23.03.2019 Die Corona-Krise setzt auch das deutsche Asyl-System unter Zugzwang. Nach Informationen von NDR, WDR und SZ werden ab sofort alle Abschiebungen in EU-Staaten gestoppt.
Von Reiko Pinkert, NDR, und Martin Kaul, WDR Quelle: https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/corona-abschiebungen-103.html
Das Bundesinnenministerium hat nach Recherchen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) sämtliche Abschiebungen in andere EU-Staaten gestoppt - und will ab sofort auch keine Flüchtlinge mehr aufnehmen, die aus anderen EU-Staaten nach Deutschland überstellt werden sollen.
Das bestätigte ein Ministeriumssprecher auf Nachfrage: "Der Bundesinnenminister hat entschieden, dass Dublin-Überstellungen bis auf weiteres nicht mehr stattfinden", sagte der Sprecher. "Die Europäische Kommission und die Mitglieder der EU-Mitgliedstaaten werden in Kürze über diese Entscheidung informiert." Abschiebungen in Drittstaaten könnten jedoch weiterhin stattfinden.
Dublin-Auslieferung bereits seit Tagen gestoppt
In der Praxis hatte das für Asylverfahren in Deutschland zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bereits in der vergangenen Woche Dublin-Auslieferungen gestoppt. In einem BAMF-Schreiben an Verwaltungsgerichte, das NDR, WDR und SZ vorliegt, wies die Flüchtlingsbehörde auf die zahlreichen internationalen Reisebeschränkungen hin. Darin hieß es: "Da vor diesem Hintergrund derzeit Dublin-Überstellungen nicht zu vertreten sind, setzt das Bundesamt bis auf weiteres alle Dublin-Überstellungen aus."
Erlass schafft Rechtssicherheit
In dem Schreiben betonte die Behörde, die zeitweise Aussetzung der Überstellungsverfahren impliziere nicht, dass die Dublin-Staaten nicht mehr zur Übernahme bereit und verpflichtet wären. Vielmehr sei der Vollzug vorübergehend nicht möglich.
Offenbar war die Behörde damit schneller als das übergeordnete Bundesinnenministerium. Mit dem Erlass soll nun Klarheit geschaffen werden - und eine Bredouille aufgelöst werden: Über Aussetzungen der europäischen Dublin-Regelungen muss die Bundesregierung die Partner in der Europäischen Union vorab informieren - das soll nun schleunigst nachgeholt werden.
Was passiert mit dem Dublin-System?
Unklar ist noch, ob es bei dem zunächst geltenden Abschiebestopp in Dublin-Partnerländer bleibt - oder ob das sogenannte Dublin-System vorübergehend gänzlich außer Kraft gesetzt werden wird. Letzteres würde bedeuten, dass künftig Flüchtlinge, die in Deutschland ihren Asylantrag stellen, ihr Asylverfahren auch hier durchlaufen können - unabhängig davon, über welches EU-Land sie nach Deutschland eingereist sind.
Das sogenannte Dublin-Abkommen regelt den Umgang mit Flüchtlingen innerhalb der Europäischen Union. Demnach werden die Asylverfahren von den Ländern bearbeitet, in denen Flüchtlinge erstmals in die EU eingereist sind und Asyl beantragt haben. Um das durchzusetzen, finden Abschiebungen auch innerhalb der Europäischen Union statt - etwa weil zahlreiche Flüchtlinge erstmals in Griechenland oder Italien europäischen Boden betreten haben.