"Wein nachts"-Zeit - Kein Advent in Afghanistan

06.12.2019 Es ist Advent. Das bedeutet „Ankunft“.

OFFENER BRIEF ...

Herrn Staatsminister Joachim Herrmann
Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration
Odeonspl. 3, 80539 München

Sehr geehrter Herr Staatsminister Hermann,
es ist Advent, aber wir hören, dass Sie und Ihre Behörden heute wieder eine große Zahl von unbescholtenen und gut integrierten jungen Männern verhaften und nach Afghanistan abschieben lassen wollen. Sie werden in Gefahr und Elend geraten, herausgerissen aus ihrem Freundeskreis, aus Schule, Arbeit, bevorstehender Ausbildung, Therapie.
Heute morgen um 6 Uhr wurde ich von einem verzweifelten Helfer aus Forchheim herausgeklingelt. Sein Schützling, minderjährig nach Bayern gekommen, kurz vor der Ausbildung, war gerade verhaftet worden.
In Miesbach traf es kurz darauf einen psychisch schwer kranken Mann, der trotz vorliegender Atteste in den Fokus der Abschiebung geraten ist. Ein Antrag auf Abschiebeschutz blieb unbeantwortet. Wir fürchten, dass ihn ein ähnliches Schicksal trifft wie einen bekannt psychisch kranken Jungen aus Augsburg, der vor vier Wochen abgeschoben wurde ohne seine lebensnotwendigen Medikamente. Sein letztes Lebenszeichen kam nach einem völligen Zusammenbruch aus einer psychiatrischen Anstalt in Kabul. Er war dort weggesperrt ohne Therapie und Medikamente. Inzwischen ist der Kontakt abgebrochen.
Auch aus Bayreuth hören wir von einer Verhaftung heute morgen.
Schon in den letzten Tagen hatte es Mohmmad J. aus Passau, Ahmed aus Vilshofen und Dawoud aus Bamberg getroffen, alle gut integriert und unbescholten sind, ein Junge sehr krank. Der Landesbischof und der Vizepräsident des Landtags haben sich für sie eingesetzt. Gerade ruft mich eine frühere Lehrerin an. Der Junge aus Passau sitzt im Polizeiauto nach München und weint hemmungslos. Sie versucht, ihn über das Telefon zu trösten. Polizisten haben mir gegenüber ihr Unverständnis über die Abschiebung dieses Jungen geäußert „das is doch a netter guader Bua“.
Wir sind alle fassungslos, dass Sie selbst im Advent und Weihnachtsfrieden gute Menschen ins Verderben schicken wollen. Bitte beenden Sie diese Praxis, die so fern von unseren christlichen und humanitären Werten ist. Bitte hören Sie auf die Bitten konservativer christlicher Politiker und schieben heute keine unbescholtenen Menschen ab.
Sehr geehrter Herr Herrmann, setzen Sie ein Zeichen der Menschlichkeit im Weihnachtsfrieden. Kehren Sie um.
Das Verständnis und die Dankbarkeit der Kirchen, der Ehrenamtlichen, der Zivilgesellschaft und der großen Mehrheit der Bayern wird Ihnen sicher sein.
Es ist Advent.
Herzliche Grüße
München, im Advent am 03. Dezember 2019
Stephan Theo Reichel
Geschäftsführer und Sprecher
matteo – Kirche und Asyl e.V.
Königstr. 79, 90402 Nürnberg
Tel/WhatsApp: ++49 (0)151 25294434

... BLIEB OHNE WIRKUNG

Stephan Reichel am 04.12.2019: "Unser Appell ist ungehört verhallt. Herr Herrmann hat erneut unbescholtene und kranke Menschen nach Kabul abschieben lassen. Bei drei unserer Schützlinge kannte er kein Erbarmen.

Die Kirchen haben geschwiegen, die großen Zeitungen auch. Es ist Gewohnheit an dieses Unrecht eingetreten. Die neue SPD-Führung hat auf unseren Appell nicht mal reagiert. Die Freien Wähler konnten dazu beitragen, zwei junge Männer rauszuholen - dafür sind wir sehr dankbar - aber sie können sich gegen die erbarmungslose CSU nicht durchsetzen.

Wir sind gerade alle rat- und fassungslos. Mitten im Advent kurz vor Weihnachten werden junge unbescholtene Menschen aus der Sicherheit in Gefahr und Elend geschickt, und ein ganzes Land schaut weg."

Horst Seehofer ließ schon zwei Tage vorher mittteilen:

"Bis Ende September seien 22 331 afghanische Staatsangehörige ausreisepflichtig gewesen, heißt es im Bundesinnenministerium. Zurückgeführt worden seien bis vergangene Woche lediglich 317 Afghanen. Über die enorme Diskrepanz wird Seehofer nach Informationen des Tagesspiegels nun wieder mit den Länderkollegen sprechen.

Bei der Herbsttagung der Innenministerkonferenz (IMK), die am Mittwoch in Lübeck beginnt und am Freitag endet, will der CSU-Politiker für eine deutliche Zunahme der Abschiebungen von ausreisepflichtigen Flüchtlingen werben. Vor allem im Fall der Afghanen. Schon bei früheren IMK-Treffen hatte Seehofer einen Anstieg gefordert." https://www.tagesspiegel.de/politik/konflikt-mit-laender-innenministern-seehofer-kritisiert-zu-wenige-abschiebungen-nach-afghanistan/25292348.html

Der erste Teil ist gelogen: Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung waren mit 29 Flügen insgesamt 756 Menschen abgeschoben worden. Mit dem 30. Flug waren es genau 800. Die Zahl von 317 Menschen bezieht sich nur auf 2019.  Soweit Thomas Nowotny am 5. 12. im Update zur Petition "Keine Abschiebungen nach Afghanistan!"