenzung an die Bedingung geknüpft, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sich zu mehr Zurückweisungen bereit erklärt. Er hatte im ZDF-Sommerinterview am Wochenende weiteres Entgegenkommen signalisiert.

Die 27 Organisationen, zu denen drei große Sozialverbände, Juristen- und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International sowie die Flüchtlingsräte der Länder gehören, verweisen in ihrem Appell darauf, dass Zurückweisungen an EU-Binnengrenzen »eindeutig europarechts- und menschenrechtswidrig« sind.

»Die Bundesregierung muss Rückgrat für den deutschen Rechtsstaat und die Menschenwürde beweisen.« Wiebke Judith Pro Asyl

Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, erklärte, weitere Asylrechtsverschärfungen würden Rechte ohnehin nie zufriedenstellen, diese würden weiter hetzen. Die Bundesregierung müsse daher »Rückgrat für den deutschen Rechtsstaat und die Menschenwürde beweisen«.

Bislang deutet nichts darauf hin, dass die Ampel dies tun wird. Vielmehr ist sie Union – und der extrem rechten AfD – mit ihrem Migrationsbegrenzungspaket weit entgegengekommen. Und Zurückweisungen an den Grenzen werden bereits in wachsendem Umfang praktiziert. Auf eine Anfrage der Linke-Bundestagsabgeordneten Clara Bünger teilte das Bundesinnenministerium jetzt mit, die Bundespolizei habe im ersten Halbjahr 2024 mehr als die Hälfte der »illegal« Eingereisten zurückgewiesen.

Im Gesamtjahr 2023 hatten die Beamten demnach rund 28 Prozent der Einreisewilligen wieder in die Nachbarländer zurückgeschickt, von denen diese nach Deutschland gelangen wollten. Registriert wurden an den deutschen Grenzen im ersten Halbjahr 2024 demnach 42 307 unerlaubt Einreisende, von denen 21 661 zurückgewiesen wurden. 2023 hatte die Bundespolizei 127 549 Personen aufgegriffen und 35 618 zurückgewiesen.

Für die Grenzen zu Tschechien, Polen und der Schweiz hatte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) im vergangenen Oktober stationäre Kontrollen angeordnet. An der Landgrenze zu Österreich gibt es diese bereits seit 2015. Zurückweisungen an deutschen Landgrenzen sind rechtskonform möglich, wenn jemand mit einer Einreisesperre belegt ist oder kein Asyl beantragt. Clara Bünger vermutet, dass der Wille der Betroffenen, Asyl zu beantragen, vermehrt ignoriert wird, um sie zurückweisen zu können.

Die Union will darüber hinaus, dass alle Menschen zurückgewiesen werden, »die in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder des Schengen-Raums bereits Aufnahme gefunden haben oder die einen Asylantrag auch in einem Staat, aus dem sie einreisen wollen, stellen können«.

Darauf, dass die von den Unionsparteien geforderte Ausweitung von Zurückweisungen nach Europarecht unzulässig sind, verweisen bislang auch Grünen-Politiker. Die Bundestagsabgeordnete Irene Mihalic betonte, für aus EU-Ländern Einreisenden sei die Dublin-Verordnung der Europäischen Union anwendbar. Erst nach Einreise müsse »im Rahmen des Asylverfahrens der zuständige Mitgliedstaat bestimmt werden«. Nach den Dublin-Regeln ist jenes Land für ein Asylverfahren zuständig, in dem eine Person in der EU angekommen ist.

Unterdessen fordern auch die Kommunen eine schnelle Umsetzung vieler Verschärfungen – und eine Beteiligung an den parteiübergreifenden Gesprächen in Berlin. »Die Kommunen sind schließlich die Orte der Integration«, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB), André Berghegger, am Montag im Deutschlandfunk. Die Kommunen seien an ihrer Belastungsgrenze angekommen. In einem am Montag veröffentlichten Positionspapier fordert der DStGB unter anderem die Schaffung einer »Task Force Abschiebungen« des Bundes.

Auch der Deutsche Landkreistag legte ein Papier vor. Darin begrüßt er das Ende August vorgelegte Sicherheitspaket der Bundesregierung und dringt unter anderem auf die Abschaffung des subsidiären Schutzstatus für Geflüchtete aus Kriegsgebieten und die Erhöhung der Zahl der Rückführungen, auch nach Syrien und Afghanistan.

Am Wochenende hat die Koalition bereits einen Gesetzentwurf zur Umsetzung ihres Sicherheitspakets vorgelegt und damit nur eine Woche nach dessen Ankündigung. »Wir haben geliefert«, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) der Deutschen Presse-Agentur in Berlin am Sonntag. Die Ampel will das Gesetz nun schnell durch den Bundestag bringen. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hält eine erste Beratung im Bundestag schon in dieser Woche für möglich.

Das Paket sieht unter anderem die Streichung der Leistungen für Asylbewerber vor, für deren Verfahren ein anderer europäischer Staat zuständig ist und der einer Rücknahme der Betroffenen zustimmt. Weiter sollen Geflüchtete, die eine Straftat mit einer Waffe oder einem anderen gefährlichen Werkzeug begangen haben, einfacher ausgewiesen werden können. Seinen Schutzstatus soll auch verlieren, wer »ohne einen triftigen Grund« in sein Heimatland reist. Weiter soll es ein generelles Messerverbot im Fernverkehr mit Bussen und Bahnen, auf Volksfesten und bei anderen Großveranstaltungen geben.

 

Tagesschau: Städte- und Gemeindebund Kommunen fordern "Task Force" für Abschiebungen

09.09.2024 03:13 Uhr  Mehr und schnellere Abschiebungen - darauf drängt der Städte- und Gemeindebund. Dafür brauche es eine "Task Force" des Bundes. Die Polizeigewerkschaft zeigt sich offen für Zurückweisungen an Grenzen, allerdings nur unter bestimmten Bedingungen.

In der Debatte über Migration fordert der Deutsche Städte- und Gemeindebund zusätzliche Maßnahmen gegen irreguläre Migration sowie eine "Task Force" für mehr Abschiebungen. Es sei richtig, die Anstrengungen zu verstärken, dass Menschen ohne Bleiberecht in ihre Herkunftsländer zurückkehrten, sagte Hauptgeschäftsführer André Berghegger der Rheinischen Post.

Eine "Task Force Abschiebungen" des Bundes würde die Prozesse nach seinen Worten beschleunigen und effizienter gestalten. Bislang sind Abschiebungen Ländersache, auch wenn die Länder sich bei der Durchführung Unterstützung der Bundespolizei holen. 

Verband fordert Teilnahme an Gipfel

Zugleich begrüßte Berghegger die derzeit diskutierten Ideen zur Begrenzung von irregulärer Migration. "Die vorgeschlagenen Maßnahmen können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, das Migrationsgeschehen zu ordnen, zu steuern und zu begrenzen und gleichzeitig die Sicherheit in Deutschland zu verbessern", sagte er. Es erscheine "sinnvoll, die deutschen Grenzen so lange zu kontrollieren, bis die europäische Asylreform in Kraft ist". 

Der Verbandschef kritisierte allerdings, dass die Städte und Gemeinden in die Gespräche zwischen Regierung und Opposition nicht unmittelbar einbezogen würden. Dies sei "bedauerlich und unverständlich". Die Kommunen müssten mit am Tisch sitzen, wenn Entscheidungen über Migration und Sicherheit getroffen werden. Die Kommunen hatten bereits beim Migrationsgipfel am vergangenen Dienstag auf eine Beteiligung gepocht.

Polizeigewerkschaft offen für Zurückweisungen an Grenze

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) zeigt sich unter bestimmten Bedingungen offen für Zurückweisungen von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern an den Grenzen. "Sollte es so geregelt werden können, dass unseren Kolleginnen und Kollegen, welche die Maßnahmen dann vollziehen müssten, im Nachgang keinerlei rechtliche Probleme entstehen, wäre es eine Maßnahme, welche durchaus zu unterstützen wäre", sagte der GdP-Vorsitzende für die Bundespolizei, Andreas Roßkopf, der Rheinischen Post.

Roßkopf verwies auf eine "heftige juristische Diskussion" über die Forderungen der Union und erklärte, Rechtssicherheit sei eine Grundvoraussetzung für die Beamtinnen und Beamten, "aber immer unter dem Gesichtspunkt, dass die Bundespolizei schon jetzt am Limit arbeitet und eine weitere Belastung auf Dauer nicht zu verkraften wäre".

Migrationsrecht mehrfach verschärft

Die Bundesregierung will am Dienstag erneut mit der Opposition und den Ländern sprechen. Allerdings hatte CDU-Chef Friedrich Merz eine Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze zur Bedingung für weitere Gespräche gemacht.

Die Ampelkoalition hatte beim Migrationsrecht bereits mehrfach Verschärfungen beschlossen, so etwa zu Jahresbeginn Erleichterungen bei Abschiebungen.

Nach dem mutmaßlich islamistisch motivierten Messeranschlag von Solingen mit drei Toten und acht Verletzten legte sie nun kurzfristig ein "Sicherheitspaket" mit weiteren Maßnahmen vor. Dies umfasst unter anderem eine Ausweitung von Messerverboten, Leistungsstreichungen für bestimmte ausreisepflichtige Geflüchtete und zusätzliche Ermittlungsbefugnisse für die Sicherheitsbehörden. 

 

aktualisiert 08.09.2024

Tagesschau Söder und Lindner fordern drastische Reduzierung von Asylanträgen

08.09.2024 20:48 Uhr "Es ist uns über den Kopf gewachsen"

Beim Thema Migration sind sie sich einig: CSU-Chef Söder und FDP-Chef Lindner haben im Bericht aus Berlin eine deutliche Reduzierung der Asylanträge gefordert. Die Migration sei "uns über den Kopf gewachsen", sagte Söder. Lindner kritisierte Kontrollverlust.

CSU-Chef Markus Söder fordert, die Zahl an Asylanträgen in Deutschland deutlich zu reduzieren. Derzeit werden bundesweit rund 300.000 Asylanträge gestellt. Die Menschen kämen mit den Folgen der Migration nicht mehr klar, sagte Söder im Bericht aus Berlin.

"Insgesamt muss die Zahl deutlich auf weit unter 100.000 auf Dauer reduziert werden, weil wir tatsächlich überfordert sind. Wir sind mit den Folgen und der Integration überfordert - und zwar nicht nur, was Kitas betrifft und Schulen und Wohnungen. Sondern wir sind auch zum Teil kulturell überfordert", sagte Söder. In vielen deutschen Städten fühlten sich auch die deutschen Einwohner nicht mehr zu Hause. "Und die Wahrheit ist einfach: Es ist uns über den Kopf gewachsen."

Player: videoMarkus Söder, Parteivorsitzender CSU, zur aktuellen Asyldebatte aus Bericht aus Berlin

Als Instrument, um die Migration zu verringern, schlägt Söder die Zurückweisung an der Grenze vor. Damit würde Deutschland laut Söder auch ein klares Signal an die europäischen Nachbarn senden, die eigenen Grenzen besser zu sichern. "Ich bin fest überzeugt, auch Österreich und viele andere Länder wären froh, wenn Deutschland endlich als zentrales Land in Europa eine Migrationspolitik macht, wie sie in Dänemark üblich ist." Laut Söder würde die Maßnahme zudem Menschen abschrecken, sich auf den Weg nach Deutschland zu machen.

Söder will Asylrecht ändern

Zudem schlägt der CSU-Chef eine langfristige Änderung des Asylrechts vor. "Wir müssen aus einem subjektiven Recht ein institutionelles Grundrecht machen. Das bedeutet, dass Deutschland selbst entscheiden kann, wer ins Land kommt und wie viele im Land sind, so Söder. "Das würde uns dann tatsächlich die Möglichkeit geben zu entscheiden, aus welchen Gründen - ob aus Arbeitsgründen Zuwanderung notwendig ist oder welche humanitären Leistungen wir über Kontingente nehmen können."

Eine ähnliche Richtung schlägt auch FDP-Chef Christian Linder im Bericht aus Berlin ein. "Ich bin überzeugt davon, dass es eine Form der Zurückweisungen geben muss. Und im Übrigen ist das nur eines der Instrumente, die wir nutzen müssen", so Lindner. "Wir sollten auch sprechen über die Vergrößerung der Zahl der sicheren Herkunftsländer beispielsweise. Wir sollten Anreize für die irreguläre Migration in unseren deutschen Sozialstaat weiter reduzieren - und das am besten im Konsens mit Union und den Koalitionsparteien."

Lindner: "Brauchen Kontrolle bei Einwanderung"

"Wir brauchen Kontrolle und Konsequenz bei der Einwanderung", so Lindner weiter. Er sei davon überzeugt, dass das auch Voraussetzung sei, damit das Land vielfältig und tolerant bleibe. "Wir setzen die Weltoffenheit unseres Landes aufs Spiel, wenn die Menschen das Gefühl haben, es sind Verluste an Sicherheit damit verbunden."

 

Tagesschau AfD-Positionspapier Nur noch "Brot, Bett und Seife" für Asylbewerber

08.09.2024 20:31 Uhr In einem Positionspapier hat die AfD ihre Schwerpunkte für die Bundestagswahl festgelegt. Dabei geht es vor allem um das Thema Migration - laut Co-Chef Chrupalla die "Mutter aller Probleme". Er will Leistungen für Asylbewerber drastisch reduzieren.

Die AfD-Bundestagsfraktion hat bei einer Sondersitzung zum Ende der parlamentarischen Sommerpause Arbeitsschwerpunkte bis zur Bundestagswahl festgelegt. Einem Positionspapier zufolge, das die Fraktion in Berlin beschloss, wollen sich die AfD-Abgeordneten auf die drei Themengebiete Innen-, Wirtschafts- und Sozialpolitik konzentrieren.

Überwölbendes Thema ist aus Sicht der Fraktionsspitze dabei die Migration. Co-Fraktionschef Tino Chrupalla sprach von der "Mutter aller Probleme". Das habe jemand anderes schon einmal gesagt. Der frühere CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte 2018 die Migrationsfrage als "Mutter aller politischen Probleme in diesem Land" bezeichnet.

Nur "Brot, Bett und Seife" für Asylbewerber

Die Fraktion bekräftigt in ihrem Papier bekannte Positionen und fordert etwa Zurückweisungen an den deutschen Grenzen, Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber und "notfalls auch" Grenzzäune. Für Menschen ohne Ausweispapiere solle es keine Asylverfahren geben. ...

In der Sozialpolitik fordert die AfD-Fraktion: "Bürgergeldleistungen nur für Deutsche" und für Asylbewerber und Flüchtlinge nur Sachleistungen "nach dem Prinzip 'Brot, Bett und Seife'", wie es heißt. ...

 

Rheinische Post Debatte über Begrenzung von Migration Kommunen fordern „Task Force Abschiebungen“ des Bundes

07:44 Uhr Kurz vor dem zweiten Gipfeltermin von Ampel und Opposition zur illegalen Migration beharren die Gesprächspartner auf ihren Positionen, dennoch zeichnen sich Kompromisslinien ab. Seitens des Städte- und Gemeindebundes und der Polizei gibt es jedoch Forderungen.

In der Migrationsdebatte hat sich die Gewerkschaft der Polizei (GdP) unter bestimmten Voraussetzungen für Zurückweisungen von Asylbewerbern an den Grenzen ausgesprochen. Der GdP-Vorsitzende für die Bundespolizei, Andreas Roßkopf, verwies auf eine „heftige juristische Diskussion“ über die Forderungen der Union. „Sollte es so geregelt werden können, dass unseren Kolleginnen und Kollegen, welche die Maßnahmen dann vollziehen müssten, im Nachgang keinerlei rechtliche Probleme entstehen, wäre es eine Maßnahme, welche durchaus zu unterstützen wäre“, sagte Roßkopf. Dies sei Grundvoraussetzung. „Aber immer unter dem Gesichtspunkt, dass die Bundespolizei bereits jetzt am Limit arbeitet und eine weitere Belastung nicht auf Dauer zu leisten wäre“, betonte der GdP-Vorsitzende für die Bundespolizei.

Die Ampel-Koalition legte vor der für Dienstag anvisierten neuen Gesprächsrunde einen Gesetzentwurf zur Umsetzung ihres Sicherheitspaktes vor. „Wir haben geliefert“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) der Deutschen Presse-Agentur in Berlin mit Blick auf den Gesetzentwurf, der nur gut eine Woche nach der Ankündigung des Sicherheitspaketes fertig wurde. Die Ampel-Koalition will das Gesetz, mit dem sie auf den islamistisch motivierten Terroranschlag von Solingen mit drei Toten und acht Verletzten reagiert, nun schnell durch den Bundestag bringen - und damit auch vor der Landtagswahl am 22. September in Brandenburg Handlungsfähigkeit signalisieren.

Doch die CDU/CSU-Opposition hatte bereits bei der Präsentation des Sicherheitspaketes Ende August deutlich gemacht, dass sie die darin vorgeschlagenen Maßnahmen für nicht ausreichend hält. CDU-Chef Friedrich Merz verlangt als Voraussetzung für eine Teilnahme der Union an einem weiteren Migrationsgespräch von Regierung, Opposition und Ländern, dass die Ampel Grenzkontrollen und der Zurückweisung von Flüchtlingen an den Grenzen zustimmt. Die Union fordert, Menschen zurückzuweisen, „die in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder des Schengen-Raums bereits Aufnahme gefunden haben oder die einen Asylantrag auch in einem Staat, aus dem sie einreisen wollen, stellen können“.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zeigte sich vor der weiteren Gesprächsrunde kompromissbereit, verwies jedoch auf bereits bestehende Regelungen und geltendes Recht. Die von der Union geforderten Zurückweisungen an der Grenze gebe es schon, betonte Scholz im ZDF-Sommerinterview. „Wir haben schon Grenzkontrollen. Und ein effektives Grenzmanagement ist etwas, was wir gerne weiter - und auch mit Unterstützung der Opposition - ausbauen wollen“. Von der Regierung gebe es hier „gute Vorschläge“, sagte der Kanzler. Es sei aber klar, dass diese „alle sich im Rahmen der europäischen Gesetze, der internationalen Verträge und unseres Grundgesetzes bewegen“ müssten.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte auf Anfrage: „Wir können nicht wahllos jeder Person, die an der Grenze angibt, Asyl zu wollen, die Einreise gewähren.“ In Europa gelte nach wie vor das Dublin-System. „Es wird Zeit, dass es auch an den deutschen Grenzen wieder konsequente Anwendung findet. Flüchtlinge, die kein Recht haben, in Deutschland Asyl zu beantragen, dürfen nicht ins Land gelassen werden und erst recht keine Sozialleistungen erhalten“, sagte Djir-Sarai. „Diese Neuordnung der Migrationspolitik werden wir schnell und entschlossen vorantreiben. Denn wer sich diesen Reformen in den Weg stellt, ignoriert die Sorgen der Menschen im Land und stärkt die politischen Ränder“, so der FDP-Politiker.

