Zum CDU-Vorstoß für Abschaffung des Individualrechts auf Asyl

09.08.2023 Eine Zusammenstellung von Veröffentlichungen zum Thema:

 

Fraktionsgeschäftsführer Frei Union will Individualrecht auf Asyl abschaffen

Tagesschau: Stand: 18.07.2023 13:51 Uhr

Der Geschäftsführer der Unionsfraktion, Frei, will das Individualrecht auf Asyl durch eine neue Regelung ersetzen. Er schlägt ein EU-weites Kontingent vor. Vertreter aller Regierungsparteien reagierten sofort ablehnend.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei (CDU), plädiert dafür, das Individualrecht auf Asyl in der Europäischen Union abzuschaffen. Stattdessen solle es künftig eine "Institutsgarantie" geben, in deren Rahmen die EU jährlich ein Kontingent von 300.000 bis 400.000 Schutzbedürftigen direkt aus dem Ausland aufnehmen und auf die Mitgliedstaaten verteilen könnte, schrieb Frei in einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Eine Antragstellung auf europäischem Boden wäre so nicht mehr möglich und der Bezug von Sozialleistungen "umfassend ausgeschlossen".

Die bisherige Praxis in Europa, die auf dem individuellen Asylrecht basiere, sei "zutiefst inhuman" und gefährde die Gesellschaften, begründete Frei seine Forderung. Theoretisch hätten 35 Millionen Afghanen das Recht, in Deutschland aufgenommen zu werden, schrieb der CDU-Politiker. "Damit möglichst wenig Menschen ihr Recht in Anspruch nehmen, knüpfen wir es an die Voraussetzung eines Antrages auf europäischem Boden." Diese Auswahl sei inhuman, da so das "Recht des Stärkeren" gelte, argumentierte Frei: "Wer zu alt, zu schwach, zu arm oder zu krank ist, ist chancenlos."

Da es kaum gelinge, zwischen Schutzbedürftigen und Wirtschaftsmigranten zu unterscheiden, gefährde diese Politik auch die Gesellschaften Europas. "Selbst in den skandinavischen Staaten ist in den letzten Jahren nach überwiegender Auffassung der Bevölkerung die Belastungsgrenze überschritten worden", so Frei.

Deshalb müsse Europa sein Asylrecht neu gründen. Aus dem Individualrecht auf Asyl müsse eine Institutsgarantie werden. "Mit einem solchen Asylrecht könnte Europa sich nicht nur an die Schwächsten wenden, sondern sehr genau dort helfen, wo Staaten durch große Flüchtlingsströme destabilisiert werden", erläuterte der CDU-Politiker.

"Realitätsfremd" und "unseriös"

In der Regierungskoalition löste der Vorschlag Irritationen und Kritik aus. "Der Vorschlag von Thorsten Frei ist realitätsfremd und geht ins Leere, da er illegale Migration nicht stoppen wird", sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese. Besser sei eine nachhaltige Bekämpfung von Fluchtursachen. Wiese bezeichnete das individuelle Recht auf Asyl als "eine wichtige humanitäre Errungenschaft, die die Mütter und Väter des Grundgesetzes aus gutem Grund nach dem Zweiten Weltkrieg dort installiert haben".

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai bezeichnete Freis Vorstoß im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland als "unseriös".

"Warum es unmenschlich sein soll, dass jemand erstmal vorträgt, warum er Schutz braucht, das geht mir nicht in den Kopf", sagte der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour bei RTL/ntv. Man müsse sich auf die Unterstützung der Kommunen bei der dauerhaften Versorgung und Integrationsarbeit konzentrieren.

Auch Außenministerin Annalena Baerbock zeigte sich irritiert. "Offensichtlich sind wir schon im Sommerloch", antwortete die Grünen-Politikerin am Rande ihrer Sommertour, als ein Journalist sie darauf ansprach.

 

 

Tagesschau Analyse 18.07.2023

Warum Asylrecht ein individuelles Recht ist

...Im Grundgesetz ist Asyl ein individuelles Recht Nach dem Grundgesetz ist das Asylrecht klar ein individuelles Recht. Und wie Verfassungsrechtler Johannes Masing in einem Grundgesetz-Kommentar schreibt: Das Asylgrundrecht steht nicht unter dem "Vorbehalt der Leistungsfähigkeit des Gemeinwesens". Denn wie immer im Rechtsstaat: Ob ein Recht gilt, hängt grundsätzlich nicht davon ab, wie der Staat bei der Durchsetzung dieses Rechts finanziell kalkuliert.

Player: videoGerald Knaus, Migrationsforscher, zu CDU-Vorschlag von Asyl-Aufnahmekontingente 4 Min

Gerald Knaus, Migrationsforscher, zu CDU-Vorschlag von Asyl-Aufnahmekontingente

Morgenmagazin, 19.07.2023 07:00 Uhr

Zu der Frage aber, ob das Asylgrundrecht ganz abgeschafft werden könnte, gibt es widersprüchliche Aussagen des Bundesverfassungsgerichts. In einem Urteil von 1996 hat Karlsruhe gesagt: Der Asyl-Artikel gehöre nicht zum Grundbestand der Verfassung und könnte auch abgeschafft werden.

