Zurückweisungen: Fortsetzung der Auseinandersetzung um Zulässigkeit - Nächste juristische Schritte eingeleitet

13.06.2025 Während NGOs in einem Offenen Brief von der EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland fordern und Pro Asyl auch offiziell Beschwerde bei der EU-Kommission eingelegt hat, um die Zurückweisungspraxis der Regierung stoppen zu lassen, halten CDU/CSU unbeeindruckt daran fest. Der Koalitionspartner SPD reagiert mahnend. 

"Pauschale Rückweisungen wird es aus meiner Sicht nicht mehr geben können, weil die Gerichte das stoppen werden", sagte Miersch der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. 

Die schwarz-rote Regierung werde sich damit auseinandersetzen müssen. „Das hat der Kanzler (Friedrich Merz) im Übrigen auch sehr deutlich erklärt, als er sagte, dass vor dem Hintergrund dieser gerichtlichen Entscheidung die Praxis noch mal überprüft werden muss“, sagte Miersch. „Und das erwarte ich jetzt auch, weil wir ansonsten erleben werden, dass wir in den nächsten Monaten weitere Verfahren verlieren.“ (SPD-Fraktionschef Matthias Miersch, SZ)

Bisher scheint es nicht so, dass die Koalition, in deren Vertrag die Zurückweisungen ja auch Bestandteil sind, gefährdet sei. Dobrindt lässt derweil vernehmen, erst eine Entscheidung des EuGH zu akzeptieren:

"Wir werden eine ausreichende Begründung liefern, aber darüber sollte der Europäische Gerichtshof entscheiden."

Dobrindt sagte weiter: "Ich bin der Überzeugung, dass wir uns mit unseren Maßnahmen innerhalb des europäischen Rechts bewegen." Ein mögliches Veto des Europäischen Gerichtshofs gegen Zurückweisungen würde er aber "selbstverständlich" akzeptieren, sagte der Innenminister.  (Beck-aktuell)

Fraktionschef Matthias Miersch sagte am Samstag der "Neuen Osnabrücker Zeitung" mit Blick auf eine mögliche Entscheidung durch den Europäischen Gerichtshof: "Das könnte sehr lange dauern und wäre eine große Belastung für die Bundesregierung. Ich würde Herrn Merz und Herrn Dobrindt daher bitten, die Rechtsunsicherheit jetzt zu beseitigen." (mdr)

Wir zitieren diese Medientexte:

 

Hier im Wortlaut:

Zurückweisungen von Asylsuchenden an der Grenze zu Polen sind umstritten - erst recht nach einem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts. Der Brandenburger Innenminister Wilke stärkt seinem Amtskollegen auf Bundesebene den Rücken.

Der Brandenburger Innenminister René Wilke (parteilos) unterstützt die rechtlich umstrittenen Zurückweisungen von Asylsuchenden an der Grenze. Das sagte Wilke nach der Sitzung der Innenministerkonferenz in Bremerhaven am Freitag dem rbb. "Ich sehe, dass Zurückweisungen derzeit leider notwendig sind, weil es nicht gelungen ist, mit den EU-Staaten zu verbindlichen Regelungen zu kommen." Die Zahlen zeigten, dass die Kontrollen einen Effekt hätten.

Die Innenminister von Bund und Ländern hatten sich zuvor auf ihrer Konferenz einig gezeigt in Fragen einer härteren Migrationspolitik - auch beim Thema der Zurückweisungen an der Grenze.

Das Berliner Verwaltungsgericht hatte Anfang Juni in einem Verfahren Zurückweisungen von Asylsuchenden an der Grenze für unzulässig erklärt. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte daraufhin erklärt, dennoch daran festzuhalten. Der Brandenburger Innenminister stärkt ihm dabei nun den Rücken. "Ich sehe momentan keine praktikablen Alternative", so Wilke. Es sei nun am Bund, die juristische Begründung für die Zurückweisungen genauer zu erläutern.

