14.10.2020 letztes Update
07. Oktober 2020 Amnesty International: Statement zum Asyl- und Migrationspakt der Europäischen Kommission
Am 23. September 2020 hat die Europäische Kommission einen neuen Asyl- und Migrationspakt vorgestellt. Doch die Vorschläge der Kommission werfen viele Fragen auf.Gemeinsam mit über 70 Nichtregierungsorganisationen fordert Amnesty International die EU-Kommission deshalb auf, sich deutlicher zum Flüchtlingsschutz zu bekennen. Statt an einer Politik der Inhaftierung und Abschreckung an den EU-Außengrenzen festzuhalten, muss der Zugang zu einem fairen Asylverfahren gewährleistet werden.
Das Statement auf Englisch zum Download
24.09.2020 Ich sage »Nein zu einem Europa der Haft- und Flüchtlingslager«! ProAsyl legte sofort einen Appell / Petition an die Abgeordneten des EU-Parlaments auf: "Die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen hat am 23.09. ihren »New Pact on Migration and Asylum« vorgestellt. Die vielzitierte »europäische Lösung« entpuppt sich nun als Plan zur weiteren Entrechtung von Flüchtlingen. Wir protestieren dagegen und appellieren an die Abgeordneten des EU-Parlaments: Machen Sie nicht weiter mit, wenn in Europa Menschenrechte gebrochen werden. Lehnen Sie den Pakt ab!" Zur Petition hier
23.09.2020 Schnellanalyse von ProAsyl: Grenzverfahren unter Haftbedingungen – die Zukunft des Europäischen Asylsystems? Wenn es nach den Plänen der EU-Kommission geht, die sie im Rahmen des »New Pact on Migration and Asylum« am 23. September vorgestellt hat, dann ja. Die Vorschläge würden zu einem Zwei-Klassen-Asylsystem führen, wie die Schnellanalyse von PRO ASYL ergibt.
„Der Migrationspakt, den wir Ihnen heute vorstellen, ist ein frischer Start. Wir wollen damit an unseren Werten festhalten und gleichzeitig die Herausforderungen einer globalisierten Welt angehen.“ Mit diesen Worten stellte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den sogenannten »New Pact on Migration and Asylum« vor, einen Neuaufschlag für ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS). Ein frischer Start, schnellere Entscheidungen, gerechte Verfahren, das sei das Ziel. Frühere Reformvorschläge der Kommission von 2016 scheiterten an der Zerstrittenheit der EU-Mitgliedstaaten über die Aufnahme und Verteilung von Schutzsuchenden. An diesem Streit hat sich wenig geändert. Deswegen setzt die Kommission auf Themen, auf die sich alle einigen können: Abschiebungen und Abschottung. weiterlesen
25.09.2020 Bewertung von German-Foreign-Policy
Ein Pakt der Entrechtung - Von der Leyens EU-Migrationspakt ahmt illegale ungarische Maßnahmen nach. Westliche Mächte schaffen bereits neue Fluchtursachen.
BRÜSSEL (Eigener Bericht) - Der neue EU-Migrationspakt von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen übernimmt rechtswidrige Elemente der berüchtigten ungarischen Flüchtlingsabwehr und wird von Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert. Dem Pakt zufolge sollen Flüchtlinge, die aus Staaten mit geringer Asylanerkennungsquote kommen, in Lagern interniert werden. Die Haftdauer kann sich offiziell auf ein halbes Jahr addieren. Lager dieser Art ("Transitlager") hatte zuvor Ungarn errichtet, im Frühjahr aber ankündigen müssen, sie umgehend zu schließen, nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) die ungarische Internierungspraxis für illegal erklärt hatte. Die EU hat mit dem Bau entsprechender Lager bereits begonnen; eines ist auf der griechischen Insel Samos in Arbeit, ein weiteres soll auf Lesbos entstehen. Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen üben scharfe Kritik; von einem "teuflischen Pakt der Entrechtung" ist die Rede. Unterdessen schaffen die westlichen Mächte neue Fluchtursachen: Brutale Sanktionen hungern die Bevölkerung Syriens aus. weiterlesen
01.10.2020 Magazin Monitor mit Beitrag " EU-Migrationspakt: Neuanfang oder Etikettenschwindel?" Bei der Vorstellung des neuen EU-Migrationspakts versprach Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen "frischen Start". Helfen soll dabei die neue "EU-Asylagentur". Dabei gibt es die längst. Die Probleme an den griechischen Hotspots hat das nicht gelöst. - Darin eine kritische Beleuchtung der EASA in ihrer bisherigen Überprüfungspraxis von Neuankömmlingen in Moria. Am Ende des Berichts steht die Feststellung der Völkerrechtlerin Prof. Nora Markard: "Man muss sagen, dass der Pakt für die Grenzverfahren im Wesentlichen das vorsieht, was in Griechenland bereits zur Praxis gehört. Die massiven Rechtsverstöße an der Grenze, die Überlastung der Grenzverfahren usw. Das System, was wir in Moria jetzt seit fünf Jahren beobachten konnten, das soll jetzt europaweiter Standard werden.“
24.09.2020 In Brüssel wurde gestern der erwartete Entwurf für einen MIGRATIONSPAKT vorgestellt. Wir geben schnell einen ersten Überblick über die Berichterstattung, es werden weitere Bewertungen folgen.