Ein paar Jahre zuvor hatte das Verfassungsgericht noch geurteilt: Das Asylrecht biete individuellen Schutz und der folge gerade auch aus der Menschenwürde. Wenn das Asylrecht Teil der Menschenwürdegarantie ist, dann käme eine Abschaffung nicht infrage. Auch nicht durch eine Grundgesetzänderung.

Auf Völkerrecht und Europarecht kommt es an

Nur die wenigsten Geflüchteten, die derzeit nach Deutschland kommen, erhalten Schutz nach dem Grundgesetz. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge waren es im vergangenen Jahr nur 0,8 Prozent. Wichtiger ist der Schutz nach dem Europa- und Völkerrecht.

Und auch hier ist die Lage klar: Richtlinien des Europarechts regeln das Asylrecht als individuelles Recht mit einer Einzelfallprüfung. Diese Richtlinien sollen nach den Vorschlägen aus der CDU nun geändert werden. Selbst wenn die EU-Staaten geschlossen ihr Recht ändern würde, wäre sie aber immer noch an Völkerrecht, vor allem an die Genfer Flüchtlingskonvention gebunden.

Das betont Anuscheh Farahat, Professorin für Öffentliches Recht, Migrationsrecht und Menschenrechte an der Universität Erlangen-Nürnberg. "Den Individualanspruch aus Asyl kann man nicht so einfach abschaffen", sagt sie. Die EU und ihre Mitgliedstaaten blieben "aus völkerrechtlichen Gründen verpflichtet, einen individuellen Anspruch auf Asyl vorzusehen."

Individueller Schutz nach dem Völkerrecht

Die Genfer Flüchtlingskonvention ist die völkerrechtliche Grundlage für den Flüchtlingsschutz in Deutschland und Europa. Und gerade im Völkerrecht - in der Genfer Konvention aber auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention - gibt es ein wichtiges Prinzip, den sogenannten Grundsatz der Nichtzurückweisung. Im Fall der Verfolgung hätten Menschen "einen individuellen Anspruch, dass ihr Schutzbedürfnis geprüft wird", erklärt Rechtsprofessorin Farahat.

Im Falle der Schutzbedürftigkeit dürfe kein Staat jemanden dorthin zurückweisen, wo Leben und Freiheit wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe bedroht sind. Dieser Grundsatz formuliert einen individuellen Schutzanspruch. Eine "Institutsgarantie" mit festen Kontingenten und Aufnahme-Obergrenzen, wie jetzt aus der CDU vorgeschlagen, würde also gegen Standards des Flüchtlingsschutzes verstoßen. Und dass die EU geschlossen aus der Genfer Flüchtlingskonvention aussteigt, ist politisch kaum vorstellbar.

Geflüchtete erster und zweiter Klasse?

CDU-Politiker Frei hat außerdem ein "Antragsrecht" für Menschen vorgeschlagen, die aus unmittelbaren Nachbarstaaten der EU kommen. Bei einem "Massenzustrom wie derzeit im Falle der Ukraine" würde Europa dann "für einen längeren Zeitraum kein Kontingent" von Geflüchteten "aus dem entfernten Ausland mehr aufnehmen." Dieser Vorschlag klingt sehr nach einem System, das zwei Gruppen von Geflüchteten unterscheiden würde.

Das erinnert an eine Debatte direkt nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. Zu Beginn des Ukraine-Kriegs kam zum ersten Mal die "Massenzustrom-Richtlinie" zu Anwendung. Ukrainische Geflüchtete erhalten Erleichterungen bei Arbeitserlaubnis, Bewegungsfreiheit und Familiennachzug. Damals wurde diskutiert, ob Europa auf diese Weise Geflüchtete "erster und zweiter Klasse" schaffe und ob es gerechtfertigt, sei Menschen vorrangig zu helfen, die dem Aufnahmeland politisch und kulturell vermeintlich näher seien.

Einige Juristen haben sich für die Möglichkeit unterschiedlicher Schutzstandards ausgesprochen. Daraus aber Rückschlüsse auf die neuen Forderungen aus der CDU zu ziehen, ist kaum möglich. Denn: Völkerrecht und Europarecht sehen eindeutig vor: Flüchtlingsschutz ist ein Menschenrecht und das gibt dem einzelnen Geflüchteten individuellen Schutz - unabhängig davon, ob dieser aus der Ukraine flieht oder aus anderen Teilen der Erde nach Europa kommt. 

"Ein rechtspopulistischer Vorschlag"

Rechtspolitisch gesehen sei der Vorschlag von Thorsten Frei ein "rechtspopulistischer Vorschlag" meint Rechtsprofessorin Farahat. Er sei aus völkerrechtlichen und menschenrechtlichen Gründen nicht umsetzbar. 

Es gehe auch nicht darum, eine Kleinigkeit im Asylrecht zu ändern, sondern es sei ein "Vorstoß, der das Bekenntnis zu Menschenrechten ganz grundlegend berührt und infrage stellt".

