Unterwegs an Europas Grenzen: Italien

22.08.2023 Aus den News von Pro Asyl:

Regelmäßig nehmen Schutzsuchende mit Booten aus Tunesien und Libyen den gefährlichen Weg über das Mittelmeer auf sich, um nach Lampedusa, Sizilien oder auf das italienische Festland zu gelangen. Wir sind genau an diese Orte gereist und haben das von PRO ASYL unterstützte Projekt Maldusa besucht.

Bis Ende Juli wurden bereits 88.874 Flüchtlinge in Italien registriert, mehr als doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum. Wir möchten Eindrücke und Aufnahmen erhalten, uns vor Ort mit Organisationen und Aktivist*innen austauschen, mehr zur aktuellen Menschenrechtslage in Italien und zum Umgang der Situation durch die postfaschistische Meloni-Regierung erfahren.

 

Bild entfernt.

Maldusa Project Unser Partner auf Sizilien & Lampedusa

Maldusa: Unser Partner in Italien

Das Projekt Maldusa setzt sich aus drei Teilbereichen zusammen. Einem Zentrum in Palermo, einer Station auf Lampedusa, die den Fokus auf Dokumentation legt und zukünftig einem kleinen Boot zur Präsenz auf See, mit dem Ziel, Behörden frühzeitig zu alarmieren und zur Rettung zu mobilisieren.

»PRO ASYL unterstützt das Projekt Maldusa, weil es die Rettung von Leben und die Unterstützung der ankommenden Boat People in Europa miteinander verbindet. Maldusa stärkt die Allianz aus ziviler Seenotrettung und Menschenrechtsverteidigern, um die Rechte von Flüchtlingen und Migranten zu verteidigen: Das Recht auf Leben, Schutz und Menschenwürde. Das Recht auf Zukunft.« (Karl Kopp, PRO ASYL Sprecher)

Tag 1 – Das erste Treffen in Palermo

Am Vormittag treffen wir Hagen Kopp, Projektkoordinator von Maldusa und PRO ASYL Menschenrechtspreisträger 2020/21 für seine Arbeit bei Watch the Med – Alarm Phone, in der Station des Projekts in der Altstadt von Palermo. Er wird uns die nächsten Tage auf der Reise begleiten. Nach und nach kommen weitere Aktivist*innen und Mitarbeiter*innen von Maldusa, borderline europe und der Association for Juridical Studies on Immigration (ASGI) dazu.

Die Frage, die alle beschäftigt ist, wie man die Menschen am besten unterstützen kann. Der Kontakt zu Geflüchteten ist, z.B. durch beschränkte Zugänge in den Hotspots, limitiert und an vielen Stellen nicht von der Regierung gewollt. Zentrale Punkte der Arbeit: Rechtliche Unterstützung, Zugang zur Gerechtigkeit, soziale Unterstützung, Durchbrechen der Isolation der Geflüchteten. Auch die Menschen, die ihre Verwandten verloren haben oder sie vermissen, müssen mit Informationen versorgt werden.

Der Kontakt zu Geflüchteten ist, z.B. durch beschränkte Zugänge in den Hotspots, limitiert und an vielen Stellen nicht von der Regierung gewollt.

Der Austausch in der Maldusa Station thematisiert auch den ganz aktuellen Umgang Italiens mit Geflüchteten. Teilweise ist nicht ganz klar, was im Detail durch die Regierung geplant ist, aber aktuell werden die Menschen nach ihrer Ankunft in Höchstgeschwindigkeit an weitere Orte z.B. auf dem Festland transferiert, erfahren wir. Immer wieder kommt das Thema der »Detention Center« und die voranschreitende Abschottungspolitik Italiens zur Sprache, erst vor ein paar Tagen wurde der Tunesien-Deal bekannt gegeben. Wir merken, wie komplex die Lage ist und wie wertvoll die Informationen von Menschen vor Ort sind, um diese überhaupt besser einordnen zu können.

»Die Strategie hinter der Kriminalisierung ist eine Abschreckungsstrategie. Diejenigen, die sich ans Steuer setzen, landen im Gefängnis. Das ist ein großer Eingriff in das Recht auf Asyl, weil es leider keine Bewegungsfreiheit gibt. Es gibt keine legalen und sicheren Einreiserouten. Das heißt, es muss jemand das Gefährt steuern, auf dem man nach Europa gelangt.« (Kristina di Bella, borderline europe)

Am Nachmittag sind wir mit Judith Gleitze und Kristina di Bella von borderline europe verabredet, während die Hitze bei weit über 40 Grad die Stadt beherrscht. Wir erfahren von ersten Bränden rund um Palermo und viel über die Situation in Italien. Seit 2020 habe sie sich geändert, denn davor konnten Flüchtlinge die Camps verlassen, jetzt ist das weitestgehend nicht mehr möglich.

