20.10.2025 Mit zwei Beiträgen beschäftigt sich nd heute mit der Jahreskonferenz Vienna Migration Conference (VMC) "des in der europäischen Abschottungsindustrie immer einflussreicher werdenden International Centre for Migration Policy Development (ICMPD)". In diesem Jahr trifft die Organisation, die "seit 2016 verstärkt an der polizeilichen Aufrüstung von Grenzregimes in Europa, Asien und Afrika maßgeblich beteiligt ist", auf Proteste im Rahmen eines »No Border Summits«.
Auch im österreichen Standard ist ein ausführlicher Beitrag zu lesen:
- Standard 20.10.2025 Die Wiener Migrationskonferenz und ihre Gegner: Von „Grenzmanagement“ bis „No Borders“
Die EU-Migrationspolitik setzt auf Außengrenzschutz und schnellere Verfahren. Umgesetzt wird sie auch vom ICMPD in Wien, das diese Woche eine Konferenz veranstaltet hat. Die Arbeit der Organisation stößt aber auch auf Kritik...
Die jährlich ausgetragene Vienna Migration Conference (VMC) ist prominent besetzt: die Innenminister Österreichs und Jordaniens, hochrangige Regierungsoffizielle aus Ägypten, Mauretanien, Irak, Nigeria, Nord-Mazedonien, den Philippinen und zahlreicher EU-Staaten, aber auch Vertreter des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, der EU-Kommission und der Afrikanischen Union – also jener Staaten und suprastaatlicher Organisationen, die derzeit immer rigoroser den Ausbau europäischer oder afrikanischer Grenzregimes vorantreiben. Die VMC gilt als wichtigstes PR-Event des in der europäischen Abschottungsindustrie immer einflussreicher werdenden International Centre for Migration Policy Development (ICMPD).
Offizielles Programm und Veranstaltungsankündigungen der VMC lesen sich wie die allseits bekannte Wohlfühlrhetorik von Grenzregimen, der EU-Kommission oder des ICMPD selbst: abstrakt, irreführend, technokratisch, verharmlosend und – liest man zwischen den Zeilen – gar imperial. Auf den Panels der VMC geht es dieses Jahr unter anderem um Prognosen zu künftigen Migrationsdynamiken, die subsidiären Schutzprogramme für ukrainische Flüchtlinge, »Rückführungen«, »Migrationspartnerschaften« zwischen der EU und Drittstaaten in Afrika oder Asien sowie das gezielte An- bzw. Abwerben von Fachkräften aus Ländern des Globalen Südens. Die wenigen Vertreter der Zivilgesellschaft auf der VMC sind dabei nicht viel mehr als ein pseudo-humanitäres Feigenblatt für eine Konferenz, die für die koloniale und imperiale Kontinuität in den Beziehungen zwischen Europa und seinen früheren Kolonien einsteht.
Für Österreichs Ex-Vizekanzler Michael Spindelegger wird es die letzte VMC als Generaldirektor des ICMPD sein. Der frühere Spitzenpolitiker der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) wird nach zehn Jahren an der Spitze der Organisation im Januar 2026 seinen Posten räumen. Seine Wahl zum Generaldirektor 2015 hatte das ICMPD dabei de facto in eine andere Liga katapultiert. Erstmals übernahm damals ein im europäischen Politzirkus extrem gut vernetzter Berufspolitiker den Führungsposten der Organisation. Das Ergebnis: operatives Wachstum und politischer Einflussgewinn. Unter Spindelegger hat sich die Mitarbeiterzahl des ICMPD auf 544 fast verdreifacht (Stand: 2024). Die Anzahl der Büros in Europa, Asien oder Afrika stieg zwischen 2015 und 2024 von 19 auf 31, das Budget von 16,8 Millionen auf 101,4 Millionen Euro und das von dem Grenzregimedienstleister verwaltete Projektvolumen von 111 auf bemerkenswerte 714 Millionen Euro.
