8 - 2019

Gespeichert von Susanne Rohde am Mo., 20.05.2019 - 15:49 Uhr

Liebe in Asylpolitik und um geflüchtete Menschen Aktive in Bonn,

der Wahlkampf zu den EU-Wahlen endet allmählich. In Gesprächen, Medienbeiträgen, auf Wahlplakaten erleben wir den inflationären Umgang mit dem Wort EUROPA. Ein Wort, unter dem natürlich nicht alle dasselbe verstehen. Gut oder schlecht oder irgendetwas dazwischen? Abzulehnen, zu bewahren, zu erneuern?

Auch wenn manchen der Aufruf zu den Großkundgebungen am gestrigen 19. Mai zu vage und unkritisch daher kam, zeigten die meisten der 45.000 Teilnehmenden in Köln, dass sie klare Vorstellungen haben, in welche Richtung die EU sich entwickeln sollte. In vielen selbstgemalten Plakaten und mit ihrem Beifall sprachen sie sich deutlich gegen Nationalismus und Rassismus aus, für Solidarität, für die Seenotrettung und den Schutz der Flüchtenden, für Klimaschutz und Abrüstung.

*) Grafik Quelle unten

Unabhängig vom Ausgang der Wahl könnte vielleicht aus „Ein Europa für Alle“ eine dauerhafte Bewegung werden, die grenzübergreifend und weiter wachsend „von unten“ Einfluss auf „Europa“ nimmt. Das wäre eine gute Perspektive.

Mit freundlichen Grüßen

Susanne Rohde (für das Team von weltoffen)

20.05.2019

In unserem heutigen Newsletter empfehlen wir der Aufmerksamkeit:

 

  1. Neues aus dem Hause Seehofer: Nach dem Anker nun das Nest (siehe unten)

     

  2. Neue Newsletters in Bonn

    Die Seebrücke Bonn veröffentlicht seit Mai 2019 einen eigenen Newsletter mit Hinweisen auf ihre Vorhaben. Kontakt: bonn@seebruecke.org Ende April startete die Herausgabe eines Newsletters von Haus Mondial. Kontakt: mondial@caritas-bonn.de

 

  1. Buchempfehlung

    Herkunft. Von Sasa Stanisic. (siehe unten)

     

  2. Terminhinweise

 

 

 

 

  • Dienstag, 28. Mai 2019 - 20.00 Uhr, WOKI Filmvorführung „Styx“ mit anschließender Diskussion.
    Wolfgang Fischers Drama STYX mit Susanne Wolff erzählt auf eindringliche Art von einer starken Frau, die allein auf hoher See einem kenternden Boot mit Flüchtenden begegnet – und nun die schwierigste Entscheidung ihres Lebens treffen muss. Im Anschluss an den Film stehen Mitglieder von Jugend Rettet e.V. und Sea-Eye e.V. für Fragen zur Verfügung. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe Rettung unerwünscht!? der Seebrücke Bonn

     

  • 31.05. – 20.06.19 Ausstellung: StandUp4HumanRights. https://www.weltoffen-bonn.de/termine/termin/2019-05-31-160000-ausstellung-standup4humanrights
     

Im Folgenden die Textbeiträge:

Neues aus dem Hause Seehofer: Nach dem Anker nun das Nest

"Neustart im Team" (NesT) - "Neues Pilotprogramm für die Aufnahme besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge - ein echtes Gemeinschaftswerk von Staat und Zivilgesellschaft - ein starkes Zeichen gelebter Solidarität - Der neue Ansatz: Staat und Zivilgesellschaft arbeiten dabei von Anfang an Hand in Hand" (Alles zitiert aus der Pressemitteilung des BMI)