Auch die Kriminalisierung von Geflüchteten hat zugenommen, vor allem mit der Einführung eines neuen Strafbestandes: In Italien können mittlerweile diejenigen bestraft werden, die ein Flüchtlingsboot fahren. Dabei sind sie häufig gar nicht die Schlepper, viel eher machen diese Geflüchtete vor der Überfahrt zum »boat driver«. Da dafür die Überfahrt günstiger wird, nehmen viele es an – ohne die Konsequenzen zu kennen.

»Es gibt keine legalen und sicheren Einreiserouten. Das heißt, es muss jemand das Gefährt steuern, auf dem man nach Europa gelangt«  Kristina di Bella, borderline europe

Tag 2 – Zu Besuch beim Bürgermeister von Pozzallo 

Wir fahren nach Pozzallo, im Süden von Sizilien, wo wir einen Termin mit Roberto Ammatuna haben. Er ist Bürgermeister der Stadt, in der es einen von insgesamt vier sogenannten Hotspots in Italien gibt. Die EU-finanzierten Hotspots wurden 2015 in Italien etabliert und sind Erstaufnahmelager, in denen Geflüchtete direkt nach der Ankunft registriert werden. Traurige Berühmtheit erlangten die Hotspots durch zahlreiche Berichte über die schlechten Bedingungen und die Überfüllung in den Camps.

Im Gespräch macht der Bürgermeister klar, dass Pozzallo nicht für diese Abschottungspolitik stehen möchte, sondern eine offene Willkommenskultur für Geflüchtete vertritt und sich weiter für einen humaneren Umgang einsetzen will.

Auch Alagie Jinkang, Mitglied des Maldusa Projekts, ist bei dem Treffen dabei. Er selbst verließ Gambia und kam nach seiner Ankunft im Jahr 2015 in den Hotspot Pozzallo. Alagie hat daher eine ganz eigene Beziehung zu diesem Ort. Er hat mittlerweile in Italien Asyl erhalten, spricht fließend Italienisch und seinen Universitätsabschluss gemacht – aber bis es so weit kam, war es ein steiniger Weg.

Im Anschluss an das Gespräch fahren wir zum Hotspot Pozzallo. Im Vorfeld hatten wir einen offiziellen Antrag gestellt, in das Lager zu können – bis zuletzt haben wir jedoch keine Rückmeldung bekommen und selbst nach Rückfrage durch den Bürgermeister gab es keine Erlaubnis. Auch er selbst hat keinen Zugang zum Hotspot.

Das »Immigration detention centre«, also das Erstaufnahmezentrum in Pozzallo, ist ringsherum umzäunt und wird von Polizei und Soldaten bewacht. Wir sehen zahlreiche Geflüchtete im Freien, unter provisorischen Zelten auf Matratzen in der Hitze.

Schnell wird unser Versuch, durch die Abzäunung mit ihnen ins Gespräch zu kommen, von Soldaten unterbunden. Auch Fotos dürfen wir nicht mehr machen. Die Polizei erscheint, um Personalien von unseren italienischen Kolleg*innen aufzunehmen.

Tag 3: Lampedusa – eine kleine Insel mit trauriger Bekanntheit

Unser nächster Halt ist Catania. Anders als im Hotspot Pozzallo sind die Geflüchteten hier nicht isoliert untergebracht, das Lager in Catania ist offen. Betreten dürfen wir es dennoch nicht, Polizisten verwehren uns den Zugang.

In Catania sprechen wir außerdem mit Stefania, einer freiberuflichen Mitarbeiterin von UNICEF. Sie gibt uns einen weitreichenden Überblick über die Situation in Italien und speziell von unbegleiteten Minderjährigen, deren Betreuung und Begleitung sie lange übernommen hat. Viele Minderjährige erhalten hier nicht den eigentlich vorgesehenen besonderen Schutz, weil der Informationsfluss der Behörden häufig nicht funktioniert.

Am Abend reisen wir weiter nach Lampedusa, dem letzten Stopp der Projektreise.

Auf Lampedusa arbeitet das Maldusa-Projekt eng mit den zivilgesellschaftlichen Organisationen vor Ort zusammen und dokumentiert die Situation. Besonders wichtig ist auch die Aufklärung der Geflüchteten über ihre Rechte, denn die schnelle Verteilung der Ankommenden über ganz Italien und die Abschottung in den Hotspots erschwert die rechtliche Vertretung und die Möglichkeit des Rechtsbeistands.

