Verfassungsgericht: Abschiebehaft ohne richterliche Anordnung "unter keinen Umständen rechtlich korrekt"

29.10.2025 Eine wichtige Entscheidung traf das Bundesverfassungsgericht: Auch Festnahmen in Abschiebungsfällen sind ein Freiheitsentzug, der in jedem Fall und ausnahmslos durch Richter angeordnet werden muss. Anderenfalls ist dies eine Verletzung der Grundrechte der betroffenen Personen. "Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerinnen und den Beschwerdeführer insbesondere in ihrem Grundrecht auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 und Abs. 2 GG," so das Verfassungsgericht. Vorherige Klagen der Betroffenen waren vor Amts- und Landgerichten erfolgslos geblieben.

Das Bundesverfassungsgericht betont nun: Vor jeder Festnahme muss ein Richter entscheiden - ein wichtiges Signal an Behörden und Gerichte.

Das Bundesverfassungsgericht hat nun in drei Fällen klargestellt, dass auch die Festnahmen in Abschiebungsfällen von Gerichten kontrolliert werden müssen. Karlsruhe betont, was das Gericht auch früher schon entschieden hat: Nämlich, dass eine Freiheitsentziehung grundsätzlich von einem Richter angeordnet werden muss.

Aus den Beschlüssen geht klar hervor, dass das Bundesverfassungsgericht die richterliche Kontrolle von Festnahmen bei Abschiebungen nicht für eine rechtsstaatliche Marginalität hält. (zitiert aus Tagesschau)

Diese Beschlüsse und deren Veröffentlichung in einer Pressemitteilung durch das Bundesverfassungsgericht selbst sind aus Sicht von PRO ASYL ein deutliches Warnsignal in Richtung Behörden und Gerichte... zudem ein deutliches Signal an den Gesetzgeber. In der Umsetzung von GEAS (Gemeinsames Europäisches Asylsystem) droht eine massive Ausweitung von Abschiebungshaft – und damit droht auch die Fortsetzung der rechtswidrigen Praxis, Menschen zu inhaftieren, bevor dies per richterlichem Beschluss angeordnet wurde.  Das höchste deutsche Gericht sieht sich gezwungen, diesen rechtsstaatlichen Grundsatz zu betonen. (Pro Asyl)

 

Drei Ausländer wurden ohne richterliche Anordnung in Abschiebehaft genommen. Laut dem Bundesverfassungsgericht ist dies unter keinen Umständen rechtlich korrekt.

Die Festnahme von Ausländerinnen und Ausländern, um diese in Abschiebehaft zu nehmen, bedarf grundsätzlich einer richterlichen Anordnung. Das hat das Bundesverfassungsgericht in drei entsprechenden Beschlüssen entschieden. Wenn eine Anordnung im Ausnahmefall zunächst nicht eingeholt werden könne, müsse sie "unverzüglich" nachgeholt werden, stellte das Gericht fest.

Die Verfahren betrafen eine Frau aus der Slowakei sowie einen Mann und eine Frau aus Eritrea. Sie waren zwischen 2017 und 2020 festgenommen worden, bevor richterlich über ihre Abschiebehaft entschieden wurde. In allen drei Fällen lag die entsprechende Anordnung nach einer Stunde bis einen Tag später vor. Die beiden Frauen wurden unmittelbar nach der Abschiebehaft abgeschoben. 

Die Betroffenen hatten sich nachträglich gegen die Festnahme gewehrt, waren damit aber vor den Amts- und Landgerichten erfolglos geblieben. Die Grundrechte der Beschwerdeführenden wurden damit verletzt, stellte das Bundesverfassungsgericht fest.

Geschäftsschluss keine hinreichende Begründung

Die Behörden dürfen sich laut Verfassungsgericht nicht auf organisatorische Gründe wie den Geschäftsschluss am Freitagnachmittag berufen. Es gebe keine allgemein festgelegten Dienstzeiten für Richterinnen und Richter, so die Begründung. Zudem sei unklar geblieben, welche Anstrengungen die Behörden unternommen hätten, um in den konkreten Fällen eine richterliche Entscheidung zu erwirken. Nur wenige Verzögerungen seien unvermeidbar, wie etwa Schwierigkeiten beim Transport.

