Verpflichtungserklärungen – Fordert die Stadt Bonn jetzt ihre Leistungen von Privatleuten zurück?

Bonn, 05.03.2018

Mittels Verpflichtungserklärungen sind in den Jahren 2014 und 2015 ca. 20.000 Syrienflüchtlinge nach Deutschland zu ihren hier lebenden nahen Verwandten gekommen. In Bonn, traditionell ein Wohnort vieler aus Syrien Zugewanderter, seien es Kurden oder Araber, umfasst diese Gruppe etwas mehr als 200 Personen. Eigens für diesen Personenkreis waren humanitäre Programme in Bund und Land aufgelegt worden, um Eltern, Kinder oder Geschwister und deren Familien aus dem Kriegsgebiet hierher in Sicherheit zu holen.

Nach der Abgabe der Verpflichtungserklärungen mit Visum hier angekommen, wurden diese Flüchtlinge privat untergebracht, mit Nahrung und Kleidung versorgt und bei der Integration unterstützt. Lediglich Krankenversicherung und der Integrationskurs standen ihnen als öffentliche Leistungen zu, darüber hinaus erhielten sie die sofortige Arbeitserlaubnis. So lebten die meisten von ihnen über viele Monate oder länger als ein Jahr in drangvoller Enge und finanziell stark eingeschränkt, je nach der Situation ihrer hiesigen Verwandten. Ein schneller Zugang zur eigenen Arbeitstätigkeit und damit eigenem Einkommen erwies sich in den meisten Fällen als Illusion.

Nachdem sie erfolgreich den Asylantrag gestellt hatten, erhielten diese Flüchtlinge genauso wie alle anderen die allgemeinen Leistungen, ausgezahlt durch das Jobcenter bzw. bei einem kleineren Teil durch das Sozialamt der Stadt Bonn, jeweils unter Vorbehalt möglicher Regressforderungen.

Jetzt wird die Stadt Bonn aktiv. Sie fordert erste Bürgen auf, zu den Regressansprüchen der Stadt Stellung zu nehmen. Im Falle eines aus Syrien stammenden Mannes in Bonn belaufen sich diese Forderungen auf deutlich mehr als 50.000 Euro. Das drückt, erdrückt.

Um die Regresszahlungen abzuwenden, hatte es zuvor Jahre des Kampfes gegeben. Im Gefühl, von Politik und Verwaltung getäuscht, wenn nicht betrogen worden zu sein bei der Abgabe der Verpflichtungserklärungen („Mit der Titelerteilung nach erfolgreichem Asylverfahren wird der neue Aufenthaltszweck aufenthaltsrechtlich anerkannt, so dass die Geltung einer im Zusammenhang mit der Landesaufnahmeanordnung abgegebenen Verpflichtungserklärung endet," so Innenminister Jäger 2015) und angetrieben von der Sorge vor dem finanziellen Ruin Einzelner und von der empfundenen Ungerechtigkeit durch die Ungleichbehandlung, gab es Anfragen, Gespräche mit Politikern und Unterstützung durch einzelne Abgeordnete, Klagen vor Gericht und zahlreiche Presseveröffentlichungen. Doch diese hatten ebenso wenig Erfolg wie eine Petition des NRW-Flüchtlingsrates 2017 an den Landtag. Das Scheitern hat seinen Grund vor allem in der starren Haltung von Innenminister de Maizière in dieser Frage, der sogar Fraktionskolleg*innen ein Entgegenkommen verweigerte.

Rechtmäßig. Aber auch gerecht?

Die anfangs unklare Dauer der Verpflichtungserklärungen wurde 2016 durch das Integrationsgesetz gesetzlich festgeschrieben: Sie beläuft sich auf drei Jahre bei diesen Altfällen und bei neuen Fällen seither auf fünf Jahre. Zuletzt hatte im Dezember 2017 das Oberverwaltungsgericht Münster die Fortdauer der Zahlungsverpflichtung festgestellt.

Noch gibt es für die Schwächeren unter den Bürgen die Hoffnung auf Härtefallregelung. Daneben aber wollen und müssen viele der Verpflichtungsgeber*innen auch weiter alle Möglichkeiten ausschöpfen, um der Zahlungsverpflichtung zu entgehen. Dabei geht es ihnen nicht nur um die finanzielle Seite, sondern auch um Gerechtigkeit. So versucht die Flüchtlingshilfe Syrien der ev. Johannes-Kirchengemeinde in Bad Godesberg nach dem Eintreffen erster Erstattungsaufforderungen die Situation zusammenzufassen und die Bonner Bürgen untereinander zu vernetzen. Sie bittet deshalb alle Betroffenen, Kontakt aufzunehmen: fluechtlingshilfe@johannes-kirchengemeinde.de

Sind Flüchtlingsbürgen „Zahlungsverweigerer“ und also Sozialbetrüger?