Rückendeckung kam auch aus den Kommunen. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, André Berghegger, begrüßte die diskutierten Ideen. „Die vorgeschlagenen Maßnahmen können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, das Migrationsgeschehen zu ordnen, zu steuern und zu begrenzen und gleichzeitig die Sicherheit in Deutschland zu verbessern“, sagte er. Die Kapazitäten in den Kommunen seien vielerorts ausgeschöpft und die Städte und Gemeinden seien an ihrer Belastungsgrenze. „Wir brauchen dringend eine Begrenzung der Zuwanderung, um uns um die Menschen mit Bleibeperspektive zu kümmern, die bereits in Deutschland sind“, sagte er. „Es erscheint sinnvoll, die deutschen Grenzen so lange zu kontrollieren, bis die europäische Asylreform in Kraft ist.“

 

aktualisiert 06.09.2024

Tagesschau faq Asylpolitik Warum Zurückweisungen rechtlich umstritten sind 

06.09.2024 19:38 Uhr  CDU-Chef Merz hat der Ampel ein Ultimatum gestellt: Bis Dienstag soll sie sich zu Zurückweisungen von Flüchtlingen an den deutschen Grenzen bekennen. Ob das rechtlich zulässig ist, ist hochumstritten.

Worum dreht sich die aktuelle Diskussion?

Für Friedrich Merz und die CDU ist klar: Man kann die Migration in Deutschland nur in den Griff bekommen, wenn man keine Flüchtlinge mehr ins Land lässt. Rechtlich sei das möglich, erklärt die größte Oppositionspartei, notfalls müsste man die "nationale Notlage" erklären.

Die Bundesregierung hat zugesagt, Zurückweisungen zu prüfen, Justizminister Marco Buschmann erklärte: "Die Innenministerin und ich wollen dazu einen Vorschlag machen. Mein Wunsch ist es, dass wir das politisch hinbekommen, natürlich im Rahmen des geltenden Rechts." Ob das Recht das zulässt, ist eine hoch umstrittene Frage.

Sind Zurückweisungen nach EU-Regeln zulässig?

Das deutsche Asylgesetz enthält zwar Regeln zum Thema Zurückweisung an der Grenze. Sie werden aber vom EU-Recht überlagert. Entscheidend sind die Regeln der Dublin-III-Verordnung der EU. Darin steht unter anderem, wie mit Menschen zu verfahren ist, die an den deutschen Grenzen ankommen und Asyl suchen.

Die Verordnung legt auch fest, wer in der EU für das jeweilige Asylverfahren zuständig ist. Und, dass die Mitgliedsstaaten asylsuchende Flüchtlinge nicht einfach so zurückweisen dürfen. Also auch dann nicht, wenn sie selbst nicht zuständig sind für das Verfahren. Vielmehr müssen sie genau prüfen, welcher Staat stattdessen zuständig ist. Dann dürfen und sollen sie den Flüchtling geordnet in genau dieses Land überstellen, damit dort das Asylverfahren durchgeführt werden kann.

"Dieses Verfahren dauert derzeit knapp fünf Monate, erst nachdem ein Verwaltungsgericht grünes Licht gegeben hat, darf Deutschland dann an den zuständigen Staat überstellen. Das ist etwas ganz anderes als eine Zurückweisung an der Grenze", erklärt Daniel Thym, Professor für öffentliches Recht an der Universität Konstanz.  

Asylsuchende sollen also koordiniert zurückgeführt werden und nicht in Europa umherirren und von einem Land in ein anderes geschickt werden. In aller Regel sind für die Asylverfahren nicht die deutschen Nachbarländer zuständig, sondern die Mitgliedsstaaten an den EU-Außengrenzen. Eine Zurückweisung in die Nachbarländer ist also nach ganz überwiegender Meinung der Experten nach den Dublin-Regeln nicht erlaubt.

faq 06.09.2024 Streit über Asylpolitik Worum es in der Debatte über Zurückweisungen geht

Wie sieht die Praxis aus und wo gibt es rechtliche Hürden? Ein Überblick. mehr

Gilt das auch, wenn Flüchtlinge schon in einem anderen Land registriert sind?

Ja, auch wenn der Flüchtling bereits in einem Land an der EU-Außengrenze registriert ist, muss Deutschland ein geordnetes Verfahren durchführen und ihn in dieses Land zurückbringen. So besagen es die konkreten Dublin-Regeln.

"Zurückweisen kann man an der deutschen Grenze nur Menschen, die keinen Asylantrag stellen und den auch nicht in einem anderen Land gestellt haben", erklärt Constantin Hruschka, Professor für Sozialrecht an der evangelischen Hochschule Freiburg. Das wird auch jetzt schon zum Teil so gemacht. Dafür gibt es entsprechende Abkommen mit den Nachbarländern. 

Ändert die EU-Asylrechtsreform daran etwas?

Zum Teil wird in der Diskussion jetzt angeführt, Deutschland müsse nur die beschlossene EU-Asylrechtsreform vorziehen und dürfte dann die bereits in einem anderen Land registrierten Flüchtlinge an der Grenze zurückweisen.

Doch auch diese Annahme ist rechtlich nicht begründbar, erklärt Asylrechtsexperte Daniel Thym: "Bei den hier relevanten Regeln ändert sich beinahe nichts. Ganz bewusst wurde der Status quo fortgesetzt, weil Nord- und Südländer völlig gegenläufige Interessen haben."

Auch Constantin Hruschka ist sich sicher, dass die Reform nicht dafür sorgt, dass Zurückweisungen von Asylsuchenden rechtlich möglich werden: "Man hatte überlegt, den Schengener Grenzkodex zu ändern und dort reinzuschrieben, dass schon registrierte Asylsuchende abgewiesen werden können. Das ist aber eben nicht so gekommen. Und an den Dublin-Regeln, die vorrangig gelten, hat sich insoweit nichts geändert."  

 Kann Deutschland eine "Notlage" erklären und dann zurückweisen?

Friedrich Merz zeigte sich überzeugt: Wenn das Europarecht die Zurückweisungen nicht zulasse, müsse Deutschland die "nationale Notlage" erklären und das Europarecht in diesem Punkt außer Acht lassen.

Grundlage für diese Argumentation ist der Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Der erlaubt es den Mitgliedsstaaten tatsächlich ausnahmsweise, das Europarecht außer Acht zu lassen in diesen Asyl- und Migrationsfragen, wenn eine Ausnahmesituation besteht. "Das ist zumindest mal ein rechtlicher Ansatzpunkt. Man könnte versuchen, Zurückweisungen so zu begründen. Bisher sind allerdings alle Staaten, die sich vor dem Europäischen Gerichtshof darauf berufen haben, mit dieser Argumentation gescheitert", erklärt Daniel Thym.  

Was wären die Voraussetzungen für eine solche Notlage?

Art 72 AEUV fordert als Voraussetzung, um das EU-Recht außer Acht zu lassen, dass die "Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung" und der "Schutz der inneren Sicherheit" in Gefahr sind. "Der Bestand des Staates müsste gefährdet sein", übersetzt Constantin Hruschka. "Da sehe ich keine Möglichkeit für Deutschland, Dublin und Co auszusetzen", so die Einschätzung des Experten.

Hinzu kommt: Es dürfte keine andere, mildere Möglichkeit geben, diese Gefahr auszuräumen, so Hruschka: "Man müsste erstmal alles andere versuchen." Wohl auch die EU-Kommission um Hilfe bitten. "Deutschland hat jetzt zumindest mal den Hilferuf an die europäische Asylagentur gestellt, aber eben auch erst jetzt", sagt Hruschka.

Entscheidend dürfte am Ende sein, wie gut Deutschland die Notlage begründen würde und welchen Spielraum der Europäische Gerichtshof dabei zugesteht. Die Experten sind skeptisch, dass das rechtlich durchgeht. "Juristisch falsch ist aber auch die pauschale Behauptung, Zurückweisungen seien generell rechtswidrig. Über diesen rechtlichen Weg könnte man es zumindest versuchen", so Daniel Thym.

Wer könnte gegen Zurückweisungen klagen?

Die Bundesregierung würde also mit verstärkten Zurückweisungen jedenfalls ein rechtliches Risiko eingehen. Entscheidend wäre dann, wie die deutschen und europäischen Gerichte über Fälle von Zurückweisungen entscheiden. Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie solche Fälle vor die Gerichte kommen könnten.

Zurückgewiesene Asylsuchende könnten vor den Verwaltungsgerichten der Grenzregion klagen und dies mit Eilanträgen verbinden. Bei ablehnenden Entscheidungen wären auch Eilanträge beim Bundesverfassungsgericht möglich.

Eine besonders wichtige Instanz für dieses Thema ist der Europäische Gerichtshof in Luxemburg. Denn er entscheidet abschließend darüber, wie EU-Recht auszulegen ist. Abgelehnte Asylsuchende können aber nicht selbst direkt bis vor den EuGH gehen.

Im Laufe einer Klage vor den deutschen Verwaltungsgerichten würde ein nationales Gericht (relativ schnell) die entscheidenden Fragen dem EuGH vorlegen, der sie dann für das nationale Gerichtsverfahren beantwortet. Das würde aber mindestens einige Monate dauern.

Rechtsfragen rund um Zurückweisungen an der Grenze könnten noch auf einem anderen Weg zum EuGH gelangen. Erstens könnte die EU-Kommission rechtliche Bedenken anmelden und Deutschland am Ende vor dem EuGH verklagen. Bislang war die Kommission aber zurückhaltend, was Kritik zum Thema Grenzkontrollen angeht. Zweitens könnte ein anderer EU-Mitgliedsstaat Deutschland in Luxemburg wegen eines möglichen Verstoßes gegen EU-Recht verklagen. Solche Verfahren würden aber einige Zeit in Anspruch nehmen. 

Was würden die Zurückweisungen faktisch bedeuten?

Bis es zu der abschließenden Klärung durch den EuGH kommt, würden also mindestens Monate vergehen. Bis dahin wäre die politische Wirkung natürlich längst eingetreten. Möglicherweise würden andere Staaten es Deutschland nachmachen und es hätte eine abschreckenden Wirkung für Flüchtlinge, sich überhaupt auf den Weg zu machen.

Wenn Deutschland damit aber wirklich erreichen will, dass man eine große Zahl zurückweisen will, müssten die Grenzkontrollen enorm ausgeweitet werden. Im Grunde müsste man die komplette Grenze sichern. 

Sind diese Grenzkontrollen erlaubt?

In der Diskussion gerät schnell in Vergessenheit, dass Grenzkontrollen nach dem Schengen-System die absolute Ausnahme sein sollen. Dauerhafte Grenzkontrollen darf es eigentlich nicht geben. Nur in Ausnahmesituationen und in der Regel nicht länger als sechs Monate.

Bewusst machen muss man sich auch, dass dauerhafte Grenzkontrollen enorme Auswirkungen für die Wirtschaft und den Tourismus haben und dem europäischen Gedanken zuwiderlaufen. All das müsste man politisch in Kauf nehmen. Genauso wie das Risiko, dass der Europäische Gerichtshof die Grenzkontrollen am Ende für rechtswidrig erklärt. 

 

nd DER TAG: »Dauernder Rechtsbruch« Maximilian Pichl erklärt, gegen welche Gesetze Zurückweisungen an Binnengrenzen verstoßen

Interview Maximilian Pichl ist Professor für Soziales Recht als Gegenstand Sozialer Arbeit an der Hochschule Rhein Main in Wiesbaden. Seine Schwerpunkte liegen unter anderem im Asyl- und Migrationsrecht.

Herr Pichl, Geflüchtete, die an einer deutschen Binnengrenze ankommen, können dort Asyl beantragen. Wie funktioniert das?

Wenn sie von der Bundespolizei oder anderen Einheiten abgefangen werden und einen Asylantrag stellen, müssen sie in eine Aufnahmeeinrichtung gebracht werden. Dort gibt es dann ein individuelles Verfahren, in dem geprüft wird, in welchem europäischen Staat sie möglicherweise vorher schon gewesen sind. Sollte demnach Deutschland für den Asylantrag zuständig sein, wird inhaltlich geprüft, ob von der Person angegebene Fluchtgründe zutreffen.

Müssen die Menschen vorher gesagt haben, dass sie Asyl beantragen wollen?

Sie können es selber sagen. Die Polizei muss aber auch selbst schauen, ob es sich um schutzbedürftige Personen handelt, auch wenn beispielsweise ein Asylantrag nicht explizit formuliert wird.

Immer mehr Menschen werden an der Grenze zu Österreich, aber auch zu den anderen deutschen Nachbarn zurückgewiesen. Ist das nicht rechtswidrig?

Solche Zurückweisungen verstoßen gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, die in Artikel 33 das Verbot des Refoulements bestimmt, und auch gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Auch wenn die Zurückschiebung in ein Land wie Österreich erfolgt, muss Deutschland immer prüfen, ob von dort nicht vielleicht eine Kettenabschiebung erfolgt und die Person in einem Staat landet, wo ihr Verfolgung droht.

Wie ist das bei Dublin-Fällen, wenn also bereits ein Asylantrag in einem anderen EU-Staat gestellt wurde? Auf die unmittelbare Zurückweisung dieser Menschen drängt nun CDU-Chef Friedrich Merz.

Auch dann dürfen die Menschen nicht sofort an der Grenze zurückgewiesen werden. Sondern es muss auf deutschem Territorium vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in einem sogenannten Dublin-Verfahren geprüft werden, welcher Staat zuständig ist. Das ist oft gar nicht so einfach herauszufinden, und deswegen bedarf es dieser Einzelfallbetrachtung.

Ist denkbar, dass die Polizei einfach behauptet, Menschen hätten keinen Asylantrag gestellt und dürften deshalb zurückgeschickt werden, ohne also Fingerabdrücke zu nehmen, den zuständigen Staat zu ermitteln und ein Übernahmeersuchen zu stellen?

Es ist jedenfalls so dokumentiert, etwa vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Selbst Menschen, die klar gesagt haben, sie würden um Asyl ersuchen, wurden demnach nach Österreich zurückgebracht.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Spahn hat kürzlich gefordert, zur Mi­gra­tionsabwehr an der deutschen Grenze müsse notfalls EU-Recht geändert wer­den. Welches meint er?

Wenn diese Zurückweisungen faktisch wieder eingeführt werden sollten, dann müsste man das europäische Recht grundlegend ändern, nämlich die Aufnahmerichtlinie, die Asylverfahrensrichtlinie und die Dublin-Verordnung. Wir haben ja gerade erst eine umfassende Reform des europäischen Asylsystems gehabt mit den größten Verschärfungen der letzten 30 Jahre, die 2026 in Kraft treten. Darin wurden diese Zurückweisungen an den innereuropäischen Grenzen gerade nicht legalisiert.

Um EU-Gesetze zu ändern, würde es also vermutlich wieder Jahre dauern?

Wenn eine Bundesregierung die Gesetze tatsächlich ändern möchte, dann muss sie mit allen Mitgliedstaaten, der Kommission und dem Parlament verhandeln. Die letzte Reform dieser Art hat fast acht Jahre lang gebraucht. Und dann gibt es noch die Genfer Flüchtlingskonvention und die Menschenrechtskonvention, die man nicht einfach so ändern kann.

Läuft die Forderung von Ex-Minister Spahn also darauf hinaus, EU-Recht einfach nicht anzuwenden, also ein paar Mahnungen der Kommission zu kassieren und auf Zeit zu spielen?

Das kann sein, weil natürlich so eine Praxis erst einmal wieder eingehegt werden müsste. Dazu passt auch die Rede von der Notlage von Unions-Chef Friedrich Merz, wonach EU-Recht in diesem Fall ausgesetzt werden dürfe. Da muss man aber genauer hinschauen. Es gibt zur Notlage den Artikel 78 der Europäischen Verträge, da muss der Rat, in dem die Mitgliedstaaten vertreten sind, auf Vorschlag der EU-Kom­mis­sion, entscheiden – ein nicht ganz unkomplizierter Prozess. Oder Artikel 72, der die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung betrifft. Darauf spielt Merz an.

Als angebliche Notlage dann wieder sogenannte Massenankünfte von Geflüchteten?

Ja. Der Europäische Gerichtshof hat hierzu aber sehr scharfe Kriterien angelegt, weil er nicht möchte, dass die EU-Rechts­ordnung zerfällt. In der Vergangenheit wurden etwa von Österreich oder Ungarn ausgerufene Notlagen nicht akzeptiert. Wahrscheinlich würde also auch Deutschland hier eine Niederlage kassieren. Aber vielleicht ist das eine Intention, auf Zeit zu spielen und mal zu schauen, ob das funktioniert.

Täuscht der Eindruck, dass solche EU-Rechtsverletzungen nach dem »Sommer der Migration« ab 2015 Mode geworden sind?

Besonders bei Grenzkontrollen, beispielsweise zwischen Dänemark oder Österreich und Deutschland, haben wir einen dauernden Rechtsbruch. Denn die Logik des Schengen-Raums ist, dass Kontrollen, wenn überhaupt, nur von kurzer Dauer sein dürfen und mit hinreichenden Gründen versehen sein müssen.

Die Polizeigewerkschaft GdP hat 35 Millionen Euro gefordert um die Migrationsabwehr an den Binnengrenzen mit Personal und Ausrüstung zu verbessern. Was erwartet uns da?

Wahrscheinlich mehr Nachtsichtgeräte oder Drohneneinsätze. Und vermutlich die Ausweitung der Schleierfahndung, die ein Einfallstor für Racial Profiling ist. Vor allem vermeintlich »nicht deutsch aussehende« Personen werden angehalten und überprüft. Außerdem höhlen die Kontrollen das Schengener Abkommen aus. Denn es werden nicht nur Menschen aus Drittstaaten wieder kontrolliert, sondern auch Unionsbürger*innen. Die Idee eines Europas der Reisefreiheit, wie sie im Schengener Abkommen niedergelegt wurde, ist damit eigentlich Geschichte.

 

 

Rheinische Post / General Anzeiger: Reden wir zu viel über Flüchtlinge und Migration?