Dobrindt sprach am Freitag von einem Erfolg der Maßnahmen. Die verstärkten Kontrollen hätten zu rund 25.000 Zurückweisungen und zu Aufgriffen von etwa 1.000 Schleusern geführt. Insgesamt sind die Zahlen von Asylsuchenden seit Monaten stark sinkend.

Flüchtlingsorganisationen sehen andere Ursachen als schärfere Grenzkontrollen für den Rückgang der Geflüchtetenzahlen. So hätten sich etwa durch die veränderte Sicherheitslage in Syrien deutlich weniger Menschen auf den Weg nach Europa gemacht.

Der Brandenburger Bundestagsabgeordnete Michael Kellner (Grüne) kritisierte die Haltung der Innenminister von Bund und Ländern. "Alexander Dobrindt begeht Rechtsbruch. Er hat es nicht geschafft, diese Grenzkontrollen rechtsfest zu begründen. Daher wird er auch zu Recht von der Gewerkschaft der Polizei kritisiert. Denn er lässt die Polizisten im wahrsten Sinne im Regen stehen und im Unklaren über die Rechtsgrundlagen. Das kann und sollte sich ein Innenminister nicht leisten", so Kellner auf rbb-Anfrage.

Die Brandenburger AfD-Landtagsabgeordnete Lena Kotré hingegen sprach im rbb von einem "Schritt in die richtige Richtung" der Innenministerkonferenz, forderte aber weitergehende Maßnahmen wie "Abschiebeheaftanstalten".

Gefragt nach den angekündigten Kontrollen auf polnischer Seite zeigte sich Innenminister Wilke zurückhaltend. "Es ist mir schleierhaft, worauf das hinauslaufen soll. Ich weiß nicht, was die polnische Seite da kontrollieren will. Es ist ja nicht so, dass die Asylbewerber in Massen aus Deutschland gerne nach Polen überstellt werden wollen."

Als Reaktion auf die Zurückweisungen an der deutsch-polnischen Grenze hatten Polens Premierminister Tusk eigene Kontrollen angekündigt.

Betroffen von verstärkten Kontrollen sind laut Claus Junghanns (CDU), Bürgermeister der Stadt Frankfurt (Oder), jedoch nicht nur Wirtschafts- und Warenverkehre, sondern auch die etwa 12.000 Tagespendler, die aus Polen nach Brandenburg kommen. Die Behinderung für diese Arbeitnehmer sei enorm, sagte Junghanns am Freitag dem rbb. "Deutschland ist für Polen der wichtigste Handelspartner und Polen ist der wichtigste Handelspartner für Brandenburg."

Derweil will Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) Wege finden, trotz der Grenzkontrollen die Belastung für Pendler zwischen Polen und Deutschland zu verringern. Er kündigte nach einer Sitzung seines Kabinetts am Donnerstag an, er werde Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) und auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) bitten, das Projekt einer dritten Fahrspur auf der Autobahn 12 auf deutscher Seite "schnell voranzutreiben".

 

12.06.2025 Wegen der stationären Grenzkontrollen und Zurückweisungen muss die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Das fordert PRO ASYL gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Organisationen aus Nachbarstaaten Deutschlands.

Die Zurückweisungen von Asylsuchenden an deutschen EU-Binnengrenzen verstoßen eindeutig gegen europäisches Recht. Zudem drohen Verstöße gegen das Völkerrecht, schreiben zivilgesellschaftliche Organisationen aus Deutschland, Österreich, Tschechien, Luxemburg, Frankreich, den Niederlanden, der Schweiz sowie die europäische Dachorganisation European Council on Refugees and Exiles (ECRE) in dem heute veröffentlichten offenen Brief an die Europäische Kommission.

Stärke des Rechts über das Recht des Stärkeren stellen

„Wer solche nationalen Alleingänge zulässt, verletzt die Rechte von Schutzsuchenden und riskiert den Zusammenhalt der Europäischen Union. Die Europäische Union muss beweisen, dass sie die Stärke des Rechts über das Recht des Stärkeren stellt. Deshalb appellieren wir heute an die Kommission, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzuleiten“, so Karl Kopp, Geschäftsführer von PRO ASYL.