Während die Bürgen in großer Sorge sind, wie sie viele tausend Euro auftreiben können, betreibt der Bonner Bürger Bund verleumderische und rechtspopulistische Hetze gegen die Flüchtlingsunterstützer. In der vom BBB in den Ausschuss für Finanzen des Bonner Stadtrates am 6. 3. 2018 eingebrachten „Großen Anfrage“ wird formuliert und gleichsam unterstellt, die Bürgen hätten „ihre Unterstützung eingestellt, obwohl sie zeitlich noch an ihre Erklärungen gebunden waren/sind?“, mehrfach findet sich der Begriff der „Zahlungsverweigerer“. Dieser Sprachgebrauch lässt die politische Auseinandersetzung und ihre Entwicklung außer Acht und erweckt den Anschein, es gäbe eine betrügerische Absicht der Bürgen. Sie hatten aber sicherlich keine betrügerische Absicht, sondern fühlen sich selbst betrogen durch Politik und Verwaltung, die sie auf den Weg der Verpflichtungserklärung führten und begleiteten. Mit weiteren Fragen wird versucht, den Stadtrat und die Verwaltung entsprechend vor sich herzutreiben: die Frage nach der Höhe der „Kosten, die der Bundesstadt Bonn infolge der Weigerung von Bürgschaftsgebern in den nächsten drei Jahren entstehen werden und welcher Anteil davon .. aus welchen Gründen als absehbar uneinbringlich eingeschätzt“ werden, dann „Gegen wie viele Zahlungsverweigerer hat die Stadt Bonn Beitreibungsmaßnahmen eingeleitet ..“ und schließlich vorwurfsvoll/provokant: „Falls keine Beitreibungsmaßnahmen seitens der Bundesstadt erfolgt sind: Warum hat man dies – trotz richterlicher Bestätigung der Zahlungspflicht durch das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW (Aktenzeichen: 18 A 1040/16)– bislang verabsäumt?“

Solidarität mit Syrienflüchtlingen und ihren Bürgen - Abfuhr an den BBB

Bereits im Mai 2017 hatte der BBB eine Anfrage mit gleichem Gegenstand eingebracht, an die er jetzt anschließt. Auch wenn der BBB begründet, er frage im Interesse der Bonner Stadtfinanzen („Die BBB-Fraktion möchte in Erfahrung bringen, ob die Stadtverwaltung bzw. das Jobcenter mittlerweile tätig geworden sind, um nicht auf den Kosten in Millionenhöhe sitzen zu bleiben.“), sucht er sich doch auf dem Feld der Rechtspopulisten zu profilieren, gleicht diese Große Anfrage des BBB in Tonfall, Manier, Zielsetzung doch deutlich denen von der AfD und anderen Rechtsextremen bekannten parlamentarischen Anfragen. Es ist nur zu hoffen, dass der BBB mit dieser Masche keinen Erfolg hat und Stadtverwaltung und Politik mit Gelassenheit auf die Einzelfälle blicken und entstandene Härten auch vor dem Hintergrund jahrelanger Unklarheit, die auch in Politik und Verwaltung bestand, angemessen berücksichtigen. Zunächst einmal, so ist zu hören, bleibt die Anfrage unbeantwortet, die Verwaltung wird am 6. 3. wohl um Vertagung bitten.

Zur Information I: Zum Hintergrund in Sachen Verpflichtungserklärungen:

Verpflichtungserklärungen abzugeben, das war der Weg, den die Landesregierung NRW ebenso wie andere Landesregierungen mit ihren Landesprogrammen aufzeigten, damit hier lebende und aus Syrien stammende Menschen ihre nahen Verwandten aus dem Kriegsgebiet mit einem Visum ausgestattet hierher holen konnten und ihnen damit eine sichere und reguläre Flucht ermöglichten. Die Landesregierung unterstützte dieses Verfahren durch die Zusage der Kostenübernahme für die Krankenversicherung und durch sofortige Arbeitserlaubnis, der Lebensunterhalt selbst sollte von den Verpflichtungsgebern bestritten werden.

Zahlreiche interessierte Familienangehörige ließen sich registrieren, doch für einen Großteil davon war der weitere Weg nicht gangbar, teils weil in der Verwandtschaft die Verpflichtungserklärungen nicht abgegeben werden konnten, teils auch wegen Schwierigkeiten, ein deutsches Konsulat zur Visumsbeantragung aufzusuchen.