Tagesberichte und Darstellung in den Medien
- Tagesschau 23.09.2020:
Beschluss der Kommission Was steht im EU-Migrationspakt?
Mit ihrem neuen Migrationspakt will die EU-Kommission den jahrelangen Streit unter den Mitgliedsstaaten beenden. Aber was steht in dem Papier? Und wird das die Kritiker vor allem in Osteuropa besänftigen?
Verfahren an der Grenze
Bevor ein Migrant ins Land kommt, soll der betroffene Staat nach Vorstellung der Kommission künftig an der Grenze eine Vorüberprüfung vornehmen - deutlich umfangreicher als bisher: Der Migrant wird registriert, Fingerabdrücke genommen, es gibt Gesundheits- und Sicherheitschecks. Kommen Asylsuchende aus einem Land mit einer geringer Anerkennungsrate - Tunesien oder Marokko etwa - soll es innerhalb von zwölf Wochen ein schnelles Grenzverfahren geben. Für alle anderen gilt ein "normales" Verfahren. Während der Verfahren schließt die EU-Kommission auch nicht aus, dass Migranten in geschlossenen Lagern festgehalten werden.
Umverteilung innerhalb der EU
Verpflichtende Umverteilungen von Schutzsuchenden nach Quoten auf alle EU-Länder soll es nicht geben. Diese Idee hatte die EU-Staaten in den vergangenen Jahren entzweit und galt der EU-Kommission offenbar als nicht durchsetzbar.
Anstelle verpflichtender Umverteilungen hat die Kommission daher ein mehrstufiges System entwickelt. Es soll finanzielle Anreize geben: Nehmen Länder Flüchtlinge aus anderen Mitgliedstaaten auf, sollen sie aus dem EU-Budget 10.000 Euro pro Person bekommen. Bei Minderjährigen sind es 12.000 Euro.
Dublin-Verfahren
An den derzeit gültigen Dublin-Regeln hält die EU-Kommission grundsätzlich fest - passt sie aber an. Heute ist jener EU-Staat für einen Asylantrag zuständig, auf dessen Boden der Schutzsuchende zuerst europäischen Boden betreten hat. Das belastet Länder wie Italien, Griechenland oder Spanien übermäßig. Die EU-Kommission will dafür sorgen, dass andere Kriterien ebenfalls eine wichtige Rolle spielen.
Wer in einem anderen Staat etwa Geschwister hat, dort früher schon mal studiert oder gearbeitet hat, soll dorthin kommen. Gleiches gilt, wenn ein Asylbewerber zuvor legal mit einem Visum in ein EU-Land gereist ist. Und auch gegen das Weiterziehen in andere EU-Staaten soll etwas unternommen werden. Dafür hatte sich Deutschland eingesetzt, das hier zu den Hauptzielländern gehört.
Seenotrettung
Hier setzt die Kommission zunächst auf freiwillige Zusagen der Mitgliedstaaten. Brüssel will zudem Empfehlungen für eine bessere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten und Nichtregierungsorganisationen bei der Seenotrettung erlassen. Sie will sicherstellen, dass die Grund- und Menschenrechte von Einwanderern an der EU-Außengrenze nicht verletzt werden. Überwachen soll das unter anderem Frontex.
