03.03.2022 Angesichts der hohen Zahl Flüchtender, die sofort nach Kriegsbeginn aufgebrochen sind und weiter erwartet werden, hat die EU ungewöhnlich schnell und sehr aufnahmebereit reagiert. Die unkomplizierte Aufnahme ist solidarisch und bitter nötig.
Ebensolche hätte ich auch gewünscht für all die Schutzsuchenden, die aus außereuropäischen Kriegs- und Krisenregionen in Europa Sicherheit finden wollen, aus Syrien, Afghanistan, Somalia, Jemen, Kurdistan und vielen mehr. Es darf nicht sein, dass ihre Schutzchancen nicht gleich sind oder jetzt sogar noch verschlechtert werden. (sr)
Wir zitieren die ZDF-Nachrichten und unten Pro Asyl:
EU einig bei Schutzstatus für Flüchtlinge
Schnell und unkompliziert sollen Ukraine-Flüchtlinge in der EU aufgenommen werden - darauf haben sich die Mitgliedsstaaten geeinigt. Der Schutzstatus soll zunächst für ein Jahr gelten, verlängerbar auf insgesamt drei Jahre.
Die EU-Staaten haben sich darauf geeinigt, Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine schnell und unkompliziert aufzunehmen. Wie EU-Innenkommissarin Ylva Johansson auf Twitter mitteilte, stimmten die Innenminister der Mitgliedsländer dem vorübergehenden Schutzstatus zu. Johansson sprach von einer "historischen Entscheidung".
Die EU-Kommission hatte auf Bitten der EU-Staaten vorgeschlagen, eine Richtlinie für den Fall eines "massenhaften Zustroms" von Vertriebenen in Kraft zu setzen. Die seit 2001 gültige Richtlinie zum temporären Schutz von Flüchtlingen war infolge der Kriege im ehemaligen Jugoslawien beschlossen worden und wird nun zum ersten Mal genutzt. Sie sieht Schutz für zunächst ein Jahr vor, verlängerbar auf insgesamt drei Jahre. Nach Angaben des französischen Innenministers Gérald Darmanin gilt dies "für alle, die vor dem Krieg in der Ukraine flüchten".
Kein langwieriges Asylverfahren nötig
Ein langwieriges Asylverfahren ist für den Schutzstatus nicht nötig, jedoch besteht das Recht, einen Asylantrag zu stellen, weiter. Zugleich werden den Schutzsuchenden Mindeststandards wie der Zugang zu Sozialhilfe und eine Arbeitserlaubnis garantiert. Die Richtlinie soll auch eine Überlastung der für Asylanträge zuständigen Behörden verhindern.
Formell beschließen muss der Rat der EU die Aktivierung der Richtlinie. Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten kommen in der nächsten Woche wieder zusammen." (ZDF-Nachrichten)
Was ist die Massenzustromsrichtlinie?
Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, die Massenzustromsrichtlinie im Zusammenhang mit den Flüchtlingen aus der Ukraine erstmals zur Anwendung kommen zu lassen. Sie war als Konsequenz der Balkankriege entstanden. Die Richtlinie verleiht einen Schutzstatus von bis zu drei Jahren und gewährt Flüchtlingen gleiche Rechte in jedem EU-Mitgliedsland – etwa Zugang zu Arbeitsmärkten und Bildung. Dafür benötigt es kein langwieriges Asylverfahren, auch wenn es den Flüchtlingen freisteht, dies zusätzlich zu durchlaufen. Es gilt als sicher, dass es für die Richtlinie die erforderliche Mehrheit unter den EU-Innenministern gibt. Quelle: DlF
Deutschlandfunk nach einem Interview mit Innenministerin Faeser:
"Faeser äußerte die Hoffnung, dass es angesichts der aktuellen Situation auch Fortschritte für ein gemeinsames Asylsystem der EU geben werde. Sie setze auf ein Umdenken bei den Mitgliedsländern, dass man die Herausforderungen nur gemeinsam bewältigen könne. Zuletzt hatten sich Länder wie Polen und Ungarn in Fragen einer gemeinsamen Asylpolitik quergestellt. Diesmal habe es erstmals einen europäischen Schulterschluss zwischen allen Staaten gegeben, sagte Faeser. „Ich habe kein Land erlebt, was nicht gesagt hätte, wir nehmen selbstverständlich Geflüchtete auf.“ Dabei spiele sicher auch die geographische Lage der Ukraine und die Nähe zur EU eine Rolle."