 

 

TAZ, 18.07.2023

Asylrecht des Einzelnen infrage gestellt: CDU dreht frei

Der parlamentarische Geschäftsführer der Union, Thorsten Frei, kritisiert das Individualrecht auf Asyl. Aus seiner Partei kommt viel Zuspruch.

BERLIN taz | Es ist ein Debattenbeitrag, mit dem die CDU ihr Profil in Migrationsfragen scharf nach rechts rückt: Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktionen im Bundestag, Thorsten Frei, hat am Dienstag ein Ende des Rechts des Einzelnen auf Asyl in den Ländern der Europäischen Union gefordert. „Aus dem Individualrecht auf Asyl muss eine Institutsgarantie werden. Eine Antragstellung auf europä­ischem Boden wäre nicht länger möglich, der Bezug von Sozialleistungen und Arbeitsmöglichkeiten umfassend ausgeschlossen“, schrieb der Politiker in einem Debattenbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Frei erhielt von Kolleginnen und Kollegen aus seiner Partei Zuspruch, aus den anderen Lagern wurde er scharf kritisiert.

Frei meinte, das europäische Asylrecht und damit auch die deutsche Asylpraxis gründeten auf einer „Lüge“. „Wir gestalten unser Asylrecht als Individualrecht aus und sind zugleich nicht bereit, den Anspruch in unbegrenztem Umfang einzulösen, der daraus resultiert.“ Der CDU-Politiker aus Baden-Württemberg schlug vor, dass die Europäische Union stattdessen jährlich ein Kontingent von 300.000 oder 400.000 Schutzbedürftigen direkt aus dem Ausland aufnehmen und in den teilnehmenden Staaten verteilen solle.

Die Organisation Pro Asyl kritisierte, Frei lege mit seinem Vorstoß „die Axt an den internationalen Flüchtlings- und Menschenrechtsschutz“. Die Pläne bedeuteten „den Ausstieg aus der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der EU-Grundrechtecharta“, sagte Pro-Asyl-Sprecher Karl Kopp. „Es ist bitter, dass die Union damit die Positionen der Rechtsextremen übernimmt.“

Aus der CDU erhielt der Parlamentarische Geschäftsführer viel Zuspruch. Die gesellschaftlich liberal gesinnte Kultusministerin aus Schleswig-Holstein, Karin Prien (CDU), bezeichnete den Beitrag Freis bei Twitter als „diskussionswürdig“. Sie sprach sich dort zwar für ein „Recht auf politisches Asyl“ aus, bezeichnete aber die gegenwärtige Rechtskonstruktion im Grundgesetz als „in der Praxis dysfunktional“. Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Jens Spahn stimmte bei Twitter mit der Diskussionslogik Freis überein.

Die Bundesregierung kritisiert den Vorstoß

Doch Frei erntete auch harten Widerspruch aus den eigenen Reihen. „Unser Asylrecht gründet nicht, wie Thorsten Frei meint, auf einer Lüge, sondern auf dem christlichen Menschenbild und der Genfer Flüchtlingskonvention“, sagte Christian Bäumler, stellvertretender Bundesvorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) der taz.

Die Umwandlung des Asylrechts ginge nur über eine Abschaffung der europäischen Grundrechte-Charta. „Die Politik sollte nicht den Ast absägen, auf dem wir alle sitzen“, so Bäumler. „Die Abschaffung des Asylrechts würde zudem keinen einzigen Menschen davon abhalten, nach Europa zu flüchten.“

Auch aus allen drei Regierungsparteien und der Linkspartei kam Kritik an Freis Vorstoß. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese bezeichnete den Vorschlag als „realitätsfremd“, da er illegale Migration nicht stoppen werde. „Warum es unmenschlich sein soll, dass jemand erst mal vorträgt, warum er Schutz braucht, das geht mir nicht in den Kopf“, sagte der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai verwies gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland auf die Reform des gemeinsamen Europäischen Asylsystems. „Es wäre gut, wenn die CDU mit Ernsthaftigkeit diese Bemühungen unterstützen würde.“

 

 

Rat für Migration e.V. 19.07.2023

Das individuelle Asylrecht ist die historische Konsequenz aus dem Scheitern von Kontingent-Lösungen

In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, die Abschaffung des individuellen Asylrechts gefordert. Dieses solle durch eine Kontingent-Lösung ersetzt werden.

Der Rat für Migration, ein Zusammenschluss von 220 Migrationswissenschaftler:innen aus dem deutschsprachigen Raum, kritisiert den Vorstoß. Dieser verkennt zum einen, dass das individuelle Asylrecht historische Konsequenz aus dem Scheitern von Kontingent-Lösungen ist. Zum anderen ignoriert er die menschenrechtlichen Garantien die deutsche und europäische Gerichte in den letzten 30 Jahren entwickelt haben. Der Vorschlag ist ein Angriff auf den nationalen und internationalen Menschenrechtsschutz und widerspricht den europäischen Werten und europäischem Recht.