Neben der wichtigen Arbeit an Land ist das Maldusa-Projekt in Zukunft auch mit einem kleinen Boot vor der Küste Lampedusas unterwegs. Auch wenn die erfahrene Crew für Rettungseinsätze geschult ist, geht es weniger um die konkrete Seeenotrettung, als um das Monitoring auf dem Wasser und darum, die Behörden durch Druck und Öffentlichkeitsarbeit zu Rettungseinsätzen zu bewegen.

Mit Ihrer Spende Flüchtlinsrechte schützen!

Tag 4 – Zwischen Touristen und Geflüchteten

Der erste Morgen auf Lampedusa. Unsere Eindrücke sind zunächst geprägt von der belebten Via Roma, wo ein Shop den nächsten jagt und Restaurants, Cafés und Eisdielen für die vielen Touristen stehen. Wir fragen uns, warum man ausgerechnet hier Urlaub macht – einem Ort, der wie wenige andere sinnbildlich für das Sterben auf dem Mittelmeer steht.

Nicht weit entfernt finden sich die ersten Hinweise auf die besondere Rolle von Lampedusa: Nahe dem Hafen liegen zwei verbliebene Fluchtboote. Das größere der beiden, ein Fischerboot, ist aus Libyen gekommen. Es liegt vertäut am Kopf der Mole. Das andere, ein kleineres Holzboot, ist aufgelaufen und bei der Anlandung beschädigt worden, ein Mann wurde zwischen den Klippen eingequetscht und musste gerettet werden. Immer noch liegen Kleidung, Schuhe und Rettungswesten auf und um die Boote verteilt. Der Blick auf das kleine Holzboot, auf den aufgerissenen Rumpf, lässt uns die Strapazen und Gefahren erahnen, die Menschen auf sich nehmen, um das Mittelmeer zu überqueren.

Lässt man den Blick schweifen, sieht man das Meer, sieht man viele bunte Sonnenschirme und Menschen am Sandstrand. Es sind zwei Welten, die hier aufeinandertreffen, direkt nebeneinander existieren.

Am frühen Abend machen wir uns auf zum Friedhof von Lampedusa. Tausende Menschen haben in den letzten Jahren ihr Leben auf dem Weg über das Mittelmeer verloren. Einige von ihnen konnten geborgen werden und haben ein Grab auf dem örtlichen Friedhof erhalten. Wir treffen auf eine lokale Initiative, die sich verabredet hat, um die Gräber zu pflegen und so den Opfern der vielen Schiffsunglücke Respekt zu zollen.

»Leider sind wir Zeugen vieler Todesfälle. Die Politik macht es den Menschen unmöglich, sich frei und sicher zu bewegen. Also sind die Menschen gezwungen, gefährliche Wege zu nehmen und ihr Leben zu riskieren. Und das Ergebnis ist, dass Menschen sterben.«  Emma Conti, Mediterranean Hope

»Der Friedhof auf Lampedusa ist der einzige Ort der Insel, an dem Einheimische und Flüchtlinge zusammenkommen.«

Neu ist auch die Art der Schiffe, die für die Überfahrten genutzt werden. Immer öfter handelt es sich um »Iron boats«, also Eisenboote, weil diese kostengünstiger und schneller hergestellt werden können. Diese Boote sind eigentlich nicht seetauglich und damit nicht sicher genug für Überfahrten über das Mittelmeer. Die Gefahr eines Schiffsbruchs steigt dadurch einmal mehr.

Tag 5: Vom Hafen durch den Hotspot und weiter

Das erste Mal während unseres Aufenthalts bekommen wir mit, wie Schiffe ankommen. Zwei Tage lang hatte es aufgrund des Wetters mit starkem Wind keine Anlandungen gegeben. Wir erfahren, dass im Morgengrauen des 28.07. ein Boot mit 29 Menschen den Hafen von Lampedusa erreicht hat. Sie wurden zum Hotspot gebracht, in dem Zeitpunkt 320 Personen waren – darunter nach offiziellen Angaben 154 unbegleitete Minderjährige.

Wir gehen zum Hafen. Hier sind sowohl die Boote des italienischen Zolls, als auch der Küstenwache, in großer Präsenz aufgereiht. Die Schiffe der »Guardia Costiera« werden von den Helfer*innen hier nur »Charlie Papa« genannt, nach der beim Schiffsfunk üblichen Buchstabierweise aus dem NATO-Alphabet.