Ratsbeschluss: Schneller Schutz für Flüchtlinge aus der Ukraine
03.03.2022 Am 03. März haben die europäischen Innenminister*innen die Erteilung eines speziellen Schutzstatus für Flüchtlinge aus der Ukraine beschlossen. Sie müssen kein Asylverfahren durchlaufen, der Schutz kann bis zu drei Jahre gelten. PRO ASYL stellt hier alle wichtigen Informationen über den »vorübergehenden Schutz« zusammen.
UPDATE 04.03.: Die EU hat den Ratsbeschluss heute Nachmittag veröffentlicht. Er tritt in Kraft, sobald er im Amtsblatt veröffentlicht wurde – das geschieht vermutlich am Montag.
... Wer soll den vorübergehenden Schutz bekommen?
Der Ratsbeschluss sieht die Anwendung des vorübergehenden Schutzes erstmal nur für Personen vor, die seit dem 24. Februar 2022 im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine vertrieben wurden. Die Mitgliedstaaten können allerdings eigenständig entscheiden, den Schutz darüber hinaus auszuweiten, also auch auf Personen, die bereits vor dem 24. Februar 2022 in die EU gekommen sind (Erwägungsgrund 13 Ratsbeschluss). Dies sollte Deutschland dringend tun. Konkret ist der temporäre Schutz für folgende Personen vorgesehen:
- Ukrainische Staatsangehörige, die vor dem 24. Februar 2022 in der Ukraine gelebt haben. (Art. 2 Abs. 1 lit. a Ratsbeschluss)
- Nicht-ukrainische Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, die vor dem 24. Februar 2022 internationalen Schutz oder einen vergleichbaren nationalen Schutzstatus in der Ukraine hatten (Art. 2 Abs. 1 lit. b Ratsbeschluss)
- Familienmitglieder von Angehörigen dieser beiden Gruppen, wenn die Familie schon in der Ukraine bestand und unabhängig davon, ob die Angehörigen in ihre Heimatländer zurückkehren könnten (Art. 2 Abs. 1 lit. c Ratsbeschluss). Zur Familie gehören Ehepartner*innen und unverheiratete Paare in langfristiger Beziehung, wenn per Gesetz oder in der Praxis unverheiratete Paare vergleichbar mit verheirateten Paaren behandelt werden, minderjährige Kinder sowie andere im Haushalt lebende Verwandte, die von der Hauptperson abhängig sind (Art. 4 Vorschlag).
- Nicht-ukrainische Drittstaatsangehörige, die eine gültige Daueraufenthaltsgenehmigung für die Ukraine belegen können und die nicht unter sicheren und beständigen Umstände in ihr Heimatland zurückkehren können. Für diese Gruppe soll entweder der Schutz nach der Richtlinie oder ein angemessener Status nach nationalem Recht gelten (dies könnte wohl in Ungarn der Fall sein).
- Die Mitgliedstaaten können entscheiden den Schutz der Richtlinie zudem auf weitere Personen auszuweiten, wozu auch andere Drittstaatsangehörige gehören können, die sich legal in der Ukraine aufgehalten haben und die nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren können (Art. 2 Abs. 3 Ratsbeschluss). Der Wortlaut erlaubt entsprechend aber auch eine Ausweitung auf andere Gruppen.
Damit sind Personen, die nicht unter diese Bestimmungen fallen – laut Kommission zum Beispiel Menschen aus Drittstaaten, die in der Ukraine studiert oder gearbeitet haben und keinen langfristen Aufenthalt dort hatten – nicht umfasst und ihre Situation ist vorläufig ungeklärt. Die Kommission sieht zwar vor, dass die Einreise ebenso unkompliziert ohne Visa und Pässe erfolgen soll, allerdings nur, um dann direkt in den Heimatstaat auszureisen. Die Bundesregierung sollte dieser Gruppe, die ebenso gerade erst vor aktiven Kampfhandlungen geflohen ist, die Möglichkeit geben, sich zu orientieren und über die nächsten Optionen beraten zu lassen. Hierfür sollte den Menschen von der Bundespolizei ein Ausnahmevisum gemäß § 14 Abs. 2 AufenthG gewährt werden. Außerdem wäre eine möglichst breite Anwendung des temporären Schutzes auch für diese Gruppe wichtig. ...