Während des zweiten Weltkrieges schlossen viele europäische Staaten ihre Grenzen für Flüchtlinge, darunter deutsche Jüd:innen und andere politische Verfolgte und erlaubten höchstens kleinen Kontingenten die Einreise. Als Konsequenz dieser Mitschuld europäischer Staaten enthalten die Genfer Flüchtlingskonvention, die Europäische Grundrechtecharta, die Europäische Menschenrechtskonvention und auch das deutsche Grundgesetz einen individuellen Anspruch auf ein Verfahren, um zu garantieren, dass alle Personen, die Schutz benötigen, diesen auch erhalten können.

Das individuelle Asylrecht ist das Fundament des gegenwärtigen Schutzsystems. Eine Abschaffung dieses Rechts und eine Rückkehr zu Kontigent-Lösungen, wie sie vor dem zweiten Weltkrieg existierten, ist nicht geeignet, einen wirksamen Flüchtlingsschutz im 21. Jahrhundert zu ermöglichen. Im Gegenteil würde dieser Vorschlag  das System der Flüchtlingsaufnahme mit mehr Willkür belasten und die Lösung zu einem Instrument innenpolitischer Konflikte machen.

Zeitgleich bestehen grundsätzlich Zweifel an der Umsetzbarkeit des Vorschlags. Denn er würde die Abschaffung des Art. 16a Grundgesetz, sowie den Austritt aller EU-Staaten aus der EMRK und der Genfer Flüchtlingskonvention erfordern. Gleichzeitig müsste auch die Verpflichtung zur Einhaltung der Grundrechtecharta und der EMRK, die in Art. 6 EUV verankert ist, ebenfalls abgeschafft werden. Angesichts der Tatsache, dass über 90 % der schutzberechtigten Personen ausserhalb von Industrieländern Schutz finden, wäre dies auch eine Bankrotterklärung der EU, die den Werten in Art. 2 des EUV (Vertrag über die Europäische Union) widersprechen würde.

Zudem würde die Verweigerung des Zugangs zu Sozialleistungen der durch Art. 1 Grundgesetz garantierten Menschenwürde widersprechen. Diese müsste ebenfalls geändert werden, was wegen der Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes unmöglich erscheint.

 

 

24.07.2023 Deutschlandfunk

MigrationspolitikSoll das individuelle Recht auf Asyl gekippt werden?

Kontingente von Flüchtlingen statt individuelles Asylrecht: Über diesen Vorstoß des CDU-Politikers Thorsten Frei wird heftig debattiert. Nicht praktikabel, sagt zum Beispiel Helge Lindh (SPD). Die Lage von Schutzbedürftigen würde sogar schlechter.

Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hat mit einem Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ am 18. Juli 2023 eine weitere Debatte über europäische Flüchtlingspolitik ausgelöst. Was betrachtet Frei als Kernproblem und welche Lösungen soll es stattdessen geben?

Inhalt

Welche Probleme sieht Frei?

In dem „FAZ“-Artikel beschreibt Frei seine Sicht auf die Asylpolitik unter anderem folgendermaßen:

„Wir machen uns mit Autokraten gemein, damit sie Menschen von unseren Grenzen fernhalten, und sehen weg, wenn Staaten zu illegalen Zurückweisungen an den EU-Außengrenzen schreiten. Damit möglichst wenig Menschen ihr Recht in Anspruch nehmen, knüpfen wir es an die Voraussetzung eines Antrages auf europäischem Boden und initiieren damit einen viel zu oft tödlich verlaufenden Wettlauf, in dessen Rahmen nur eines gilt: das Recht des Stärkeren.“

Rückendeckung von Merz

Soll heißen: Vor allem junge Männer schaffen es, in Europa einen Asylantrag zu stellen. Die wirklich Schutzbedürftigen bleiben außen vor. Sein Vorschlag ziele darauf ab, „im Grunde unhaltbare Zustände hier in Europa im Bereich der Migrationspolitik“ zu lösen, sagt Frei im Dlf-Interview.

Aus der Union bekommt der Politiker Rückendeckung, vor allem von CDU-Parteichef Friedrich Merz. Ablehnend reagieren die Ampel-Parteien: geschichtsvergessen und realitätsfremd sei die Idee. Linke und AfD äußern ebenfalls Kritik.

Welche Vorschläge zum Asylrecht macht Frei?

Der Vorstoß des CDU-Politikers sieht vor, jährlich 300.000 bis 400.000 Flüchtlinge im Ausland auszuwählen – zum Beispiel durch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR – und in Europa zu verteilen. Das Recht des Einzelnen auf Asyl, wie es in Artikel 16a des Grundgesetzes steht, soll demnach entfallen.

Europäisches AsylrechtFrei (CDU): Wir brauchen einen Paradigmenwechsel  11:10 Minuten21.07.2023

CDU-AsylvorschlagLindh (SPD): Wir dürfen Verfolgte nicht zurückweisen 13:12 Minuten21.07.2023

Kommentar zu Thorsten Frei und die angeblichen Defizite des Asylrechts 03:21 Minuten18.07.2023

Nach Freis Überzeugung muss in Europa gehandelt werden, da das Migrationsrecht „weitgehend vergemeinschaftet“ sei. Tatsächlich gibt es kein europäisches Asylrecht, sondern viele Vorschriften: zur Prüfung von Schutzansprüchen oder zur Verteilung von Flüchtlingen. Frei möchte, dass hier „die Grundlagen in sämtlichen europäischen Richtlinien und Verordnungen“ angefasst werden.