NesT – das Pilotprogramm in Verantwortung von Bundesinnenministerium und BAMF mit diesem hübschen Kunstnamen wurde am 6.5 2019 vorgestellt. NesT – das soll „Neustart im Team“ heißen und für die Aufnahme zunächst von 500 besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen im Rahmen des Resettlements (Neuansiedlungsprogramm) gelten. Viele vollmundige Verheißungen begleiten das Programm in Zusammenarbeit mit UNHCR, Kirchen und Vertretern der Zivilgesellschaft: „Sie wollen den Menschenschleusern das Geschäft erschweren, deren Routen trocken legen, wenigstens einigen Tausend Menschen die lebensgefährliche Überfahrt über das Mittelmeer ersparen – und vor allem Geflüchteten, wenn sie in Deutschland ankommen, eine echte Perspektive auf Neustart geben“, erfuhr Holger Möhle, Korrespondent des Bonner General-Anzeiger beim Pressetermin. „Das Pilotprojekt sei Teil eines EU-Programmes zur Neuansiedlung, mit dem bis zu 50000 Flüchtlinge auf legalem Weg in EU-Staaten kommen und dort eine neue Perspektive erhalten sollen. Deutschland habe sich bereit erklärt, im Rahmen der Vereinbarung 10200 Flüchtlinge aufzunehmen.

Resettlement-Programme gab es bereits vor gut 10 Jahren. Sie wurden erheblich von der Save-me-Kampagne mitgetragen, deren Erfahrungen neben anderen auch in dieses Pilotprogramm einfließen. (Die Save-me-Kampagne-Bonn feiert in diesem Jahr 10-jähriges Bestehen.) Ganz neu ist die Idee also nicht.

Trotzdem: Die neue Aufnahmebereitschaft die Innenministers ist doch toll!?! Genau unter die Lupe genommen, finden wir ein paar unangenehme Dornen im schönen Nest.

Problem 1: Das ist keine zusätzliche Aufnahme von Flüchtlingen.

„Das Pilotprogramm "Neustart im Team" (NesT) ermöglicht die Aufnahme von bis zu 500 besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen innerhalb der von Deutschland für 2018/2019 vorgesehenen humanitären Aufnahmen.“ (Pressemitteilung des BMI

Problem 2: Die Ehrenamtlichen helfen nicht nur, sie sollen auch zahlen.

„Dreh- und Angelpunkt bei NesT sind die Mentorinnen und Mentoren: Mindestens fünf Personen müssen sich gemeinsam dazu verpflichten, Flüchtlingen das Ankommen zu erleichtern und sie ideell und finanziell zu unterstützen.

Die Verpflichtungen sind für die Mentorinnen und Mentoren zeitlich begrenzt und von vornherein kalkulierbar. Sie suchen eine geeignete Wohnung und finanzieren die Kaltmiete für zwei Jahre. Außerdem unterstützen sie  die Schutzbedürftigen ein Jahr lang ideell auf ihrem Weg zur gesellschaftlichen Teilhabe. Sie sind Ansprechpartner und helfen beispielsweise bei Behördengängen, bei der Suche einer Schule, eines Ausbildungsplatzes und einer Arbeitsstelle. Zudem ermöglichen sie Begegnungen, zum Beispiel im Sportverein, in der Freizeit oder bei Festen.“ (Pressemitteilung)

Eine dreiste Zumutung von Regierung und Ämtern für die Zivilgesellschaft! Privatleute sollen eine Wohnung suchen (und finden!!) und die Miete für die Geflüchteten zahlen?!? Die Miete ist in der Regel bekanntlich der größte Posten bei den Lebenshaltungskosten. Es ist kaum zu erwarten, dass es viele Bewerber*innen unter diesen Bedingungen gibt. Was geschieht, wenn nicht genügend Mentor*innen zusammen kommen? Kippt dann die Aufnahme der 500 Schutzbedürftigen?

Problem 3: Die Bleibeperspektive ist ungewiss.

