Unmenschlich und erniedrigend: Die Lage anerkannter Flüchtlinge in Griechenland

14.07.2022 Einmal mehr lenkt Pro Asyl unsere Aufmerksamkeit auf die Lage von Schutzsuchenden in Griechenland:

Schmerzen, Scham und Hunger: Die Kartonsammler von Athen

Anerkannte Flüchtlinge kämpfen in Griechenland ums nackte Überleben, denn sie bekommen keine Unterstützung vom Staat. In ihrer Not sammeln viele Müll, verdienen kaum etwas mit der harten Arbeit und werden von der Polizei dranglasiert. Einige haben ihre Geschichten Refugee Support Aegean, der griechischen Partnerorganisation von PRO ASYL erzählt.

Auf den belebten Straßen von Athen kann man sie jeden Tag sehen, die Kartonsammler, wie sie Karren, Einkaufs- oder Kinderwagen vor sich her schieben, die mit Pappkarton-Stapeln beladen sind. Die Arbeit ist schmutzig und nicht legal. Die Stadtpolizei von Athen geht gegen sie vor, regelmäßig beschlagnahmen Stadtpolizist*innen die Karren, auch Geldstrafen werden verhängt.

Doch um ihr Überleben zu sichern, haben viele anerkannte Flüchtlinge in Griechenland gar keine andere Wahl, als im Müll nach verwertbaren Materialien zu suchen. In Mülltonnen, vor Supermärkten und Geschäften genauso wie auf Wochenmärkten sammeln sie vor allem Pappkartons, um sie an Recyclingunternehmen zu verkaufen. So verdienen sie sich ein paar Euro am Tag.

»Jetzt bin ich ein »Cartonjamkar« geworden, ein Kartonsammler in Europa. Was kann ich tun? Wenn ich arbeite, bringe ich nur so viel Geld nach Hause, dass ich an diesem Tag etwas essen kann. Am nächsten Tag muss ich wieder raus. Gestern wurde unser Wagen gestohlen. Jetzt wissen wir nicht, wie wir unsere Familien ernähren sollen«, berichtete zum Beispiel Majjid den Mitarbeiter*innen von Refugee Support Aegean (RSA), der griechischen Partnerorganisation von PRO ASYL, die mit einigen Kartonsammler*innen in Athen gesprochen haben.

Elend an allen Ecken und Enden

Einen positiven Asylbescheid zu erhalten, sollte für Schutzsuchende eigentlich eine gute Nachricht sein. Nach den Strapazen der Flucht und dem oft jahrelangen bangen Warten signalisiert der positive Bescheid ihnen: »Du bist schutzberechtigt und wir als schutzgewährender Staat sind dafür verantwortlich, dich und deine Rechte zu schützen.«  Für Schutzsuchende wie Majjid aber, die in Griechenland eine Anerkennung erhalten, klingt das wie blanker Hohn. Für sie hat ein positiver Bescheid ganz andere Konsequenzen. Der griechische Staat signalisiert ihnen: »Ab jetzt bist du komplett auf dich allein gestellt, von uns als Staat kannst du keinerlei Unterstützung erwarten.«

»Ab jetzt bist du komplett auf dich allein gestellt, von uns als Staat kannst du keinerlei Unterstützung erwarten.«

So müssen Flüchtlinge in Griechenland die staatlichen Lager und Unterkünfte sofort nach Erhalt der Anerkennung verlassen, sämtliche Leistungen werden eingestellt. Sie landen mittellos auf der Straße. Reguläre Leistungen des griechischen Sozialstaats sind an so hohe Voraussetzungen geknüpft, dass nur die wenigsten anerkannten Flüchtlinge sie erhalten können. Einen regulären Job zu finden ist so gut wie aussichtslos: Griechenland hat eine der höchsten Arbeitslosenquoten in der EU.

Spezielle Programme, um Flüchtlinge in Jobs zu bringen, existieren in Griechenland nicht. Ohne Geld können die Menschen auch keine Wohnung mieten. Die Folgen: Obdachlosigkeit und Hunger, es herrscht Elend an allen Ecken und Enden. Dass sich an den katastrophalen Zuständen seit der letzten Stellungnahme von PRO ASYL aus dem Jahr 2021 nichts geändert hat, belegt ein Bericht, den Refugee Support Aegean (RSA) im März 2022 veröffentlicht hat.

Eindeutige Rechtsprechung in Deutschland

Seit 2021 ist sich auch die deutsche Rechtsprechung weitgehend einig, dass die Situation, der anerkannte Flüchtlinge in Griechenland ausgesetzt sind, eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne von Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention darstellt. Flüchtlinge dürfen deshalb nicht von Deutschland nach Griechenland zurückgeschickt werden. Gleich fünf Obergerichte haben das inzwischen bestätigt (OVG NRW, Urteile vom 21.01.2021, 11 A 1564/20.A und 11 A 2982/20.A; OVG Niedersachsen, Urteile vom 19.04.2021, 10 LB 244/20 und 10 LB 245/20; OVG Bremen, Urteil vom 16.11.2021, 1 LB 371/21; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.01.2022, A 4 S 2443/21; OVG Sachsen, Urteil vom 27.4.2022, 5 A 492/21.A).

Einige anerkannte Flüchtlinge haben den Mitarbeiter*innen von RSA berichtet, wie es ihnen ergeht, wenn sie in den Straßen von Athen Müll sammeln.

 

Am Ende des Beitrags sind die Geschichten von Wali, Mariam und Osman, Majjid und von Roya und Houssein nachzulesen.