Die unter Spindeleggers Ägide initiierte strategische Neuausrichtung der Organisation dürfte dabei das in Wien ansässige Institut über die nächsten Jahre hinweg prägen. Der ÖVPler hielt zwar konsequent an den ideologischen Leitmotiven des ICMPD fest, trieb jedoch zeitgleich eine substantielle geografische Ausweitung seiner Aktivitäten auf dem asiatischen und afrikanischen Kontinent voran und leitete eine operationelle Neuorientierung ein. Der fast ausschließlich informelle Dialogforen, Beratungsdienstleistungen oder Datenerhebung umfassende Soft-Power-Ansatz der Vergangenheit ist passé; heute ist das ICMPD zunehmend in die unmittelbare Aufrüstung von Polizei- und Zollbehörden auf dem Balkan, in Asien und Afrika involviert.
Spindeleggers designierte und ab Januar 2026 auf seinen Posten nachrückende Nachfolgerin Susanne Raab verspricht derweil Kontinuität. Auch sie war österreichische Bundesministerin, hat ein ÖVP-Parteibuch und gilt als gut vernetzt – in Österreich und Brüssel. Der Einflusszuwachs des ICMPD auf Europas Migrationspolitik dürfte sich also auch unter Raab fortsetzen.
Dabei erregt die als hochgradig intransparent und streng neoliberal geltende Organisation seit einigen Jahren zunehmend das Interesse einer kritischen Öffentlichkeit. Bisher standen vor allem die EU-Grenzabschottungsbehörde Frontex und die mit den Vereinten Nationen assoziierte und vor allem mit Abschiebungen zwischen Drittstaaten – im Grenzregime-Jargon meist »freiwillige Rückkehr« genannt – betraute Internationale Organisation für Migration (IOM) im Zentrum der Kritik aktivistischer Bewegungen und medialer Berichterstattung, nicht aber das ICMPD. Das hat sich inzwischen geändert, auch weil die Organisation seit 2016 verstärkt an der polizeilichen Aufrüstung von Grenzregimes in Europa, Asien und Afrika maßgeblich beteiligt ist.
Deshalb mobilisieren für die diesjährige VMC mehrere aktivistische Gruppen für einen Gegengipfel und eine für diesen Dienstag geplante Demonstration in der Wiener Innenstadt. Schon seit Freitag finden im Rahmen des »No Border Summits« Paneldiskussionen, Infoveranstaltungen, Filmvorführungen und Workshops statt. Schon 2022 hatte es kleinere Proteste gegen die VMC gegeben, allerdings hat die diesjährige Gegenveranstaltung bislang spürbar mehr Zugkraft entfaltet. Mehr als 150 Menschen nahmen allein am Auftaktpanel des Gegengipfels am Samstag teil.
»Dass es bisher kaum öffentliche Gegenveranstaltungen zur VMC gab, liegt auch daran, dass das ICMPD jahrelang weitgehend im Schatten agierte und es auch in der Wiener NGO-Szene als nicht besonders skandalös gilt, mit dem ICMPD zu kooperieren«, erklärt das Organisations-Komitee des No Border Summit gegenüber dem »nd«. »Das ICMPD schaffte es bis jetzt, sich als ›neutrale Expertenorganisation‹ darzustellen, obwohl es in Wahrheit ein zentraler Akteur und ideologischer Motor der europäischen Abschottungspolitik ist«, so die Stellungnahme des Komitees weiter. Auf die Rolle des ICMPD als Mittelsmann für von EU oder EU-Mitgliedstaaten finanzierten Grenzauslagerungsprojekten im Globalen Süden anspielend fordern die hinter dem Gegengipfel stehenden Kollektive auch deshalb, »Migrationspolitik nicht an intransparente Organisationen wie das ICMPD auszulagern«.
- nd 20.10.2025 ICMPD: Abschotten, Abschieben, Anwerben Das ICMPD hat seine Hände bei der Aufrüstung von Polizei- und Zollbehörden im Spiel
Kurz bevor Michael Spindelegger 2016 den Posten des ICMPD-Generaldirektors übernahm, erklärte er gegenüber der österreichischen Zeitung »Die Presse«, kaum jemand in der Öffentlichkeit kenne das Institut oder dessen Arbeit. Das wolle er ändern und ihm »mehr politisches Gewicht und Visibilität« verleihen. Zehn Jahre später kann er zweifelsohne behaupten, geliefert zu haben. Das Auftragsvolumen seines International Centre for Migration Policy Development hat sich seither fast versiebenfacht, während die Anzahl der Mitgliedstaaten zwischen 2015 und 2024 von 15 auf 21 anstiegen ist. Deutschland war erst 2021 beigetreten, Irland ist seit 2024 das jüngste Neumitglied. Doch was ist das ICMPD eigentlich, welche politischen Ziele verfolgt es und was für Dienstleistungen und Projekte bietet es seinen Auftraggebern konkret an?
