18.01.2016 Ein Loblied auf die „Gesellschaft für deutsche Sprache“.
Am 11. Dez. kürte die Gesellschaft für deutsche Sprache das Wort des Jahres 2015 - FLÜCHTLING.
Waren es in vergangenen Jahren noch kreative Wortschöpfungen wie „GroKo“ oder „Wutbürger“, die in keinem Wörterbuch stehen und deren Bedeutung in einem ganz konkreten zeitgeschichtlichen Zusammenhang standen, so folgt die Wahl in diesem Jahr offensichtlich anderen, zeitlosen Kriterien. Anscheinend ging es den Sprachjuroren diesmal um die Häufigkeit des Gebrauchs dieses Wortes in Reden, Artikeln, Sendungen der unterschiedlichsten Medien.
Welches auch immer ihre Motivlage gewesen sein mag, für das Sensorium der Sprache haben sie sich mit der Auswahl dieses Begriffs hohe Verdienste erworben. Auf breiter Ebene wird über den gedankenlosen Gebrauch dieses Begriffs nachgedacht, gesprochen, diskutiert und disputiert. Diejenigen von uns, die schon seit geraumer Zeit bemüht waren, das Wort zu vermeiden und stattdessen auf die Umschreibung „geflüchtete Menschen“ zurückgriffen, können sich nun durchaus bestärkt fühlen. Ihnen ging es immer schon darum, die konkreten Einzelschicksale hinter jeder Flucht mit im Blick zu haben.
Im herrschenden Diskurs geht es fast ausnahmslos um Flüchtlingszahlen, Flüchtlingsquoten, Flüchtlingswellen, -ströme und -lawinen, wobei die dahinterstehenden Menschen namen- und gesichtslos blieben. Daß die Frauen, Männer, Kinder und alte Menschen aus völlig verschiedenen Kontexten die Strapazen einer manchmal monate- und jahrelangen Flucht hinter sich haben, daß sie Angehörige zurücklassen müssen oder bereits verloren habten, bevor sie sich auf den Weg machen, daß sie außer dem Notwendigsten nur noch die nackte Haut mit sich tragen, all das gerät beim Gebrauch dieser gleichmacherischen Kategorie „Flüchtling“ aus dem Blickfeld. Stattdessen wird unterschieden zwischen guten und schlechten Flüchtlingen, solchen, die wir brauchen und solchen, die nicht zu gebrauchen sind, zwischen Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen. Von jenen, die uns „überfremden“ und den „Untergang des Abendlandes“ bescheren wollen, sei hier gar nicht erst die Rede.
Das Suffix „ling“ trägt per se schon immer eine negative Konnotation in sich. Nicht umsonst ist man von dem Begriff des Lehr-lings seit den 90er Jahren langsam abgekommen und benutzt heute den Begriff des/der „Auszubildenden“. Der Jüngling ist ebenso weitgehend aus dem Sprachschatz verbannt wie das Fräulein. Schädlinge, Emporkömmlinge, Neulinge, Rohlinge gibt es jedoch nach wie vor zu Hauf, und sie alle tragen den Beigeschmack des Negativen und des Unvollkommenen mit sich.
Und wem das noch nicht reicht – möchten Sie gerne in Abgrenzung zu den geflohenen Bürgern aus anderen Ländern „Menschlinge“ genannt werden? Da ist es zum „Schlingel“ nicht mehr weit.
Aber was rede ich denn da eigentlich? Der FRÜH-LING ist doch auch schon da.
Uli Mercker
Dies war ein Redebeitrag bei der Bonner Mahnwache "Nicht in unserem Namen! Nein zum Krieg! Nein zum Syrien-Einsatz!" am 19. 12. 2015