Newsletter 10.12.2016

Gespeichert von Susanne Rohde am Fr., 09.12.2016 - 19:45 Uhr

Liebe LeserInnen des Newsletters, Bonner Engagierte in der Flüchtlingsunterstützung,

heute gibt es einmal keine Termine, die Atempause zum Jahreswechsel kündigt sich an. Dafür aber gibt es politische Aufreger zum Thema Abschiebung. Dazu im Folgenden ein Bericht und Kommentar. Mit freundlichen Grüßen

Susanne Rohde für weltoffen

www.weltoffen-bonn.de

 

Im letzten Jahr um diese Zeit war noch AUFNAHME in aller Munde, als die Aufgabe Nr. 1 für Politik und Verwaltung, aktiv unterstützt durch die Zivilgesellschaft.

Jetzt wird ABSCHIEBUNG groß geschrieben

Immer häufiger wurde und wird 2016 von Abschiebung geredet, zunächst im Zusammenhang mit den Kölner Silvester-Ereignissen. Das sollte wohl nahelegen, es seien Straftäter, überführt schwerer Delikte, um die es bei der Abschiebung geht.

Aber die Ehrenamtlichen, die manche der Abgeschobenen oder von Abschiebung Bedrohten kennen gelernt haben, wissen, dass es in der Mehrzahl der Fälle nicht so ist. Es sind Menschen, deren Fluchtgründe nicht anerkannt wurden und die deshalb in das Herkunftsland zurückgeschickt werden. Und es sind Menschen, die bereits in einem anderen EU-Land Asyl beantragt hatten, bevor sie nach Deutschland weiter reisten. Diese sogenannten „Dublin“-Fälle müssen in das erste EU-Land zurückkehren, zum Beispiel nach Ungarn oder Bulgarien und bald auch wieder ins überlastete Griechenland, das von der Zurückschiebung bislang ausgenommen war.

In Bonn gab es 2016 (bis Mitte November) 72 Abschiebungen und 273 „freiwillige“ Rückreisen. „Freiwillig“ bedeutet: unter dem Druck von Strafandrohung und mit dem Anreiz finanzieller Unterstützung bei den Reisekosten. Die Zahlen für 2017 werden sehr viel höher ausfallen.

Darauf weist auch das Pilotprojekt hin, das der Stadt St. Augustin eher zufällig Ende November bekannt wurde.

Zentrum zur Abschiebung in St. Augustin geplant

Ein Pilotprojekt „Ausreisezentrum“ planen Bundes- und Landesregierung in St. Augustin. In der ehemaligen Medienzentrale der Bundeswehr in der Alten Heerstraße sollen mehr als 400 Flüchtlinge ohne Perspektive auf Bleiberecht untergebracht werden, solche, die als „Dublin“-Fälle vor ihrer Abschiebung stehen. Die Gebäude waren Mitte 2015 als zentrale  Unterbringungseinrichtung für Flüchtlinge hergerichtet worden; dort sollten Neuankömmlinge zur Ruhe kommen und bleiben, bis ihr Asylverfahren anlaufen und sie auf Kommunen weiter verteilt würden. Das frühere Vorhaben erhielt die Zustimmung des St. Augustiner Rates, der in den neuen Plänen „eine völlige Abkehr“ sieht und sie einstimmig ablehnt. ( http://www.general-anzeiger-bonn.de/region/sieg-und-rhein/sankt-augustin/Stadtrat-protestiert-gegen-Zentrum-zur-Abschiebung-article3422470.html  und http://www.general-anzeiger-bonn.de/region/sieg-und-rhein/sankt-augustin/Resolution-gegen-Abschiebezentrum-f%C3%BCr-Fl%C3%BCchtlinge-article3423234.html )

Am Charakter von Pilotprojekt und Verfahren ändert sich auch nichts, wenn das Ganze "Überstellung" genannt und mit dem Hinweis "Wir setzen EU-Recht um" gerechtfertigt wird, wie es der General Anzeiger von der Bezieksregierung Köln hörte. (GA 10./11. Dezember 2016)

Abschiebezentren werden auch in der Hauptstadt Berlin und in weiteren Städten der Länder geplant und vorbereitet. In Nordrhein-Westfalen soll es nach der Planung des Landesinnenministeriums außer in St. Augustin noch in Ratingen und in Bottrop solche Abschiebezentren geben, jeweils für mehrere hundert Hoffnungslose.