Das ICMPD wurde 1993 von den Regierungen Österreichs und der Schweiz als ein zunächst zeitlich befristetes Pilotprojekt mit Sitz in Wien gegründet, das politische Antworten auf die Ost-West-Migration nach dem Fall der Berliner Mauer entwickeln sollte. Nur wenige Jahre später erhielt es den Status einer internationalen Organisation, der es Staaten erleichterte, ihm formell beizutreten und es mit der Durchführung von Dienstleistungen oder Projekten zu beauftragen. Seit seiner Gründung hat es dabei fast konsequent an seinen übergeordneten Leitmotiven und seiner informellen Arbeitsweise festgehalten und gibt weiterhin vor, Migration »sicherer«, »geordneter« und damit besser kontrollierbar machen zu wollen.
Anders ausgedrückt, die Arbeit des ICMPD hat zwei übergeordnete Ziele: erstens das rigorose Verhindern der sogenannten »irregulären« Migration und das damit einhergehende Untergraben des internationalen Flüchtlings- und Menschenrechts; zweitens das höchst selektive Filtern von Einwanderung im Sinne demografischer und wirtschaftlicher Notwendigkeiten, jedoch immer zum Vorteil europäischer Volkswirtschaften.
Konkret ist die Arbeit des ICMPD in drei Bereiche aufgeteilt: informelle Regierungsdialoge, Recherche und Datenerhebung sowie operative Dienstleistungen. In diesem Sinne ist das ICMPD seit den 1990ern mit der Sekretariatsarbeit einer Vielzahl höchst intransparenter zwischenstaatlicher Foren beauftragt, in deren Rahmen informelle Politikabsprachen getroffen werden und ein Austausch zwischen Regierungen stattfindet. Der prominenteste davon ist der sogenannte Khartum-Prozess, an dem Dutzende Regierungen aus Europa sowie Nord- und Ostafrika teilnehmen.
Seit Spindeleggers Amtsübernahme ist das zentrale Arbeitsfeld der Organisation allerdings das operative Geschäft, vor allem in Nordafrika, Nahost, Zentralasien und auf dem indischen Subkontinent. Für das europäische Grenzregime vor allem relevant ist hier die Rolle von ICMPD als eine Art Mittelsmann zwischen Geldgebern sowie Behörden in Partnerstaaten im Rahmen polizeilicher Ausrüstungs- und Ausbildungsprojekte.
In Tunesien und Marokko koordiniert das ICMPD ein von der EU mit 65 Millionen Euro finanziertes Projekt, das Polizei- und Zollbehörden in beiden Staaten mit polizeilicher Ausrüstung wie Überwachungssoftware sowie Trainingsmaßnahmen versorgt. Im Rahmen eines weiteren von Deutschland, Österreich und weiteren EU-Staaten finanzierten Programms sind in Tunesien zwei Polizeischulen errichtet worden, in denen Beamte des Zolls und der Nationalgarde, die für ihre Menschenrechtsverletzungen gegen Flüchtende und die tunesische Bevölkerung berüchtigt ist, ausgebildet werden sollen.
In Pakistan, dem Libanon, Ghana und zahlreichen weiteren Staaten wurden Flughäfen mit Ausrüstung für die Personen- und Dokumentenkontrolle versorgt und Grenzbeamte ausgebildet. Das ICMPD ist also heute ein immer wichtiger werdender Akteur bei der Aufrüstung von Polizei- und Zollbehörden in Europas ehemaligen Kolonien und damit indirekt damit betraut, neokoloniale Eliten an der Macht zu halten und Migration wirtschaftlich ausbeutbar zu machen.