- Tagesthemen 23.09.2020
Vorschlag der EU-Kommission zur Migrationspolitik: Schneller Abschieben, Schwedens Wechsel zu strenger Asylpolitik nach 2015, Interview mit Ylva Johansson, EU-Migrationskommissarin, über den Vorschlag der Kommission, Meinung von Markus Preiß, WDR, zur EU-Asylpolitik
Europäische Union EU-Kommission schlägt neuen "Migrations-Pakt" vor
EU-Staaten, die keine Migranten aufnehmen wollen, sollen sie als "Paten" für andere Staaten abschieben. Die EU-Kommission definiert Solidarität neu und will schnelle Verfahren. Aus Brüssel Bernd Riegert.
Die EU-Kommission verspricht etwas völlig Neues in der Asyl- und Migrationspolitik. "Im Moment haben wir ein nicht existierendes System und das muss sich ändern", sagt der EU-Kommissar für "europäischen Lebensstil", Margaritis Schinas. Das alte Dublin-System werde überwunden, kündigt Schinas an. Nach den Dublin-Regeln ist bislang der EU-Mitgliedstaat der ersten Einreise eines Asylbewerbers oder Migranten für diesen zuständig. Künftig könnten die Mitgliedstaaten wählen, ob sie Asylbewerber aufnehmen wollen oder lieber bei der Rückführung und Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern helfen wollen.
"Rückführungs-Patenschaften" sollen die Lösung sein
Diese Form von Solidarität sei nicht optional, sagt die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen. Die Solidarität sei verpflichtend. Eine feste Quote für die Verteilung von Migranten aus Griechenland oder Italien auf andere Mitgliedsstaaten werde es nicht geben, sagt die EU-Kommissarin für Migration, Ylva Johansson. Sie bestreitet aber gleichzeitig, dass sie vor den Staaten wie Ungarn oder Polen eingeknickt sei, die eine Aufnahme von Asylbewerbern oder Migranten seit 2015 kategorisch ablehnen. Solche Staaten sollten in Zukunft dann die Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern verpflichtend organisieren. Ein Beispiel: Ungarn würde dann wohl Menschen aus Afghanistan, die in Griechenland kein Asyl erhalten, aus Griechenland nach Afghanistan zurückschaffen. "Natürlich müssten alle internationalen Vorschriften eingehalten werden", sagt Ylva Johansson. Ungarn wäre auch die Wiedereingliederung der Zurückgeschobenen in Afghanistan zuständig. Diesen Weg nennt die EU-Kommission "Rückführungs-Patenschaften".
Einzelteile des Paktes
Die beiden Kommissare Schinas und Johansson skizzieren, wie das Verfahren zukünftig ablaufen soll:
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Ankommende sollen an allen EU-Außengrenzen innerhalb von fünf Tagen, erfasst, gesundheitlich untersucht auf Sicherheitsrisiken geprüft werden. In diesen fünf Tagen nach Ankunft soll außerdem bestimmt werden, ob überhaupt eine Aussicht auf Asyl in der EU besteht. Menschen, die aus Staaten kommen, bei denen die Anerkennungsquote unter 20 Prozent liegt, sollen in ein Schnellverfahren geschickt werden. Innerhalb von zwölf Wochen soll dann über einen Asylantrag noch an oder in der Nähe der Außengrenze entschieden werden.
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Die übrigen Asylbewerber sollen dann auf die EU-Mitgliedstaaten verteilt werden. Das Hauptkriterium wird künftig die Familienzugehörigkeit sein. Hat ein Asylbewerber Verwandte in Deutschland, Frankreich, Italien oder Spanien wird er dorthin zum Asylverfahren geschickt. Das aufnehmende Land kann sich die Nationalität der Asylbewerber, die es am liebsten hätte, wünschen. Hat der Asylbewerber keine Verwandten oder andere besondere Verbindungen zu einem EU-Staat, bleibt er im Land der ersten Einreise. Dann wäre dieses für sein Asylverfahren zuständig.
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Nach Angaben von Kommissarin Johansson soll es keine großen Lager, wie Moria auf Lesbos, mehr geben. Es komme vor allem darauf an, dass die Verfahren schnell abliefen und Rückführungen zügig durchgeführt würden. Die EU hat zurzeit Rückführungsabkommen mit 24 Herkunftsstaaten, "die aber nicht alle funktionieren", wie Ylva Johansson eingesteht. Afghanistan, Syrien und Irak, drei der hauptsächlichen Herkunftsländer sind nicht darunter. Die Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländer solle aber verstärkt werden, kündigt EU-Kommissar Margaritis an.