Die unterzeichnenden Organisationen appellieren an die Europäische Kommission, als „Hüterin der Verträge“ entschieden gegen die Missachtung europäischen Rechts vorzugehen und die Einhaltung gemeinsamer Regeln und Werte zu sichern. Nationale Alleingänge, die geltendes EU-Recht missachten, befeuern EU-Skepsis, stärken rechtsextreme Kräfte und tragen zu einer gefährlichen Renationalisierung innerhalb der Union bei .

„Die aktuellen Zurückweisungen von Schutzsuchenden an den deutschen Grenzen sind ein Skandal. Sie sind nicht nur kurzsichtig und unmenschlich, sondern auch eindeutig rechtswidrig. Wie zuletzt das Verwaltungsgericht Berlin bestätigt hat, verstößt Deutschland damit gegen vorrangiges europäisches Recht. Trotzdem will die Bundesregierung daran festhalten. Das widerspricht fundamental der Idee des europäischen Rechtsstaates“, so Karl Kopp.

Zum 40-jährigen Bestehen des Schengener Abkommens am Samstag, 14. Juni, machen die unterzeichnenden Organisationen außerdem darauf aufmerksam, dass die Reisefreifreiheit innerhalb des Schengen-Raumes durch Grenzkontrollen ernsthaft bedroht wird

PRO ASYL hat begleitend zu dem offenen Brief heute auch formal Beschwerde wegen der Zurückweisung von Asylsuchenden an den deutschen Binnengrenzen bei der Europäischen Kommission eingereicht.

Hintergrund

Der Offene Brief wurde neben PRO ASYL von Vertreterinnen und Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen aus sechs Nachbarstaaten Deutschlands sowie der europäischen Dachorganisation European Council on Refugees and Exiles (ECRE) gezeichnet. Sie alle setzen sich in ihrer Arbeit für die Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten in der Europäischen Union ein.

Was bereits zuvor offensichtlich war, hat das Verwaltungsgericht Berlin am 2. Juni 2025 erneut mit Blick auf die Zurückweisung von drei somalischen Asylsuchenden an der deutsch-polnischen Grenze, darunter eine minderjährige Jugendliche, bestätigt: Die Zurückweisung von Asylsuchenden an den deutschen EU-Binnengrenzen ist rechtswidrig und verstößt gegen die Dublin-III-Verordnung. Dennoch hat die Bundesregierung angekündigt, an den Kontrollen und Zurückweisungen festhalten zu wollen. PRO ASYL hatte die Klagen der drei Schutzsuchenden über den PRO ASYL-Rechtshilfefonds unterstützt.

 

Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Alex­an­der Dobrindt (CSU) hält trotz einer ent­ge­gen­ste­hen­den Ge­richts­ent­schei­dung am har­ten Kurs an den Gren­zen fest. Er will not­falls den EuGH über die um­strit­te­nen Zu­rück­wei­sun­gen ent­schei­den las­sen.

Das VG Berlin habe in seiner jüngsten Entscheidung angemerkt, dass die Begründung für die Anwendung von Art. 72 AEUV – einer Ausnahmeregel im Europäischen Recht, auf die die Zurückweisungen gegründet wurden – nicht ausreichend sei, sagte Dobrindt den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Wir werden eine ausreichende Begründung liefern, aber darüber sollte der Europäische Gerichtshof entscheiden."

Dobrindt sagte weiter: "Ich bin der Überzeugung, dass wir uns mit unseren Maßnahmen innerhalb des europäischen Rechts bewegen." Man müsse die Migrationswende auch herbeiführen, um zu vermeiden, dass politische Kräfte wie die AfD in die Lage kämen, radikale Lösungen umzusetzen. Ein mögliches Veto des EuGH gegen Zurückweisungen würde er aber "selbstverständlich" akzeptieren, so der Innenminister. ...