„Mein Vorschlag würde einen Paradigmenwechsel bedeuten“, betont Frei. Über ein Kontingent für Schutzbedürftige einerseits und über Fachkräftezuwanderung andererseits würde die Migration begrenzt, gesteuert und geordnet.

Welche Positionen sind besonders umstritten?

Als „unterkomplex“ bezeichnet der SPD-Politiker Helge Lindh Freis Vorschlag. So habe die Idee der Kontingente „einen riesigen Haken“: Es dauere momentan „ewig“, schutzbedürftige Menschen zu identifizieren. Bevor sie kommen könnten, seien sie „im Zweifelsfall schon tot oder Opfer von Verfolgung und Folter“ geworden.

Freis „Paradigmenwechsel“ würde die Situation für Schutzbedürftige also „viel schlechter“ machen, ihnen weniger Perspektiven bringen und nur darauf abzielen, „Zahlen zu reduzieren“.

Lindh sieht in Freis Idee zudem einen „grundlegenden Verstoß gegen diverse rechtliche Grundlagen“.

Die Genfer Flüchtlingskonvention ist die Grundlage

Europäische Regelungen fußen auf dem Völkerrecht. Darauf weist Dlf-Chefkorrespondent Stephan Detjen hin: „Wer das Recht auf eine individuelle Prüfung von Asylanträgen an den europäischen Außengrenzen abschaffen will, muss zuvor die Genfer Flüchtlingskonvention aufkündigen.“ Diese enthält ein Rückführungsverbot. Danach dürfen Schutzsuchende in kein Land zurückgewiesen werden, in dem ihnen Verfolgung droht. Das erfordert eine Einzelfallprüfung.

Auch der Jura-Professor Daniel Thym betont, dass ein Abschiebeverbot weiter existierte, selbst wenn man die Genfer Flüchtlingskonvention änderte:

„Internationale Gerichte legen die Menschenrechte so aus, dass eine Rückführung auch dann illegal ist, wenn keine Verfolgung aus politischen oder religiösen Gründen droht, wohl aber schwerste Menschenrechtsverletzungen“, schreibt Thym in der FAZ. Davon profitierten nach Rechtsprechung des Straßburger Menschenrechtsgerichtshofes sogar jene, „denen bei einer Abschiebung eine existentielle Notlage bei extremer Armut droht“.  

„Effektiver Grenzschutz“

Der CDU-Politiker Frei argumentiert, dass man die Anforderungen der Genfer Flüchtlingskonvention auch im Wege von Kontingenten erfüllen könne. „Das machen im Übrigen auch die meisten Länder in der Welt so“, sagt er. Und: „Im Regelfall ist Europa von Ländern umgeben, in denen den Menschen gerade keine Verfolgung droht.“ Im Kern gehe es um „effektiven Grenzschutz“.

Welche Ansätze für eine humanere Asylpolitik sehen Kritiker?

Defizite in der jetzigen Asylpolitik beklagt auch der SPD-Politiker Lindh. Wegen der scharfen Visa-Regelungen der EU könne man „kaum anders als irregulär“ einreisen. Menschen, die wirklich Schutz durch das Asylrecht benötigen, hätten „schlechte Chancen“.

Zudem kritisiert Lindh „einseitige“ Abkommen wie mit der Türkei oder Tunesien, die gegen Geld Flüchtlinge aufhalten sollen: „Die EU ist notorisch erpressbar.“ Faire Partnerschaften böten dagegen auch Möglichkeiten legaler Einwanderung. Er sieht sich darin mit dem Migrationsexperten Gerald Knaus einig.

„Es fehlen Vereinbarungen“

„Das echte Problem ist, dass wir es nicht schaffen derzeit, die Migrationsabkommen zu schließen, die wir brauchen“, sagte Knaus im ARD-„Morgenmagazin“. Freis Vorschlag würde an der aktuellen Situation nichts verbessern. Es fehlten Vereinbarungen, um Ausreisepflichtige aus der EU zurückzubringen.

Der SPD-Politiker Lindh fordert, individuelles Asylrecht mit Aufnahmeprogrammen zu kombinieren, Migrationsabkommen zu schließen und vor allem Solidarität in Europa zu üben.

bth, epd, dpa, KNA

 

 

Zeit Online, Aktualisiert am 29. Juli 2023

Asylrecht: Das Grundrecht des Stärkeren?  Interview mit Frei und Knaus

Der CDU-Politiker Thorsten Frei will das individuelle Recht auf Asyl abschaffen, weil es gerade den Schwächsten nicht helfe. Der Migrationsexperte Gerald Knaus entgegnet, Veränderungen seien zwar nötig. Aber Freis Idee hält er für gefährlich.

Interview: und

DIE ZEIT: Herr Frei, Sie möchten das Grundrecht auf Asyl abschaffen. Es sei letztlich "inhuman", schrieben Sie vorige Woche in einem Beitrag in der FAZ. Erklären Sie das bitte.