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Sollte ein Mitgliedsland als "Rückführungs-Pate" es nicht schaffen, abgelehnte Asylbewerber in ihre Herkunftsländer abzuschieben, wäre es nach acht Monaten verpflichtet, diese im eigenen Land aufzunehmen. Wäre also zum Beispiel Ungarn nicht in der Lage, 100 Afghanen aus Griechenland rückzuführen, würden diese Afghanen nach Budapest gebracht werden müssen. Die Frage, ob Ungarn und auch die betroffenen Afghanen das freiwillig mitmachen würden, ist offen.
Weitere Stimmen
Faire Asylverfahren statt Hotspot-System, veröffentlicht am 23. September 2020 von Ulla Jelpke:
„Die Asche von Moria ist noch heiß, und schon strickt die EU-Kommission an einer Ausweitung des menschenverachtenden Lagersystems auf die gesamte EU-Peripherie. In Schnellverfahren an den EU-Grenzen über die Schutzberechtigung von Menschen zu entscheiden, widerspricht dem Grundcharakter des Asylrechts massiv. Es ist offensichtlich, dass hiermit der Rechtsschutz ausgehebelt und das Abschreckungsregime durch neue Lager an den Außengrenzen verschärft werden soll. Ein solches Regime der Abschreckung hält niemanden von der legitimen Flucht aus Hunger, Not, Verfolgung und Krieg ab, sondern verursacht nur neues endloses Leid, wie wir es seit Jahren auf den griechischen Inseln sehen müssen. Solche menschenrechtswidrigen Vorprüfungen an den EU-Außengrenzen darf es auf keinen Fall geben“, kommentiert die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, die Vorschläge der EU-Kommission für eine Reform der EU-Migrations- und Asylpolitik. Ulla Jelpke weiter:
„Meine Befürchtungen, dass Moria als Blaupause für die Reform der EU-Migrations- und Asylpolitik herhalten soll, haben sich damit bestätigt. Eine Verstetigung des Hotspot-Konzepts wäre absolut fatal. Menschenrechte werden in den Lagern an den EU-Außengrenzen seit Jahren systematisch mit Füßen getreten. Schutzsuchende haben ein Recht auf rechtsstaatliche Asylverfahren in der EU, auch wenn dieses durch die Abschottungspolitik bereits faktisch stark eingeschränkt wird. Das Recht auf Einzelfallprüfungen darf durch die angekündigte Reform nicht noch weiter eingeschränkt werden. Vorprüfungen und geschlossene Aufnahmezentren an den EU-Außengrenzen kämen einer endgültigen Entrechtung von Geflüchteten gleich. Europäische Solidarität darf sich nicht daran messen lassen, wer sich verstärkt an gemeinsamen Abschiebungen beteiligt.“
27.09.2020 Deutsche Welle
Meinung: Der EU-Migrationspakt ist bereits gescheitert
Einige östliche EU-Regierungschefs lehnen die Vorschläge der EU-Kommission schroff ab. So wird aus dem "europäischen Haus für Migration" eher ein einstürzender Neubau, meint Bernd Riegert.
EU-Kommissisar Margaritis Schinas vergleicht den neuen "Migrationspakt" gerne mit einem dreistöckigen Haus. 1. Stock: Migranten in ihren Herkunftsländern halten. 2. Stock: EU-Grenzen so weit wie möglich schließen 3. Stock: Ayslbewerber, die trotzdem durchkommen, solidarisch auf die EU-Mitglieder verteilen - entweder zum Abschieben oder zur Aufnahme in willige Ländern.
Dieses filigrane Konstrukt einer neuen europäischen Asylpolitik hat der ungarische Premier Viktor Orban zusammen mit seinen Visegrad-Kollegen aus Polen, Tschechien und der Slowakei laut polternd wieder zum Einsturz gebracht. Vom 3. Stock, von Verteilung in der EU und "Abschiebe-Patenschaften" und "verpflichtender" Solidarität will Orban nichts wissen. Und auch Österreichs Anti-Migrations-Kanzler Kurz hält den Begriff Solidarität für falsch im Zusammenhang mit Asylbewerbern.