 

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt will die groß angelegten Kontrollen an Deutschlands Grenzen fortsetzen. Asylbewerber sollen dabei von der Polizei weiter zurückgewiesen werden – obwohl ein Gericht die Praxis als europarechtswidirg eingestuft hat. Wie funktionieren die Zurückweisungen in der Praxis? Wie viele unerlaubte Einreisen wurden verhindert? Und wie lange kann die Polizei die Grenzkontrollen aufrechterhalten? Antworten im Überblick. ...

Innenminister Dobrindt kündigte nach dem Urteil die Fortsetzung der Zurückweisungen an. Am Samstag erklärte er, eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs abwarten zu wollen. Das Berliner Verwaltungsgericht habe in seiner oben genannten Entscheidung angemerkt, dass die Begründung für die Anwendung von Artikel 72 – einer Ausnahmeregel im Europäischen Recht – nicht ausreichend sei, sagte Dobrindt den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Wir werden eine ausreichende Begründung liefern, aber darüber sollte der Europäische Gerichtshof entscheiden."

Ich bin der Überzeugung, dass wir uns mit unseren Maßnahmen innerhalb des europäischen Rechts bewegen. Alexander Dobrindt, CSU Bundesinnenminister

Dobrindt sagte weiter: "Ich bin der Überzeugung, dass wir uns mit unseren Maßnahmen innerhalb des europäischen Rechts bewegen." Ein mögliches Veto des Europäischen Gerichtshofs gegen Zurückweisungen würde er aber "selbstverständlich" akzeptieren, sagte der Innenminister.

Juristen halten es für wahrscheinlich, dass nun weitere Gerichte ähnliche Urteile fällen wie das Berliner Verwaltungsgericht. Das würde Dobrindt unter weiteren Zugzwang bringen, die Zurückweisungen doch zu beenden. Die SPD sieht darin eine Belastung für die Koalition. Fraktionschef Matthias Miersch sagte am Samstag der "Neuen Osnabrücker Zeitung" mit Blick auf eine mögliche Entscheidung durch den Europäischen Gerichtshof: "Das könnte sehr lange dauern und wäre eine große Belastung für die Bundesregierung. Ich würde Herrn Merz und Herrn Dobrindt daher bitten, die Rechtsunsicherheit jetzt zu beseitigen." ...

 

Anfang Mai hat die Bundesregierung Grenzkontrollen verstärkt und die Zurückweisung von Asylsuchenden an den Grenzen angeordnet. Wie haben sich diese Maßnahmen auf die Fluchtmigration nach Deutschland ausgewirkt?

Am 7. Mai hat das Bundesinnenministerium eine Weisung erlassen, nach der Schutzsuchenden die Einreise in die Bundesrepublik über die Landesgrenzen verwehrt werden kann – ausgenommen sind nur "erkennbar vulnerable" Personen wie etwa schwangere Frauen, unbegleitete Kinder und Kranke. Gleichzeitig wurde Grenzkontrollen verstärkt und die Zahl der Polizeibeamt*innen an den Grenzen aufgestockt. Ziel der Maßnahmen ist laut Bundesinnenministerium, die irreguläre Migration nach Deutschland zu reduzieren

Rechtswidrige Zurückweisungen

Die vom Bundesinnenministerium angeordneten Zurückweisungen von Asylsuchenden an deutschen Grenzen sind rechtswidrig. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin in einem Beschluss entschieden. Ein Mann, eine Frau und ein Kind aus Somalia hatten in einem Eilverfahren geklagt, nachdem ihre Asylgesuche in Deutschland von der Polizei ignoriert und sie nach Polen zurückgewiesen worden waren. Das Gericht erklärte, dass die Zurückweisung nicht nur im konkreten Fall, sondern auch abstrakt-generell gegen EU-Recht verstoßen würde: Das zwingend vorgesehene Dublin-Verfahren könne nicht durch bilaterale Abkommen zwischen den Staaten ausgesetzt werden, auch die viel diskutierte Ausnahme wegen einer „Notlage“ nach Art. 72 AEUV liege nicht vor. Weitere Informationen in unserer Rubrik Asylrecht.