Thorsten Frei: Es geht mir nicht um das Abschaffen eines Grundrechts, sondern um eine Reform. Mit "inhuman" meine ich die Asylpraxis. Unser Asylrecht ist so konzipiert, dass wir theoretisch 35 Millionen Menschen aus Afghanistan aufnehmen müssten. Weil ein solcher Zuzug jede Gesellschaft überfordern würde, tun wir in Europa eine Menge dafür, damit möglichst wenige ihr Recht in Anspruch nehmen. Insbesondere knüpfen wir es an die Voraussetzung eines Antrags auf europäischem Boden. Die Folge: Es gilt das Recht der Stärksten. Nur sie schaffen die riskante Reise übers Mittelmeer. Wer zu alt, zu schwach, zu arm oder zu krank ist, ist chancenlos. Hinzu kommt: Selbst jene, die gar nicht schutzbedürftig sind, dürfen meist bleiben.

Gerald Knaus: Ich teile Ihre Analyse, dass der Status quo an den Grenzen der EU unmenschlich ist. Dieses Jahr starben bereits 2000 Menschen im Mittelmeer. In Libyen hilft die EU, Migranten vom Meer zurückzubringen, die dann gequält und gefoltert werden. Ich teile auch Ihr Ziel, die irreguläre Migration drastisch zu reduzieren. Aber Ihr Vorschlag wird weder zu weniger irregulärer Migration noch zu weniger Leid führen. Die Frage, wie Rückführungen funktionieren sollen, klärt er nicht.

Frei: Das sehe ich anders. Europa könnte, wie ich vorschlage, großzügige Aufnahmekontingente für, sagen wir, 300.000 oder 400.000 Schutzbedürftige pro Jahr schaffen. Daneben gäbe es Möglichkeiten für Arbeitsmigration. Andererseits würden alle anderen Menschen, die irregulär zu uns kommen, in sichere Drittstaaten zurückgeführt. Solange sie hier sind, bekämen sie keine Arbeit und keine individuelle Asylrechtsprüfung. Das heißt: Alle Lockmittel wären dann weg. Das Geschäftsmodell der Schlepper wäre zerstört.

ZEIT: Sie wollen das individuelle Asylrecht abschaffen und durch eine Institutsgarantie ersetzen. Statt "Politisch Verfolgte genießen Asyl" stünde im Grundgesetz dann so etwas wie "Das Asylrecht wird auf Grundlage bestimmter Gesetze gewährleistet".

Frei: Ja. Schon heute haben wir weniger als einen Prozent Schutzberechtigte aufgrund des Asyl-Artikels 16 im Grundgesetz.

Knaus: Rückführungen müssen auch im Einklang mit der Menschenrechtskonvention und EU-Grundrechtecharta stehen. Extrem rechte Parteien in ganz Europa stellen diese infrage. Sie wollen Menschen an den EU-Außengrenzen ohne jedes Verfahren abweisen. Ihr Vorbild ist Viktor Orbán, der genau das tut. Er hat das Recht, in Ungarn Asyl zu beantragen, abgeschafft – rechtswidrig laut Europäischem Gerichtshof. 2024 sind Europawahlen, und da ist es gefährlich, über den Sinn von Grundrechten zu debattieren, während die Lage an den Außengrenzen unverändert bleibt. Das hilft den Kräften, die wie Orbán die Rechtsstaatlichkeit in der EU zerstören wollen.

Frei: Einspruch! Eine Mitte-Partei wie die CDU kann eine Debatte, die geführt wird, nicht totschweigen aus Angst, dass sie auch den Falschen nützen könnte. Genau das wäre ein Konjunkturprogramm für die Radikalen. Entscheidend ist doch, wie man die Debatte führt. Kein Rechtspopulist würde vorschlagen, dass Europa jährlich Hunderttausende Schutzsuchende aufnimmt, wie ich das tue. Zumindest sind wir uns wohl darin einig, dass wir eine ehrlichere Debatte benötigen. Die haben wir jahrelang nicht geführt.

ZEIT: Wer ist "wir"?

Frei: Damit meine ich die gesamte Politik, mich eingeschlossen. In den vergangenen zehn Jahren sind 30.000 Migranten im Mittelmeer ertrunken, und keiner weiß, wie viele in der Sahara umgekommen sind. Auf der anderen Seite hat die völlig ungesteuerte Migration in Europa Rechtspopulisten erstarken lassen – Parteien, die nicht ein besseres Asylrecht möchten, sondern gar keines. Deshalb müssen wir uns endlich auf weitreichende Änderungen verständigen.

ZEIT: Herr Knaus, ein Sprecher von Pro Asyl kommentierte Herrn Freis Vorschlag so: "Es ist bitter, dass die Union damit die Positionen der Rechtsextremen übernimmt." Was halten Sie von dieser Bewertung?