Schon jetzt lässt sich sagen - und das meinen auch viele Migrations-Forscher: So wird das nichts! Der Plan ist unrealistisch, weil ihn die hartleibigen Aufnahme-Verweigerer in Ost- und Mitteleuropa, in der Luft zerreißen. Orban, Kurz und Co. fordern ein lückenloses Schließen der Grenzen für "irreguläre" Migranten und ein sofortiges Zurückweisen aller Asylsuchenden an den Außengrenzen. Das würde das Ende des Rechts auf Asyl bedeuten, wie es die EU bisher hochgehalten hat und zu dem sie sich international verpflichtet hat.
Und nun? Jetzt werden wahrscheinlich wieder jahrelange Verhandlungen über die vielen Einzelteile des "Migrationspaktes" folgen, um am Ende zu erkennen, dass man sich nicht einigen kann. Schnellere Asylverfahren und mehr Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern könnte es jetzt bereits geben. Die sind schon geltendes EU-Recht. Warum die Mitgliedsstaaten dieses Recht nicht anwenden und Menschen stattdessen auf griechischen Inseln festhalten oder im Mittelmeer zwischen Libyen und Italien treiben lassen, ist ein Rätsel.
Perfide Abschreckungsstrategie
Es muss wohl Teil einer perfiden Abschreckungsstrategie sein. Die EU will beweisen, dass die Verhältnisse hier schlechter sind als in der Türkei, Libyen oder Syrien, damit die Menschen gar nicht erst kommen.
Sogar die für die Migration zuständige EU-Kommissarin Ylva Johansson spricht inzwischen von Abschreckung als Ziel des "Migrationspaktes". Zwei Drittel der Asylbewerber würden abgelehnt, so Johansson, und müssten daher auch zurückgeschoben werden. Das klingt gut. Das Problem ist nur, dass viele Herkunftsländer ihre Bürger nicht zurücknehmen. Oder nicht festzustellen ist, wo die Menschen herkommen oder sie untertauchen. Deshalb ist die Zahl der vollzogenen Abschiebungen unglaublich niedrig. Wie diese Umstände geändert werden sollen, lässt das Migrationshaus von Margaritis Schinas leider offen. Fehlt da noch ein Stockwerk?
Unrealistische Ziele
Der lang bebrütete Vorschlag der EU-Kommission wird schon nach drei Tagen Makulatur. Die Pläne Schinas' für das europäische Migrations-Häuschen haben fast nur Kritik geerntet. Lediglich lauwarme Unterstützung kam aus Berlin, Rom und Paris mit der Bemerkung, der Bauplan sei eine Verhandlungsgrundlage und ein Schritt in eine nicht näher definierte richtige Richtung.
Es drohen mehr Lager à la Moria
Und was hilft das alles den Menschen auf Lesbos, den Migranten, den Helfern, den Beamten, den Bewohnern der griechischen Inseln? Nichts.
Neue schreckliche Lager könnten entstehen. Es wird noch viel mehr Morias geben, wenn nach dem neuen Migrationspakt tatsächlich alle Prüf- und Asylverfahren direkt an der Grenze stattfinden sollen. Dann wird man die Menschen dort festhalten müssen, zu mal wenn sie von dort aus direkt in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden sollen. In Spanien und Italien müssten neue geschlossene Lager errichtet werden.
Einen vermeintlichen Trost haben die Baumeister des neuen europäischen Asyl-Hauses bereits: Angesichts der 140.000 irregulären Migranten, die jährlich in die EU kommen, könne man von einer Überlastung oder einer Krise nicht sprechen, meint die EU-Kommission. Deshalb solle man die Debatte nicht überdramatisieren, empfiehlt Kommissarin Johansson. Das sollte sie Viktor Orban sagen. Den Menschen in Moria oder Kara Tepe klingt das im Ohr wie zynischer Hohn.
Am Vortag der Präsentation forderte Amnesty International mit Blick auf den Migrationspakt einen
Neustart europäischer Flüchtlingspolitik
22.09.2020 Vor der Präsentation eines neuen Asyl- und Migrationspakts durch die Europäische Kommission hat Amnesty International die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels in der EU-Flüchtlingspolitik unterstrichen. Der Generalsekretär der Menschenrechtsorganisation in Deutschland, Markus N. Beeko, sagte am Dienstag in Berlin, ein Neustart der europäischen Flüchtlingspolitik sei richtig und notwendig. Die EU sei aktuell mitverantwortlich für die Krise des internationalen Flüchtlingsschutzes. Die EU-Kommission will am Mittwoch einen neuen Asyl- und Migrationspakt vorstellen.