Zwischen dem 8. Mai 2025 und dem 4. Juni 2025 hat die Bundespolizei nach eigenen Angaben etwa 3.300 Personen zurückgewiesen oder zurückgeschoben. 160 von ihnen waren Asylsuchende – sie wurden trotzdem zurückgewiesen. 46 Personen wurden als "vulnerabel" eingestuft und konnten ein Asylgesuch äußern.

Einen Monat nach Beginn der verstärkten Grenzkontrollen ist die Zahl der unerlaubten Grenzübertritte nach Deutschland im Mai 2025 leicht gestiegen – auf rund 5.600 Grenzübertritte. Die unerlaubten Grenzübertritte gehen seit Ende 2023 tendenziell zurück.

Weniger Asylanträge in ganz Europa

Die Zahl der Asylerstanträge ist im Mai 2025 im Vergleich zu den Vormonaten auf rund 7.900 zurückgegangen (insgesamt 54.000 seit Beginn des Jahres). Die meisten Erstanträge wurden im Mai 2025 von Personen aus Afghanistan (1.814 Anträge), Syrien (1.512) und der Türkei (899) gestellt.

Nicht nur in Deutschland werden weniger Asylanträge gestellt. Im ersten Quartal 2025 ging die Zahl der Erst- und Folgenanträge in der gesamten Europäischen Union um rund 21 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zurück. 

Im ersten Quartal 2025 ist Deutschland laut Statistischem Amt der Europäischen Union (Eurostat) auch nicht mehr das Land mit den meisten Asylbewerber*innen:

  • In Frankreich wurden rund 40.400 Anträge gestellt,

  • In Deutschland etwa 40.000

  • In Spanien 39.900.

Ein Grund für den starken Anstieg der Asylanträge in Frankreich ist, dass viele Geflüchtete aus der Ukraine dort einen Asylantrag gestellt haben, um eine längerfristige Bleibeperspektive zu haben, wie das "Office Français de Protection des Réfugiés et Apatrides" (OFPRA) erklärt. In Deutschland haben bislang nur wenige Geflüchtete aus der Ukraine einen Asylantrag gestellt.

Kontrollen an den deutschen Grenzen zeigen bedingt Wirkung 

Im ersten Quartal 2025 ist die Zahl der Geflüchteten auf fast allen Haupt-Fluchtrouten nach Europa zurückgegangen. In Italien ist die Zahl der Ankünfte über die zentrale Mittelmeer-Route um rund vier Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf ca. 11.000 Menschen zurückgegangen. In Griechenland kamen 12 Prozent weniger Geflüchtete an – insgesamt ca. 9.300 Personen. In Spanien (inklusive der westafrikanischen Route zu den Kanarischen Inseln) ging die Zahl der Ankünfte um rund 29 Prozent auf 11.900 Personen zurück.

Die Zahl der versuchten Grenzübertritte auf der Polen-Belarus Route blieb im ersten Quartal konstant bei rund 3.900 Fällen. Und es wird geschätzt, dass ungefähr 2.500 Personen auf der Westbalkan Route unterwegs waren – 12 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.

Es gibt mehrere Gründe für den Rückgang der Flüchtlingszahlen. Einer der Hauptgründe ist, dass Syrer*innen – die größte Gruppe der Asylsuchenden in Europa neben den Ukrainer*innen – seit dem Machtwechsel in Syrien seltener Schutz in Europa suchen. Ein weiterer Grund sind die strengen Grenzkontrollen entlag der Westbalkan-Route sowie die gewaltsame Unterdrückung von Fluchtmigration in Tunesien.

Die Kontrollen an den deutschen Grenzen hätten keinen wahrnehmbaren Einfluss auf den aktuellen Trend, sagt der Sprecher der österreichischen Nichtergierungsorganisation "Asylkoordination Österreich", Lukas Gahleitner-Gertz. Schon seit November 2023 ging die Zahl der Geflüchteten, die nach Österreich kamen (und sehr oft nach Deutschland weiterreisten), stark zurück. Auch rechtlich umstrittene Zurückweisungen hätten bereits vor der Weisung des deutschen Innenministeriums stattgefunden, so Gahleitner-Gertz. Seit Jahren würden etwa die Landespolizei-Direktion Salzburg und die bayerische Polizei kooperieren, um unerlaubte Grenzübertritte (auch von Asylsuchenden) nach Deutschland zu unterbinden. Zurückweisungen an der Grenze seien also nichts neues.