Knaus: Ich teile sie nicht. Das Ziel "weniger irreguläre Migration" ist nicht rechtsextrem, das steht auch im Ampel-Koalitionsvertrag. Rechtsextrem wird es, sobald die Menschenwürde geopfert wird. Wenn AfD-Leute den Einsatz der Schusswaffe an den Grenzen fordern. Wenn sogar Minderjährige in Wälder getrieben werden, wie von Polen aus nach Belarus schon heute. Wer die Menschenwürde achtet, der darf nicht sagen: Wir schieben ab, ohne uns darum zu kümmern, was danach passiert. Der Kern der Debatte muss sein: Wie halten wir die Menschen davon ab, sich auf den oft lebensgefährlichen Weg nach Europa zu begeben – ohne dass wir unsere Werte opfern?

ZEIT: Was schlagen Sie vor?

Knaus: Zu uns kommen viele irregulär, die nicht Schutz suchen, sondern Arbeit. Die meisten bleiben dann, ihre Abschiebung funktioniert selten. Daher braucht es mehr Abkommen wie das 2022 zwischen Griechenland und Bangladesch. Ab einem Stichtag muss Bangladesch jeden seiner ausreisepflichtigen Bürger sofort zurücknehmen, dafür können sich jedes Jahr 4000 als Arbeitskräfte legal bewerben. Das nützt beiden Seiten.

Frei: Das Problem ist: Solche Abkommen funktionieren nur, wenn auch die andere Seite ein echtes Kooperationsinteresse hat. Unsere Rückführungsabkommen mit Marokko und Algerien funktionieren deswegen nicht. Selbst der EU-Türkei-Deal 2016, an dem Sie maßgeblich mitgewirkt haben, Herr Knaus, und den ich befürwortet habe, hat nicht lange gewirkt: Erst haben die Türken davon Abstand genommen, dann die Griechen.

Knaus: Klar, Abkommen funktionieren nur, wenn beide Länder ein Interesse an ihnen haben. Bei der Türkei war das vier Jahre lang so, und in der Zeit ist die Zahl derer, die von dort nach Griechenland kamen, drastisch gesunken: von jährlich einer Million auf 30.000. Auch in Tunesien oder Marokko könnte Europa ein Interesse schaffen, ab einem Stichtag Leute zurückzunehmen, durch Visa-Erleichterungen oder Kontingente für unseren Arbeitsmarkt. Die Chancen, Migration zu reduzieren, ohne die Menschenwürde zu opfern, sind längst nicht ausgeschöpft.

Frei: Das sind kluge Überlegungen, sie haben aber bisher den Praxistest nicht bestanden.

ZEIT: Herr Frei, im vergangenen Jahr gab es etwa eine Million Asylbewerber in Europa. Glauben Sie wirklich, dass die alle wegbleiben, sobald das Grundrecht auf Asyl durch eine Kontingentlösung abgelöst wäre? Und was machen Sie mit den Migranten, die trotzdem weiter an den Außengrenzen ankommen würden?

Frei: Wir werden einen effektiven und robusten Außengrenzschutz brauchen. Anders wird es nicht gehen. Aber das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Funktionierender Grenzschutz nach außen war immer die Grundlage für Grenzfreiheit innerhalb der EU – nur dass wir den nie geschaffen haben. Ich will aber Herrn Knaus in einem Punkt recht geben: Unumstößliches Fundament für unsere Politik muss die Achtung der Menschenwürde sein. Daran zu rütteln, verbietet das Grundgesetz, und das würde ich auch niemals wollen. Nur, wie wir diesen Menschenwürdeschutz ausgestalten, darüber müssen wir neu reden.

ZEIT: Herr Knaus, lässt sich ein menschenwürdiges Asylrecht auch ohne das Grundrecht auf Asyl schaffen?

Knaus: Blicken wir nach Großbritannien: Die Regierung in London ist fest entschlossen, die irreguläre Einwanderung über den Ärmelkanal zu stoppen. Sie will daher alle Migranten, die per Boot ankommen, in den ihrer Meinung nach sicheren Drittstaat Ruanda ausfliegen. Dazu hat das englische Berufungsgericht gerade eine wegweisende Entscheidung getroffen: Es verstoße nicht gegen die Flüchtlingskonvention, jemanden in einen sicheren Drittstaat abzuschieben. Allerdings brauche dieses Land dann ein gutes Asylsystem. Sonst bestehe die Gefahr, dass Leute, die in Ruanda landen, von dort ohne Schutz in ihre Heimatländer weitergeschickt werden. Und das würde die Menschenwürde verletzen.

ZEIT: Das heißt, man könnte den Menschenwürdeschutz auslagern?

Knaus: Es geht darum, lebensgefährliche Migration zu entmutigen und durch legale Mobilität zu ersetzen. Der beste Weg dazu ist Kooperation mit tatsächlich sicheren Drittstaaten. Die EU könnte jetzt versuchen, selbst ein Abkommen mit Ruanda zu schließen, damit jene, die aus Libyen kommen, dort den Asylantrag stellen. Das UNHCR könnte dort die Verfahren machen. Das würde dazu führen, dass Pakistaner oder Ägypter gar nicht mehr nach Libyen reisen. Im Koalitionsvertrag der Ampel steht, dass im Notfall geprüft werden soll, ob Schutz auch in Drittstaaten gewährt werden kann.