14:43 Uhr Analyse | Düsseldorf · Die demokratischen Parteien haben noch keinen Weg gefunden, dass Thema Migration der AfD zu entreißen. Dabei gibt es eine erstaunlich einfache Lösung. Man muss sie nur wollen.

Die Umfragen sprechen eine klare Sprache. Das wichtigste Thema für die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik ist seit knapp einem Jahr Migration und Flüchtlinge. Das lässt sich aus den Zeitreihen des Politbarometers der Forschungsgruppe Wahlen ablesen, die das ZDF jeden Monat veröffentlicht. Es gibt auch kaum ein Thema, über das mehr geschrieben, gestritten und geredet wird als über den Zustrom von Asylbewerbern. Drei von vier Befragten nach dem ARD-Deutschlandtrend des Instituts Infratest dimap wünschen sich eine Reduzierung der Zuwanderung. Liegt darin ein Grund für die Stärke der rechtspopulistischen AfD, die wie keine andere Partei bei diesem Thema polarisiert und es zu ihren Gunsten ausschlachten kann? Viele Beobachter und auch Wissenschaftler bejahen das. Das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass die demokratischen Parteien gut beraten wären, ihr Augenmerk auf andere wichtige Probleme zu lenken – Wohnungsnot, Klimakrise, die Schwäche der deutschen Wirtschaft, die mangelhafte Bildung, die maroden Straßen, Brücken und Schienenwege, Zwei-Klassen-Medizin und fehlende Digitalisierung. Alles wichtige Themen, aber können sie wirklich die Migrationsfrage derzeit überlagern?

Der Wahlforscher Holger Lengfeld hat dazu intensiv geforscht. „Die Ablehnung der irregulären Migration ist das stärkste Motiv, die AfD zu wählen. Hier wollen die Wähler einfache Lösungen, sind nicht bereit, die Komplexität des Themas hinzunehmen“, meint der Soziologie-Professor, der an der Universität Leipzig lehrt. Er glaubt aufgrund seiner Studien nicht, dass sich das ändern würde, wenn die Politik eher andere Themen aufgreift. „Die Flüchtlingsdebatte ändert nichts am Wahlverhalten der AfD-Anhänger. Auch eine Konzentration auf andere Themen würde der AfD nicht schaden.“ Sein Fazit: „Die Wähler der AfD haben ein populistisches Weltbild. Die Elite wird als korrupt gesehen, das Volk als gut und ehrlich. Es ist deshalb schwierig, mit Änderungen der Politik diese Wähler zu erreichen.“

Die Lage in Deutschland war schon einmal so aufgeheizt wie heute. Nein, nicht 2015, als viele Flüchtlinge aus Syrien und dem Nahen Osten eher freundlich und humanitär aufgenommen wurden. Es war Anfang der 90er Jahre, unmittelbar nach der Einheit. Der Fall des Eisernen Vorhangs führte zu einer gewaltigen Wanderungswelle nach Deutschland – der Familiennachzug der Gastarbeiter aus der Türkei, die Flüchtlinge aus dem ehemaligen und jetzt bürgerkriegsgeplagten Jugoslawien, viele Menschen aus den früheren Ostblockstaaten. 430.000 Personen beantragten 1992 Asyl in Deutschland, ein neuer Rekordwert. Die Reaktionen in Deutschland war bisweilen menschenunwürdig. Rechtsextreme nutzten eine aufkommende fremdenfeindliche Stimmung. In Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen brannten Einrichtungen für Flüchtlinge und vietnamesische Vertragsarbeiter, in Mölln, Hünxe und Solingen kam es zu schrecklichen Anschlägen auf migrantische Familien. „Fanale des Fremdenhasses“, nannte sie der verstorbene CDU-Politiker Wolfgang Schäuble in seinen Memoiren.

Damals wie heute suchten die demokratischen Parteien, allen voran die Union und die SPD nach Wegen, den Zustrom einzudämmen und den Extremisten das Thema zu entziehen. Bei Landtagswahlen waren rechtsradikale Parteien wie die DVU in Schleswig-Holstein und die Republikaner in Baden-Württemberg immerhin teilweise zweistellig erfolgreich. Am 26. Mai 1993 beschloss eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag eine Änderung des Grundgesetzes. Der neue Artikel 16a gewährte im Prinzip politisch Verfolgten weiterhin Asyl, erlaubte aber die sofortige Rückführung der Flüchtlinge in sichere Herkunfts- und Durchgangsländer, schuf exterritoriale Flächen auf internationalen Flughäfen, die Ankommende ohne Reiseerlaubnis nicht verlassen konnten, und senkte die staatlichen Leistungen deutlich unterhalb des Sozialhilfeniveaus. Der damalige Ministerpräsident von Niedersachsen und spätere Kanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte zwar ein schlechtes Gewissen (“Was wir hier unserem Nachbarland Polen antun“). Die Maßnahmen hatten aber Erfolg, die Zahl der unerlaubten Einreisen sank deutlich, die Lage beruhigte sich.

Freilich war das Grundproblem von Migration und Zuwanderung nicht gelöst. Die radikalen Parteien verloren indes schnell an Zustimmung. Versäumt wurde allerdings, ein modernes Einwanderungsrecht zu schaffen. Das sollte sich 30 Jahre später bitter rächen.

Denn nach dem einmaligen Schub in den Jahren 2015 und 2016 nimmt seit 2022 die Zahl der illegalen Einreisen wieder deutlich zu. 128.000 kamen 2023 ohne Erlaubnis nach Deutschland, ein Jahr zuvor waren es noch 92.000. Bis Juli überschritten knapp 50.000 Menschen die Grenzen. 329.000 Personen haben im vergangenen Jahr in Deutschland einen Asylantrag gestellt, die meisten aus den Ländern Syrien, Türkei und Afghanistan. Nur jeder zweite erhält Flüchtlingsstatus, subsidiären Schutz oder eine Duldung, einer von 140 wird als politisch Verfolgter anerkannt. Andererseits werden Fachkräfte aus dem Ausland dringend gesucht. Von denen finden aber weit weniger den Weg nach Deutschland.

Das Thema ist also mit Macht da, es wird diskutiert. Radikale Parteien profitieren. Doch trotz einiger Schritte in Richtung Verschärfung der Zuwanderung will der politische Durchbruch nicht gelingen. Es ist unklar, was rechtlich geht. Die Forderung der Union nach direkten Zurückweisungen an der Grenze ist bei der Ampel-Regierung nicht mehrheitsfähig, Experten wie der Migrationsforscher Gerald Knaus halten sie auch für fragwürdig. Die Grünen wehren sich gegen weitere sichere Herkunftsstaaten oder Asylverfahren in Drittländern. Der Kompromiss der Europäischen Union zur Migration wirkt erst ab 2026. Von einer politischen Lösung sind die demokratischen Parteien in Deutschland also weit entfernt, obwohl das Rezept von 1993 mit den sicheren Herkunftsstaaten helfen würde. Der Strom der Flüchtlinge wird vorerst anhalten. Und mit den Zahlen und den Belastungen dürfte das Thema nicht von der politischen Tagesordnung verschwinden.

Trotz aller Integrationserfolge und trotz der Tatsache, dass die meisten Zugewanderten hier in Deutschland vor allem ein Leben in Wohlstand und Frieden mit ihren Familien führen wollen, sprengen die derzeitigen Größenordnungen der Flucht die vorhandenen Möglichkeiten. Die Heime der Kommunen sind überlastet, die Finanzen ausgeschöpft. Selbst Grünen-Bürgermeisterinnen wie Claudia Wieja aus Lohmar fordern dringend eine Reduzierung der Flüchtlingszahlen. Hinzu kommt, dass die Risiken steigen. Nicht nur die Möglichkeiten terroristischer Attacken wie zuletzt in Solingen, auch die Kriminalität wächst stärker als die Zahl der Geflüchteten. Gut 40 Prozent der Delikte in Deutschland stammt von Personen mit ausländischem Pass, während der Ausländeranteil insgesamt gerade einmal 15 Prozent ausmacht. Noch vor zehn Jahren war nur jeder vierte mutmaßliche Täter ein Ausländer. Insgesamt stieg die Kriminalität, besonders bei Raubdelikten und Gewalttaten. Das mag unterschiedliche Gründe haben, wie schlechtere Chancen, traumatische Fluchten, ein gewalttätiges Umfeld. Doch die Risiken verbleiben erst einmal im aufnehmenden Land. Der Anschlag in Solingen war nur die Spitze des Eisbergs.

Dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern in Europa und in der Welt immer noch zu den sichersten zählt, ist da für viele Einheimische nur ein schwacher Trost. Denn die Dynamik zählt. Und sie verbreitet ein Gefühl der Unsicherheit oder der Furcht vor Überlastung. Solange also diese Fragen nicht einigermaßen geklärt sind, wird das Thema bleiben. Es führt kein Weg daran vorbei. Die demokratischen Parteien müssen den Zustrom begrenzen, bevor sie sich wieder anderen wichtigen Themen zuwenden können. Versagen sie dabei, wird der Anteil der Rechtspopulisten und Rechtsextremen bei den Wahlen womöglich noch höher werden– und die Demokratie ernsthaft gefährden.

 

t-online: Ruanda-Asylzentrum  Briten empört über Vorschlag – "Jetzt wird Deutschland profitieren"

06.09.2024 - 07:00 Uhr Der FDP-Politiker Joachim Stamp schlägt vor, Migranten, die über Russland und Belarus kommen, nach Ruanda auszulagern. Sein Vorstoß sorgt offenbar für Verstimmung bei den Briten.

Könnte Deutschland bald ein umstrittenes Asylzentrum in Ruanda nutzen, das ursprünglich von Großbritannien finanziert wurde? Das berichtet zumindest die britische Boulevardzeitung "The Sun". Etwa 10.000 Geflüchtete, die jedes Jahr über die Ostgrenzen nach Deutschland kommen, könnten dorthin geschickt werden, heißt es in dem Bericht.

Die britische Regierung hatte das Zentrum ursprünglich im Rahmen eines 700-Millionen-Pfund-Plans (rund 830 Millionen Euro) errichten lassen, um Migranten abzuschrecken. Laut dem Bericht der "Sun" flossen davon bereits 290 Millionen britische Pfund direkt an die ruandische Regierung sowie in Charterflüge und Verwaltungsaufwand. Die Asylsuchenden sollten dann auch dort bleiben, wenn ihnen bei der Prüfung ein Schutzstatus gewährt worden wäre. Umgesetzt werden konnte der Plan nie, das Zentrum steht bis heute leer.

Der neue Premierminister Keir Starmer, Vorsitzender der Labour Party, hatte das Vorhaben der Vorgängerregierung bei seinem Amtsantritt im vergangenen Juli gestoppt...

 

aktualisiert 05.09.2024

Tagesschau: Christian Lindner im ARD-Interview "Kann die Naivität kaum mehr ertragen"

05.09.2024 20:31 Uhr FDP-Chef Lindner zeigt sich offen für Zurückweisungen an den deutschen Grenzen. Die Haltung der Grünen dazu nennt er "nicht hilfreich". Insgesamt nimmt er beim Thema Migration im ARD-Interview kein Blatt vor den Mund.

... Lindner klingt beim Thema Haushalt entspannt. Bei einem anderen Thema scheint seine politische Gefasstheit aber an ihre Grenzen zu gelangen: beim Thema Asyl und Migrationspolitik. "Die Leute haben die Schnauze voll davon, dass dieser Staat möglicherweise die Kontrolle verloren hat bei Einwanderung und Asyl nach Deutschland", sagte Lindner Anfang der Woche - auch als Reaktion auf die verheerenden Ergebnisse seiner Partei bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen.

Ein wütender Minister

Hier klingt Lindner wütend. "Ich bin es auch", bestätigt er jetzt im ARD-Interview der Woche. "Ich kann die Bedenken, die geäußert werden, und auch teilweise die Naivität kaum mehr ertragen." Das Land müsse sein Recht beanspruchen, zu entscheiden, wer nach Deutschland kommt, wer hier bleiben darf und wer nicht.

Für mich ist das eine Frage der Liberalität. Unsere Gesellschaft ist vielfältig, wir brauchen Einwanderung. Aber wir müssen entscheiden können. Diese Kontrolle ist zu lange verloren gegangen, mühsam erarbeiten wir sie uns zurück und mir können Ambitionen und Tempo nicht hoch genug sein.

Kritik an den Grünen: Keine Denkverbote

Denkverbote dürfe es keine geben, so der Minister. Für Zurückweisungen an den deutschen Grenzen zeigte er sich offen - und kritisierte die Haltung der Grünen. "Ich bedauere, dass sich die Grünen jetzt schon öffentlich, obwohl es laufende Gespräche gibt, gegen die Zurückweisung an den deutschen Grenzen ausgesprochen haben. Das ist nicht hilfreich für die Gespräche, die die Regierung mit Ländern und der CDU-Opposition führt." Die Grünen hatten Bedenken geäußert, ob eine Zurückweisung rechtlich möglich wäre.

Lindner kritisiert auch die CDU-Haltung in der Debatte und wirft der Partei vor, taktisch mit dem Thema Migration vorzugehen. "Ich verstehe die Ungeduld von Friedrich Merz und teile sie. Es muss noch mehr passieren. Aber wir alle müssen Demut zeigen. Es sind auch CDU-Landesregierungen, in denen es Vollzugsdefizite gibt." 

 

ZDF heute: FAQ Forderung von Merz: Kann an der Grenze abgewiesen werden?

05.09.2024 18:17 CDU-Chef Merz hat in seinem Ultimatum an die Ampel eine klare Forderung gestellt: Bestimmte Asylbewerber sollen an der deutschen Grenze zurückgewiesen werden. Geht das überhaupt?

Sind dauerhafte Kontrollen an Deutschlands Grenzen möglich?

Nein, dauerhafte Grenzkontrollen sind innerhalb der EU nicht möglich. Denn: Es gilt das Schengener Abkommen und dieses ermöglicht den Menschen im Schengen-Raum, frei zwischen den Staaten zu reisen - ohne Grenzkontrollen. Allerdings gibt es Ausnahmefälle, die Kontrollen an den Binnengrenzen zulassen. Immer möglich sind Kontrollen, wenn sie stichprobenartig durchgeführt werden oder zur Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität

Welche Ausnahmen gibt es außerdem?

Auch bei außergewöhnlichen Umständen, wie zum Beispiel der diesjährigen EM in Deutschland oder den Olympischen Spielen in Paris sind verstärkte Kontrollen möglich. Dafür ist jedoch die Zustimmung des Europäischen Rates erforderlich.

Wie ist der aktuelle Stand bei Grenzkontrollen?

Aktuell führt Deutschland an der grenze zu Frankreich Kontrollen durch, und zwar noch bis zum 30. September 2024. An den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz finden noch bis zum 15. Dezember Kontrollen statt. An der Grenze zu Österreich wird noch bis zum 11. November 2024 kontrolliert.

Darüber hinaus sind verstärkte Grenzkontrollen auch dann möglich, wenn eine ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit besteht. Dann müssen die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten informiert werden, und zwar spätestens vier Wochen vor dem Beginn der Grenzkontrollen.

Die Grenzkontrollen dürfen allerdings nur vorübergehend eingeführt werden. In der Regel dürfen sie nur 30 Tage lang durchgeführt werden. Eine Verlängerung ist zwar möglich, aber maximal auf sechs Monate. Längerfristige Grenzkontrollen sind nur in Absprach mit der EU-Kommission möglich.

Kann man Geflüchtete an der Grenze abweisen?

Die Dublin-III-Verordnung sieht vor, dass grundsätzlich der EU-Mitgliedstaat für das Asylverfahren zuständig ist, in dem der Schutzsuchende zuerst die Europäische Union betreten hat. Da Deutschland keine EU-Außengrenzen hat, ist das - abgesehen von der Einreise mit dem Flugzeug - meistens ein anderes EU-Land.

Asylbewerber an der deutschen Grenze zurückzuweisen geht so einfach nicht. Denn in der sogenannten Dublin-III-Verordnung ist in einem komplexen Verfahren geregelt, wer eigentlich zuständig ist und dieses Verfahren muss Deutschland zwingend durchführen, sobald jemand "an der Grenze" nach Asyl sucht.

Was besagt die Dublin-III-Verordnung:

Das Dublin-Verfahren regelt, dass jeder Asylbewerber nur in dem EU-Land einen Asylantrag stellen darf, den er als erstes betreten hat. So soll sichergestellt werden, dass jeder Asylantrag nur von einem EU-Mitgliedstaat geprüft wird. Die Dublin-III-Verordnung gilt seit 2014 in den EU-Mitgliedstaaten sowie in Norwegen, Island, der Schweiz und Liechtenstein.

Hält ein Mitgliedstaat einen anderen für zuständig, kann er ein Übernahme- beziehungsweise Wiederaufnahmeersuchen stellen. Stimmt dieser Staat zu, erhält der Antragsteller einen entsprechenden Bescheid. Er kann einen Eilantrag dagegen stellen; andernfalls vereinbaren die Mitgliedstaaten die Überstellung.
Wird sie nicht binnen sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit an jenen Mitgliedstaat über, der um Übernahme ersucht hat. Taucht der Antragsteller unter oder befindet er sich in Strafhaft, kann sich diese Frist verlängern. In bestimmten Fällen sieht Dublin III eine Abschiebehaft vor, etwa bei ungeklärter Identität, verspäteter Antragstellung oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit.

Die Verordnung der EU in voller Länge finden Sie hierQuelle: KNA

Kann man das EU-Recht ändern oder brechen?

Wenn man das EU-Recht ändern will, muss die EU-Kommission dem EU-Parlament einen Gesetzentwurf vorlegen, da dieses für die Gesetzgebung in der EU verantwortlich ist. Da die Kommission aus je einem Mitglied der 27 Mitgliedstaaten besteht, wäre ein Alleingang eines Mitgliedstaats nicht möglich.

Erlässt die EU zum Beispiel eine Richtlinie, so müssen die nationalen Parlamente diese durch ein eigenes innerstaatliches Gesetz umsetzen. Erlässt es eine Verordnung, so gilt diese unmittelbar und verbindlich in der EU und damit auch in Deutschland, wie bei der Dublin-III-Verordnung.

Wenn sich ein Mitgliedstaat nicht an das EU-Recht - wie die Dublin-III-Verordnung - hält, dann kann die Kommission mit einem Vertragsverletzungsverfahren gegen den Mitgliedstaat vorgehen.

Wie läuft ein Vertragsverletzungsverfahren in der EU?

Stufe 1, Stufe 2, Stufe 3...