Bislang hatten diese Zurückweisungen keine rechtlichen Folgen. "In der Realität sehen wir große Zurückhaltung bei Asylsuchenden, gegen rechtswidrige Zurückweisungen rechtlich vorzugehen", sagt Gahleitner-Gertz. In der Regel werden sie von der österreichischen Polizei nach der Registrierung wieder freigelassen. Sie können dann wieder versuchen, an einem anderen Grenzübergang nach Deutschland zu gelangen. 

 

Ein Gericht erklärt die Zurückweisung dreier Asylsuchender an der Grenze für rechtswidrig und stellt die neue Linie der Merz-Regierung damit in Frage. In der Koalition werden Spannungen sichtbar.

Berlin (dpa) - Nach der Berliner Gerichtsentscheidung gegen Zurückweisungen an Grenzen droht in der Regierungskoalition Streit über das weitere Vorgehen. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) bekräftigte in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, am bisherigen Kurs und verstärkten Grenzkontrollen festhalten zu wollen. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch äußerte sich in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ gegenteilig: „Pauschale Rückweisungen wird es aus meiner Sicht nicht mehr geben können, weil die Gerichte das stoppen werden.“

Das Verwaltungsgericht Berlin hatte am Montag in einer Eilentscheidung festgestellt, die Zurückweisung dreier Somalier bei einer Grenzkontrolle am Bahnhof Frankfurt (Oder) sei rechtswidrig. Ohne eine Klärung, welcher EU-Staat für einen Asylantrag der Betroffenen zuständig sei, dürften sie nicht abgewiesen werden. Die drei Somalier sind mittlerweile in Berlin.

Dobrindt will Klärung durch Europäischen Gerichtshof

„Das ist ein Einzelfallurteil“, sagte Dobrindt. Das Gericht habe angemerkt, dass die Begründung für die Anwendung von Artikel 72 - einer Ausnahmeregel im Europäischen Recht - nicht ausreichend sei. „Wir werden eine ausreichende Begründung liefern, aber darüber sollte der Europäische Gerichtshof entscheiden.“ Die Präsidentin des Berliner Verwaltungsgerichts Erna Viktoria Xalter sagte im Interview mit „Zeit Online“: „Wie soll das zum EuGH durchlaufen? Die Eilentscheidung ist unanfechtbar.“ Sie gehe davon aus, dass es auch an anderen Grenzen, durch andere Bundespolizeidirektionen, zu Zurückweisungen komme, die dann von anderen Gerichten überprüft würden.

Miersch: erwarte Überprüfung der bisherigen Praxis

Nach Ansicht von SPD-Fraktionschef Miersch wirft die Entscheidung des Gerichts sehr grundsätzliche Fragen auf. Die schwarz-rote Regierung werde sich damit auseinandersetzen müssen. „Das hat der Kanzler (Friedrich Merz) im Übrigen auch sehr deutlich erklärt, als er sagte, dass vor dem Hintergrund dieser gerichtlichen Entscheidung die Praxis noch mal überprüft werden muss“, sagte Miersch. „Und das erwarte ich jetzt auch, weil wir ansonsten erleben werden, dass wir in den nächsten Monaten weitere Verfahren verlieren.“

Dobrindt hatte kurz nach dem Antritt der neuen Regierung vor einem Monat intensivere Grenzkontrollen verfügt. Gleichzeitig ordnete er an, dass künftig auch Asylsuchende an der Grenze zurückgewiesen werden können. Kanzler Merz (CDU) hatte nach der Verwaltungsgerichtsentscheidung erklärt, an der Zurückweisung Asylsuchender an der Grenze festzuhalten. Die Entscheidung enge die Spielräume zwar möglicherweise noch einmal etwas ein. Aber man wisse, dass man nach wie vor Zurückweisungen vornehmen könne.