Frei: Leider tut die Bundesregierung aber gerade das Gegenteil. Als die EU-Staaten kürzlich ihren Asylkompromiss fassten, hat sich die deutsche Innenministerin Nancy Faeser mit Kräften gegen diese Drittstaatenregelung gewehrt. Sie tut nichts, um die Sogwirkung nach Europa zu begrenzen. Wir werden, die bisherigen Zahlen hochgerechnet, dieses Jahr vermutlich mehr als 300.000 Asyl-Erstanträge in Deutschland haben. Diese Zuwanderung trifft auf ein Land, in dem 700.000 Wohnungen fehlen, ebenso wie Plätze in Kitas und Schulen. Deswegen können wir nicht alles lassen, wie es ist.

ZEIT: Wenn wir Sie beide richtig verstehen, sind Sie sich doch in einem einig: Der unantastbare Menschenwürde-Kern des Asylrechts besteht darin, dass Menschen nicht wieder in ein Land zurückgebracht werden, in dem ihnen Verfolgung droht. Allerdings müsste dieser Schutz nicht notwendig in Deutschland selbst erfolgen.

Knaus: So sieht es die Flüchtlingskonvention vor. Ich denke, es ist kein Zufall, dass Deutschland und Österreich in den letzten Jahren weltweit pro Kopf am meisten Asyl vergeben haben. Sie haben vor Augen, dass im Zweiten Weltkrieg die demokratische Schweiz an ihrer Grenze ausgewählt hat, wer Schutz erhielt: Franzosen durften rein, sowjetische Zwangsarbeiter oder Juden aus Wien oder Berlin wurden zurückgeschickt, oft in den sicheren Tod. Als 1951 in Genf die Flüchtlingskonvention beschlossen wurde, war ihr Kerngedanke das Refoulement-Verbot: keine Zurückweisung in die Gefahr, niemals. Wir brauchen dafür den Beweis, dass ein Land wie Ruanda wirklich sicher ist. Daran sollten die EU und das UNHCR arbeiten.

Frei: Genauso ist es: Der Kern des Asylrechts ist letztlich das Non-Refoulement-Gebot. Alles, was darüber hinausgeht, unterliegt nicht der Ewigkeitsklausel des Grundgesetzes und lässt sich gesetzlich gestalten. Natürlich ist das alles nicht einfach. Wir müssten dafür eine Menge Migrationsvereinbarungen schließen. Aber ich halte es für möglich.

ZEIT: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, Ihr Unions-Kollege, ist da anscheinend skeptischer. Er hält es nicht für ausgemacht, dass Ihr Vorschlag "tatsächlich die erwünschten Erträge bringt".

Frei: Er ist skeptisch, wie schnell man zu Ergebnissen kommt. Und klar, mein Vorschlag ist eher perspektivischer Natur. Dafür habe ich, entgegen mancher Berichterstattung, aus der eigenen Partei sehr viel Zustimmung bekommen. Auch das, was ich an positiven Rückmeldungen aus der Bevölkerung bekommen habe, motiviert mich, an der Idee weiterzuarbeiten. Der kurzfristige Erfolg ist schon mal, dass die Debatte angefangen hat.

ZEIT: Diese Debatte hätte die Union allerdings schon vor Jahren anstoßen können. Die Kontingent-Idee ist ja nicht neu, einige Migrationsforscher vertreten sie schon ziemlich lange. Warum greift die CDU sie erst jetzt auf?

Frei: Es gibt ein schönes afrikanisches Sprichwort: Die beste Gelegenheit, einen Baum zu pflanzen, war vor 20 Jahren. Und die zweitbeste Gelegenheit ist jetzt.

ZEIT: Schönes Sprichwort. Aber keine Erklärung.

Frei: Wir haben in der Vergangenheit andere Wege verfolgt, auch aus historischen Erfahrungen heraus. Nur leider haben wir dadurch keine substanziellen Fortschritte erreicht, im Gegenteil: Wir haben in Europa eine desolate Migrationssituation. Deswegen müssen wir jetzt mal out of the box denken.

ZEIT: Man könnte auch annehmen, dass bis vor zwei Jahren Angela Merkel eine solche Debatte verhindert hat.

Frei: Sie hat, wenn Sie sich erinnern, gesagt, dass sich 2015 nicht wiederholen darf. Daraus müssen wir jetzt mal die richtigen Schlüsse ziehen.

Knaus: Angela Merkel hat immer klargemacht: Deutschland wird die Menschenwürde aller achten. Viele EU-Länder brechen heute das Recht, behandeln Schutzsuchende nicht im Einklang mit ihrer Würde. Das führt dazu, dass ein Land wie Deutschland mehr Asylanträge bekommt, weil niemand diese zum Beispiel in Ungarn stellen kann. Aber Angela Merkel wollte auch Kontrolle und verhandelte die EU-Türkei-Erklärung. Das hat dazu geführt, dass sehr viel weniger Menschen in der Ägäis ertrunken sind. Wir brauchen mehr solche Abkommen – und wir müssen sie dann auch besser umsetzen.