Führt das Verfahren nicht zum gewünschten Erfolg, steht der Weg zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) offen. Ist die Klage der Kommission erfolgreich, kann der Mitgliedstaat verpflichtet werden, den Verstoß gegen das EU-Recht rückgängig zu machen. Tut er dies weiterhin nicht, kann die Kommission in einer weiteren Klage finanzielle Sanktionen gegen den Mitgliedstaat erwirken.

 

n-tv: Jetzt doch noch? FDP-Politiker fordert neue Chance für Ruanda-Modell in Asylpolitik

05.09.2024, 07:16 Uhr Für die Briten war das Ruanda-Modell in der Asylpolitik ein ziemlich teures Fiasko - und wurde dementsprechend von der Labour-Regierung bereits kurz nach der Wahl eingestampft.

Doch die Idee lebt offenbar weiter: In der Debatte über die Verlagerung von Asylverfahren außerhalb der EU hat der FDP-Politiker Joachim Stamp ein Modell mit Ruanda ins Spiel gebracht. Der Sonderbevollmächtigte der Bundesregierung für Migrationsabkommen schlug im Podcast von "Table.Briefings" vor, die Verfahren von Migranten, die über Russland und Belarus nach Europa kommen, in das ostafrikanische Land auszulagern.

Man könne jetzt den Versuch machen, "die dort vorhandenen Kapazitäten, die ursprünglich mal für diesen Deal mit den Briten vorbereitet gewesen sind", zu nutzen, sagte Stamp. Allerdings unter dem Dach des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, "die dann die Verfahren durchführen würden" - das sei der fundamentale Unterschied zu der Regelung, die Großbritannien mit Ruanda angestrebt hatte. Stamp machte in dem Interview deutlich, dass er als FDP-Politiker sprach und nicht in seiner Regierungsrolle.

 

Frankfurter Rundschau: Asylreform: Union pocht auf Zurückweisungen – Merz stellt Ampel Ultimatum

Stand: 05.09.2024, 07:20 Uhr Brandenburg/Havel – CDU-Parteichef Friedrich Merz hat der Ampel-Koalition in der Debatte um Zurückweisungen an den Grenzen ein Ultimatum gestellt. Die Regierung müsse bis Dienstag (10. September) eine „verbindliche Erklärung“ vorlegen, dass sie dazu bereit sei, Menschen ohne Bleiberecht bereits an den deutschen Grenzen zurückzuweisen, sagte Merz bei einer CDU-Wahlkampfveranstaltung in Brandenburg an der Havel. Sollte die Regierung eine solche Festlegung ablehnen, seien weitere Gespräche über eine gemeinsam getragene Asylreform nicht mehr sinnvoll.

Merz stellt Ultimatum zu Grenzzurückweisungen

Merz hatte bereits direkt nach dem Treffen zu Migration und innerer Sicherheit gesagt, dass die Union und die von CDU und CSU regierten Bundesländer nur in weitere Gespräche gehen wollten, wenn an den deutschen Grenzen zurückgewiesen werde. Bei dem Treffen dabei waren Vertreter der Ampel-Koalition, der Länder sowie der Union.

Die Union macht für eine gemeinsame Reform Zurückweisungen bereits an der Grenze zur Bedingung. Die Bundesregierung sagte eine rechtliche Prüfung zu. Merz zeigte sich damit unzufrieden. „Die Prüfvermerke, dass das geht, liegen im Bundesinnenministerium und im Bundesjustizministerium“, sagte der CDU-Chef. „Da muss jetzt nicht mehr geprüft werden, da muss entschieden werden.“

Scholz soll Richtlinienkompetenz nutzen

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) müsse in der Frage der Zurückweisungen nun Führungskraft beweisen und seine Richtlinienkompetenz gegenüber seiner Koalition nutzen, forderte Merz. „Dann haben wir nächste Woche Mittwoch eine Verabredung, dann können wir in den Deutschen Bundestag gehen und dann können wir bereits in der nächsten Woche die notwendigen Gesetze in erster Lesung beraten und verabschieden.“ Dies sei die „ausgestreckte Hand“ der Union....

 

ad-hoc-news: Polizeibeauftragter gegen Zurückweisung von Migranten an Grenzen

05.09.2024 - 05:00:00 Der Polizeibeauftragte des Bundes, Uli Grötsch, hält Zurückweisungen von Migranten an den deutschen Außengrenzen für falsch.

"Viel entscheidender ist doch die Sicherung der Außengrenzen des Schengen-Raums, in dessen Inneren in der Regel die Kontrollfreiheit herrscht", sagte Grötsch dem "Tagesspiegel" (Donnerstagausgabe). Eine Eindämmung der irregulären Migration lasse sich "am besten auf europäischer Ebene bewerkstelligen", sagte der SPD-Politiker, der bis zu seiner Ernennung zum Polizeibeauftragten des Bundes im vergangenen März ein Bundestagsmandat innehatte. "Zurückweisungen sind nicht die Lösung." Es habe "langfristig keinen positiven Effekt, wenn man sich im Geltungsbereich des Dublin-Abkommens gegenseitig die Geflüchteten zuschiebt", sagte Grötsch.

Die Union knüpft eine Fortsetzung der Migrationsgespräche mit Bund und Ländern daran, dass ihre Forderung nach einer Zurückweisung von Migranten aufgenommen wird. Die Begriffe "illegalen Migration", "irreguläre Migration" und "undokumentierte Migration" werden häufig synonym verwendet. Der Großteil der Asylsuchenden, die nach Deutschland kommen, gilt zunächst als "illegal eingereist", da sie Asylanträge nicht vor ihrer Einreise stellen können. Werden die Anträge genehmigt, gelten die Flüchtlinge jedoch als regulär aufhältig.

 

Tagesschau: Zurückweisung von Asylbewerbern   Merz stellt Ampel ein Ultimatum bis Dienstag

05.09.2024 00:25 Uhr CDU-Parteichef Merz will, dass bestimmte Asylbewerber bereits an der Grenze abgewiesen werden. Denn nach EU-Regeln sind eigentlich die Ankunftsländer zuständig. Nun erhöht er den Druck auf die Ampel und fordert eine Entscheidung - bis Dienstag.

CDU-Chef Friedrich Merz hat der Ampel-Koalition ein Ultimatum bis Dienstag gestellt. "Wenn die Bundesregierung nicht bereit ist, bis zum nächsten Dienstag uns eine verbindliche Erklärung zu geben, dass der unkontrollierte Zuzug an den Grenzen gestoppt wird und diejenigen, die immer noch kommen, an den Grenzen in Deutschland zurückgewiesen werden, dann machen weitere Gespräche mit der Bundesregierung keinen Sinn", sagte er bei einer Wahlkampfveranstaltung in Brandenburg an der Havel.

Merz hatte bereits am Dienstag nach dem Migrationstreffen angekündigt, dass die Union und die von CDU und CSU regierten Bundesländer nur in weitere Gespräche gehen wollten, wenn an den deutschen Grenzen zurückgewiesen werde. Bei dem Treffen dabei waren Vertreter der Ampel-Koalition, der Länder sowie der Union.

"Das muss nicht mehr geprüft werden"

Die Union wolle nur bei einer klaren Zusage zu den Zurückweisungen weiter an Gesprächen teilnehmen, sagte Merz nun. "Die Prüfvermerke, dass das geht, liegen im Bundesinnenministerium und im Bundesjustizministerium." Sie lägen bereits seit 2016 in beiden Ministerien vor. "Da muss nichts mehr geprüft werden", betonte Merz.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) müsse nun Führungskraft beweisen und seine Richtlinienkompetenz nutzen, forderte Merz. "Dann haben wir nächste Woche Mittwoch eine Verabredung, dann können wir in den Deutschen Bundestag gehen und dann können wir bereits in der nächsten Woche die notwendigen Gesetze in erster Lesung beraten und verabschieden."

Faeser will rechtlich prüfen

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte nach der ersten Gesprächsrunde in Berlin angekündigt, bestimmte Punkte würden rechtlich geprüft. Man wolle sich in gleicher Runde wiedertreffen und habe dafür einen Termin in der kommenden Woche ins Auge gefasst. Voraussetzung seien aber die juristischen Prüfungen.

Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) zeigt sich offen für den Unionsvorschlag, bestimmte Migrantinnen und Migranten zurückzuweisen. "Wenn es rechtlich möglich sein sollte - und das muss sehr gründlich geprüft werden - dann sollten wir es tun", sagte sie dem Nachrichtenportal t-online. "Ich denke, dahinter können sich die SPD-Länder versammeln." Möglicherweise sei dies auch ein wichtiges Signal an die anderen EU-Länder, damit der Solidaritätsmechanismus wieder mehr greife, sagte die SPD-Politikerin. Sie machte aber auch deutlich: "Wenn es rechtlich nicht möglich ist, dann müssen wir es lassen. Wir sind und bleiben ein Rechtsstaat."

Grünen sehen rechtliche Hürden

Die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic hatte zuvor auf rechtliche Hürden verwiesen. "Zurückweisungen von Asylsuchenden an der Grenze sind nach Europarecht nicht zulässig, da hier die Dublin-Verordnung anwendbar ist und im Rahmen des Asylverfahrens der zuständige Mitgliedstaat bestimmt werden muss", sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Das ist in der Regel nicht ganz einfach und es wäre auch praktisch unmöglich, dies an der Grenze durchzuführen." 

SPD-Kritik an Merz-Ultimatum

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert kritisierte das Ultimatum von Merz. "Ich bin nicht geneigt und nicht gewillt, auf diese Forderung oder von mir aus auch Provokation an der Stelle einzugehen", sagte Kühnert in der ARD-Sendung Maischberger. Dafür seien die Gespräche zwischen Ampel-Koalition, Union und Bundesländern zur Migrationspolitik "bis hierhin viel zu ernsthaft und zu seriös".

Merz sollte "nicht den Eindruck vermitteln, dass die in zwei Wochen nahende Brandenburger Landtagswahl jetzt zu einem allzu unrealistischen Tempo bei ihm führt". Kühnert mutmaßte, dass der CDU-Chef "vielleicht den Knalleffekt gerne haben möchte, vorher zu sagen: 'Mit denen zusammen sind keine Regelungen zu treffen, ich stehe auf und gehe'".

Der SPD-Generalsekretär betonte, bei dem Treffen zur Migrationspolitik sei auch über das gesprochen worden, was die Union sich vorstellt. "Und man hat nicht in Bausch und Bogen das verdammt und gesagt: 'geht nicht, gibt’s nicht' oder 'rechtliche Gründe sprechen dagegen'." Sondern man habe verabredet, Prüfungen vorzunehmen, wo man vielleicht auch unterschiedliche rechtliche Auffassungen habe. "Ich glaube, niemand hat ein Interesse, das jetzt zu verschleppen. Weil alle wollen ja schnelle Ergebnisse vorlegen", so Kühnert.

 

aktualisiert 04.09.2024

Zeit online: Friedrich Merz stellt Ultimatum zu strengerer Migrationspolitik

4. September 2024, 22:01 Uhr Der CDU-Chef erhöht den Druck auf die Beratungen mit Bund und Ländern zur Asylpolitik – und setzt eine Frist. Er fordert die Zurückweisung von Migranten an den Grenzen.

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat der Bundesregierung eine Frist bis kommenden Dienstag gesetzt, um auf Forderungen der Union für eine Asylreform einzugehen. Die Regierung müsse bis dahin eine "verbindliche Erklärung" vorlegen, dass sie dazu bereit sei, Menschen ohne Bleiberecht bereits an den deutschen Grenzen zurückzuweisen, sagte Merz bei einer CDU-Wahlkampfveranstaltung in Brandenburg an der Havel. Sollte die Regierung eine solche Festlegung ablehnen, "dann machen weitere Gespräche keinen Sinn".

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) müsse in der Frage der Zurückweisungen von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen, sagte Merz. "Dann haben wir am nächsten Mittwoch eine Verabredung, und wir können bereits in der nächsten Woche im Bundestag beraten", sagte der CDU-Politiker. Dies sei die "ausgestreckte Hand" der Union.

Merz hatte bereits am Dienstag nach dem Treffen zu Migration und innerer Sicherheit gesagt, dass die Union und die von CDU und CSU regierten Bundesländer nur in weitere Gespräche gehen wollten, wenn an den deutschen Grenzen zurückgewiesen werde. Bei dem Treffen dabei waren Vertreter der Ampelkoalition, der Länder sowie der Union

SPD-Generalsekretär weist Ultimatum zurück

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert kritisierte das Ultimatum. "Ich bin nicht geneigt und nicht gewillt, auf diese Forderung oder von mir aus auch Provokation an der Stelle einzugehen", sagte Kühnert in der ARD-Sendung Maischberger. Dafür seien die Gespräche zwischen Ampelkoalition, Union und Bundesländern zur Migrationspolitik "bis hierhin viel zu ernsthaft und zu seriös".

Merz sollte "nicht den Eindruck vermitteln, dass die in zwei Wochen nahende Brandenburger Landtagswahl jetzt zu einem allzu unrealistischen Tempo bei ihm führt". Kühnert mutmaßte, dass der CDU-Chef "vielleicht den Knalleffekt gerne haben möchte, vorher zu sagen: 'Mit denen zusammen sind keine Regelungen zu treffen, ich stehe auf und gehe'".

 

Aus News von Pro Asyl

Sozialleistungen für Geflüchtete auf Null? Strategische Angriffe auf die Verfassung

Die ständigen Forderungen und Pläne, Sozialleistungen zu streichen, sind ein strategischer Angriff auf die Verfassung und auf ein solidarisches Europa. Das ist Gift für unsere Gesellschaft.

             Der Anti-Integrationshaushalt der Ampel-Regierung 

Die Bundesregierung hat mit der Vorstellung eines »Sicherheitspakets« im August 2024 unter anderem angekündigt, Geflüchteten in Dublin-Verfahren die Sozialleistungen drastisch kürzen zu wollen. Tags zuvor war bereits Finanzminister Christian Lindner (FDP) mit der Forderung völliger Sozialleistungsstreichung »bis auf eine Reisebeihilfe« in den Medien breit rezipiert worden. Der Vorschlag, geflüchteten Menschen selbst die geringste Unterstützung für ihr Überleben zu kürzen oder ganz zu entziehen, reiht sich ein in eine seit Monaten befeuerte faktenarme Sozialleistungsdebatte, von Bezahlkarte bis Bürgergeld. Die politische Umsetzbarkeit, verfassungsrechtliche Zweifel oder gar moralische Skrupel haben keinen Platz in dieser Diskussion. Täglich werden neue Forderungen laut. Unmittelbar nach der Vorstellung des »Sicherheitspakets« forderte Alexander Throm (CDU) eine Ausweitung der angedeuteten Kürzungspläne auf sämtliche geduldete Menschen. Solche Forderungen entbehren nicht nur einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der realen Situation geflüchteter Menschen, sie sind auch sozialpolitisches Gift, weil sie Grundwerte unserer Verfassung angreifen.

Unsere Verfassung schützt die Menschenwürde

Menschen das zum Leben existenziell Notwendige zu entziehen, ist mit dem ersten Grundsatz unserer Verfassung unvereinbar: der Menschenwürde. Das Bundesverfassungsgericht hat schon 2012 in einer wegweisenden Entscheidung festgehalten, dass das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum ausnahmslos gilt – für alle Menschen, auch für geflüchtete. Dazu gehört sowohl die Sicherung der physischen Existenz – Unterkunft, Ernährung und Körperhygiene, als auch ein Minimum an gesellschaftlicher Teilhabe – die Sicherung der soziokulturellen Existenz. Der Mensch ist ein soziales Wesen.

         NEWS  Zahlen & Fakten zur populistischen Debatte

Im Asylbewerberleistungsgesetz sind die Leistungen für Geflüchtete unterhalb des üblichen in Deutschland geltenden Standards im Sozialrecht festgelegt – allein deshalb begegnet das Gesetz seit seinem Bestehen verfassungsrechtlichen Bedenken. Mehrfach hat das höchste deutsche Gericht einzelne, zu niedrige Leistungen des Gesetzes korrigiert. Mindestens ein Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung ist auch derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig. Über 200 zivilgesellschaftliche Organisationen fordern die Abschaffung des Gesetzes.

         NEWS EuGH:  Deutschland muss die Flüchtlingsanerkennung anderer EU-Länder berücksichtigen 

Die nun im Raum stehenden Vorschläge zur Streichung der Sozialleistungen »auf Null« für Menschen, die in Dublin-Verfahren oder ohne eigenes Verschulden in der Duldung festhängen, wäre absehbar verfassungswidrig. Auch die Streichung »nur« des soziokulturellen Existenzminimus, wie sie für bestimmte Fallkonstellationen schon jetzt im Gesetz steht, ist sowohl in verfassungsrechtlicher als auch europarechtlicher Hinsicht mehr als fragwürdig. Eine pauschale Kürzung der Leistungen für Menschen im Dublin-Verfahren oder für Geduldete wäre juristisch und politisch nicht zu rechtfertigen.

Menschenrechten in Europa Geltung verschaffen

Menschen, für deren Asylverfahren eigentlich ein anderer europäischer Staat zuständig ist, fliehen nicht nach Deutschland, weil es ihnen hier so gut, sondern weil es ihnen anderswo extrem schlecht geht. Viele Überstellungen in andere EU-Staaten dürfen aus menschenrechtlichen Gründen nicht vollzogen werden oder scheitern am Unwillen der beteiligten Staaten, die Schutzsuchenden wieder aufzunehmen.

Einmal in der Bürokratie der Zuständigkeiten der EU-Staaten gefangen, ist den Dublin-Geflüchteten eine eigenständige freiwillige Ausreise regelmäßig gar nicht möglich. Sie können also nicht selbstständig in den für sie zuständigen EU-Staat gehen und somit ihre Situation selbst ändern. Deshalb kann man ihnen eine Grundversorgung auch nicht mit dem Argument verweigern, der andere Staat sei dafür zuständig. Auch ausreisepflichtige Menschen mit Duldung haben gute und oft zwingende Gründe für einen Verbleib in Deutschland. Dass sie aufgrund eines Fehlverhaltens hier leben, kann den allermeisten von ihnen nicht vorgeworfen werden.