CSU attackiert Pro Asyl: „Züge einer Inszenierung“ 

Aus der CSU kommen derweil schwere Vorwürfe in Richtung der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl, die die drei somalischen Asylsuchenden bei ihrer Klage unterstützt hatte. Der Fall trage „fast absurde Züge“ und deute auf eine „Inszenierung“ hin, sagte der Chef der CSU-Abgeordneten im Bundestag, Alexander Hoffmann, der „Augsburger Allgemeinen“. „Pro Asyl ist schon seit Jahren entlang der Fluchtrouten unterwegs, auch an den Grenzübergängen. Dort wird Flüchtlingen empfohlen, ihre Ausweise wegzuwerfen, weil das eine Abschiebung aus Deutschland deutlich erschwert“, sagte er.

Hoffmann sagte weiter: „Eine Person war bei den ersten beiden Einreiseversuchen volljährig und ist beim dritten Versuch auf einmal minderjährig, sie hat Ausweisdokumente dabei, die Merkmale von Fälschungen aufweisen.“ Alle drei Personen hätten nagelneue Handys gehabt, mit denen man die Reiseroute nicht zurückverfolgen könne. „Für mich trägt das klare Züge einer Inszenierung durch Asyl-Aktivisten.“

Pro Asyl weist „falsche Unterstellungen“ zurück

Der Geschäftsführer von Pro Asyl, Karl Kopp, entgegnete in der Zeitung, diese Vorwürfe hätten nichts mit den Fakten zu tun. „Wir sind eine Menschenrechtsorganisation und unterstützen Geflüchtete vor Gericht“, betonte er. „So war es auch im Fall der drei Menschen aus Somalia, von denen eine Frau noch minderjährig ist.“ Dass man Menschen empfehle, ihre Ausweise zu entsorgen oder neue Handys anzuschaffen, seien falsche Unterstellungen. „Damit wird unsere Arbeit angegriffen.“

 

Zurückweisungen von Asylsuchenden an der Grenze sind rechtswidrig - so das Urteil eines Berliner Gerichts. Die Union wirft nun Pro Asyl vor, die Entscheidung provoziert zu haben. Die Hilfsorganisation weist die Vorwürfe zurück.

CDU und CSU werfen der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl vor, den jüngsten Beschluss gegen Grenzzurückweisungen provoziert zu haben. Konkret geht es um den Fall der vom Berliner Verwaltungsgericht für rechtswidrig erklärten Zurückweisungen an der deutsch-polnischen Grenze.

Der neue Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Hoffmann spekuliert in der Augsburger Allgemeinen über eine Unterstützung der Somalier durch Helferinnen und Helfer aus Deutschland bereits vor der Einreise. Pro Asyl wies die Anschuldigungen in der Zeitung scharf zurück. 

"Merkmale von Fälschungen"

Hoffmann sagte, der Fall der drei Asylsuchenden aus Somalia trage "fast absurde Züge" und deute auf eine "Inszenierung" hin: "Pro Asyl ist schon seit Jahren entlang der Fluchtrouten unterwegs, auch an den Grenzübergängen. Dort wird Flüchtlingen empfohlen, ihre Ausweise wegzuwerfen, weil das eine Abschiebung aus Deutschland deutlich erschwert."

Hoffmann sagte konkret zum Fall der drei Asylsuchenden aus Somalia: "Eine Person war bei den ersten beiden Einreiseversuchen volljährig und ist beim dritten Versuch auf einmal minderjährig, sie hat Ausweisdokumente dabei, die Merkmale von Fälschungen aufweisen." Alle drei Personen hätten nagelneue Handys gehabt, mit denen man die Reiseroute nicht zurückverfolgen könne. "Für mich trägt das klare Züge einer Inszenierung durch Asyl-Aktivisten."