Festzustellen sei in der gegenwärtigen Situation keine Flüchtlingskrise, sondern eine "Flüchtlingsschutzkrise", sagte der Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland. Flüchtlingen würden sichere und legale Zufluchtswege verwehrt, zudem würden sie bedroht, misshandelt und diskriminiert.
Beeko formulierte daher aus Sicht von Amnesty fünf Grundsätze für die künftige europäische Migrationspolitik. Diese müsse unter Wahrung von Völker- und Seerecht den Schutz Schutzbedürftiger in den zentralen Fokus nehmen. Zudem brauche es einen Ausbau legaler Zugangswege für Flüchtlinge. Diese dürften nicht angewiesen sein auf Schleuser oder auf gefährliche Routen. Außerdem müssten europaweit faire Asylverfahren garantiert sein, Hotspots an den EU-Außengrenzen seien keine Lösung, sondern Teil des Problems. Beeko forderte, der Pakt müsse zudem die Wahrnehmung der internationalen Verantwortung der EU beim Flüchtlingsschutz sicherstellen. Schließlich müssten Menschenrechte auch an den EU-Außengrenzen gelten. Quelle: https://www.evangelisch.de/inhalte/176006/22-09-2020/amnesty-fordert-neustart-europaeischer-fluechtlingspolitik
23.09.2020 Vor Präsentation meldete sich auch der PARITÄTISCHE zu Wort:
Asyl- und Migrationspakt der EU: Paritätischer warnt vor europäischem Abschottungspakt
Angesichts des für heute angekündigten Asyl- und Migrationspaktes der EU-Kommission warnt der Paritätische Wohlfahrtsverband vor einer weiteren Verschärfung der europäischen Abschottungspolitik auf dem Rücken von Schutzsuchenden.
Mit Blick auf die von der EU-Innenkommissarin Ylva Johansson bereits am Wochenende angekündigten Pläne für neue Flüchtlingslager kommentiert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes: “Wir brauchen keine neuen Lager, sondern eine Asylpolitik, die die Rechte der Schutzsuchenden achtet. Es ist erschütternd, dass die europäische Asylpolitik zunehmend auf Abschottung und Abschreckung schutzsuchender Menschen setzt.”
Nach Auffassung des Paritätischen Gesamtverbandes hat der Brand in dem griechischen Flüchtlingslager Moria noch einmal deutlich gemacht, dass große Lager an den EU-Außengrenzen nicht geeignet sind, Geflüchtete menschenwürdig unterzubringen.
Der Paritätische kritisiert scharf, dass Asylanträge bereits an der EU-Grenze geprüft werden sollen, um Menschen schneller abschieben zu können. Eine faire und rechtsstaatliche Einzelfallprüfung sei so nicht möglich. Es sei zu befürchten, dass die Pläne der EU-Kommission faktisch auf eine Inhaftierung aller nach Europa einreisenden schutzsuchenden Menschen - einschließlich Familien und Kinder - hinauslaufen.
Statt noch mehr Abschottung fordert der Paritätische Gesamtverband legale Zugangswege für geflüchtete Menschen nach Europa und eine europäische Seenotrettung, die das Sterben auf dem Mittelmeer endlich beendet. Der Paritätische fordert eine Asyl- und Migrationspolitik, die die Menschenrechte der Schutzsuchenden achtet. Konkret müsse die sogenannten Dublin-III-Verordnung so reformiert werden, dass Verantwortung zwischen den EU-Mitgliedsstaaten fair verteilt wird und die Rechte und Interessen der Schutzsuchenden gewahrt werden, damit eine bessere Integration im Aufnahmestaat gelingen kann.
Quelle: https://www.der-paritaetische.de/presse/asyl-und-migrationspakt-der-eu-paritaetischer-warnt-vor-europaeischem-abschottungspakt/
23.09.2020 Die EU-Kommissarin für Migration, Ylva Johansson, die sich eng mit dem deutschen Innenminister Horst Seehofer (CSU) abgestimmt hat, meint zu den bevorstehenden Verhandlungen mit den 27 Mitgliedsstaaten: "Migration ist etwas Normales. Das ist keine komplizierte Raketen-Wissenschaft. Uns fehlte der gemeinsame Ansatz. Neu ist jetzt dieser gemeinsame, ausbalancierte Ansatz." https://www.dw.com/de/eu-kommission-schl%C3%A4gt-neuen-migrations-pakt-vor/a-55028303