In den meisten Fällen handelt es sich bei den Bürgen um die schon lange hier lebenden Menschen aus Syrien selbst. In wenigen Fällen wurden Mitbürger*innen um Unterstützung gebeten, weil die hier ansässigen Verwandten nicht über das für die Abgabe der Verpflichtungserklärungen erforderliche Einkommen verfügten. So ermöglichte die Beueler Initiative gegen Fremdenhass in einer 2014 gestarteten Unterstützungsaktion die Einreise zweier Familien mit insgesamt 4 Kindern nach Beuel, indem sie an die Öffentlichkeit trat und sowohl Bürgen als auch großzügige Spender*innen fand. Ähnlich wurde in Godesberg die „Flüchtlingshilfe Syrien“ der ev. Johannes-Kirchengemeinde aktiv, die sogar 16 Verpflichtungserklärungen abgab.

Ein paar tausend Menschen gelang auf diesem Weg die Flucht vor dem Krieg nach NRW, und zwar bereits bevor 2015 auf der sog. Balkanroute Syrienflüchtlinge in großer Zahl hier ankamen. Sie wurden zumeist von ihren Angehörigen in deren Wohnung aufgenommen, von ihnen versorgt und verpflegt und beim Ankommen und Einleben unterstützt.

Als sie wie alle anderen Kriegsflüchtlinge aus Syrien ihren Asylantrag stellten und daraufhin die Anerkennung erhielten, begann auch der übliche Leistungsbezug für Asylberechtigte. Nach vielen Monaten finanzieller (Über-)Beanspruchung der Gastgeberfamilie und dem stressigen Leben in drangvoller Enge konnten alle endlich aufatmen. Doch ein Schatten der Bedrohung blieb: Das Jobcenter bzw. das Sozialamt machten vorsorglich darauf aufmerksam, dass die staatlichen Leistungen zurückgefordert werden könnten. Denn die Bundesregierung (namentlich Innenminister de Maizière) war anders als die Landesregierung der Auffassung, dass die abgegebenen Verpflichtungserklärungen auch über die Asylanerkennung hinaus Geltung hätten, quasi „lebenslänglich“. Diese Auffassung des Fortbestands der Bürgschaften fand schließlich Ende 2016 Eingang in das sog. Integrationsgesetz. Seither ist gesetzlich vorgeschrieben, dass die Verpflichtungserklärungen bei „Altfällen“ drei Jahre gelten, bei neu abgegebenen VE sogar fünf Jahre.

In langer Auseinandersetzung mit Behörden, Gerichten, Landesregierung und Bundesregierung mussten alle diese Bürgen schließlich feststellen, dass ihr Engagement zwar mit Wohlwollen gesehen und verfahrensmäßig aus humanitären Gründen sogar durch die Landesregierung angebahnt wurde, sie aber von staatlicher Seite für „ihre“ Flüchtlinge auch nach Asylanerkennung nicht die gleiche staatliche Unterstützung wie die viel größere Zahl der anderen Flüchtlinge erhalten sollten, die zum Beispiel über die Balkanroute oder das Meer gekommen waren. Die Privatleute, die klaglos bereits Monate für ihre Verwandten gezahlt hatten, sollten dies weiter tun, einzig, weil sie sich in der Not und Sorge um ihre Angehörigen mit Unterschrift selbst zur Unterstützung verpflichtet hatten. Was im Gesamtbudget der Flüchtlingsunterstützung kaum merklich wäre, ist für die Einzelnen oft schwer zu leisten oder sogar existenzbedrohend.

Susanne Rohde (Beueler Initiative gegen Fremdenhass, Unterstützungsaktion „Von Aleppo nach Beuel“, bonner flüchtlingspolitisches forum weltoffen)

Zur Information II – die Anfrage des BBB

https://www2.bonn.de/bo_ris/daten/O/Htm/17/1711625NV3.htm

Bundesstadt Bonn

TOP

 

hh:mm

 

 

BE

 

 

 

Große Anfrage

 

 

- öffentlich nach § 48 Abs. 2 Satz 1 GO NRW

 

 

Drucksachen-Nr.

Bearbeitungsaufwand

 

 

1711625NV3

 

 

 

Externes Dokument

 

 

 

 

 

Fragesteller/in

 

BBB-Fraktion

 

Eingangsdatum

gez.

 

Marcel Schmitt

 

13.02.2018

f.d.R.

 

Ingmar Gahm

 

Ratsbüro

13.02.2018

 

Marcel Schmitt

 

 

Datum

 

Unterschrift

 

 

 

Betreff

Bürgschaftsverpflichtungen für den Lebensunterhalt von Flüchtlingen

 

Gremien

Sitzung

Ergebnis

 

Ausschuss für Finanzen und Beteiligungen

06.03.2018

 

 

 

 

 

 

           

Fragestellung

1.    Wie viele Personen und Organisationen haben sich insgesamt verpflichtet, für den Lebensunterhalt der in Bonn zeitweise aufgenommenen bzw. dauerhaft untergebrachten Flüchtlinge aufzukommen, wie viele davon haben für die hier Aufgenommenen ihre Unterstützung eingestellt, obwohl sie zeitlich noch an ihre Erklärungen gebunden waren/sind?