Scharfe Kritik auch aus der CDU

In der Bild-Zeitung warf auch der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm, Pro Asyl im Zusammenhang mit den drei somalischen Asylbewerbern vorsätzliche Unterstützung bei illegalen Grenzübertritten vor und verdächtigte die Organisation, noch weitere Straftaten begangen zu haben.

Pro Asyl habe damit selbst eine Grenze überschritten, so der CDU-Politiker weiter - "insbesondere, weil bei einer somalischen Frau die Passpapiere verändert wurden und sie auf einmal minderjährig sein soll". Die Bundespolizei müsse jetzt sehr genau ermitteln, wie es zu den Grenzübertritten gekommen sei "und ob dabei rechtswidrige Handlungen von Unterstützern vorgenommen wurden.

Pro Asyl: "Falsche Unterstellungen"

Der Geschäftsführer von Pro Asyl, Karl Kopp, entgegnete in der Augsburger Allgemeinen, diese Vorwürfe hätten nichts mit den Fakten zu tun. "Wir sind eine Menschenrechtsorganisation und unterstützen Geflüchtete vor Gericht", betonte er. "So war es auch im Fall der drei Menschen aus Somalia, von denen eine Frau noch minderjährig ist." Dass man Menschen empfehle, ihre Ausweise zu entsorgen oder neue Handys anzuschaffen, seien falsche Unterstellungen. "Damit wird unsere Arbeit angegriffen."

Das Verwaltungsgericht Berlin hatte am Montag in einer Eilentscheidung festgestellt, dass die Zurückweisung der drei Somalier bei einer Grenzkontrolle am Bahnhof Frankfurt (Oder) rechtswidrig gewesen sei. Ohne eine Klärung, welcher EU-Staat für einen Asylantrag der Betroffenen zuständig sei, dürften sie nicht abgewiesen werden. Die drei Betroffenen waren nach Polen zurückgeschickt worden. Mittlerweile befinden sich die Asylsuchenden in Berlin, wie ein Sprecher der Senatsverwaltung für Inneres sagte.

Dobrindt hält an verstärkten Grenzkontrollen fest

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt will ungeachtet dessen an verstärkten Grenzkontrollen fest und will den Europäischen Gerichtshof über die umstrittenen Zurückweisungen entscheiden lassen. Das Berliner Verwaltungsgericht habe in seiner jüngsten Entscheidung angemerkt, dass die Begründung für die Anwendung von Artikel 72 - einer Ausnahmeregel im Europäischen Recht - nicht ausreichend sei, sagte der CSU-Politiker den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Wir werden eine ausreichende Begründung liefern, aber darüber sollte der Europäische Gerichtshof entscheiden."

Dobrindt sagte weiter: "Ich bin der Überzeugung, dass wir uns mit unseren Maßnahmen innerhalb des europäischen Rechts bewegen." Man müsse die Migrationswende auch deswegen herbeiführen, um zu vermeiden, dass politische Kräfte wie die AfD in die Lage kämen, radikale Lösungen umzusetzen. Ein mögliches Veto des Europäischen Gerichtshofs gegen Zurückweisungen würde er aber "selbstverständlich" akzeptieren, so der Innenminister. 

Miersch sieht dagegen Handlungsbedarf

Im Gegensatz dazu sieht SPD-Fraktionschef Matthias Miersch nach der Berliner Entscheidung zur Zurückweisung Handlungsbedarf für Schwarz-rot. "Pauschale Rückweisungen wird es aus meiner Sicht nicht mehr geben können, weil die Gerichte das stoppen werden", sagte Miersch der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Miersch sagte, der Beschluss des Gerichts werfe sehr grundsätzliche Fragen auf. Die schwarz-rote Regierung werde sich damit auseinandersetzen müssen. "Das hat der Kanzler im Übrigen auch sehr deutlich erklärt, als er sagte, dass vor dem Hintergrund dieser gerichtlichen Entscheidung die Praxis noch mal überprüft werden muss", sagte Miersch. "Und das erwarte ich jetzt auch, weil wir ansonsten erleben werden, dass wir in den nächsten Monaten weitere Verfahren verlieren."