Korrespondent Holger Möhle notiert von der Pressekonferenz: „Flüchtlinge, die im Rahmen dieses Programms nach Deutschland dürfen, müssen keinen Asylantrag stellen, sie bekommen eine Aufenthaltserlaubnis für zunächst drei Jahre, die verlängert werden kann, ..“ Das klingt nicht wirklich nach einem tatsächlichen Neustart. Es bleibt die Ungewissheit, zurückgeschickt zu werden, wie sie gegenwärtig z. B. die aus Syrien Geflüchteten erleben, die nun nach all ihren Anstrengungen zum Sprache Lernen und zur Integration eine Rücknahme der Schutzberechtigung befürchten müssen.

Neben diesen Problemen ist folgende Widersprüchlichkeit eher am Rande zu bemerken als Hinweis darauf, dass in dieser Sache insgesamt viele schöne Worte über wunderbare Aussichten zusammengefügt wurden: „sie haben Anspruch auf Integrationskurse, Sozialleistungen und Zugang zum Arbeitsmarkt.“, schreibt Möhle weiter. Was soll der Anspruch auf Zugang zum Arbeitsmarkt bedeuten, wenn die Neuankömmlinge doch als „besonders schutzbedürftig“ ausgewählt werden und damit, wie Möhle notiert, „allein flüchtende Frauen mit Kindern, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge oder Schwerkranke, die in ihrem Herkunftsland nicht behandelt werden können“ betrifft?

Hohles Geschwätz - leere Versprechungen? Jedenfalls fand die Pressekonferenz nur äußerst geringe Resonanz der Medien, wie die vergebliche Google-Recherche zeigte.

Quellen:

Pressemitteilung des BMI vom 6.5.2019 https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2019/05/nest-neustart-im-team.html

Artikel im Bonner General-Anzeiger „Schutz für die Schwächsten“ von Holger Möhle, 7.5.2019

Susanne Rohde, 11.5.2019. Beitrag auf www.weltoffen-bonn.de

 

Buchempfehlung: Die Frage nach der Herkunft wird oft gestellt bei der Begegnung mit Geflüchteten. Sie meint meist einfach nur den verlassenen Staat. Wie vielschichtig diese Frage beantwortet werden kann, erfahre ich beim Lesen des neuesten Buches des deutschen Erfolgsautors Sasa Stanisic. Sasa Stanisic kam 1992 als 14-jähriger nach Deutschland, geflüchtet mit seiner Mutter (der Vater kam wenig später dazu) vor den Verfolgungen und Ermordungen in Bosnien.

Seine „Herkunft“ setzt er auf 350 Seiten zusammen aus einer Fülle von Notizen über das Heute und das Früher von sich selbst und seiner Großmutter, die immer noch in der Geburtsstadt in Bosnien lebt. Und aus Erinnerungen an das Dazwischen, den Weg von dort nach hier. „Herkunft ist ein Buch über ein Dorf .., ein Land, das es heute nicht mehr gibt, eine zersplitterte Familie, die meine ist. Es ist ein Buch über die Frage, was zu mir gehört, ein Selbstporträt mit Ahnen. Und ein Scheitern des Selbstporträts,“ führt Stanisic in das Buch ein.

Drina und Neckar sind „Herkunft“. Stanisic nimmt seine Leserinnen und Leser mit in das Leben an den Ufern der beiden Flüsse. Besonders interessant und wertvoll für mich ist sein Erleben der Anfangszeit in Deutschland, die Erinnerung an die Flüchtlingsunterkunft und erste Wohnung in Heidelberg, das mühevolle Sprachelernen, das Krummlegen seiner Eltern, um es dem Sohn leichter zu machen, die Angst vor Abschiebung, die seine Eltern erleiden müssen, aber auch die Entwicklung von Freundschaften und Zusammengehörigkeit und die Erfolge, die diese Zeit erträglich oder sogar glücklich machen.

Mir scheint, hieran hat sich nicht viel verändert. Das ist einer der Gründe, weshalb ich "Herkunft" von Sasa Stanisic hier empfehle. Susanne Rohde.

 

*) Die Grafik ganz oben ist dem hervorragenden Heft "Europa ist Exportportweltmeister" entnommen, das gemeinsam von Brot für die Welt, medico international und PRO ASYL publiziert wurde.