Am Mittag werden dann auch wir Zeugen, wie ein Boot der »Guardia di Finanza« eine Gruppe von mehr als 30 Personen am Pier absetzt und können das Prozedere beobachten: Sie werden in Empfang genommen, es erfolgt eine schnelle, routinierte Aufnahme, eine kurze Abklärung des Gesundheitszustands, teilweise eine erste medizinische Versorgung. Anschließend werden die Menschen in den Hotspot gebracht.

Paradox erscheint: Während auf der einen Seite des Hafens die Ankunft erfolgt und Menschen im Anschluss in Bussen des Roten Kreuzes zum Hotspot gebracht werden, steht auf der anderen Seite des Hafens die Fähre bereit, die Menschen weiter transferiert. Am Morgen wurden etwa hundert Geflüchtete aus dem Hotspot hierhin gebracht. Seither harren die Menschen bei Temperaturen von über 35 Grad aus, warten mehr als drei Stunden, bis sie auf die Fähre steigen können.

»Es ist ein rein politisches Problem. Es ist glasklar, niemand müsste überhaupt in diesen Hotspot rein, sondern die Menschen könnten hier ganz anders willkommen geheißen werden.«  Hagen Kopp, Projektkoordinator Maldusa

Anders als zuvor dürfen wir hier jedoch Aufnahmen machen, nachdem ein Soldat unsere Ausweise fotografiert hat.

Am frühen Abend erhalten wir eine Nachricht, dass in der nächsten Stunde 70 Flüchtlinge ankommen sollen. Wir machen uns wieder auf den Weg gen Hafen, jetzt zum Pier. Direkt unter uns liegen zig Boot, auf denen in den vergangenen Wochen Menschen Lampedusa erreicht haben und die von den Behörden hier gesammelt werden. Bei vielen dieser Boote fragen wir uns, wie man damit 200 Kilometer über das offene Meer fahren konnte.

Jetzt für Flüchtlinge spenden!

»Es ist ein rein politisches Problem. Es ist glasklar, niemand müsste überhaupt in diesen Hotspot rein, sondern die Menschen könnten hier ganz anders willkommen geheißen werden. Wir haben ja das Beispiel Ukraine, wo es ein »Freedom of Movement« gab. Es wäre ein Einfaches, hier genauso zu verfahren und ein wirklich menschenwürdiges Ankommen zu organisieren.« (Hagen Kopp, Projektkoordinator Maldusa)

Diesmal kommen die Menschen auf einem Schiff der italienischen Küstenwache, in den Hafen. Von unserem Standort aus können wir die Ankunft aus der Nähe beobachten. Wir sehen in erschöpfte Gesichter, einige Personen sind stark dehydriert und müssen zunächst medizinisch versorgt werden. Viele der Menschen sind barfuß. Ein paar der gerade geretteten Kinder laufen umher.

Wir sehen auch uns bekannte Gesichter. Mitarbeiter*innen unserer Partnerorganisation und lokaler Initiativen, die wir zuvor getroffen haben. Sie arbeiten ehrenamtlich am Pier, nehmen die Geflüchteten in Empfang und geben ihnen erste Informationen. Der einzige Kontaktpunkt, denn anschließend werden die Geflüchteten im Hotspot isoliert.

Wir beobachten, ohne aktiv Hilfe leisten zu können. Aber es ist sind die Bilder, die wir in diesem Bericht weitergeben möchten, darüber berichten und aufmerksam machen. Denn Europa ist verantwortlich und riskiert mit den Plänen um Asylrechtsverschärfungen und Abschottung, dass Menschen immer gefährlichere Routen auf sich nehmen und auf dem Weg ihr Leben verlieren.

Tag 6: Die Schiffsunglücke sind stets präsent

Während die Ankünfte als auch die Transfers von Lampedusa weitergehen, sind wir in der Maldusa Station mit Alagie verabredet. Seine eigene Fluchterfahrung ist Motivator für seinen Aktivismus – und auch für seine berufliche Tätigkeit. Mittlerweile lehrt er an der Universität Palermo, seine Dissertation befasste sich mit der Ausbeutung von Migranten in der italienischen Landwirtschaft. Diese Form der »zeitgenössischen Sklaverei« musste er selbst erfahren, weshalb der Kampf dagegen ihm besonders wichtig ist.