Große Teile der deutschen Politik scheinen erreichen zu wollen, Deutschland in einem beschämenden Wettbewerb der Unmenschlichkeit konkurrenzfähig zu machen. Mit anderen Worten: Wenn andere Staaten Menschen- und EU-Recht ignorieren, will Deutschland das auch tun. Spätestens an diesem Punkt ist die Verweigerung von Sozialleistungen hierzulande keine rein deutsche Angelegenheit mehr, sondern untergräbt auch die europäische Zusammenarbeit und Solidarität in der Europäischen Union, die nach den Verheerungen eines Weltkriegs mit Millionen von Flüchtlingen als Friedenssicherungsprojekt installiert wurde. Was sich dringend ändern muss, ist die völkerrechtswidrige Unterversorgung und Leistungsverweigerung in anderen europäischen Staaten. Dafür braucht es die Solidarität wirtschaftlich starker Staaten wie Deutschland und eine konsequente Durchsetzung europäischen Rechts, auch durch Vertragsverletzungsverfahren.

        NEWS  Bezahlkarte ohne Standards   Länder vereinbaren Diskriminierungskonzept

Angriff auf die Verfassung – eine mutwillige Grenzverschiebung

Dass Lindner und Throm trotz der bekannten Vorgaben des Verfassungsgerichts Vorschläge in den Raum stellen, die eine komplette Leistungsverweigerung für Schutzsuchende zum Ziel haben, drückt die Verachtung für die Demokratie und den Verfassungsstaat aus, mit der die Debatte um Leistungen für Geflüchtete derzeit vorangetrieben wird.

Mit der Formulierung »Null Euro vom deutschen Steuerzahler« versucht sich Lindner nebenbei auch noch bei denjenigen anzubiedern, die anfällig für völkische Vorstellungen von Gesellschaft sind. Das Steueraufkommen Deutschlands wird zu einem erheblichen Teil von Migrant*innen ohne deutschen Pass, unter ihnen etliche Geflüchtete, miterwirtschaftet. Dem Finanzminister der Bundesrepublik sollte das bestens bekannt sein.

Solche Anspielungen sind aber keine gedanklichen Ausrutscher – ebensowenig wie die eines Friedrich Merz, wenn er heute so brutal wie rechtswidrig die Zurückweisung von Geflüchteten an der deutschen Grenze fordert. Oder eines Markus Söder, wenn er ohne jeden ernsthaften Anhaltspunkt behauptet, Heimatüberweisungen von Asylsuchenden seien ein existentes Problem. Das Dauerfeuer gegen eine humane Flüchtlingspolitik in den letzten Monaten hat Methode. Und zwar eine, die man bestens kennen sollte. Es ist die bekannte Strategie eines gewissen Donald Trump aus den USA und der so genannten Rechtspopulisten: Die ungerührte Wiederholung der immer gleichen Behauptungen, das Ignorieren aller Gegenargumente von juristischen oder wissenschaftlichen Analysen. Die Einträufelung des eigentlich Unsagbaren in die Gehörgänge, steter Tropfen höhlt den Stein, die mutwillige Grenzverschiebung.

Der Politikberater und Juraprofessor Daniel Thym ist einer der inhaltlichen Vordenker. In seinem Gutachten im Auftrag der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag kann man Vorschläge zu den Sozialkürzungen Geflüchteter nachlesen und muss dabei feststellen, dass die Ampelregierung seine Vorschläge in den letzten Monaten bereits zum Teil abgearbeitet hat. Und mehr noch – der Tiefpunkt der Debatte um die soziale Ausgrenzung Geflüchteter scheint noch nicht erreicht zu sein. Lässt die Gesellschaft sich weiter auf eine Auseinandersetzung auf diesem Niveau hineinziehen, ist es nur eine Frage der Zeit, wann die Verfassung und das Sozialstaatsprinzip als solches das Ziel der Angriffe werden. Prof. Thym bedauert: »Eine flächendeckende Leistungsabsenkung lässt das enge Korsett der Verfassungsrechtsprechung nicht zu.« (S.1). Er hat deshalb bereits einen Vorschlag zur Verfassungsänderung vorformuliert, mit dem das Sozialstaatsprinzip für Nichtdeutsche beschädigt werden soll. Auch seine Strategie ist die der steten Grenzverschiebung: »Allein die Diskussion um eine Verfassungsergänzung diente als Signal, damit das BverfG [Bundesverfassungsgericht] das Grundgesetz nicht überstrapaziert.« (S.2)

So entfernen sich nicht nur die lautstarken Antreiber, Söder, Merz, Lindner, Dürr und andere, sondern immer mehr politisch Verantwortliche und ein größer werdender Teil der Gesellschaft weiter weg von einer besonnenen Diskussion und Politik, die die Menschenwürde und die Verfassung achtet.

          NEWS Asyl-Beschlüsse der Bundesländer

Was wäre wenn? 

In der Praxis würde sich eine Reduzierung der Sozialleistungen auf Null als zutiefst unmenschlich erweisen. Wie weit will die Regierung gehen, um Menschen zu vertreiben? Sollen wir künftig zusehen, wie geflüchtete Menschen zu Hunderten unter Autobahnbrücken campieren, an Bahnhöfen sitzen und in unseren Städten um jedes Stück Brot betteln müssen? Wir haben solche Szenarien bereits in einigen EU-Ländern. Wenn einmal die Menschenwürde relativiert ist – wer wäre als Nächstes dran? Wenn wir akzeptieren, dass anderen die Würde genommen wird, was macht das mit uns selbst? Wir sollten froh darüber und dankbar sein, dass wir in einem Land leben, das bis jetzt solche Zustände nicht kennt.

Allein die Vorstellung, geflüchteten Menschen das Nötigste zum Leben zu verweigern, diskreditiert die betroffenen Menschen und befeuert Neid, Missgunst und Wutdebatten. Geringerverdiener*innen oder Menschen mit viel zu kleiner Rente hilft das keinen Schritt weiter. Die Debatte trägt lediglich dazu bei, den sozialen Frieden in diesem Staat weiter zu unterminieren.

Rückkehr zu Respekt und Verantwortung

Schutzsuchende, solange sie ohne gesichertes Aufenthaltsrecht sind, sind eine der schwächsten gesellschaftlichen Gruppen, die kaum Gehör findet. Es ist billig, sich verbal jeglichen Mitgefühls und der Verantwortung für diese Menschen zu entledigen. Das parteipolitische Wettrennen gegen die Rechtsradikalen kann man allerdings so nicht gewinnen, das haben die Wahlen in Thüringen und Sachsen gezeigt. Eine vergiftete Diskussion ist eben nicht dadurch zu retten, dass man immer mehr Gift hinzufügt. Um diese Demokratie zu bewahren, braucht es eine ernsthafte, rechtsstaatliche, standhafte, konstruktive Politik. PRO ASYL fordert alle demokratischen Politiker*innen auf, sich nicht weiter auf europa- und verfassungsfeindliche Debatten einzulassen und stattdessen zu einer sachbezogenen politischen Arbeit zurückzukehren, die das Grundgesetz achtet und gegen seine Feinde verteidigt. Das ist in diesen Zeiten bitter nötig.

 

Zeit Online / DPA: NRW verschärft Regeln zur Rückführung Ausreisepflichtiger

4. September 2024, 14:06 Uhr Nach der tödlichen Messerattacke von Solingen verschärft die nordrhein-westfälische Landesregierung die Pflichten der kommunalen und zentralen Ausländerbehörden bei Rückführungen abgelehnter Asylbewerber. Künftig muss bei jeder gescheiterten Überstellung unmittelbar geprüft werden, ob ein zweiter Versuch unternommen werden kann. Das geht aus einem neuen Erlass hervor, den NRW-Fluchtministerin Josefine Paul (Grüne) im Integrationsausschuss des Düsseldorfer Landtags vorgestellt hat. 

 

aktualisiert 03.09.2024

ZDF Video Wie Syrer und Afghanen den Asylstreit erleben

Nach Solingen-Attentat: In Deutschland lebende Syrer und Afghanen sehen sich einem zunehmendem Generalverdacht ausgesetzt. Das erhöht vor allem deren Ärger über den Attentäter.

 

nd - DER TAG: Migrationsgipfel – Recht oder rechts? 

03.09.2024, 17:39 Uhr Ampel, CDU und Länder beraten zu Asyl und Sicherheit. Sogar das Grundgesetz steht offenbar zur Debatte

Vertreter der Ampel-Parteien, der Union und der Länder haben sich am Dienstagnachmittag in Berlin getroffen, um nach dem Attentat von Solingen über Verschärfungen in den Bereichen Migrations- und Sicherheitspolitik zu beraten. Regierung und Union gingen mit entgegengesetzten Positionen zum Gipfel. Ob es unter diesen Umständen zu konkreten Ergebnissen kommen kann, ist zweifelhaft.

An dem Treffen im Bundesinnenministerium haben für die Bundesregierung Innenministerin Nancy Faeser (SPD), Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) teilgenommen. Für die Union war Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) vor Ort. Für die Länder vertritt Hessen die Unions- und Niedersachsen die SPD-Seite. Auch Abgeordnete der Ampel-Fraktionen sind vertreten.

Die Ergebnisse des Gesprächs will die Bundesregierung nicht kommunizieren – es sei eine vertrauliche Runde geplant. Dass eine richtungsweisende Neu-Einigung der Gipfelteilnehmer eher unwahrscheinlich ist, hatte sich schon in den Tagen zuvor abgezeichnet. Die CDU machte mit Forderungen Druck, die die Ampel zum einen aus rechtlicher Sicht nicht umsetzen kann und für die es zumindest bei SPD und Grünen keinen politischen Willen zu geben scheint.

Unions-Chef Friedrich Merz hatte sich in der Debatte nach Solingen etwa für einen pauschalen Aufnahmestopp für Menschen aus Syrien und Afghanistan ausgesprochen. Eine solche Maßnahme wäre verfassungswidrig und widerspräche dem EU-Recht. Kurz vor dem Gipfel bekräftigte er seine Forderungen nach einer deutlichen Verringerung der Migration: »Das eigentliche Problem ist der nach wie vor ungesteuerte Zuwanderungsdruck.« Merz pochte auf Zurückweisungen an den deutschen Staatsgrenzen und drohte: »Wenn es morgen zu keiner Einigung kommt, dann brauchen wir nicht weitere Gespräche zu führen.«

Aus Süddeutsche Zeitung

Interview Bundesinnenminsterin zu Asyl-Gesprächen mit Union: "Wir hatten ein sehr gutes, konstruktives, sehr offenes Gespräch"

Grundlage der Beratungen war das Sicherheitspaket, das die Bundesregierung vergangene Woche als Reaktion auf den Anschlag eines mutmaßlichen Islamisten und Asylbewerbers aus Syrien auf einem Stadtfest in Solingen mit drei Toten vorgelegt hatte.

Aus Pressemeldungen des Deutschen Städtetages:

"Gespräche sind gutes Signal für ernsthafte Lösungen in Flüchtlings- und Asylpolitik"

04.09.2024 Markus Lewe, Präsident des Deutschen Städtetages, zum Sicherheitspaket nach dem Treffen von Bund, Ländern und Unionsvertretern zur Migrationspolitik

"Es ist richtig, dass Bund und Länder den Schutz vor Terror und Gewalt in Deutschland konkret verbessern wollen. Und es ist ein gutes Signal, dass die Gespräche von Ampel, Ländern und Union fortgesetzt werden sollen für ernsthafte Lösungen in der Flüchtlings- und Asylpolitik."

Lewe weiter: "Die Städte unterstützen, dass Geflüchtete abgeschoben werden sollen, wenn sie mit Waffen eine Straftat begangen haben.

Auch die Dublin-Verfahren müssen unbedingt schneller und einfacher werden.

Es muss besser gelingen, Asylsuchende in die EU-Länder zu überstellen, die eigentlich für sie zuständig sind. Wir erwarten von der eingesetzten Arbeitsgruppe aus Bund und Ländern dafür zügig Ergebnisse. Wir brauchen auch in den Ländern bessere Verfahren, um Termine für Flüge, passende Papiere und den Kontakt zwischen Sicherheitsbehörden und Unterkünften zu koordinieren. Außerdem muss die Bundesregierung ihre Vereinbarungen mit den Drittländern in der EU verbessern, damit Rückführungen nicht mehr durch bürokratische Hürden der aufnahmepflichtigen Länder behindert werden. An Italien muss die Aufforderung ergehen, die ausgesetzten Rücküberstellungen wieder aufzunehmen.

Notwendig sind auch intensive Gespräche der Bundesregierung mit Herkunftsländern über Rückführungsabkommen. Abschiebungen dürfen nicht an fehlenden Passersatzpapieren scheitern oder daran, dass Herkunftsstaaten sich weigern, ihre Staatsangehörigen wieder aufzunehmen.

Wir brauchen Abkommen, die funktionieren und nicht nur auf dem Papier existieren.

Erst dann gelingt es, abgelehnte Asylbewerber in die Herkunftsländer abzuschieben. Vordringlich ist es, das EU-Türkei-Abkommen wieder mit neuem Leben zu erfüllen. Hier muss als erstes angesetzt werden."

 

Aus ZDF heute:

FAQ Migrationsforscherin:Warum Asylrecht eine "Signalwirkung" hat

04.09.2024 03:24 "Das Asylrecht ist dazu da, schutzbedürftigen Menschen Schutz zu bieten", so die Migrationsforscherin Kohlenberger im ZDF. Das dürfe man in der Asyl-Debatte nicht vergessen.

Konkrete Beschlüsse hat es beim Migrationsgipfel am Dienstag nicht gegeben. Trotzdem ist Bundesinnenministerin Nancy Faeser "dankbar für das ernsthafte und konstruktive Gespräch". Die Bundesregierung hatte mit der Union über ein gemeinsames Vorgehen in der Asylpolitik beraten.

Bei den Bemühungen gehe es "um einen harten Kurs gegen die irreguläre Migration", betonte Faeser.

Wie eine verantwortungsvolle Asyl-Politik aussehen könnte, die irreguläre Migration eindämmt und ob man Schutzsuchende an deutschen Grenzen zurückweisen darf, darauf hat die Migrationsforscherin Dr. Judith Kohlenberger im ZDF heute journal update Antworten.

Was plant die Ampel?

Die Bundesregierung hat vergangene Woche ein "Sicherheitspaket" verabschiedet - als Reaktion auf die Messerattacke in Solingen mit drei Toten. Es soll Grundlage für die Beratungen beim Migrationsgipfel sein. Das Paket sieht folgende Maßnahmen vor:

  • eine härtere Gangart bei der Rückführung abgelehnter Asylbewerber in ihre Herkunftsländer,
  • Schritte zur entschiedeneren Bekämpfung des islamistischen Terrors,
  • Verschärfungen beim Waffenrecht


Vorgesehen ist außerdem:

  • dass Schutzsuchende, für die ein anderes europäisches Land zuständig ist, in Deutschland keine Leistungen mehr erhalten (wenn dieses Land zur Rücknahme bereit ist, also sogenannte Dublin-Fälle).
  • ein Verbot von Springmessern und
  • ein leichterer Ausschluss vom Schutz in Deutschland für Migranten, die eine Straftat begangen haben.
  • eine Verbesserung des Dublin-Verfahrens (also die Regelungen zur Abschiebung von Asylsuchenden in andere europäische Staaten, die für sie zuständig sind). Dies war beim mutmaßlichen Attentäter von Solingen der Fall gewesen, der eigentlich nach Bulgarien hätte abgeschoben werden sollen.

Wie kann eine verantwortungsvolle Asyl-Politik aussehen?

Grundlegend sei, dass unionsrechtliche und völkerrechtliche Verpflichtungen eingehalten werden müssen, macht Kohlenberger klar. Das gelte auch bei nationalstaatlichen Bestrebungen, die irreguläre Migration einzudämmen oder zu beschränken. Es sei bezeichnend, "dass das an dieser Stelle extra betont werden muss".

In der aufgeladenen Debatten über hartes Durchgreifen, dürfe man nicht vergessen wozu das Asylrecht eigentlich da ist - nämlich schutzbedürftigen Menschen Schutz zu bieten. Das sei "eine Maxime, die aus den Irrungen und Wirrungen der beiden Weltkriege hervorgegangen ist".

Ist der Zusammenhalt in Europa in Gefahr?

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl hatte sich vor dem Treffen besorgt gezeigt und an die Bundesregierung appelliert, keine rechtswidrigen Maßnahmen zu beschließen. Die Methoden müssten Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken und Radikalisierung hin zum Islamismus oder Rechtsextremismus vorbeugen.

Pro Asyl warnte vor einer Gefährdung des Zusammenhalts in Europa. Diese Sorge sei berechtigt, sagt Kohlenberger im ZDF. "Wir müssen nicht weit in der Geschichte zurückgehen, oder geografisch weite Distanzen überbrücken, um zu erkennen, dass die Beschneidung der Rechte schutzsuchender Menschen, besonders marginalisierter Gruppen in der Gesellschaft, von jeher ein Einfallstor gebildet haben, für die schleichende Erosion der Rechte auch etablierter Gruppen in der Gesellschaft."

So gesehen haben Geflüchtete und das Asylrecht Signalwirkung in einem Rechtsstaat, in einer Demokratie. Dr. Judith Kohlenberger, Migrationsforscherin

Dürfen Migranten an den deutschen Grenzen zurückgewiesen werden?

CDU-Chef Friedrich Merz legte der Bundesregierung das Ausrufen einer "nationalen Notlage" nahe, die es erlauben würde, Geflüchtete an der deutschen Grenze zurückzuweisen. Laut Kohlenberger sei das weder verfassungsrechtlich noch europarechtlich konform.

"Das lässt sich nicht mit dem Unionsrecht vereinbaren", so die Migrationsforscherin.

Wenn Personen einen Asylantrag stellen möchten, dann ist dieser Asylantrag auch entgegenzunehmen. Die Person darf nicht bereits an der Grenze zurückgewiesen werden. Dr. Judith Kohlenberger, Migrationsforscherin

Im Gegenteil: Es müsse ein "rechtsstaatliches Verfahren gestartet" werden. Im Zuge dessen müsse erst geprüft werden, ob denn tatsächlich Schutzgründe vorliegen und die Person in Deutschland bleiben darf.

Schrecken Leistungskürzungen Schutzsuchende ab?

Sogenannte "Dublin-Flüchtlinge" - also solche, die über einen anderen EU-Staat einreisten und dort registriert wurden - sollen künftig weder Geldleistungen noch eine Bezahlkarte erhalten. "Dieses Ideal der Abschreckung begegnet uns leider sehr oft in der aktuellen Debatte um Asylrechtsverschärfungen", so Kohlenberger.

Was besagt die Dublin-III-Verordnung:

Das Dublin-Verfahren regelt, dass jeder Asylbewerber nur in dem EU-Land einen Asylantrag stellen darf, den er als erstes betreten hat. So soll sichergestellt werden, dass jeder Asylantrag nur von einem EU-Mitgliedstaat geprüft wird. Die Dublin-III-Verordnung gilt seit 2014 in den EU-Mitgliedstaaten sowie in Norwegen, Island, der Schweiz und Liechtenstein.