„Das Schicksal jedes Einzelnen wird geprüft“, beteuerte Merkel gerade erst auf dem CDU-Parteitag. Doch wie das de facto aussieht, wissen viele Begleiter_innen von Geflüchteten aus eigener Erfahrung. Nicht in der angespannten Situation der Anhörung, des Interviews durch BAMF-Mitarbeiter_innen mit mühsam durch amtliche Dolmetscher_innen übermittelten Fragen und Antworten kommt das Schicksal Einzelner zur Sprache. Es wird häufig erst allmählich erkennbar, nach langen Gesprächen in sicherer Atmosphäre, mit einfühlsamen Fragen und wiederholten Nachfragen, wenn etwas unklar blieb. Der Auftrag des BAMF und der Ausländerämter geht nicht in diese Richtung. Sie haben vom Herkunftsland und der allgemeinen Schutzquote auszugehen und zügig in entsprechender Weise zu entscheiden. Danach die schnell ausgestellte Ablehnung des Asylantrages durch Abschiebung zu vollstrecken. Da ist kein Raum für Einzelschicksale, seien sie noch so verzweifelt.

2017 soll das Jahr vielfacher Abschiebungen werden. Die Landes- und Bundesregierung schaffen die Bedingungen, dass alles zügig und reibungslos klappt.

Das lassen auch die Beschlüsse des CDU-Parteitages am 6./7.12. und die Beschlussvorlage für die Bund-Länder-Ministerpräsidentenkonferenz am 8. 12. erkennen. Zwar fand beim CDU-Parteitag nicht jede Forderung Berücksichtigung, wie z. B. die von Parteivize Strobl nach Abschiebung von Kranken. Und auch bei der Konferenz wurden jetzt noch nicht die vorbereiteten Beschlüsse in vollem Umfang erzielt, das wurde auf Anfang Februar vertagt. Doch in der Hauptsache ist alles klar.

Bei der die Ministerpräsidentenkonferenz abschließenden Pressekonferenz erklärte Meck-Pomm-Ministerpräsident Sellering: „Der Bund und die Länder sind sich einig darüber, dass Flüchtlinge, die keinen Schutz brauchen und bei denen in einem rechtsstaat­lichen Verfahren festgestellt worden ist, dass sie nicht in Deutschland bleiben dürfen, schneller und effektiver in ihre Heimat zurückgeführt werden müssen.“ Dies setze eine enge Zusammenarbeit von Bund und Ländern voraus. Vor allem müsse der Bund seine Koordinierungs­funktion stärker wahrnehmen. ( http://www.regierung-mv.de/Landesregierung/stk/MPK/ )

Zeit-online berichtete entsprechend am 9. 12.: Um die Zahl der Rückführungen abgelehnter Asylbewerber zu erhöhen, wollen Bund und Länder Abschiebungen künftig auf nationaler Ebene koordinieren. Angestrebt wird auch ein gemeinsames Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr. Die Länder fordern für diese zentrale Behörde mehrere Hundert Mitarbeiter. Die bisher geplante Personalausstattung hatten sie als zu gering kritisiert. Nach Angaben Merkels muss der Bund noch beraten. Anfang Februar solle nochmals mit den Ländern gesprochen und versucht werden, Eckpunkte zusammenzubringen. "Die gute Nachricht war, dass es bei allen eigentlich das Verständnis gibt, wir wollen Recht und Gesetz durchsetzen." Sonst könne denjenigen mit Aufenthaltserlaubnis nicht ausreichend geholfen werden. Es gebe nun einen gemeinsamen Ansatz. ( http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-12/angela-merkel-bund-laende... )

Zwar wird manchmal argumentiert, die Abschiebungen seien nötig, um Platz zu machen für weitere Schutzbedürftige. Doch zugleich ist offenkundig, dass alles getan wird, damit weitere Schutzbedürftige nicht nach Deutschland gelangen: etwa durch die Einschränkung des Familiennachzuges oder durch die fragwürdigen Abkommen mit der Türkei und die Versuche, EU-grenznah Transitzonen oder in nordafrikanischen Ländern Auffangzentren zu etablieren. Offen bestätigte Merkel in ihrer Parteitagsrede: „Eine Situation wie die des Sommers 2015 kann, soll und darf sich nicht wiederholen. Das war und ist unser und mein erklärtes politisches Ziel.“ Über ihre Rede freute sich CSU-Scheuer. Und über den Parteitagsleitantrag feixte AfD-Vize Gauland, darin seien „so viele Positionen von uns enthalten, dass es schon lustig ist.“

2017 – ein Jahr der Abschiebungen. 2017 – das Wahljahr. Kein zufälliges Zusammentreffen, so meine ich.

Susanne Rohde, 10. 12. 2016