»Wenn du in einem Supermarkt in Deutschland eine Tomate oder Olivenöl aus Italien kaufst, ist es wahrscheinlich, dass es von ausgebeuteten Menschen, in der Regel Migranten, stammt. Es ist wahrscheinlich, dass es von Menschen stammt, die sich die von ihnen produzierten Produkte selbst gar nicht leisten können.« (Alagie, Wissenschaftler und Aktivist)

 

Im Anschluss an das Interview haben wir Zeit, die Insel etwas besser kennenzulernen. Auch wenn auf den ersten Blick nur die Shops, Restaurants und Bars für den Tourismus auffallen, so erkennt man auf den zweiten Blick an jeder Ecke, wie eng die Insel mit dem Schicksal der vielen Menschen verwoben ist, die über das Mittelmeer geflohen sind. Man sieht Denkmäler, Gedenktafeln und Wandgemälde, die an die traurigen Schicksale derjenigen erinnern, die auf dem Weg nach Lampedusa gestorben sind.

Um die Mittagszeit kommen weitere Menschen an. Es ist zu diesem Zeitpunkt schon die achte Ankunft des Tages. Diesmal werden die Flüchtlinge auf einem Frontex-Boot in den Hafen gebracht. Wieder sind darunter Kinder. Wieder sind viele barfuß. Sie waren wohl mehrere Tage über das Mittelmeer unterwegs. Einige winken uns, erleichtert, aber auch unsicher, was nun kommen wird. Was erwartet sie, nachdem sie zum Hotspot gebracht werden? Wir können diese Frage nicht beantworten, zumindest ist die Aufenthaltsdauer dort mittlerweile für viele nur kurz, dann folgt der Transfer zum Festland.

Am Nachmittag erzählt uns Jasmine Iozzelli von ihren Erfahrungen auf Lampedusa. Jasmine war von September 2022 bis Februar 2023 für das Maldusa-Projekt hier und maßgeblich für die Etablierung verantwortlich. Die Situation auf der Insel beschreibt sie als komplex und schwierig. Es sei schwer, mit den Menschen in Kontakt zu treten, um ihnen helfen zu können. Momentan geschieht das deshalb vor allem direkt bei der Ankunft am Pier.

Durch die Abschottung in den Hotspots haben viele Einheimische das Gefühl, dass die Regierung die Interaktion mit den Geflüchteten verhindern möchte, sind frustriert und teilweise resigniert. Dennoch gibt es auf Lampedusa ein gutes Netzwerk der vielen unterstützenden Organisationen.

Tag 7: Was bleibt von der Reise?

Am letzten Tag der Projektreise sind wir mit Hagen Kopp am Hafen verabredet. Vor dem großen Flüchtlingsboot, welches im Juni 2023 ankam und immer noch an der Mole liegt. Er erzählt, warum es so wichtig ist, hier auf Lampedusa aktiv zu sein.

»Solange Menschen gezwungen sind, auf Booten […] diese Reise zu machen, solange das tödliche Grenzregime besteht, so lange muss und wird Lampedusa eine »Insel der Rettung« sein.«   Hagen Kopp, Projektkoordinator Maldusa

Währenddessen kommen weitere Menschen an. Sie alle haben es erst einmal geschafft – aber wir wissen nicht, was sie alles in ihrer Heimat oder auf der Fluchtroute und in Tunesien oder Libyen durchleben mussten. Ebenso ungewiss ist, wie es für sie nun bei der zunehmend restriktiven europäischen Flüchtlingspolitik weitergeht. Und wenige Tage nach unserer Rückkehr, als wir von einem erneuten Schiffsunglück vor Lampedusa hören und die schrecklichen Bilder sehen, wird uns noch einmal deutlich, wie gefährlich die Fahrt für die Menschen ist. Die schnelle Verteilung der Menschen von Lampedusa nach Sizilien und an weitere Orte ist sinnvoll, um eine Überfüllung der Hotspots zu vermeiden. Die Arbeit und der Einsatz vor Ort bleiben umso mehr von großer Bedeutung: Die Betreuung von Ankommenden, die rechtliche Beratung, ein umfassendes Monitoring und die Dokumentation der Situation an den Außengrenzen.

»Solange Menschen gezwungen sind, auf Booten […] diese Reise zu machen, solange das tödliche Grenzregime besteht, so lange muss und wird Lampedusa eine »Insel der Rettung« sein.« (Hagen Kopp, Projektkoordinator Maldusa)

Während Menschenrechte an den EU-Außengrenzen immer weiter verschwinden, versuchen die Menschen, die wir getroffen haben, sie zu bewahren. Sie verteidigen die Werte, die die EU sich einmal gegeben hat. Dieses Engagement hat uns sehr beeindruckt – und es bleibt nur zu hoffen, dass es nicht immer weiter durch die italienische Regierung oder europäischen Entscheidungen erschwert wird. PRO ASYL wird deswegen weiterhin lokale Projekte wie auf Sizilien und Lampedusa unterstützen und politisch für eine bessere Flüchtlingspolitik in Europa kämpfen.

(jo,lse)