Hält ein Mitgliedstaat einen anderen für zuständig, kann er ein Übernahme- beziehungsweise Wiederaufnahmeersuchen stellen. Stimmt dieser Staat zu, erhält der Antragsteller einen entsprechenden Bescheid. Er kann einen Eilantrag dagegen stellen; andernfalls vereinbaren die Mitgliedstaaten die Überstellung.
Wird sie nicht binnen sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit an jenen Mitgliedstaat über, der um Übernahme ersucht hat. Taucht der Antragsteller unter oder befindet er sich in Strafhaft, kann sich diese Frist verlängern. In bestimmten Fällen sieht Dublin III eine Abschiebehaft vor, etwa bei ungeklärter Identität, verspäteter Antragstellung oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit.

Die Verordnung der EU in voller Länge finden Sie hierQuelle: KNA

Europäische Länder wie Ungarn oder Griechenland seien "in diesen Unterbietungswettbewerb schon seit langem eingestiegen". Ihre Aufnahmebedingungen für Geflüchtete seien so abschreckend gestaltet, "dass sie gerichtlich festgestellt sogar menschrechtswidrig sind".

Das führe dazu, dass auf europäischer Ebene immer weniger Länder bereit sind, Asylverantwortung wahrzunehmen. Deutschland und Österreich zählten weiterhin dazu. Diese Länder schulterten einen immer größeren Druck, der sich immer ungleicher auf wenige verteile.

Forschungen zeigten klar, dass Sozialleistungen nur ein Faktor unter vielen darstellten, warum sich Geflüchtete ein bestimmtes Zielland aussuchten.

Ein wesentlich gewichtigerer Faktor, sind soziale Netzwerke im Zielland - also Freunde, Bekannte, Familie, die bereits dort leben. Dr. Judith Kohlenberger, Migrationsforscherin

"Die wirken wesentlich anziehender als Sozialleistungen es je tun werden", so Kohlenberger.

 

Aus Tagesschau

Migrationstreffen "Maximale Offenheit" - bis hin zu Zurückweisungen?

04.09.2024 00:05 Uhr  Konstruktiver als erwartet sei das Migrationstreffen mit der Bundesregierung verlaufen, hieß es aus der Union. Kommende Woche könnte es weitere Gespräche geben. Bedingung der Union: Zurückweisungen an der Grenze.

Gut drei Stunden saßen sie im Bundesinnenministerium zusammen, länger als zuvor angekündigt. Und durch war man mit den Themen am Ende nicht. Der Gesprächsbedarf war offenbar groß, auch nach dem Treffen vor den Mikrofonen.

Dabei sollte es ein vertrauliches Arbeitsgespräch werden. Nur: Ganz so vertraulich lief es dann doch nicht ab. Im Anschluss hatten einige Teilnehmer durchaus etwas zu sagen. Nur die Bundesinnenministerin hielt sich bedeckt.

Grundlage für das Treffen war das Sicherheitspaket, auf das sich die Ampelkoalition vergangene Woche unter dem Eindruck des Messer-Attentats von Solingen geeinigt hatte: Es enthält Maßnahmen zur inneren Sicherheit und Vorschläge für Verschärfungen in der Asyl-Politik. Die Bundesregierung betonte außerdem Offenheit für weitergehende Vorschläge der Union. "Niemand hat sich irgendeinem Weg versperrt. Wir haben das gemeinsame Ziel, irreguläre Migration zu begrenzen und insbesondere auch die Kommunen zu entlasten", sagte Bundesinnenministern Nancy Faeser (SPD) nach dem Treffen.

Faeser zu Migrationstreffen "Konzentrierte, offene und konstruktive Beratungen"

Innenministerin Faeser zeigte sich dennoch optimistisch. Kommende Woche sollen die Gespräche fortgesetzt werden. mehr

Union will Zurückweisungen

Und weitergehende Vorschläge, die haben CDU und CSU: Sie fordern, die Grenzkontrollen auszuweiten und generelle Zurückweisungen an allen Grenzen, auch dann, wenn jemand um Schutz in Deutschland bittet.

Für die Union sei entscheidend, dass es nicht nur Grenzkontrollen gibt, "sondern auch tatsächlich zu Zurückweisungen an der Grenze kommt", sagte Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, nach dem Treffen. Und zwar dann, wenn jemand "aus einem anderen EU-Mitgliedsstaat kommt und dort entweder einen Asyl-Antrag bereits gestellt hat oder ihn jedenfalls hätte stellen können". Man werde jetzt klären müssen, ob man bei diesem Punkt zu einer gemeinsamen Haltung kommen könne.

"Ich sehe rechtliche Möglichkeiten", sagte der hessische Innenminister Roman Poseck (CDU), der an den Gesprächen teilnahm, weil Hessen derzeit den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz innehat. "Aber jetzt ist es vor allen Dingen Aufgabe der Bundesregierung, zu prüfen, ob sie bereit ist, diesen von uns vorgeschlagenen Weg mitzugehen."

Kommune Lohmar: Hier drückt beim Thema Migration tatsächlich der Schuh

Offenheit - auch bei Zurückweisungen

Die Antwort von SPD und Grünen war darauf bislang: Das verstößt gegen europäisches und internationales Recht.

Doch jetzt gibt es bei diesem Punkt offenbar Bewegung oder zumindest die Bereitschaft, das erneut zu prüfen. Konkret wollte Bundesinnenministerin Faeser im Anschluss an das Treffen zwar nichts dazu sagen. Sie blieb dabei: "Vertraulichkeit der Gespräche haben wir vereinbart." Aber: "Ich will nochmal signalisieren: maximale Offenheit für alle Vorschläge."

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Nach dem Anschlag von Solingen diskutieren Bundesregierung, Opposition und Länder über Migrationspolitik. mehr

CDU-Chef nicht dabei

In Berlin nicht dabei war CDU-Chef Friedrich Merz, obwohl das Treffen auch eine Reaktion war auf sein Angebot an die SPD zur Zusammenarbeit in der Asyl- und Migrationspolitik vergangene Woche. Nach dem Attentat von Solingen und vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen hatte er damit die Bundesregierung unter Druck gesetzt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nahm den Ball auf und ließ die Bundesinnenministerin zu Gesprächen einladen.

Eine Einladung, die an Vertreter der Union und der Bundesländer ging, aber eben auch an die Ampelfraktionen und die inhaltlich betroffenen Bundesministerien. Also anders als von Merz vorgeschlagen keine Zusammenarbeit allein zwischen SPD und Union.

Und: Es war ein Treffen auf Arbeitsebene. Merz schickte entsprechend seine Fachpolitiker. Er selbst besuchte an dem Tag ein Stahlwerk und das Islamkolleg in Osnabrück. Und säte von dort aus Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Treffens: "Der irreguläre Zuzug von Migranten - das ist das eigentliche Problem und das muss die Bundesregierung heute bereit sein mit uns nicht nur zu besprechen, sondern zu lösen. Und wenn das nicht der Fall ist, dann erübrigen sich weitere Gespräche."

Weiteres Treffen geplant

Aber die Gespräche liefen dann doch auch aus Sicht der Unionsvertreter vor Ort konstruktiver als erwartet. Ein weiteres Treffen haben die Teilnehmer der Runde bereits ins Auge gefasst - für Anfang kommender Woche.

Jetzt müssten "ein paar Dinge" rechtlich geprüft werden, sagte die Bundesinnenministerin, ohne dabei präziser zu werden. Doch vieles deutet darauf hin, dass es dabei auch darum gehen wird, inwieweit generelle Zurückweisungen an den Grenzen rechtlich möglich sind. Daneben werden sich wohl alle an den Gesprächen beteiligten Parteien auch noch einmal intern rückversichern müssen: Wie weit sind sie wirklich bereit zu gehen? Und auch mögliche Verwerfungen mit den EU-Nachbarn wird die Bundesregierung im Blick behalten müssen.

Aktualisiert 01.09.2024:

Aus Spiegel:

Ausweisungen nach Afghanistan und Syrien  Union drängt auf weitere Abschiebeflüge

01.09.2024, 11.20 Uhr Erstmals seit drei Jahren startete vor wenigen Tagen wieder ein Abschiebeflug nach Afghanistan. Der Union reicht das nicht, sie erhöht vor dem Migrationsgipfel nächste Woche den Druck auch auf Innenministerin Faeser.

Der erste Abschiebeflug von Straftätern nach Afghanistan seit der Machtübernahme der Taliban hat die Rufe konservativer Politiker nach einer noch härteren Gangart gegen kriminelle Asylbewerber verstärkt. Die CSU im Bundestag verlangte nun zeitnah weitere derartige Flüge. »Ich erwarte von Innenministerin Faeser, dass nächste Woche der nächste Abschiebeflug nach Afghanistan stattfindet. Das darf keine Eintagsfliege gewesen sein«, sagte Landesgruppenchef Alexander Dobrindt der »Bild am Sonntag«.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser will die Abschiebeflüge fortsetzen, nannte aber keine Daten dafür. Die SPD-Politikerin sagte der Zeitung: »Ausländische Gewalttäter und Vergewaltiger müssen unser Land wieder verlassen. Ich werde daher weiter alles dafür tun, dass Straftäter und terroristische Gefährder nach Afghanistan und auch nach Syrien abgeschoben werden.« ...

Buschmann: Länder setzen geltendes Recht nicht durch

In der kommenden Woche wollen Bundesregierung, Union und Länder über Schritte in der Migrationspolitik beraten. Auslöser war das Messerattentat von Solingen mit drei Toten und acht Verletzten. Tatverdächtig ist ein 26 Jahre alter Syrer. Die Ampelkoalition hat bereits ein Paket von verschärfenden Maßnahmen vorgelegt. Es geht der Union aber nicht weit genug.

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann warnte in der »Bild am Sonntag«: »Es darf keine Placebo-Veranstaltung werden. Es braucht jetzt konkrete Maßnahmen zur Beschränkung der illegalen Migration und nicht andauernd neue Arbeitskreise.« Um illegale Zuwanderung zu stoppen, sei die konsequente Anwendung des Dublin-Prinzips notwendig, also die Zurückweisung an den Grenzen. »Außerdem gilt, wer nicht hierbleiben darf, muss abgeschoben werden.«

Unions-Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) sagte der Zeitung: Für ein Weiter-so stehe die Union nicht zur Verfügung. Am Dienstag müsse ausgelotet werden, »ob es die Bereitschaft gibt, die Migrationsströme nach Deutschland substanziell zu reduzieren«.

Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder hatte zuvor die Ampel bereits zu einem härteren Kurs in der Migrationspolitik gedrängt. Er verlangte mehr Abschiebungen und Zurückweisungen an den Grenzen. Er hinterfragt auch die bisherige Praxis, wie in Deutschland der grundrechtlich geschützte individuelle Anspruch auf Asyl gewährt wird. »Das Asylrecht muss grundlegend reformiert werden. Das individuelle subjektive Recht auf Asyl muss umgewandelt werden«, sagte er in einem Interview – und zeigte sich offen für Kontingentlösungen.

Bundesjustizminister Marco Buschmann nimmt auch die Bundesländer in die Pflicht. »Im Bund-Länder-Gespräch muss alles auf den Tisch: alles, was der Bund tun kann, aber auch die Rolle der Länder«, sagte der FDP-Politiker der Zeitung. »Geltendes Recht wird in unzähligen Fällen von den Ausländerbehörden der Länder nicht durchgesetzt. Das muss sich schleunigst ändern.«

 

Aus Stern:

Solingen-Gedenken: Steinmeier fordert mehr Einsatz gegen irreguläre Migration

01.09.2024, 12:10 Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer des mutmaßlich islamistisch motivierten Anschlags auf dem Stadtfest in Solingen mehr Einsatz gegen irreguläre Migration gefordert. Dafür müsse "jede, wirklich jede Anstrengung" unternommen werden, sagte er am Sonntag. Das Thema Zuwanderung und ihre Begrenzung "muss Priorität haben in den nächsten Jahren".

Steinmeier unterstrich die Bedeutung des Grundrechts auf Asyl: "Wir sind aus gutem Grund ein Land, das Menschen aufnimmt, die Schutz vor politischer Verfolgung und Krieg suchen." Doch das funktioniere nur, "wenn uns die Zahl derer, die ohne Anspruch auf diesen besonderen Schutz (kommen), nicht überfordert", sagte er. Zudem müssten sich Schutzsuchende "an Recht und Gesetz unseres Landes halten". ...

 

Aktualisiert 31.08.2024:

Aus Aktuelles der Seebrücke:

Nach Anschlag von Solingen: Bundesregierung antwortet mit Rassismuspaket!Bild entfernt.

Die Bundesregierung hat heute ein sog. "sicherheitspolitisches Maßnahmenpaket" beschlossen. Diese beschönigende Formulierung steht für eine Reihe an Maßnahmen, die u.a. die Rechte von Geflüchteten gravierend verletzen soll.

Neben Maßnahmen zu Waffenverboten und Islamismus-Bekämpfung soll auch weiter gegen "irreguläre Migration" vorgegangen werden. Dies soll zum Beispiel so umgesetzt werden: Geflüchteten, für deren Asylverfahren laut Dublin-III Verordnung ein anderes Land zuständig ist, und bei denen das zuständige Land zugestimmt hat, die Person wieder aufzunehmen, sollen alle Sozialleistungen gestrichen werden. Desweiteren sollen Menschen mit anerkanntem Status als Flüchtling oder subsidiär Schutzberechrigte*r diesen verlieren, wenn sie ohne "zwingenden Grund" in ihr Herkunftsland reisen.

In Zukunft sollen noch mehr Maßnahmen durch Bund und Länder erarbeitet werden, um mehr Menschen im Rahmen des Dublin-Verfahrens abzuschieben.

Besonders die Streichung von Sozialleistungen ist ein unfassbar perfider Angriff auf die Menschenrechte der betroffenen Personen. Mit dieser Reaktion bestätigt die Bundesregierung die rassistischen Reaktionen auf den furchtbaren islamistischen Terroranschlag. Zudem wird mit der Berichterstattung eine schlichtweg falsche Kausalkette erzeugt und eine rechte Argumentationslinie reproduziert, anstatt sie einzuordnen. Es ist zu befürchten, dass dies dem Rechtsruck im Land und rassistischer Gewalt weitere Legimitation gibt.

Wir müssen solidarische Lösungen für reale Probleme wie Islamismus finden und uns gegen die rassistische Politik wehren!

 

Aktualisiert 30.08.2024:

Aus Monitor:

Solingen: Eine Stadt in Angst

Aus Tagesschau:

Asylrechtsdebatte nach Solingen kommentar: Schutz vor Terror, aber auch Schutz für Geflüchtete

Aus Deutschlandfunk:

Koalition will offenbar Leistungskürzungen für „Dublin-Flüchtlinge“

Die Ampel-Koalition plant laut einem Medienbericht weitere Leistungseinschränkungen für bestimmte Flüchtlingsgruppen. Demnach sollen sogenannte „Dublin-Flüchtlinge“ – also solche, die über einen anderen EU-Staat einreisten und dort registriert wurden – künftig weder Geldleistungen noch eine Bezahlkarte erhalten. Stattdessen sollen ihnen nur die nötigsten Sachleistungen wie Unterkunft, Verpflegung und Hygieneartikel gewährt werden.

Die Kürzungen sollen Teil eines Maßnahmenpakets sein, über das das SPD-geführte Innenministerium, das grüne Wirtschaftsministerium und das FDP-geführte Justizministerium derzeit verhandeln, heißt es in der „Bild“-Zeitung. Bundeskanzler Scholz hatte gestern zu Gesprächen von Bundesregierung, Ländern und Union über Konsequenzen aus dem Attentat von Solingen eingeladen.

Lindner fordert „Null Euro“ für ausreisepflichtige Flüchtlinge und Entzug des Aufenthaltsrechts nach Heimaturlaub

FDP-Chef Lindner hatte im ARD-Fernsehen als Reaktion auf das Solinger Attentat dafür plädiert, ausreisepflichtigen Flüchtlingen das Geld komplett zu streichen. Für Asylbewerber, für die eigentlich andere EU-Länder zuständig sind, sollte es nach seinen Worten „Null Euro“ vom deutschen Steuerzahler geben. Lediglich die Reisekosten in das zuständige EU-Land sollten noch übernommen werden, sagte der Finanzminister. Asylbewerber im Dublin-Prozess hätten nicht das Recht, sich ihren Standort in Europa auszusuchen. Bund und Länder hatten sich im April bereits auf die Einführung einer Bezahlkarte statt Bargeld-Leistungen für Geflüchtete geeinigt, damit diese keine Überweisungen ins Ausland mehr tätigen können. Lindner schlug ferner vor, das Ausländerrecht so zu verschärfen, dass Flüchtlinge nach einem Urlaub in ihrem Heimatland das Aufenthaltsrecht verlieren.

Grüne auch zu Gesprächen bereit – Positionspapier für härtere Gangart

Der Grünen-Fraktionsvize von Notz und die Parlamentsgeschäftsführerin Mihalic verlangen in einem Positionspapier, das dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt, einen innenpolitischen Kurswechsel. Die beiden schlagen vor, dass Bund und Länder ihre Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen grundlegend neu ausrichten. Sie sprechen sich für eine konsequente Abschiebungen von nichtdeutschen Gefährdern aus und zeigen sich offen für ein schärferes Waffenrecht und mehr Befugnisse für die Sicherheitsbehörden. Dabei greifen Mihalic und Notz auch Innenministerin Faeser an. Deren Haus verfolge eine „klassische, heute in weiten Teilen veraltete Sicherheitspolitik“ und verfange sich „viel zu sehr in Symboldebatten“, statt auf die Defizite einzugehen, heißt es in dem Papier.

Die nordrhein-westfälische Ministerin für Flucht und Integration, Paul, mahnte zudem Änderungen am Dublin-Verfahren an. Die Grünen-Politikerin sagte im Deutschlandunk, das Verfahren, das dafür sorgen soll, dass Flüchtlinge in die europäischen Länder zurückkehren, in denen sie als erstes registriert wurden, sei sehr kompliziert. Bulgarien beispielsweise mache genaue Vorgaben für eine Rückführung. Diese sei nur per Flugzeug und nur an bestimmten Tagen möglich. Hintergrund ist, dass der mutmaßliche Attentäter von Solingen im vergangenen Jahr eigentlich von den nordrhein-westfälischen Behörden nach Bulgarien abgeschoben werden sollte. Der Mann wurde aber nicht in seiner Unterkunft angetroffen, danach gab es keinen weiteren Versuch der Abschiebung. Dies hatte für Kritik an Integrationsministerin Paul gesorgt. Das ganze Interview mit Josefine Paul können Sie hier nochmal nachlesen.