Zudem könnten Betroffene ein schutzwürdiges Interesse daran haben, die Rechtswidrigkeit nachträglich feststellen zu lassen, weil die Anordnung von Abschiebehaft ihr Ansehen beeinträchtigen könne. Schließlich ist eine Abschiebehaft nur dann vorgesehen, wenn davon ausgegangen wird, dass sie untertauchen oder die Abschiebung erschweren wollen.

Bei den eritreischen Staatsangehörigen sah das Bundesverfassungsgericht die Grundrechte auch deshalb verletzt, weil die Festnahme ohne gesetzliche Grundlage erfolgte. Ihre Asylanträge wurden mit der Begründung abgelehnt, dass Italien für ihre Bearbeitung zuständig gewesen sei. Die Regelung für entsprechende Fälle nach dem sogenannten Dublin-Verfahren trat aber erst im August 2019 in Kraft. Die Slowakin wurde mit der Begründung abgeschoben, dass sie mehrmals straffällig geworden sei.

 

Mit den am 28. Oktober 2025 veröffentlichten Beschlüssen hat das Bundesverfassungsgericht mehreren Verfassungsbeschwerden wegen rechtswidriger Festnahmen vor der Anordnung von Abschiebungshaft stattgegeben. Damit stellt das Gericht erneut klar: Die Behörden müssen sich an Recht und Gesetz halten. Niemand darf ohne richterliche Anordnung in Haft  genommen werden.

Diese Beschlüsse und deren Veröffentlichung in einer Pressemitteilung durch das Bundesverfassungsgericht selbst sind aus Sicht von PRO ASYL ein deutliches Warnsignal in Richtung Behörden und Gerichte.

Sie sind aus Sicht von PRO ASYL zudem ein deutliches Signal an den Gesetzgeber. In der Umsetzung von GEAS (Gemeinsames Europäisches Asylsystem) droht eine massive Ausweitung von Abschiebungshaft – und damit droht auch die Fortsetzung der rechtswidrigen Praxis, Menschen zu inhaftieren, bevor dies per richterlichem Beschluss angeordnet wurde.  Das höchste deutsche Gericht sieht sich gezwungen, diesen rechtsstaatlichen Grundsatz zu betonen.

 

BVerfG zu Abschiebungshaft: Das Bundesverfassungsgericht gab den Verfassungsbeschwerden von drei Ausländer:innen statt, die festgenommen worden waren, bevor die Abschiebungshaft richterlich angeordnet wurde. Da die Freiheitsentziehung grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung voraussetze, seien alle drei Beschwerdeführer:innen in ihrem Recht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 2 GG verletzt. Das gelte auch, wenn zwischen Festnahme und richterlicher Anordnung weniger als eine Stunde liege, da der grundgesetzlich garantierte Richtervorbehalt keiner "Marginalitätsschwelle" unterliege. Eine nachträgliche richterliche Entscheidung sei nur ausnahmsweise möglich. Die nun veröffentlichten Beschlüsse von Anfang August diesen Jahres betreffen Festnahmen aus den Jahren 2017, 2019 und 2020. Rechtsanwalt Peter Fahlbusch, der die drei Beschwerdeführer:innen vertrat, geht davon aus, dass das BVerfG eine weitverbreitete Praxis beanstandete. Federführender Richter am BVerfG war der inzwischen ausgeschiedene Ulrich Maidowski. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Marlene Grunert), taz (Christian Rath), LTO (Joschka Buchholz), beck-aktuell, tagesschau.de (Max Bauer) und zeit.de.

In einem separaten Kommentar begrüßt Max Bauer (tagesschau.de) die Entscheidung als "Zeichen für rechtsstaatliche Kontrolle". Für Bauer geht es bei den Entscheidungen zum Richtervorbehalt "nicht darum, ob man für mehr oder weniger Abschiebungen ist", sondern "um den Rechtsstaat, in dem der Zweck nie die Mittel heiligt".