2.    Wie hoch sind die Kosten, die der Bundesstadt Bonn dadurch entstanden sind, dass die Verpflichtungsgeber ihre Unterstützung eingestellt haben?

3.    Gegen wie viele Zahlungsverweigerer hat die Stadt Bonn Beitreibungsmaßnahmen eingeleitet und in welcher Höhe konnten Zahlungen von den Verpflichtungsgebern zugunsten der Stadt Bonn zur teilweise Deckung der unter Ziffer 2 gefragten bisherigen Kosten erwirkt werden?

4.    Falls keine Beitreibungsmaßnahmen seitens der Bundesstadt erfolgt sind: Warum hat man dies – trotz richterlicher Bestätigung der Zahlungspflicht durch das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW (Aktenzeichen: 18 A 1040/16)– bislang verabsäumt?

5.    Falls die Bundesstadt im Einzelnen die Zahlungspflicht mit Blick auf Härtefallregelungen verneint haben sollte:  Wie wurden diese Härtefälle jeweils begründet?

6.    Wie wurde im Vorfeld einer Verpflichtungserklärung vom Oberbürgermeister die dauerhafte Leistungsfähigkeit eines Flüchtlingsbürgen geprüft?

7.    Wie hoch schätzt der Oberbürgermeister die Kosten, die der Bundesstadt Bonn infolge der Weigerung von Bürgschaftsgebern in den nächsten drei Jahren entstehen werden und welcher Anteil davon wird von ihm aus welchen Gründen als absehbar uneinbringlich eingeschätzt?

8.    Wie viele Personen haben sich gegenüber Gemeinden, die nicht in NRW liegen, verpflichtet, für den Lebensunterhalt von in Bonn aufgenommenen bzw. dauerhaft untergebrachten Flüchtlingen aufzukommen, müssen der eingegangen Pflicht aber nach Anerkennung der Asylberechtigung oder Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für jene, für die sie die Bürgschaft abgegeben haben, gemäß Urteil des OVG NRW (Aktenzeichen: 18 A 1125/16) nicht nachkommen?

 

Begründung

In der Beantwortung der Großen Anfrage der BBB-Fraktion vom 24.05.2017 (Drucksache 1711625) führt der Oberbürgermeister aus, dass von 2014 bis April 2017 in 150 Fällen (für 307 Personen) Leistungen nach dem SGB XIII bzw. II gewährt wurden, nachdem die in den Verpflichtungserklärungen übernommenen Unterstützungszahlungen durch die Verpflichtungsgeber eingestellt wurden. Die Bundesstadt Bonn sowie das Jobcenter Bonn sind gehalten, die Verpflichtungsgeber zur Erstattung der Kosten für die gewährten Leistungen heranzuziehen. Das Bestehen der Zahlungspflicht der Verpflichtungsgeber, auch nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, wurde sowohl im Januar 2017 durch das Bundesverwaltungsgericht (1 C 10.16) als auch am 8. Dezember 2017 durch das OVG NRW (18 A 1125/16, Rn. 33) bestätigt. Im Unterschied zum letztgenannten Urteil, indem es um zwei klagende Bürger, die zum Zeitpunkt ihrer Bürgschaftsabgabe in NRW wohnhaft waren, ging, hat das OVG den Heranziehungsbeschei­d für einen bei Abgabe der Verpflichtung in Ahrweiler lebenden, heute aber in Bonn ansässigen Flüchtlingsbürgen in vollem Umfang aufgehoben. Nach dem Entscheid der Richter muss der aus Ahrweiler zugezogene Bürge auf Grund der rheinland-pfälzischen Aufnahmeanordnung von 2013 nicht für die Zeit nach der Asylgewährung haften. Der Gesetzgeber hat durch Änderung des Integrationsgesetzes im August 2016 klargestellt, dass Verpflichtungserklärungen für fünf Jahre ab Einreise gültig bleiben. Erklärungen, die bereits vor Sommer 2016 abgegeben wurden, sollen für drei Jahre gültig bleiben.

Nach Aussagen der Stadtverwaltung sind jedenfalls bis zum 28. Juni 2017 keinerlei Beitreibungsmaß-nahmen erfolgt. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden die Verpflichteten lediglich angehört.

Die BBB-Fraktion möchte in Erfahrung bringen, ob die Stadtverwaltung bzw. das Jobcenter mittlerweile tätig geworden sind, um nicht auf den Kosten in Millionenhöhe sitzen zu bleiben.