Aktualisiert 30.08.2024:

BMI Meldung, Schwerpunktthema: Sicherheit

„Unsere Sicherheit zählt. Unser Rechtsstaat handelt.“

30.08.2024 Ministerin Faeser zu Abschiebungen nach Afghanistan und Sicherheitspaket nach Terrorakt in Solingen im Innenausschuss des Bundestages

Bei der Sondersitzung des Ausschusses für Inneres und Heimat nach dem Messerangriff von Solingen informierte Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Abgeordneten über das am gestrigen Donnerstag vorgestellte sicherheitspolitische Maßnahmenpaket der Bundesregierung. Darüber hinaus standen die heute Morgen erfolgten Rückführungen von afghanischen Staatsangehörigen in ihr Herkunftsland im Fokus.

„Unsere Sicherheit zählt, unser Rechtsstaat handelt." Bundesinnenministerin Nancy Faeser

Wiederaufnahme von Rückführungen nach Afghanistan

„Deutschland schiebt heute 28 Straftäter nach Afghanistan ab. Unsere Sicherheit zählt, unser Rechtsstaat handelt“, so Innenministerin Nancy Faeser am Morgen.

Erstmals seit August 2021 hat Deutschland wieder Rückführungen von afghanischen Staatsangehörigen in ihr Herkunftsland durchgeführt. „In den letzten Monaten haben wir als Bundesregierung viel dafür getan, damit die Rückführung in diesen Fällen wieder möglich wird“, sagte Innenministerin Faeser. Bei den Personen handelte es sich um afghanische Staatsangehörige, die verurteilte Straftäter waren, die kein Bleiberecht in Deutschland hatten und gegen die Ausweisungsverfügungen vorlagen.

Maßnahmen der Bundesregierung nach dem Messerangriff von Solingen

„Wir werden auf diese Tat und die anhaltend hohe Bedrohung durch islamistisch-motivierten Terror mit der notwendigen Härte antworten“, stellte Faeser in Bezug auf den Messerangriff von Solingen klar. Gestern haben sie, Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann und Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) Anja Hajduk ein sicherheitspolitisches Maßnahmenpaket vorgestellt. „Für unser hartes Durchgreifen steht auch die Einigung in der Koalition auf ein umfassendes Sicherheitspaket mit weitreichenden Maßnahmen“, betonte die Ministerin.

Das Wichtigste auf einen Blick

Bekämpfung von irregulärer Migration:

  • Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge darf zukünftig biometrische Daten nutzen, um die Identität von Schutzsuchenden festzustellen.
  • Schutzsuchende, für die laut Dublin-Regelung ein anderer europäischer Staat zuständig ist, sollen künftig keine Sozialleistungen mehr erhalten, wenn der zuständige Mitgliedsstaat der Rückübernahme zugestimmt hat.
  • Eine „Dublin-Task Force von Bund und Ländern“ wird dafür Sorge tragen, dass mehr Schutzsuchende, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind, in den zuständigen Staat überstellt werden können.
  • Bei Reisen ins Herkunftsland, die nicht unbedingt notwendig sind, erfolgt die Aberkennung des Schutzstatus.

Bekämpfung von Islamismus:

  • Der biometrische Abgleich zur Gesichtserkennung wird möglich, um die Identifizierung von Tatverdächtigen zu erleichtern.
  • Um Terrorismusfinanzierung besser zu bekämpfen und Geldströme zu kontrollieren, erhält der Verfassungsschutz weitere Befugnisse.
  • Die Bundesregierung hat in ihrer Amtszeit mehrere Verbote gegen islamistische Vereinigungen verhängt – weitere Vereinsverbote werden folgen.
  • Extremisten dürfen nicht in den Besitz von Waffen kommen, daher werden künftig weitere Behörden – wie Bundespolizei, Bundeskriminalamt und das Zollkriminalamt – abgefragt, wenn es um Erteilung oder Entzug einer waffenrechtlichen Erlaubnis geht.
  • Die Bundesregierung setzt eine Task Force zur Islamismusprävention aus Wissenschaft und Praxis ein.
  • Die Bundesregierung wird auf EU-Ebene einfordern, islamistische Propaganda im Netz besser zu bekämpfen.

Strengeres Waffenrecht und Messerverbot:

  • Die Bundesregierung führt ein absolutes Messerverbot bei Volksfesten, Sportveranstaltungen, Messen, Ausstellungen, Märkten und anderen öffentlichen Veranstaltungen ein.
  • Auch in Bussen und Bahnen gilt künftig ein Messerverbot.
  • Die Bundesländer werden ermächtigt, Messerverbote an Bahnhöfen zu verhängen.
  • Außerdem wird der Umgang mit gefährlichen Springmessern verboten.

 

Aktualisiert 29.08.2024:

WDR Story:

Der Anschlag von Solingen: Chronik eines Versagens  ARD Mediathek

Solingen, fast eine Woche nach der Tat: Wer ist Issa-al H., der mutmaßliche Täter, der auf dem Stadtfest drei Menschen getötet und acht Menschen verletzt hat? Wie kam er nach Deutschland, warum konnte er bleiben und sich radikalisieren? Ist seine Geschichte ein Einzelfall oder sind die Abläufe und Strukturen rund um das Thema Asyl lückenhaft? Die ARD Story ist in Solingen, in Deutschland und dem europäischen Ausland unterwegs, spricht mit Politiker:innen, Anwält:innen und Menschen, die sich jeden Tag mit dem Thema Abschiebung beschäftigen. Und eine Frage steht im Raum: Kann es so weitergehen? Dieser Film wurde im Jahr 2024 produziert. Alle Aussagen und Fakten entsprechen dem damaligen Stand und wurden seitdem nicht aktualisiert

 

Aus Tagesschau:

Kritik am "Sicherheitspaket" "Nicht die notwendigen Maßnahmen"

Das Maßnahmenpaket der Ampel zur Verschärfung des Asyl- und Waffenrechts hat bei der Opposition Kritik ausgelöst: Es sei zwar nicht falsch - aber unzureichend. Auch aus der Ampel selbst kommt Widerspruch.

Sieben Seiten umfasst das "Sicherheitspaket", auf das sich die Ampelkoalition verständigt hat - mit Maßnahmen gegen gewaltbereiten Islamismus und Verschärfungen im Bereich des Asyl- und Waffenrechts. Aus Sicht der Union ist das jedoch unzureichend.

"In dem vorgestellten Papier steht nichts Falsches, es sind aber leider nicht die notwendigen Maßnahmen", sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann der Rheinischen Post. Die Bundesregierung sei "nicht bereit, sich ernsthaft um die Beschränkung der illegalen Migration zu kümmern."

Mit Blick auf die geplanten Gespräche der Regierung mit den Ländern und der Union zur Migration in der kommenden Woche sagte Linnemann: "Wenn die Bundesregierung an ernsten Gesprächen interessiert ist, müssen am Dienstag die Themen Zurückweisungen an der Grenze, Anwendung des Dublin-Prinzips und konsequente Abschiebungen auf den Tisch." Es gebe kein Erkenntnisproblem sondern "ein Umsetzungsproblem", sagte Linnemann. "Die Zeit von Arbeitskreisen ist vorbei."

CSU-Gruppenchef Alexander Dobrindt kündigte eine genaue Prüfung des Maßnahmenpakets an. "Offensichtlich werden jetzt Dinge möglich, die die Ampel bisher immer abgelehnt hat", sagte er. "Wenn die Ampel jetzt einen Kurswechsel vollzieht und inhaltlich auf die Union zugeht, werden wir uns die Inhalte genau anschauen. Entscheidend bleibt für uns dabei, dass die Zahlen der illegalen Migration runter und die Abschiebezahlen rauf müssen."

AfD vermutet Wahlkampfmanöver

Kritik kam auch aus der AfD, die der Ampel vorwarf, mit den Beschlüssen so kurz vor den Landtagswahlen in Ostdeutschland PR zu betreiben. "Die Hauptverantwortlichen für das Migrationsdesaster und die Erosion der Inneren Sicherheit, Ampel und Union, tun kurz vor den Landtagswahlen so, als ob sie die selbst verschuldete Migrationskrise ernsthaft lösen wollten", schrieb Parteichefin Alice Weidel auf der Plattform X. Die Wähler würden sich von "dieser puren Panik-PR nicht blenden lassen".

Weidel zog in Zweifel, ob die von der Koalition nun angekündigten Maßnahmen jemals umgesetzt würden, und kritisierte Teile der Pläne: "Waffenrechtsverschärfungen und Messerverbote sind vorab schon erkennbar wirkungslose Augenwischerei. Kein Terrorist lässt sich dadurch von seiner Tat abhalten", sagte sie den Nachrichtenagentur dpa.

 

Aus Deutschlandfunk:

Audio: NRW-Ministerin Paul weicht Fragen zur Verantwortung aus

Wer trägt die politische Verantwortung für die Versäumnisse im Zusammenhang mit dem Anschlag von Solingen? Abschiebungen gehören in den Zuständigkeitsbereich von NRW-Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne). Die sieht jedoch vor allem ein Systemversagen.

 

Aus Tagesschau:

Video: Regierung einigt sich auf Maßnahmenpaket für Asyl und Migration

und

Asylrechtsdebatte nach Solingen kommentar: Schutz vor Terror, aber auch Schutz für Geflüchtete

 

Aus Tagesschau:

Auf dem Prüfstand: Sind die Merz-Forderungen rechtlich umsetzbar?

CDU-Chef Merz will eine härtere Migrationspolitik und hat nach dem Solingen-Anschlag konkrete Forderungen gestellt. Doch diese Vorschläge sind teils rechtlich kaum umsetzbar.

CDU-Chef Friedrich Merz hat in einer E-Mail an Interessierte und CDU-nahe Bürgerinnen und Bürger am Sonntag verschiedene Forderungen zum Asylrecht gestellt. Diese adressierte er konkret an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Merz nahm dazu auch teils nochmal in Interviews Stellung, manche Forderungen hat er so auch nicht wiederholt.

Wie diese Aspekte juristisch zu bewerten sind, ist teils umstritten und hochkomplex. Denn gerade das Asylrecht ist stark von europarechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben geprägt. Außerdem ist die Rechtsprechung sehr einzelfallabhängig und daher kaum zu verallgemeinern.

Acht Forderungen von Merz auf dem Prüfstand:

1. Dauerhafte Kontrollen an den deutschen Grenzen mit konsequenter Zurückweisung ...

2. Inkraftsetzung der Dublin-Verordnung ...

3. Dublin-III-Verordnung aussetzen ...

4. Pauschaler Aufnahmestopp für Menschen aus Syrien oder Afghanistan ...

5. Aufenthaltstitel aberkennen, sobald jemand in sein Heimatland reist ...

6. Ausreisepflichtige Syrer und Afghanen in die Heimatländer abschieben ...

7. Ausreisepflichtige Straftäter zeitlich unbegrenzt in Abschiebehaft nehmen ...

8. Pläne mit der CDU umsetzen, nötigenfalls ohne die Ampel-Parteien FDP und Grüne ...

 

Video in Tagesschau / WDR aktuell 28.08.2024:

Oft nicht praktikabel: Die Probleme bei der Abschiebung

 

Aktualisiert 28.08.2024:

Aus Deutschlandfunk vom 28.08.2024:

Merz relativiert Forderung nach Aufnahmestopp für Menschen aus Syrien und Afghanistan

CDU-Chef Merz hat seine Forderung nach einem Aufnahmestopp für Syrer und Afghanen relativiert. In einem Schreiben an die Mitglieder des Bundesvorstands seiner Partei stellt er nach Angaben der dpa klar, man fordere keine Änderung des Asylrechts im Grundgesetz.

Seine Vorschläge würden aber zu einem – Zitat – „faktischen Aufnahmestopp“ führen. Merz regt demnach konsequente Zurückweisungen von Personen ohne Einreiseerlaubnis an der Grenze sowie ein Ende der freiwilligen Aufnahmeprogramme an. Anders als die Ampel-Koalition behaupte, sei nur eine sehr geringe Anzahl an Menschen aus Syrien und Afghanistan als politisch Verfolgte asylberechtigt im Sinne des Grundgesetzes. Das Schreiben verschickte Merz laut dpa nach seinem Treffen mit Bundeskanzler Scholz.

Zuvor hatte der Unionsfraktionschef von Scholz verlangt, notfalls eine „nationale Notlage“ zu erklären, falls es in der EU nicht kurzfristig gelinge, die illegale Migration einzudämmen. Merz brachte indirekt einen Bruch der Ampel-Koalition ins Gespräch. Union und SPD könnten nötige Gesetze auch ohne Rücksicht auf Grüne und FDP beschließen, meinte der Unionsfraktionschef.

Bei dem einstündigen Zusammentreffen habe er den Kanzler aufgefordert, wirklich etwas zu ändern, führte Merz aus. Die Menschen hätten oft genug gehört, was nicht geht. Jetzt sei es an der Zeit, konkrete Lösungen zu erarbeiten. Deswegen habe er Scholz vorgeschlagen, Gesetzesänderungen zu erarbeiten und diese in der Haushaltswoche im September zu verabschieden. Dazu sollen nach Ansicht von Merz zwei Unterhändler konkrete Vorlagen erarbeiten.

„Staatsgrenzen schützen“

Konkret müssten der Zuzug über die Kontrolle der deutschen Staatsgrenze geregelt und Menschen zurückgeschickt werden. Merz erinnerte daran, dass nach EU-Recht der Asylantrag im Land des Erstzutritts gestellt werden müsse. Das sei in der Regel nicht Deutschland. Außerdem brauche es mehr Vertrauen, mehr Kompetenzen und mehr Ausstattung für die Bundespolizei, um das durchzusetzen. Merz will vor allem Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan zurückweisen, dies seien die problematischsten Gruppen.

Scholz äußerte nach dem Gespräch mit Merz grundsätzlich Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der Opposition von CDU und CSU in Fragen der Migration. Zugleich betonte er, alle Ideen müssten im Einklang mit dem Grundgesetz und mit den europäischen sowie internationalen Verträgen stehen.

Scholz will ferner die bestehenden Kontrollen an den deutschen Grenzen zu mehreren Nachbarländern „so lange wie möglich“ aufrechterhalten. Sie hätten sich als sehr effizient erwiesen, sagte er im ZDF. Das Individualrecht auf Asyl bleibe aber erhalten. Zugleich sagte Scholz, es gehe darum, die irreguläre Migration zu reduzieren. „Da sind Erfolge, aber sie reichen nicht“, räumte der Kanzler ein. So sei Deutschland bei den Abschiebezahlen besser geworden, aber noch lange nicht gut. Hierzu brauche es eine enge Kooperation zwischen Bundesregierung und Bundesländern wie auch zwischen Regierung und Opposition.

Scholz fügte hinzu, die Bundesregierung arbeite daran, Abschiebungen Schwerstkrimineller nach Afghanistan und Syrien zu ermöglichen. „Schwere Straftäter haben ihr Schutzrecht hier verwirkt“, sagte Scholz. ...

Lindner offen für Merz-Vorstoß

Die FDP zeigte sich offen für eine grundsätzliche Wende in der Migrations- und Asylpolitik in Zusammenarbeit mit der Union. „Die FDP steht zu überparteilichen Anstrengungen bereit, neuen Realismus in der Migration von Bund und Ländern konsequent durchzusetzen“, sagte Parteichef Lindner der Zeitung „Bild“. Die Vorschläge von CDU-Chef Merz „decken sich stark mit denen der FDP“, fügte Lindner hinzu. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Mihalic, zeigte sich grundsätzlich offen für Gespräche, kritisierte aber Merz‘ Tonalität. Alle demokratischen Parteien seien in der Verantwortung, die Gefahren des islamistischen Terrors entschieden zu bekämpfen. ...

 

Aktualisiert 27.08.2024:

Aus Tagesschau vom 27.08.2024: Ampel-Politiker nehmen Länder in die Verantwortung 

Die gesetzlichen Grundlagen seien da - sie müssten aber in den Ländern umgesetzt werden: In der Diskussion über Abschiebungen gibt Innenministerin Faeser die Verantwortung weiter. Aus der Ampel kommt Unterstützung.

Nach dem Anschlag in Solingen nimmt Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die Länder für Abschiebungen in die Verantwortung. "Gesetzlich haben wir bereits umfassende neue Grundlagen für mehr Rückführungen geschaffen, damit sich Ausreisepflichtige der Abschiebung nicht mehr entziehen können", sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Entscheidend sei vor allem, "dass die neuen Befugnisse und Regelungen auch vor Ort in den Ländern umgesetzt werden". Die Länder hätten hierfür jede Unterstützung des Bundes. Mit der Gesetzesverschärfung sei vor allem die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern aus dem islamistischen Spektrum stark forciert worden, sagte Faeser weiter.

Verschärfte Maßnahmen zur Durchsetzung von Abschiebungen

Zu Jahresbeginn war die gesetzliche Höchstdauer des Ausreisegewahrsams von bislang zehn Tagen auf 28 Tage verlängert worden. Außerdem dürfen Behördenvertreter in Gemeinschaftsunterkünften auch andere Räume betreten als nur das Zimmer des Abzuschiebenden. 

"Die Behörden haben jetzt viel mehr Instrumente, um zu verhindern, dass Ausreisepflichtige vor der Abschiebung untertauchen", sagte Faeser. Das zeige bereits erste Erfolge: "Die Abschiebezahlen sind im Vergleich zum Vorjahr bereits um rund 20 Prozent gestiegen." Von Januar bis Juli gab es laut Innenministerium 11.102 Abschiebungen, im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es 9.185.

Die Grünen sehen Aufgabe bei den Innenministern

Andere Ampel-Politiker teilen Faesers Einschätzung, sehen die Verantwortung aber auch bei ihr selbst. "Die rechtlichen Regelungen sind ja glasklar", sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Irene Mihalic, in den tagesthemen. Es sei "die Aufgabe insbesondere der Bundesinnenministerin, aber auch ihrer Kolleginnen und Kollegen in den Ländern, sich das genau anzuschauen, wo es da sozusagen im Vollzug hapert". ...

FDP: Keine Ausnahmen bei Abschiebungen

Zustimmung kommt auch aus der FDP. Der Fraktionsvorsitzende Christian Dürr sagte der Bild-Zeitung: "Wir brauchen eine glasklare Verabredung zwischen dem Bund und allen 16 Ländern: Jede Abschiebung muss vollzogen werden - ohne Ausnahme." Die schärferen Gesetze, die im Bund beschlossen worden seien, müssten von den Ländern angewendet werden.

Zusätzlich spricht die FDP sich dafür aus, abgelehnten Asylbewerbern die Sozialleistungen zu streichen, um sie zur Ausreise zu bewegen....

 

Aktualisiert 26.08.2024:

Aus den News von Pro Asyl: Erklärung von PRO ASYL zum Anschlag von Solingen

Drei Tote und acht zum Teil sehr schwer verletzte Menschen – PRO ASYL trauert um die Opfer von Solingen. Dass ein „Festival der Vielfalt“, dies war das Motto des Solinger Stadtfestes, zum Ziel eines islamistischen Attentats wurde, erschüttert uns alle, die wir für eine demokratische und offene Gesellschaft einstehen.

Islamistische Gewalt greift unsere Werte und unsere Freiheit an. Ein friedliches und zukunftsfähiges Zusammenleben ist nur miteinander möglich. Der Attentäter von Solingen wollte genau dies verhindern.

PRO ASYL erinnert daran: Flüchtlinge suchen oft genau vor der islamistischen Gewalt Schutz, der wir in Solingen begegnet sind. Und wir fordern: Gegen islamistische Terroristen muss mit allen Mitteln des Rechtsstaats vorgegangen werden.

Wer vor Terror, Gewalt und Verfolgung flieht, braucht Schutz. Zurzeit werden jedoch Stimmen laut, die ein Ende der Flüchtlingsaufnahme aus Afghanistan und Syrien fordern. Bundesdeutsche Grenzen sollen geschlossen und Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien forciert werden. Der „Jetzt reicht es“-Vorschlag des CDU- Parteichefs Friedrich Merz ist eindeutig verfassungswidrig und mit dem EU-Recht unvereinbar. Er verstößt zudem gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, die Europäische Menschenrechtskonvention, ist zutiefst unmenschlich und spaltet unsere Gesellschaft.

Eine Welt, in der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte erodieren, ist das Ziel von Islamisten – und Rechtsextremisten. 

PRO ASYL warnt: Die politischen Verantwortlichen in der demokratischen Mitte dürfen nicht in einen Überbietungswettbewerb mit den Rechtsextremen und Völkischen eintreten. Es ist unerträglich, Schutzsuchende aus Afghanistan und Syrien unter einen Generalverdacht zu stellen. In Deutschland leben über 1,3 Millionen Geflüchtete aus diesen beiden Herkunftsländern. Ein Attentäter, der vermutlich im Auftrag des IS (Islamischer Staat) gemordet hat, kann und darf diese Menschen nicht diskreditieren. Vielmehr sollte die Politik jetzt die Strukturen in unserem Land stützen, die sich seit Jahren gegen Extremismus jeglicher Art einsetzen und endlich das Demokratiefördergesetz auf den Weg bringen.

Zu den Forderungen aus der Ampel- Koalition und der CDU/CSU, nach Afghanistan und Syrien abzuschieben, stellt PRO ASYL fest: Das Völkerrecht verbietet eindeutig jegliche Abschiebungen in diese Herkunftsstaaten. In beiden Ländern drohen Folter und unmenschliche Strafen. Das Folterverbot gilt absolut und für jeden (siehe auch: Gerade jetzt: Rechtsstaat stärken! Völkerrechtswidrige Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien sind damit unvereinbar | PRO ASYL).

Eine Welt, in der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte erodieren, ist das Ziel von Islamisten und Rechtsextremisten. Die Toten und Verletzten waren noch nicht geborgen, da setzten bereits die Instrumentalisierungsversuche der Rechtsextremisten und Völkischen ein. Wir müssen nun zusammenstehen und gemeinsam für unsere Freiheitsrechte eintreten.

 

Aus ZDF heute vom 26.08.2024: Wie die Politik auf den Anschlag reagiert

Reul fordert parteiübergreifende Asyl-Gespräche

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) schlägt parteiübergreifende Gespräche über eine Begrenzung der Zuwanderung vor. Reul brachte dazu am Montag im Deutschlandfunk eine Art "Runden Tisch" ins Gespräch - denn es sei "mittlerweile unbestritten", dass Zuwanderung begrenzt werden müsse. Auch über eine Reform der Asylverfahren müsse gesprochen werden.

Reul: Tatverdächtiger nicht untergetaucht

Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte in der ARD-Sendung "Caren Miosga", untergetaucht im rechtlichen Sinne sei der mutmaßliche Attentäter nicht. Denn er sei an dem Tag, an dem er abgeholt werden sollte, schlicht nicht da gewesen. "Ansonsten war er immer und häufig in dieser Einrichtung." Er stelle sich auch viele Fragen, ob diese Verfahren etwa richtig, ausreichend und übertrieben seien, sagte Reul.

Merz: Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan

CDU-Chef Friedrich Merz forderte einen Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan in Deutschland. In seinem E-Mail-Newsletter "MerzMail" schrieb er: "Nach dem Terrorakt von Solingen dürfte nun endgültig klar sein: Nicht die Messer sind das Problem, sondern die Personen, die damit herumlaufen."

In der Mehrzahl der Fälle sind dies Flüchtlinge, in der Mehrzahl der Taten stehen islamistische Motive dahinter.  Friedrich Merz, CDU-Vorsitzender

Im ARD-"Brennpunkt" sagte Merz: "Wenn Solingen jetzt für die Koalition nicht der Wendepunkt ist, dann weiß ich nicht, was noch passieren muss, damit hier einige Leute endlich mal zur Besinnung kommen."

Esken: Schwere Straftäter abschieben

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert und SPD-Chefin Saskia Esken wiesen die Forderung von Merz nach einem Aufnahmestopp zurück. Esken sagte, dass ein solcher Schritt "mit unseren Gesetzen auch nicht vereinbar ist, nicht mit der Europäischen Flüchtlingskonvention, nicht mit unserer Verfassung". Schwere Straftäter und islamistische Gefährder müssten aber in diese Länder abgeschoben werden können. Kühnert argumentierte im ARD-"Morgenmagazin":

Die Antwort kann doch nicht sein, dass wir unter anderem Menschen, die selber vor Islamisten fliehen, (...) jetzt die Tür vor der Nase zuschlagen.  Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär

Ebenso fordert Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in der ARD, dass Straftäter sofort in Arrest genommen werden und das Land verlassen müssten, insbesondere in Richtung Syrien und Afghanistan. Der Polizei müssten mehr Möglichkeiten für Kontrollen gegeben werden.

Spahn fordert Grenzschließungen

Unions-Fraktionsvize Jens Spahn (CDU) sprach sich indes für Grenzschließungen aus, um "irreguläre Migration" zu stoppen. Der "Rheinischen Post" sagte er: "Es kommen seit Jahren jeden Tag hunderte junge Männer aus Syrien und Afghanistan nach Deutschland und Europa. Das muss endlich enden."

Bundesjustizminister Marco Buschmann kündigte unterdessen Verhandlungen über das Waffenrecht für Messer an. "Wir werden nun in der Bundesregierung darüber beraten, wie wir den Kampf gegen diese Art der Messer-Kriminalität weiter voranbringen", sagte der FDP-Politiker der "Bild am Sonntag". Bisher hat die FDP Vorschläge von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zu schärferen Regeln und Verboten abgelehnt.

Härtere Abschieberegeln und ein strengeres Waffenrecht - nach dem tödlichen Messerangriff von Solingen werden Forderungen danach lauter.

 

Aus der Tagesschau 25.08.2024 und 26.08.2024:

Konsequenzen aus Solingen-Anschlag gefordert

Nach dem Messeranschlag fordern Politikerinnen und Politiker einen härteren Kurs in der Asylpolitik. Die Debatte findet vor dem Hintergrund der beiden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen am Sonntag statt.

"Es reicht", sagte CDU-Chef Friedrich Merz im ARD-Brennpunkt an Scholz und dessen Ampelregierung gerichtet, der er indirekt eine "naive Einwanderungspolitik" vorwarf. Neben der Forderung nach Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan erneuerte Merz auch seine Forderung nach einem Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus diesen Ländern - ohne jedoch zu erklären, wie das rechtlich umsetzbar wäre.

Seine zugespitzten Formulierungen, die er zuvor bereits in in seinem E-Mail-Newsletter gemacht hatte, seien "richtig und notwendig", sagte er im Brennpunkt auf die Frage ob solche Formulierungen vor Landtagswahlen, bei denen Extremisten historische Ergebnisse einfahren könnten, klug und richtig seien. "Jetzt ist der Punkt erreicht, wo gehandelt werden muss und nicht weiter ritualhafte Reden gehalten werden müssen", so Merz. Mit den Landtagswahlen hätten seine Äußerungen nichts zu tun.

"Zeitlich unbegrenzte Abschiebegewahrsam"

Weiter forderte der CDU-Vorsitzende dauerhafte Kontrollen und konsequente Zurückweisungen an den deutschen Grenzen sowie die Beachtung der sogenannten Dublin-Regeln. Diesen zufolge ist in der Regel jener EU-Staat für einen Asylantrag zuständig, wo der Schutzsuchende zuerst europäischen Boden betreten hat. Merz will zudem das Aufenthaltsrecht ändern und "jeden ausreisepflichtigen Straftäter in zeitlich unbegrenzten Abschiebegewahrsam" nehmen.

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert wies Merz' Forderung nach einem generellen Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan als Folge des Anschlags von Solingen zurück. Viele seiner Vorschläge gingen nicht, weil das Grundgesetz ihnen entgegenstehe, sagte er im ARD-Morgenmagazin. Das gelte zum Beispiel für das individuelle Recht auf Asyl. 

Die Antwort kann doch nicht sein, dass wir Menschen, die selber vor Islamisten fliehen, weil sie von denen für ihre Lebensweise verfolgt werden, jetzt die Tür vor der Nase zuschlagen.

Player: video Deswegen muss der subsidiäre Schutz für Afghanen und Syrer wegfallen", A. Throm, Innenpolitischer Spr. CDU/CSU-Fraktion

... Wüst verlangte am Sonntagabend im heute journal des ZDF eine neue Lageeinschätzung des Auswärtigen Amts, um besser nach Syrien abschieben zu können. Er forderte im WDR auch eine Aufarbeitung innerhalb der Behörden: "Da gibt es eine Menge Fragen. Es sind auch eine Menge Behörden involviert. Das muss aufgeklärt werden, und da muss Klartext gesprochen werden, wenn da etwas schiefgelaufen ist." ...

Merz: "Naive Einwanderungspolitik"

Nach dem Messeranschlag fordern Politikerinnen und Politiker einen härteren Kurs in der Asylpolitik. Die Debatte findet vor dem Hintergrund der beiden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen am Sonntag statt.

"Es reicht", sagte CDU-Chef Friedrich Merz im ARD-Brennpunkt an Scholz und dessen Ampelregierung gerichtet, der er indirekt eine "naive Einwanderungspolitik" vorwarf. Neben der Forderung nach Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan erneuerte Merz auch seine Forderung nach einem Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus diesen Ländern - ohne jedoch zu erklären, wie das rechtlich umsetzbar wäre.

Seine zugespitzten Formulierungen, die er zuvor bereits in in seinem E-Mail-Newsletter gemacht hatte, seien "richtig und notwendig", sagte er im Brennpunkt auf die Frage ob solche Formulierungen vor Landtagswahlen, bei denen Extremisten historische Ergebnisse einfahren könnten, klug und richtig seien. "Jetzt ist der Punkt erreicht, wo gehandelt werden muss und nicht weiter ritualhafte Reden gehalten werden müssen", so Merz. Mit den Landtagswahlen hätten seine Äußerungen nichts zu tun.

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Friedrich Merz, CDU-Vorsitzender, über eine Verschärfung der Migrationspolitik

"Zeitlich unbegrenzte Abschiebegewahrsam"

Weiter forderte der CDU-Vorsitzende dauerhafte Kontrollen und konsequente Zurückweisungen an den deutschen Grenzen sowie die Beachtung der sogenannten Dublin-Regeln. Diesen zufolge ist in der Regel jener EU-Staat für einen Asylantrag zuständig, wo der Schutzsuchende zuerst europäischen Boden betreten hat. Merz will zudem das Aufenthaltsrecht ändern und "jeden ausreisepflichtigen Straftäter in zeitlich unbegrenzten Abschiebegewahrsam" nehmen.

Der tatverdächtige Syrer hätte nach Bulgarien abgeschoben werden sollen, er tauchte jedoch eine Zeit lang unter, so dass die Abschiebung scheiterte. Für die Rückführungen sind die Bundesländer zuständig. Als Straftäter war der Mann vor Freitag nicht in Erscheinung getreten. Merz räumte ein, dass mit seinen Vorschlägen die Tat von Solingen vermutlich kaum hätte verhindert werden können. "Lösen wir es bitte von diesem Einzelfall", so Merz. "Wir haben Leute hier in Deutschland, die wir nicht haben wollen. Und wir müssen dafür sorgen, dass nicht noch mehr kommen."

Kühnert weist Forderungen von Merz zurück

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert wies Merz' Forderung nach einem generellen Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan als Folge des Anschlags von Solingen zurück. Viele seiner Vorschläge gingen nicht, weil das Grundgesetz ihnen entgegenstehe, sagte er im ARD-Morgenmagazin. Das gelte zum Beispiel für das individuelle Recht auf Asyl. 

Die Antwort kann doch nicht sein, dass wir Menschen, die selber vor Islamisten fliehen, weil sie von denen für ihre Lebensweise verfolgt werden, jetzt die Tür vor der Nase zuschlagen.

Man müsse sich jetzt anschauen, warum die Rückführung des mutmaßlichen Täters nach Bulgarien nicht geklappt habe. Bulgarien sei nach allem, was man wisse, bereit gewesen, ihn zurückzunehmen. "Zuständig sind für Abschiebungen in Deutschland die Länder, das wäre in diesem Fall Nordrhein-Westfalen gewesen." NRW müsse jetzt die Fakten auf den Tisch legen, warum nicht gehandelt worden sei.

Versäumnisse bei Bund und Ländern

Auch der FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle kritisierte Versäumnisse bei Bund und Ländern. Er sagte der Rheinischen Post zur gescheiterten Abschiebung: "Zwischen Bund und Ländern darf nach Solingen in dieser Frage kein Stein auf dem anderen bleiben." Wer keinen Schutzgrund geltend machen könne, müsse Deutschland umgehend wieder verlassen.

AfD-Chefin Alice Weidel schrieb auf der Plattform X, das Problem müsse "an den Wurzeln gepackt werden". Nötig sei eine "Migrationswende sofort".

Scholz und die SPD für Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan

Scholz hatte bereits im Juni nach dem tödlichen Messerangriff von Mannheim angekündigt, die Abschiebung von Schwerstkriminellen und terroristischen Gefährdern nach Afghanistan und Syrien wieder zu ermöglichen. Die Grünen hatten sich hier skeptisch gezeigt.

Jetzt stellte Vizekanzler und Grünen-Politiker Robert Habeck klar: "Für Mörder, Terroristen und Islamisten kann es keine Toleranz geben." Handle es sich etwa um Asylsuchende, hätten diese damit in Deutschland "den Schutzanspruch verloren".

SPD-Chefin Saskia Esken bekräftigte die SPD-Position in dieser Frage: "Was jetzt erfolgen muss, ist die konsequente Abschiebung von Straftätern und islamistischen Gefährdern auch nach Syrien und Afghanistan", sagte sie der Rheinischen Post. Fraktionsvize Dirk Wiese lehnte jedoch Merz' Forderung ab, generell keine Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan mehr aufzunehmen. Viele seien gerade vor dem IS zum Beispiel aus Syrien geflohen, sagte der SPD-Innenpolitiker dem Tagesspiegel.

In der politischen Debatte um die richtigen Konsequenzen nach Solingen ging es schnell auch um die Befugnisse der Sicherheitsbehörden. Es werde intensiv darüber beraten, sagte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Auch der Bundespräsident schaltete sich ein. Zu einem besseren Schutz vor Angriffen "gehört auch, dass die Sicherheitsbehörden mit den notwendigen Befugnissen ausgestattet werden", sagte Frank-Walter Steinmeier im ZDF-Sommerinterview. Dass sich der Bundespräsident in eine innenpolitische Debatte so deutlich einbringt, ist eher selten.

CSU-Chef Markus Söder plädierte für anlasslose Kontrollen auch in Fußgängerzonen. "Beim Auto werden Sie nämlich kontrolliert, anlasslos geht das. Bei Fußgängerzonen nicht", sagte Söder im ARD-Sommerinterview. Wir müssen der Polizei mehr Möglichkeiten geben, Kontrollen durchzuführen", verlangte er.

 

Aus BAYERN 3-Nachrichten am 25.08.2024

"Thema Migration wächst uns über den Kopf"

Nach der Festnahme eines dringend tatverdächtigen 26-jährigen Asylbewerbers aus Syrien fordert Söder ein "Sofortprogramm", um solche Straftaten einzudämmen. Dazu gehöre, die Polizei mit mehr Kompetenzen auszustatten, etwa sogenannte anlasslose Kontrollen zu erlauben. Außerdem fordert der CSU-Chef, verstärkt nach Syrien und Afghanistan abzuschieben. "Wir spüren, dass uns das Thema Migration in Deutschland über den Kopf wächst", so der Bayerische Ministerpräsident im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio. Und weiter: "Wir haben nicht die richtigen Instrumente, um gegen Gewalt und auf Gewalt zu reagieren."

Kritik, die sich explizit gegen die Ampelregierung im Bund richtet. Ihr wirft Söder vor, in der Flüchtlings- sowie in der Sicherheitspolitik viel zu zögerlich – lediglich in "Trippelschritten" zu agieren. "Es braucht jetzt ein klares Bekenntnis. Nicht nur sagen, wir wollen, sondern: wir machen", sagt Söder in der ARD. Als Positivbeispiel verweist Söder auf das von seiner CSU regierte Bayern, das vor einigen Jahren eine eigene "Bayerische Grenzpolizei" installiert und "hohe Fahndungserfolge" erzielt habe.

Auf die Nachfrage, ob die Union nicht auch Mitverantwortung in der Migrations- und Integrationspolitik trage, antwortet Söder: "Ich habe Angela Merkel immer sehr bewundert, aber nicht in der Migrationspolitik." Es seien Fehler passiert. "Darunter leiden wir heute noch ein Stück weit", so der CSU-Chef.